Sonntag, 21. Oktober 2012

Willkommen im Mainstream, Homiez!


HipHop war vielleicht die dominierende Jugendkultur der letzten 15, 20 Jahre. Für Menschen, die qua eigener Sozialisation irgendeine Form von Rockmusik und einigermaßen normal geschnittene Hosen bevorzugen, war diese Zeit eine schwere Prüfung. Jugendliche, die im Englischunterricht keinen einzigen geraden englischen Satz über die Lippen bekamen, fuchtelten mit den Armen, machten unter obskuren Fingerverrenkungen einen auf Ganzböserjunge und parlierten dazu fließend kryptische Fachausdrücke in annähernd jenem Idiom, das ihnen doch eigentlich ein komplettes Rätsel war. Sie waren enttäuscht, wenn der Jugendrichter es wegen Dauerkiffen und/oder Graffittisprüherei bei einer Ermahnung beließ oder ihnen Sozialstunden aufbrummte, anstatt sie, wie ihre US-Vorbilder in den Knast zu stecken. Dazu trugen sie Kleidung, die sie in jedem anderen Jahrhundert vermutlich als Angehörige des fahrenden Volkes der Gaukler ausgewiesen hätte.

Als alter Rockfan, der auch mit dem gleichermaßen beliebten Technogewummse nichts anfangen konnte, fühlte man sich wie ein lebendes Museumsstück, sofern man sich nicht rechtzeitig in eine exklusive Nische geflüchtet hatte wie Post-, Progressive-, Kraut-, Art-Rock, RIO oder gar Zeuhl. Einzig die trinkfesten Jungs von der Metalfront schafften es, vor allem dank gemeinsamer Codes und ihrer Festivals trotz Kommerzialisierung als mehr oder minder konsistente Szene einigermaßen glaubwürdig zu bleiben. Ansonsten war auch härtere Rockmusik so sehr Teil des Mainstreams geworden, dass seit einiger Zeit CSU-Politiker mit AC/DC-Shirts und Banker auf Motörhead-Konzerten kein unvertrauter Anblick mehr sind. Mit Rebellion hat das gekonnte Gitarrengelärme noch ungefähr so viel zu tun wie das wochenendliche Harley-Gekarze mittelalter mittlerer Manager.

Man kann verstehen, dass HipHop auch in Deutschland zur Projektionsfläche vor allem von Jugendlichen aus Migrantenfamilien wurde. Aus der schwarzen Subkultur kommend, droschen die Rapper dem vorwiegend weißen Establishment ihre Verachtung um die Ohren. Später, als Gangsta-Rap populär wurde, stellte man einen absurd neureichen Lebensstil zur Schau, der alle Attribute der Konsumgesellschaft zusammenraffte und noch einmal grotesk übersteigerte. HipHop funktionierte in dieser Form vor allem als Erzählung des rasanten sozialen Aufstiegs, der jedem winkte, der möglichst glaubwürdig über seine Underdog-Herkunft zu berichten wusste. Ein paar Schusswunden, ein paar Jahre Bau und sonstige Narben, die vom harten Leben im Ghetto kündeten, konnten dabei durchaus hilfreich sein.

Natürlich ist es Quatsch, HipHop auf Gangsta-Rap zu reduzieren, aber der dominierte nun einmal für ein paar Jahre die Wahrnehmung von außerhalb. Hierzulande hatten eine Zeit lang die bösen Jungs von Aggro Berlin die Schulhöfe fest im Griff. Sie kamen von ganz unten, hatten nichts als ihre Wut und ihre Worte, so wurden Sido, Bushido, B-Tight, Fler und wie sie alle heißen mochten, vom Label in Szene gesetzt. Obwohl man mit so einem Görenzeugs nichts anfangen konnte, war man schon ein wenig neidisch, wie diese Leute bei Eltern, Lehrern und Sozialarbeitern regelmäßig Ablehnung, Sollen-erstmal-was-arbeiten- oder gar Ab-ins-Lager-Reflexe provozierten wie einst die Stones und später die Punks.

Das Aggro-Zeugs hat sich popkulturell weitgehend erledigt, obgleich das Label noch existiert. Einige der Protagonisten werden inzwischen wohl wieder von der Stütze leben. Der böse Bushido bindet sich neuerdings einen Schlips um und hegt, nachdem er, ganz im Stil eines geläuterten Kleinkriminellen, allen versichert hat, was für ein Netter er im Kern doch sei, politische Ambitionen. Ex-Elternschreck Sido hat es ins ferne Österreich verschlagen, wo er, so hört man, dortige Society-Größen verbal nieder macht, wenn er ihnen nicht gleich eine aufs Maul verpasst. Dafür muss man ihn ja fast schon ein wenig lieb haben, auch wenn man ansonsten eher freiwillig der Taubheit anheim fiele, als sich auch nur für eine Minute seinem musikalischen Schaffen auszusetzen.

HipHop ist so sehr Mainstream geworden wie die gitarrenschwingende Bausparkassen-Combo Scorpions, als ihr eh schon zu Tode genudeltes Wiedervereinigungs-Geschmuse Wind Of Change von Tanzorchestern gecovert wurde, wenn Slowfox angesagt war. Unverkennbares Zeichen dafür sind die peinlichen bis hilflosen Versuche diverser Großunternehmen, mittels HipHop ein "junges, trendbewusstes Publikum" anzusprechen, wie Werbefritzen so was vermutlich nennen. Ein entzückendes Beispiel liefert die biedere Einkaufsgenossenschaft deutscher Kolonialwarenhändler, die in diesem Video zeigen will, wie ein Praktikum in einem ihrer Märkte den Tag zum rocken bringt (Praktikum wohlgemerkt, von ordentlich bezahlten Vollzeitjobs reden wir nicht):


Auch das Gestammel, mit dem der immerhin im Gebrauchtwagensektor durchaus hiphop-affine Automobilhersteller BMW demonstrieren wollte, wie angesagt und sexy einen ein Praktikum dort macht, hat es inzwischen zu trauriger Bekanntheit gebracht:



Die gute Nachricht daran wird gern übersehen: HipHop ist damit offiziell, endgültig und unwiderruflich uncool geworden. Willkommen im Club der langweiligen alten Säcke, Bro's!


8 Kommentare :

  1. Uhhh, - mitten ins Schwarze.
    Und vor allen Dingen....sag es, - sag es, - sag es ....

    wie die gitarrenschwingende Bausparkassen-Combo Scorpions,...

    (Darf ich das im privaten Rahmen verwenden?)

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  2. HipHop hat schon immer genervt mit seiner großmäuligen Art und seiner Verherrlichung von kriminellem und primtivem Verhalten.

    Gibt allerdings auch intelligente und selbstironische Typen darunter , dann wohl eher nicht im Bereich des "gangsta"-hiphop , wäre mal interessant , wie dieser Typus im dümmeren Teil der Szene selber gesehen wird.

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  3. @eb: Aber gerne doch!
    @Art: Im Hiphop-Bereich gibts einige, bei denen ich schon gedacht habe, ok, ich würde nie ne CD kaufen oder sonstwie Geld ausgeben dafür, weil nicht meine Musik. Trotzdem unbedingt ernst zu nehmen, weil künstlerisch ambitioniert.

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  4. Das eröffnet eine schöne neue Möglichkeit, sich bei allzu offensichtlich Hiphop-affinen Mitmenschen beliebt zu machen, nämlich mit der einfachen Frage: "(Wo sind Sie Praktikant - bei) Edeka, BMW oder Sparda?"

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  5. @ Stefan Rose

    Auf "Tracks" haben sie gerade so einen vorgestellt, ein gewisser "blackie".
    Nicht direkt nur HipHop , aber in die Richtung, völlig durchgedreht und klasse , und kein Stück in dieselbe Ecke zu stellen wie diese gangsta-Trottel.

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  6. Hip Hop ist meistens sehr selbstreferentiell und nervt damit ungemein: Kohle, Auto, Goldkette, Weiber, Haus und so weiter verdeutlichen den oft sehr primitiven und materialistischen Blick auf die Gesellschaft. Was daran so toll sein soll, andere ständig sagen zu hören, sie seien die Größten und hätten den Dicksten, hat sich mir noch nie erschlossen.

    Allerdings gibt es wirklich Ausnahmen. "Prinz Pi" aus Berlin beispielsweise, liest Wittgenstein und Heidegger, studiert und macht intelligente Texte, wie diesen hier. Ist übrigens eine Ironie auf Bushidos "Sonnenbankflavour". Den verlinke ich hier aber nicht ;-)

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  7. "Komm zu uns und lass den Laden rocken!"
    Wer, WTF, will EDEKA rocken???

    (kicher)

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    1. Och, so'm langweiligen Supermarkt täte das Gerocktwerden vielleicht mal ganz gut? Aber klar, wer will das selbst machen? Vielleicht wäre das eine Geschäftsidee - langweilige Firmen/Läden rocken...

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