Montag, 2. Juni 2014

Mittags. Pause am Rande des Ruhrpotts


Oder besser: Mein Problem mit Kantinen

Er nun wieder. Der Kiezneurotiker ist schuld, dieser Berliner Motzkopp. Hat mich auf den Trichter gebracht. Friederike Kroitzsch hat auf ihrem LandLebenBlog zu einer Blogparade eingeladen. Wer möchte, kann ihr bis zum 27. Juni ein Foto mailen (oder mehrere), das etwas darüber erzählt, wie man seine Mittagspause verbringt und ein paar Zeilen dazu schreiben. Schöne Idee, wie ich finde. Mache ich gern mit. Wer selbst einen Blog hat, ist eingeladen, etwas darüber zu schreiben, das dann bei ihr verlinkt wird. Auch eine schöne Idee. Da mache ich doch auch mit.

Ein Mittagesser bin ich schon lange nicht mehr. Zwar esse ich gern gut, aber dummerweise pflege ich nach einer ordentlichen Mahlzeit für längere Zeit in eine Art Fresskoma zu fallen. Muss ich nicht haben. Kann daran liegen, dass mein Organismus eher auf Nachteule gepolt ist. Wenn es im Sommer heiß ist, käme ich erst recht nicht auf die Idee, mir in der Mittagshitze noch etwas Warmes einzupfeifen. Normalerweise frühstücke ich solide, esse abends in aller Ruhe warm und rette mich mittags mit etwas Mitgebrachtem über den Tag. Mögen Ernährungsexperten meinetwegen rummoppern, aber so funktioniert's für mich nun einmal am besten.

Dann iss' doch was Leichtes, höre ich die Einwände schon, einen Salat oder so was. Ist natürlich eine Idee, aber in meinem Fall nicht ohne weiteres machbar. Zwar gibt es eine Kantine, in der ich auch den ermäßigten Preis bekomme, aber die haben nur selten was Leichtes. Weil das eine Außenstelle ist, die beliefert wird, gibt es auch immer nur ein Gericht pro Tag, das daher stundenlang in Warmhaltecontainern vor sich hin geschwappt ist. Was ginge noch? Frittenbude? Hm, zugegeben, hin und wieder mal. Mittagstisch im Restaurant? Das wäre natürlich cool, urban und überhaupt, aber leider bin ich nicht Krösus. Außerdem ist das nächste Etablissement zu weit weg.

Nett, aber ein wenig außerhalb - und kein Restaurant in der Nähe
Abgesehen von meiner über die Jahre gewachsenen Abneigung gegen reichliche Mittagessen, sind Kantinen sowieso nicht recht mein Fall. Ich weiß auch nicht genau, warum. Unabhängig davon, wie gut oder schlecht das Essen ist, sind das für mich belastete Orte. Stätten der Tristesse, Boredom im Kubik. Der tägliche Gang zur Futterstelle, schlimmstenfalls im immer gleichen Rudel zur immer gleichen Zeit, ist für mich der Inbegriff eines zu Tode langweiligen Grauemausdaseins, in dem absolut nichts mehr los ist. Möglicherweise habe ich da eine leichte Macke und tue Leuten unrecht - wenn schon, irgendeinen Spleen braucht schließlich jeder

Während meines Zivildienstes in einem Krankenhaus musste man mit in die Kantine, ob man wollte oder nicht. Es wurde schichtweise gegangen und wer nicht mitkam, machte sich verdächtig. Ob man sich etwa für was Besseres hielte, wurde dann schon mal spitz gefragt, man sei doch schließlich eine Gemeinschaft. Das Essen taugte meist nur zum reinen Bauchvollkriegen. Krankenhauskost halt. Dauernd irgendwas Labbriges mit Salzkartoffeln und gnadenlos überkochtem, aufgetauten Gemüse. Und Salzkartoffeln, immer wieder Salzkartoffeln. Gab es, Gipfel der Exotik, doch einmal Reis, dann war er nicht gesalzen und schmeckte nach Pappschachtel. Das einzig Positive war, dass ich als vom Staate Dienstverpflichteter freie Verpflegung hatte und nichts von meinem Sold abdrücken musste dafür.

Als Student habe ich während der Semesterferien ein paar mal als Bürobote in einer Bank gejobbt. (Ja, liebe Kinder, so was gab es damals noch.) Ohne groß nachzudenken, ging ich auch da jeden Tag in die Kantine. Das Essen war gar nicht mal schlecht. Manchmal gab es sogar Gyros oder Currywurst mit Pommes, Moussaka oder Lasagne. Am wohlsten habe ich mich immer bei den Blaumännern von der Haustechnik gefühlt. Die hauten kräftig rein, rissen dreckige Witze und redeten über Fußball. Vor allem aber hieß Pause für sie Pause. Wer es während dieser halben Stunde wagte, von der Arbeit zu reden, dem wurden schon mal Hiebe angedroht. Gefiel mir, der Ansatz.

Übel waren natürlich die ganzen Schlipsmichel und Kostümtussis, die sich dort herumtrieben, da bin ich mit dem Neurotiker einig. Die Karrieremenschen, die Macher und Entscheider. Die Schleimschnecken und Adabeis, die ihre Kantinengänge taktisch planten, damit sie mit den richtigen Leuten am Tisch saßen und von den richtigen Leuten mit den richtigen Leuten gesehen wurden. