Donnerstag, 30. Mai 2013

Sie sind unter uns (3)


Heute: Pink Radar - der Homophobe Oberchecker

Wer erinnert sich nicht an die legendären Terminator-Filme? Legendär die Szenen, in denen der staunende Zuschauer die Welt durch die Augen des Maschinenmannes wahrnahm. Wer hätte sich so was in bestimmten Situationen noch nie gewünscht? Entfernungen, Größenverhältnisse, freie Parkplätze, Temperaturen und vor allem Identitäten automatisch ins Sichtfeld eingeblendet zu bekommen. Zwar gibt es solche Geräte schon länger, aber dummerweise würde man damit aussehen wie eine dieser Borg-Drohnen aus Star Trek. Aber jetzt festhalten: Menschen mit eingebauten Scannern wie beim Terminator scheint es wirklich zu geben. Auch das muss ich wissen, denn ich bin auch so einem schon begegnet. Es war Pink Radar, der Homophobe Oberchecker.

Ein Homophober Oberchecker ist fast immer männlichen Geschlechts. Seine Fähigkeit, die ihn auch zur Mitarbeit bei den X-Men qualifizieren würde, sieht man ihm nicht auf den ersten Blick an. Man kann es nur vermuten, aber höchstwahrscheinlich hat er eine Art Scanner eingebaut, der, nebenbei bemerkt, offenbar unter Alkoholeinfluss immer leistungsfähiger wird. Dieses bionische Implantat versetzt ihn in die Lage, jeden verkappten Homosexuellen im Umkreis von zwei Kilometern zielsicher zu identifizieren und zu lokalisieren. Und weil jeder Superheld eine Lebensaufgabe braucht, sieht er es als seine an, das verlogene Doppelleben dieser Existenzen, die das übrigens meist noch gar nicht bemerkt haben, gnadenlos zu enttarnen und einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Und weil es, seinem sechsten Sinn zufolge, viel mehr Schwule gibt als man annehmen sollte, hat so ein Homophober Oberchecker meist eine Menge Arbeit.

Das Exemplar, dem ich begegnet bin, ist mir sogar namentlich bekannt. Passenderweise hört er auf den Namen Horst. Horst ist ein ebenso entfernter wie alter Bekannter, mit dem ich seinerzeit gezwungen war, eine Grundschulklasse zu teilen. Nach der mit großer Mühe überstandenen Realschule war er Elektriker geworden. Von seiner Frau, die er sofort nach der Lehre geheiratet und immer „Mutti“ genannt hatte, war er mit Ende zwanzig bereits wieder geschieden worden. Danach ist er wieder zu seiner leiblichen Mutti unters Dach gezogen. Ist ja auch viel billiger, findet er. Außerdem hat er so mehr Geld übrig fürs Party machen. Oder, wie er es in regionaltypischen Idiom auszudrücken beliebt: Patty machön. Oder auch: Auffe Kacke hauön. Er hält sich nämlich für ein echtes Feierbiest, ja, für ein wahres Maschinengewehr der guten Laune. In der Praxis heißt das: Er fühlt sich stets bemüßigt, seine ausgesprochen laute Stimme bei entsprechenden Gelegenheiten exklusiv für das Erzeugen dessen einzusetzen, das er Stimmung nennt. Nur hat ihn meines Wissens nie jemand darum gebeten.

Von Zeit zu Zeit lässt es sich nicht vermeiden, ihm da und dort mal zu begegnen. So zum Beispiel vor ein paar Jahren auf dem alljährlichen Sommerfest des örtlichen Kleingartenvereins, zu dem meine damalige Freundin und ich eingeladen waren. Weil meine Eltern nie Mitglieder in so einem Verein gewesen waren, stand ich solchen Festivitäten einigermaßen offen gegenüber. Die Liebste hingegen versuchte, wohl aufgrund schwerer Traumata in Kindheit und Jugend, immer einen großen Bogen um so etwas zu machen. So waren wir überein gekommen, an jenem sommerlichen Samstagabend getrennte Wege zu gehen. Sie wollte wie früher mit ein paar alten Freundinnen das Bochumer Bermudadreieck unsicher machen, während ich mich unter den Jüngern Moritz Schrebers vergnügen würde.

Als ich das Gelände betrat, wurde ich sofort von Horst in Empfang genommen. „Ey, wo hasse denn deine Olle gelassön, samma?!“, dröhnte er. Offenbar war ihm dank einer Beobachtungsgabe, die wohl nur von der des legendären Sherlock Holmes noch übertroffen wird, aufgefallen, dass ich allein aufgelaufen war. „Hat keine Zeit heute. Ist mit Freundinnen unterwegs.“, gab ich knapp zur Antwort. Er haute mir jovial auf die Schulter und meinte: „Na ja, macht ja nix. Komm, hier sind total viele hübsche Kerle am Start. Da geht bestimmt was für einen wie dich.“, wobei er fettschmierig kichernd hinzufügte: „Na komm, jetz' sei mal nicht sone Humorlose!“. Um sein Verhalten verstehen zu können, muss man wissen, dass es für Männer wie Horst nur einen einzigen Grund haben kann, dass ein Mann ohne weibliche Begleitung auf so einer Feier erscheint: Er muss zwangsläufig auf der Suche sein nach homoerotischen Ausschweifungen. Er selbst bildet dabei natürlich die große Ausnahme von der Regel. „Ja, danke für den Tipp.“, meinte ich und ließ ihn stehen.

Für das Verständnis der weiteren Vorgänge muss man wissen, dass in Horsts Welt ein normaler, also heterosexueller Mann grundsätzlich niemals Freunde hat. Normale, also heterosexuelle Männer haben für Horst entweder Kollegen, Bekannte oder Kumpels. Wer hingegen männliche Freunde hat, ist mit Sicherheit schwul. Einer aus der Runde, zum Glück nicht ich, hatte das wohl für einen Moment vergessen und er sprach von einem ihm bekannten Mann als Freund. Das versetzte Horsts Radar augenblicklich in Alarmzustand. Der Unglückliche hätte noch eine einzige, eine winzige Chance gehabt, aus der Nummer wieder heraus zu kommen. Er hätte im Bruchteil einer Millisekunde hinterher schieben müssen: „Ist nur ein Kollege von mir, weißt du.“ Doch ließ er diese Chance ungenutzt. Er sollte es bereuen. Denn sofort trötete Horst mit der Dezenz eines Presslufthammers und dem Schalldruck eines startenden Eurofighters: „Uiii, Mädels, Rosettenalarm! Wir haben hier Damenbesuch am Start!“

Das Problem an so einer Situation ist, dass es quasi unmöglich ist, sich aus diesem Übergriff noch irgendwie zu befreien. Reagiert der Betreffende genervt oder gar gereizt, dann bedeutet das für einen Meisterpsychologen wie Horst: Aha, soso, sieh an. Er hat also tatsächlich etwas zu verbergen. Und ich habe ihn durchschaut. Deswegen wird er jetzt auch so nervös. Der Verdächtige aber blieb ruhig und fing statt dessen an, freundlich und sachlich zu widersprechen. Großer Fehler auch das. Horst packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn ein wenig und bölkte: „Ja, nee, nee, iss schon klar, du! Komm, mir kannste nix vormachen, du. Ich kenn' euch Brüder doch genau. Alle, wie ihr da seid.“ Eingangs war von Star Trek die Rede. Obwohl alles andere als ein Trekkie, wünschte ich mir in dem Moment sehnlichst, man möge mich ganz weit weg beamen. Alternativ wäre ich auch für einen auf Betäubung eingestellten Phaser sehr dankbar gewesen.

Bevor noch Schlimmeres passieren konnte, erledigte, oder besser: verlagerte sich das Problem von selbst. Und zwar in Gestalt einer jungen, ausnehmend attraktiven Frau, die an unserem Tisch vorbeiging. Leider war ihr wohl nicht bewusst oder es war ihr auch nur kurzzeitig entfallen, dass auch sie damit einen folgenschweren Fehler beging: Sie tat das im Abstand von weniger als fünf Metern. Solch laszives Benehmen kommt für Typen wie Horst nämlich einer direkten Einladung zum sofortigen Geschlechtsverkehr gleich. Also erhob er sich mit den Worten: „So Männer, entschuldigt mich mal für ne Sekunde. Ich muss mal eben die Alte da vorne klar machen. Die iss rattig ohne Ende, das sehe ich bis hier. Gut aufpassen, jetzt könnt ihr was lernen.“ Sprach's und ging daran, uns eine Kostprobe seiner Verführungskünste zu schmecken zu geben.

