Freitag, 7. Juni 2013

Ursuppe


"Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche. Das ist die Chance der Propheten – und sie kommen in Scharen." (Gilbert Keith Chesterton)
Man sagt, des Menschen Wille sei sein Himmelreich. Wenn also jemand glauben möchte, der liebe Gott sei ein rauschebärtiger alter Mann und habe die uns bekannte Erde binnen sechs Tagen plus einem Ruhetag mit etwas Simsalabim aus Knetmasse und Spucke zusammengeleimt, dann soll er das eben tun. Wer par tout glauben möchte, man würde 120 Jahre alt und garantiert niemals krank, wenn man sich ausschließlich von Rohkost und ungewaschenen Wildkräutern ernährt, dazu täglich skurrile Gymnastik betreibt und Volkslieder zu ungelenk umgedichteten Texten zum Besten gibt, soll das meinethalben auch tun. Problematisch wird es genau dann, wenn Leute, die so was tun, alle, die das nicht tun mögen oder schlicht für Mumpitz halten, für minderwertige, unerleuchtete, ignorante und böse Menschen halten.

Ich bin in meinem bisherigen Leben weiß Gott einer ganzen Menge Schwachsinn in allen Farben, Formen und Größen begegnet. Seitdem ich mich seinerzeit daran gemacht habe, in die unendlichen Welten des Netzes vorzudringen, scheint mir das Ausmaß noch einmal deutlich angestiegen zu sein. Auch ist man aus der Esoterik-Szene wirklich einiges Schräge gewohnt. Doch spielt das, auf das am letzten Wochenende auf mein entzündetes Auge fiel, noch einmal in einer eigenen Liga.

Franz Konz, der kürzlich im Alter von 85 Jahren verstorben ist, wurde vor allem durch seine Steuerratgeber berühmt und wohl auch reich. Im fortgeschrittenen Alter wandte er sich von der Rettung der Bankkonten der Menschen ab und deren Überleben zu. Seit 1980 hat er an seinem 1500seitigen Opus Magnum gewerkelt, dem Großen Gesundheits-Konz. Die Schwarte erfreut sich bis heute großer Beliebtheit und geradezu kultischer Verehrung seiner Anhänger. Die Lösung aller Gesundheitsprobleme und der Schlüssel zum Glück sei es, wieder so zu essen wie die Urmenschen vor Nutzung des Feuers. Also alle Arten von rohem Obst und Gemüse, Nüsse sowie in der freien Natur gesammelte Wildkräuter. Zusätzlich zu dieser Urkost gelte es, regelmäßig Ur-Training zu treiben, Urschreie auszustoßen und Volksgut zu intonieren, um sich gleichsam wieder an das urzeitliche Leben anzunähern. Doch eigentlich gäbe es gar keine Krankheiten, sondern nur Folgen falscher Lebensführung. So ist jeder, der trotz Urkost und Urmedizin krank wird, selbst schuld, denn er hat sich im Zweifel halt nicht an die eisernen Regeln derselben gehalten. Die allerdings sind derart umfassend, dass es einem im weitesten Sinne normalen Menschen, der einem Beruf nachgeht, so gut wie unmöglich sein dürfte, immer alle zu befolgen. Prima Ausrede, wenn's doch mal nicht so klappen sollte wie versprochen.

Woran erkennt man einen Scharlatan? Unter anderem daran, dass er Erfolge in Aussicht stellt, die ihm normalerweise den Nobelpreis sichern würden. Daran, dass er jede Kritik als Miesmacherei verteufelt. Und daran, dass er behauptet, man könne alles gesammelte Wissen der Welt vergessen, wenn man sich auf seine Weisheiten einließe. Damit ist über den wirren Steuerguru fast schon alles gesagt. Dass er selbst, gemessen am eigenen Anspruch, eher früh verstorben ist, mag vielleicht daran liegen, dass auch der Heilige Franz zuweilen schwach geworden ist. So sind Belege aufgetaucht, die mit einiger Sicherheit ihn beim genüsslichen Verspeisen handfester, fleischhaltiger Wirtshauskost zeigen. Möge er es genossen haben und in Frieden ruhen.

Man sollte sich vielleicht folgendes vergegenwärtigen: Der Mensch hat vor sich gut einer Million Jahren die Nutzung des Feuers angeeignet. Das hatte Folgen, weil es ihm drei entscheidende Vorteile verschaffte: Erstens wärmte es ihn, sodass er Energie sparte, die er für anderes nutzen konnte. Weil er zusätzlich Tiere jagte und Felle verwertete, war das eigene Fell bald überflüssig und verschwand im Laufe der Generationen bis auf jenen Rest, den wir noch heute am Körper tragen. Zweitens bot Feuer eine gewisse Sicherheit vor Raubtieren. Auch heutzutage jagt ein loderndes Lagerfeuer den meisten wilden Tieren noch einen Mordsrespekt ein und sie bleiben lieber auf Abstand. Und drittens erlaubte die Zubereitung von Nahrung mittels Hitze, sie leichter verdaulich zu machen und vor allem die verschiedensten Nahrungsquellen zu erschließen. Hülsenfrüchte zum Beispiel können im Rohzustand unverdaulich bis giftig sein. Kocht man sie länger, sind sie eine hochenergetische Proteinquelle. Durch das Beherrschen des Feuers wurde der Mensch als omnivorer Nahrungsopportunist zu einem evolutionären Erfolgsmodell, das in den unterschiedlichsten Habitaten auf dem gesamten Globus zurechtkommt. Unser Gebiss und unser Verdauungstrakt haben sich daher im Laufe der Evolution auf zubereitete Nahrung eingestellt. Diese Erkenntnisse können als weitgehend gesichert gelten.

Konz et al. behaupten dagegen: Halt stopp, alles falsch! Seitdem der Mensch angefangen hat, sein Essen zu kochen, ernähre er sich widernatürlich. Die Menschen haben sich also über mehr als eine Million Jahre ausschließlich von Dingen ernährt, die nicht nur nicht bekommen, sondern auch das reinste Gift für sie sind. Aber Konz hat zum Glück als erster durchgeblickt und erkannt, auf welchen Holzweg die Menschheit sich da begeben hat. Da muss man sich dann schon fragen, wie der Mensch es im Laufe seiner Entwicklung wohl zuwege gebracht hat, auch in Gegenden zu siedeln und über Jahrtausende auch zu überleben, in denen das Angebot an Frischobst und Wildkräutern eher mager ausfällt. Sagen wir, in der Arktis. Oder in Steppen und Wüsten. Oder in der norddeutschen Tiefebene. 

Ferner kann man an der so genannten Schulmedizin sicher einiges kritisieren, vor allem, wenn sie meint, marktwirtschaftlich agieren zu müssen. Schulmediziner, die nicht mit dem Klammerbeutel gepudert sind, räumen das normalerweise auch sehr wohl ein. Wer aber die moderne Medizin pauschal als Irrweg, als Mörderveranstaltung diskreditiert, die nur darauf aus ist, massenhaft Leute zu vergiften, muss sich ebenfalls ein paar Fragen gefallen lassen: Wie kann es sein, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen seit etwa 150 Jahren stetig ansteigt? Wie kommt es, dass sie an zwei Stellen besonders steil angestiegen ist, nämlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts und ab der Mitte des 20. Jahrhunderts? Das waren zufällig die Zeiten, in denen den Medici die elementare Bedeutung der Hygiene aufging und die ersten modernen Antibiotika Einzug in die Behandlung hielten. Man kann es drehen und wenden wie man will: Dass Menschen heute nicht mehr massenhaft an Wundinfektionen und Infektionskrankheiten sterben, sondern in durchschnittlich deutlich höherem Alter an Herzkrankheiten und Krebs, ist und bleibt das Verdienst der von Konz so verteufelten Schulmedizin.

Konzens ehemalige Vize und jetzige Fackelträgerin ist Brigitte Rondholz. Die, laut Eigenbezeichnung, Journalistin ist die wohl vernehmlichste Propagandistin der Konzschen Urlehren. Ursprünglich vertrieb sie mal so genannte Waschdisks, einen grandios gefloppten, magnetischen Hokuspokusartikel, der Waschmittel überflüssig machen sollte. Sie betreibt eine Webseite, auf der sie sich gern und oft in zahllosen Fotos, darunter auch mit durchaus wenig an, exhibitionistisch zur Schau stellt. In ihrem Blog tritt sie zahllose andere Abstrusitäten breit wie zum Beispiel die von der Unverträglichkeit von Milch oder die Chemtrail-Verschwörungstheorie, ohne dass die davon weniger abstrus würden. Als eingefleischte Veganerin belässt sie es nicht dabei, anderen mit ihrer Lebensweise auf die Nerven zu gehen, sondern verbreitet auch die branchenübliche moralische Erpressung: Wer nicht auf der Stelle aufhört, tierische Produkte zu konsumieren, ist ein Mörder und jeder, der etwa bei dem hoch manipulativen Film Earthlings nicht sofort in Tränen ausbricht und sein Leben ändert, ist ein wertloser, gefühlskalter Felsklotz. Im von ihr moderierten Urkost-Forum finden Diskussionen übrigens nicht statt. Wer dort mitmachen will, muss per Mail vorsprechen und sich einer Gewissensprüfung unterziehen, um freigeschaltet zu werden.

Wie gesagt, wer meint, sich inmitten einer Schar Gesinnungsgenossen solch eine Lebensweise antun zu müssen, mag das tun. Wer aber alle, die das nicht tun mögen, als Schlechtesser, Schlechtkost-Süchtige oder auch Muggel denunziert, soll sich bitte nicht wundern, wenn eben diese nicht allesamt auf die Knie sinken ob der Erleuchtung, die über sie gekommen ist. Endgültig hört sich der Spaß auf, wenn Anhänger dieses Nonsens ihr eigenes oder das Leben von anderen aufs Spiel setzen. 2003 verstarb der 16 Monate alter Junge, nachdem seine Eltern, die ihn mit dieser Kost traktiert hatten, ihn wegen einer Lungenentzündung nicht zum Arzt brachten. Sie wurden wegen Körperverletzung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. 2008 starb eine Urköstlerin an Brustkrebs, die sich, ganz im Geiste der Bewegung, geweigert hatte, sich in Behandlung zu begeben. 2010 verstarb ein 52jähriger Anhänger der Urkost an AIDS, nachdem auch er bis zum Schluss jegliche ärztliche Behandlung abgelehnt hatte.

Überhaupt ist bei Frau Rondholz selbst von einem urzeitlichen Leben nur wenig zu sehen, abgesehen von ihrer aufdringlichen Rohkost-Knusperei, die sie penetrant als "urköstlich" anpreist. Sie lebt in einem gediegen eingerichteten, womöglich gut geheizten Haus und schützt sich auf ihren Ur-Streifzügen in die Natur gegen die Unbilden des Wetters selbstverständlich mit Funktionskleidung aus Synthetikfasern. Und weil die vorbildlich lebenden Urmenschen zwar das Feuer nicht nutzten, aber offenbar einen Internetanschluss in der Höhle hatten, empfiehlt sie auf ihrer Webseite Online-Anbieter, bei denen sich die für die Urkost unerlässlichen tropischen Früchte ordern lassen. In einer Ausgabe des notorischen Zeittotschlag-Formats DAS! bekam sie im Rahmen einer Homestory Gelegenheit, sich und ihr Urbrimborium mehrere Minuten lang vorzustellen. Dem unbedarften Zuseher fallen zwei Dinge auf: Warum enthält die Kommentarsektion fast ausschließlich Jubelarien zu finden und keine einzige kritische Stimme? Und: Warum hat Frau Rondholz eigentlich einen Elektroherd in ihrer Küche? (Für Urköstler: Das ist dieses Ding mit dem schwarzen Ceran-Feld oben drauf.)

Wirklich erstaunlich ist aber, dass sie allen Ernstes als Expertin in Talkshows eingeladen wird, um ihr Gesummse unters Volk zu bringen. Einmal war sie bei Frau Maischberger zu Gast, was auch im Video dokumentiert ist. Der ebenfalls anwesende Gunter Frank, Arzt und mit seiner eigenen Zunft durchaus kritisch, schafft es schon mit seinem ersten Anwurf, die Grünzeug-Lady schwer ins Schwimmen zu bringen. Leider ist das Video zu Ende, bevor wir zu sehen bekommen, wie Frank die Tante richtig rund macht. Schade eigentlich.


15 Kommentare :

  1. Dies Konzschen Theorien sind doch der Tinnef eines von der Moderne verwöhnten Falschkostlers. Der echte Urkostler, geht weit über die Vorfeuerzeit und die Entwicklung zum Menschen überhaupt hinaus. Bis hin zu den tatsächlichen Urformen selbst noch des Trockennasenaffen und auch darüber noch hinaus. Die echte Urkost besteht aus, - Insekten.

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    1. Waaas? Unschuldige kleine Insekten kaltblütig verspeisen??? Barbar! ;-)

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    2. Das geht schon in die richtige Richtung, greift aber immer noch zu kurz. Mineralien aus der Umgebung und Sonnenlicht sind alles, was man braucht. Dafür müssen weder Pflanzen noch Tiere sterben. Das erledigt man bei konsequenter Umsetzung dann recht bald selbst - der Körper lässt sich nur bis zu einem gewissen und eher geringen Grad betrügen. Das wäre sogar witzig, wenn sich auf diese Art nicht tatsächlich Leute ums Leben gebracht hätten...

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    3. Es gibt tatsächlich Spinner, die meinen, man könne sich von Licht ernähren ...

      Der Lautenist

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  2. Umpf. Du hast tatsächlich recht @Gnaddrig. Man sollte niemals stehen bleiben dabei, dem wahren Ursprung auf den Stoffwechsel zu gehen. Wir brauchen dringend Urknall-Gurus. (
    Sir Leonard Woolley ist leider nicht mehr unter den Lebenden, - und fällt deshalb aus. Hatte aber noch den nächsten Bezug zum "Ur", - und dessen möglichen Ernährungsformen).

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    1. Urknall-Guru ist gut. Die trommeln wohl für den Blick (oder den geistigen Weg) zurück in die Zeit vor den Urknall. Das würde man dann Implosiv-regressive Gesundung nennen.

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    2. Auch nicht schlecht. Aber Lichtfasten immerhin gibt es ja bereits.

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    3. Wo Licht ist, ist auch Dunkelheit. (Naja, - wenn man die Lampe abschaltet). Aber ich überlege mir gerade, den Kaloriengehalt dunkler Materie. Klingt irgendwie materalistisch magenfüllender. Bei möglichen Ergebnissen, können wir drei uns vielleicht zusammentun, - und über ein Kochbuch diskutieren. Was der Konz kann, kriegen wir alle mal gebacken.

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  3. Frau Rondholz erinnert mich an so eine andere Gurutante.Uriella,Sektentante von Fiat Lux und Badewasserverkäuferin^^Genau so eine dumme Nuss.
    Und jetzt gehe ich schön in die Küche,und brate ein lecker Steak.

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    1. @eb: Sicher würden wir das gebacken kriegen. Es gibt da nur ein Problem: Mir fehlt es ein wenig an der für so was nötigen Skrupellosigkeit.
      @ritick: Wünsche einen gesegneten Appetit.

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    2. @eb und Stefan: Wir müssen ja nicht selber backen. Wir liefern einfach die Geschäftsidee und leben dann von den Lizenzeinnahmen. Dann kann jeder, der will, Dunklemateriekekse haben und wir machen uns nicht die Finger schmutzig. So macht man das heutzutage.

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  4. „Nackter Kokovorismus ist Gottes Wille. Die reine Kokosdiät macht unsterblich und vereinigt mit Gott.“ August Engelhardt

    100 Jahre her und immer noch mein Lieblingsspinner ;)

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  5. Mir fehlt es ein wenig an der für so was nötigen Skrupellosigkeit.
    @Stefan, - die fehlt uns glückerweise allen.
    Ich meinte auch eher ein ehrlich unehrliches Kochbuch, was den Nonsens dahinter sichtbar macht. Dazu würde mir eigentlich nicht die Skrupellosigkeit fehlen. Auf der anderen Seite, - kommt man da bezüglich Satire und Realsatire natürlich gehörig ins Schleudern :-)

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  6. Zitat:
    »Natürlich fallen die Menschen nicht tot davon um, das wäre von Vorteil, dann würden sie wenigstens schneller lernen«
    (B. Rondholz)

    Das ist witzig. Ich wollte, das wäre mir eingefallen.


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  7. Ich hatte mal kurzfristig ne Metalcombo, die wir "mors per flatum" benamsten. Zugrundeliegend war ein Darwin-Award-Kandidat, Rohköstler und Eremit, der sich in seiner Felshöhle mittels eigener Abwinde kurzerhand vergaste. Kein Scheiß. Mahlzeit !

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