Donnerstag, 20. September 2012

Große Qualitätsmedienschelte

 
Wenn man bei Google 'heribert prantl' eingibt, dann schlägt die Autocomplete-Funktion als nächste Einträge vor: 'kirche', 'voßkuhle' und 'kontakt' - lauter fast unverfängliche Sachen also. Kein Vergleich jedenfalls, was bekanntlich passiert, wenn man zum Beispiel 'bettina' eintippt. Belässt man es bei 'heribert prantl' und klickt auf 'Suche', dann erscheint als erstes Ergebnis der Wikipedia-Eintrag zu seiner Person. Dort heißt es, man liest es mit Verwundern, dass der gute Mann gelernter Jurist ist. Das überrascht einen umso mehr, als dass Prantl in einem seiner letzten Kommentare für die Süddeutsche Zeitung erneut die Mär vom quasi rechtsfreien Raum Internet ventiliert hat. Wörtlich meint er: "Im Internet gibt es noch kaum Regeln". Und das finde ich erstaunlich.

Wenn es im Internet so gut wie keine Regeln gibt, dann müsste umgekehrt auch so gut wie alles erlaubt sein. Nur wieso verdienen sich dann entsprechend spezialisierte Anwälte mit Abmahnverfahren gegen Nutzer illegaler Tauschbörsen eine goldene Nase? Wie kann eine Internet-Tauschbörse überhaupt illegal sein, wenn es doch kaum Regeln gibt? Man dürfte auch gespannt sein, was passierte, wenn ich mir ein paar saftige, freilich völlig aus der Luft gegriffene Sachen über Herrn Prantl aus den Fingern saugen und sie an dieser Stelle verbreiten würde. Nach seiner Logik könnte mir ja keiner. Weil es im Internet schließlich so gut wie keine Regeln gibt, weil jeder im Internet posten kann, was er will. Irgend etwas sagt mir aber, dass das ein teurer Spaß werden könnte und ich das besser bleiben lassen sollte. Nur zur Sicherheit. Oder bin ich einfach feige?

Kein Wort übrigens davon, dass die Gerüchte über Frau Wulff nicht etwa den Hirnen irgendwelcher überspannter, nicht satisfaktionsfähiger Blogger entsprungen sind, sondern möglicherweise den Reihen der niedersächsischen CDU, von wo sie vermutlich auch lanciert wurden. Und auch kein Wort darüber, dass die "schweinische Kampagne" sehr wohl auch von klassischen Medien geführt wurde. Oder wie war das in Günter Jauchs Sendung vom 18. Dezember 2011, wie war das mit den schwiemeligen Andeutungen in der WamS? Einzelfälle, natürlich, aber ähnliches lässt sich über große Teile der Bloggerszene sagen. Ich will das Internet nicht heilig sprechen, aber wer ohne Sünde ist...

Das zweite Argument gegen das böse Internet: Dort gäbe es kein Vergessen. Was einmal drin stünde, das bliebe für immer. Nun gut. Man mache sich einmal den Spaß, irgendetwas, das vor, sagen wir, fünf Jahren mal ein Riesending war, heute noch im Netz zu finden. Ich will nicht sagen, das sei unmöglich. Trotzdem viel Glück. Denn auch Netzprovider legen sich nicht alles für alle Ewigkeit auf die Server. Außerdem ist es mir neu, dass alles, was irgendwann mal irgendwo auf Papier abgedruckt wurde, komplett vom Erdboden verschwindet. Oder was ist dann mit Zeitungsarchiven, die jede bessere Universitätsbibliothek vorhält? Müssen da auch alle Schnipsel, gegen die jemand erfolgreich klagt, von den braven Archivaren geschwärzt oder per Nagelschere entfernt werden?

Wo wir gerade beim Online-Auftritt des Münchner Qualitätsblatts sind: In einem Interview zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung meinte Prof. Klaus Schroeder vom Berliner Otto-Suhr-Institut folgendes:
"SZ.de: Herr Schroeder, Sie haben mal gesagt, soziale Gerechtigkeit sei eine "politisch-ideologische Kampfformel". Sind Sie herzlos?
Klaus Schroeder: Nein, überhaupt nicht. Ich bin dafür, jedem die Möglichkeit zum Aufstieg zu geben. Aber er soll ihn nicht durch Umverteilung erreichen, sondern durch eigene Leistung. Gib jedem eine Chance, aber gewöhne ihn nicht an Subventionen. Die Hartz-IV-Gesetze werden zu schlecht gemacht. Sie haben Teile der Mittelschicht gezwungen, sich wieder Arbeit zu suchen. Kritiker tun dem ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder unrecht."
Sehen wir großzügig darüber hinweg, dass man schon die Frage diskutieren kann, ob die Teile der Mittelschicht, die durch die Hartz-IV-Gesetze nach Meinung des Herrn Professor gezwungen gewesen seien, sich wieder Arbeit zu suchen, in der dekadenten Epoche vor Hartz IV von ihrer Arbeitslosen- und Sozialhilfe wirklich so ein rundum primasuper gepampertes Mittelschicht-Lotterleben geführt haben. Ersparen wir uns weiterhin Spekulationen darüber, ob dem Mann zu dem Begriff 'soziale Mobiliät' etwas anderes einfällt als 'verbilligte Busfahrkarten'. Auf jeden Fall aber sollte man, weil das die Interviewer offensichtlich verschwitzt haben, doch mal fragen, wie man einerseits 'soziale Gerechtigkeit' als "politisch-ideologische Kampfformel" diffamieren kann, wenn man gleichzeitig mit Begriffen wie "eigene Leistung" um sich schmeißt, die selbstverständlich über jeden Verdacht erhaben sind, politisch-ideologische Kampfformeln zu sein...

Immerhin scheint es den Blitzmerkern von der Süddeutschen langsam wenigstens zu dämmern, dass der Bund der Steuerzahler eventuell doch keine selbstlose Robin-Hood-Veranstaltung ist, die sich heldenhaft für die Interessen des Kleinen Mannes ins Zeug legt. Zu dieser Erkenntnis hätte man freilich früher kommen können, zum Beispiel durch gelegentliche Lektüre der NachDenkSeiten. Oh, ups, das ist natürlich nur Internet, wo jeder posten kann was er will.

Ein Letztes: Es mag nicht wirklich hierher passen, aber ich muss das mal loswerden. Lieber Hintergrundgeräusch-Produzent N24! Im Moment sind sonntags bei euch ja wieder die großen WKII- und Adolf-Wochen angebrochen. Dort bringt ihr dann zum gefühlt 250. Mal diese Ami-Dokus, in denen Opa vom Krieg erzählt und in denen Englisch radebrechende Deutsche auf deutsch nachsynchronisiert erklären, wo Rotzbremsen-Adi damals seine Protzbauten genau hinknallen wollte. Nur sollte man bitteschön in den andauernd gesendeten martialischen Programmankündigungen wenigstens die Fakten halbwegs klar haben. Das deutsche Schlachtschiff Bismarck war definitiv nicht "das mächtigste Schlachtschiff des Krieges", wie ihr den Sonntagnachmittag über nicht müde wurdet zu dröhnen. Wenn man sich schon an so was besaufen will, dann sollte man wissen, dass die fettesten schwimmfähigen Mega-Wummen, die im Rahmen dieses fröhlichen Massenmordens über die Meere schipperten, verdammt noch mal Made in Japan waren. Haben wir's? Da nich' für, ich helfe immer gern.

Und da sage noch einer, man lerne nichts fürs Leben, wenn man Teile seiner Kindheit und Jugend mit dem Zusammenfriemeln von Modellbausätzen verbringt.


7 Kommentare :

  1. Der politiologisierende Agendaritter Klaus Schröder hat mich auch schwer mitgenommen. Das sind die üblichen Weichspüler, wenn Kernaussagen, Volkes Unmut an die Realität heranführen könnten, - und es gilt den, vollen Misserfolg als Erfolg darstellen zu müssen. Man beachte übrigens die Feinheiten;

    Sie haben Teile der "Mittelschicht" gezwungen, sich wieder Arbeit zu suchen.....

    Noch vor zwei Jahren, wäre ihm für diesen Satz der mediale Tod und die helle Entrüstung einer elitarisierten Mittelschicht sicher gewesen. Die tatsächliche Inhumanität seiner Lieblinge, nämlich die Produktion einer Drei-Klassengesellschaft, -scheint der Herr Historiker, ebenso wie mittlerweile die meisten Medien, geflissentlich übersehen zu wollen.

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    1. Hallo eb,

      denke, die Sprechpuppen sind davon überzeugt, Inhuman sei die "gesunde" Form von Rationalismus ... Dabei kann ich in der Realität der Asozialität kaum Rationales erkennen ... nur niedere Triebe.

      Gruß
      Rosi

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    2. Und immer wenn man denkt, dümmer gehts nicht mehr, dann kommt von irgendwo ein Rösler her und erklärt uns, statistische Zahlen wie die, dass die Reichen immer reicher würden, seien Ansichtssache...

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    3. *haha*

      Stimmt, ungeheuerlich eigentlich (und so etwas nennt sich Vorturner ... ich nenne sie eher ideologische Sprechpuppen ... und die müssen in der Regel auch nicht denken, bevor sie den Mund aufmachen).

      Das ist wohl eine der krassesten Formen von Realitätsverweigerung ... Und die muss natürlich ständig in den "Nachrichten" wiederholt werden ...

      Man stelle sich das mal vor: Ein Komiker wird alle 30 Minuten mit seiner Bauchredner-Puppe wiederholt ... Exakt so kommt mir das vor ... ob es mir alleine so ergeht?

      Gruß
      Rosi

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  2. :) Der letzte Satz *grins*.

    Abseits davon, das Internet scheint ein Problem für die herrschenden Klassen zu sein ... von der Subjektivität der Wahrnehmung in Verbindung mit kognitiver Dissonanz (und ich muss es mal loswerden: mangelndem Verständnis) abgesehen ... Habe da so meinen Verdacht.

    Man ist es nicht gewohnt, die Gedanken Vieler lesen zu können. Konnten jene, die es für ihre Aufgabe halten, Gedankengut zu dosieren und zu steuern, sich der Vision hingeben, man hätte die Gedanken Vieler im Griff und wüsste stets genau, was die Vielen denken, zu denken hätten und könnten. Diese Illusion beginnt sich zu zersetzen. Und wie das so ist, mit den Realitätsblasen und deren langsamer, zumeist zwangsweise eingeleiteter Auflösung, das gefällt gar nicht und man wehrt sich dagegen. Nein, nein, nicht gegen die Realität (ergo die Gedanken) selbst, sondern gegen die Kenntnisnahme einer solchen.

    Habe schon öfter formuliert: Menschheit hat kein Problem damit, Virtualität mit Realität zu verwechseln (Ausnahmen bestätigen hier die Regel), sondern wir haben ein Problem damit, in der Virtualität den Spiegel der Realität zu erkennen und tatsächlich zu verstehen (u.v.a.m. Kriegsnachrichten etc. pp. wirken mehr, wie eine Produktion aus Hollywood). Die ganze durch den Menschen geschaffene Welt basiert auf dem Virtuellen (vll. sollte Prantl den Begriff noch einmal nachschlagen?), von den Naturgesetzen abgesehen, erschafft sich jedes menschliche Konstrukt aus Gedanken.

    Beziehe ich mich auf die Frage der SZ nach "herzlos", so muss ich davon ausgehen, bei jeder "Sprechpuppe" (männlich wie weiblich) schlägt eines in der Brust. Deswegen kann diese Frage nur mit "nein" beantwortet werden (selbst ein künstliches Gerät mit einer solchen Aufgabe nennt man Herz). Vll. hätte man besser gefragt, ob er ohne Verstand (im Sinne von Verstehen) sei.