Eines habe ich bei Frauen ja immer bewundert: Ihre Fähigkeit, angesichts eines derart verlockenden Angebotes standhaft zu bleiben. Ich habe es nie nachvollziehen können, wie eine Frau aus Fleisch und Blut an sich halten kann, wenn ein untersetzter, angetrunkener Schnauzbartträger mit beginnender Glatze, feuchtem Bieratem und mindestens sieben Dioptrien vor jedem Auge, der noch dazu ein spack sitzendes T-Shirt trägt, das mit dem Spruch „Tschuldigung, FICKEN?“ witzig bedruckt ist - wie eine Frau da ihr Verlangen unterdrücken kann, spontan auf die Knie zu fallen und dieser Zierde unseres Geschlechts sogleich die Hose zu öffnen. Wegen der Musik und der Entfernung blieb es leider ein Geheimnis, mit was genau Horst die Dame da voll laberte, aber zu unserer großen Überraschung waren seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt.

Nun ist es so, dass die Horsts dieser Welt, wenn sie so eine Abfuhr kassiert haben und das Schlachtfeld geschlagen wieder verlassen, ihrer Umwelt unbedingt beweisen müssen, dass so etwas ihrer Männlichkeit mitnichten einen Abbruch tut. Daher tragen sie dann gern eine Körpersprache zur Schau, die irgendwo zwischen dem jungen John Wayne und dem mittleren Arnold Schwarzenegger angesiedelt ist: Breitbeiniger, betont lässiger Gang, Hände in den Hosentaschen und die Arme vom Körper abgewinkelt, als klemmten ihnen Rasierklingen in den Achselhöhlen. Auch Horst tat so, setzte sich wieder und winkte ab. „Nee, nee, komm' du. Dass das ne Lesbe ist, hab ich ja gleich gewusst. Aber ich sag immer: Nich' aufgeben, sag' ich immer. Wenn so eine nämlich ein Mal so richtig rangenommen wird, dann kommt die im Leben nicht mehr auf die Idee, wat mit Weibern anzufangen.“

In diesem Moment begann der offizielle Teil der Feier, sodass Horst leider nicht mehr dazu kam, uns mit weiteren tiefschürfenden Erkenntnissen über die weibliche Gefühlswelt zu faszinieren. Ansprachen wurden gehalten, Jubilare wurden geehrt, es wurde geklatscht und aufs Wohl getrunken. Vor allem aber gelang es mir, Horst auf Distanz zu halten. Was auch nicht gar so schwierig war, denn am Ende war wohl kein Lebewesen mit zwei X-Chromosomen im Genom vor seinen Annäherungsversuchen verschont geblieben. So wurde es doch noch ein richtig netter Abend. So nett, dass ich gegen meine sonstigen, dem fortschreitenden Alter und der Erwerbsarbeit geschuldeten Gewohnheiten, bis weit nach Mitternacht blieb. Ironischerweise musste ich mich noch, mit Rücksicht auf meinen damaligen Beziehungsstatus, den Avancen einer anwesenden Dame erwehren.

Als ich mich zum Gehen wandte sah ich Pink Radar, wie ich ihn im Stillen getauft hatte, ein letztes Mal. Er mich aber nicht. Er hielt sich sich mithilfe seines rechten Ellenbogens mühsam an der Theke des Bierwagens in der Senkrechten, mit der Hand ein Bierglas fest umklammernd. Mit der freien Hand grabbelte er am Gesäß eines ebenfalls am Tresen lehnenden Mannes herum, der wohl schon zu betrunken war, um noch irgendwas mitzubekommen. Im Vorbeigehen hörte ich noch die zärtlichen Worte, die er seinem Gesprächspartner schwerzüngig ins Ohr hauchte: „Nee, nee, du. Scheißweiber, sag ich immer. Scheiß!-Weiber! Weissu, wassich immer sage? Weissu dass? Wahre Liebe gipps nur unter Männern, sag ich immer.“

Wer mich kennt, weiß, dass ich kein übermäßig neugieriger Mensch bin. Klatsch und Tratsch habe ich immer für irrelevant, ja geradezu für lästig gehalten. Doch in diesem Augenblick ertappte ich mich dabei, dass ich mich fragte, welche Ergebnisse wohl eine nähere Untersuchung des Inhalts der Festplatte von Horsts heimischem Computer ergeben würde. Ich war mir nur nicht sicher, ob ich die Ergebnisse auch sehen wollte.



2 Kommentare :

  1. Na super - nach dieser Schilderung habe ich jetzt irgendwie das Gefühl, mich waschen zu müssen... ;)

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  2. Typen wie Horst sind immer dabei , irgendeine "Alte klar zu machen" , das Reden darüber ist wichtiger als die Handlung selber und auch wichtiger als der Erfolg.

    Kenne auch so Einen , zu zweit ist der völlig o.k. , aber du kannst nicht mit ihm unter Leute gehen , weil es sofort peinlich wird vor lauter Klarmacherei.

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