    Für mich spiegelt sich im Internet die Welt so virtuell wider, wie sie in der realen Welt gelebt, gedacht und gefühlt wird. Mit allem, was dazu gehört, das betrifft auch den sozialen Umgang untereinander (der sich im eigentlichen Wortsinne häufig ebenso auf Virtuelles bezieht) sowie das Einhalten oder Brechen von Regeln und Gesetzen. Wer glaubt, die Welt außerhalb des Netzes sei eine ganz kuschelige mit rosa Menschengummibärchen, der trägt auf jeden Fall einen solch gefärbten Balken vor seinen Wahrnehmungs- und Verarbeitungssinnen. Blutet man in Afghanistan nicht, erwirtschaften die Konzerne ihren Gewinn nicht auf Basis anderer Menschen Lebenssäften (gerne auch für 150 Euro gekaufte Kindersklaven)?
    Verdursten nicht Menschen in der Dritten Welt, damit sie Coca-Cola kaufen können, die sie sich gar nicht leisten können, nach dem Motto: „Wenn die Menschen dort kein Wasser haben, wieso trinken sie nicht Coca Cola“? Usw. usf. ...

    Es ist irgendwie wie immer, würde ich sagen. Man echauffiert sich über Internet, Computerspiele, früher über gruselige und grausame Filme, davor über solche Bücher und noch früher waren es die erzählten Geschichten. Nur eines, das sah man nie, schafft es bis heute nicht, und das ist das Leben selbst. Nichts, aber auch gar nichts kann virtuell abgebildet so grausam sein, wie es auf diesem Globus gelebt wird. Unsere Phantasie kann diesen Rahmen nicht sprengen. Sie orientiert sich immer an dem, was die Menschen und ihre Umwelt im Universum so tun bzw. sich ihnen darbietet. Das gilt selbst für die Breiviks bzw. die "Hannibal Lecter'se" (Kannibalismus ist mitnichten neu und nur auf die Spezies Mensch begrenzt).

    Das Internet hat nur eine schnellere Vernetzung, Verbreitung, Transparenz, wie alles andere im Leben ebenso schneller taktet und transparenter wird. Mitnichten bildet das www eine Ausnahme. Wie auch? Es ist mitten in diesem Leben und aus diesem Leben heraus geschaffen worden. Es ist wie ein riesiges Buch, bereits Geschehenes und/oder bereits Gedachtes wird darin niedergeschrieben.

    So sollte man sich eher Gedanken darüber machen, was gedacht und getan wird. Damit hat (und hatte) Menschheit ein viel größeres Problem!

    Gruß
    Rosi

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    1. Tja, das ist auch mein Verdacht (natürlich naheliegend): Gemäß Sethes Spruch ("Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten") scheinen die Meinungsbildner der Nation schlicht um ihre Monopol-/Oligopolstellung zu fürchten, jetzt, da es immer weniger einen Verlag, eine Druckerei und ein Distributionsnetz braucht, um etwas zu publizieren. Daher auch das Geschrei, von wegen keine redaktionelle Kontrolle - was so viel heißt, wie: Da könnte ja jeder kommen.

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    2. So wird es auch sein ...

      Zum Thema Presse und Verantwortung ... da könnte ich noch viele harschen Worte schreiben ... Fließt mir einfach so über die Tastatur. Der Ärger über dieses narzisstische Pseudo-Ethos-Gehabe als Motivationsgeber ... Doppelmoral, wohin man schaut ... und in diesem Falle gar eine sich der Macht anbiedernde ... *würg*; dabei wird sich selbst belogen und betrogen, dass die Hölzer des Regenwaldes dem Balken-Biegen nicht stand halten könnten und zersplittern ...

      Würde jedoch wieder ein Rosi-Pamphlet werden ...deswegen abgebrochen. Vll. mache ich es noch fertig und sende es per Email ... Gott war ich gestern sauer *grins*.

      Lieben Gruß
      Rosi

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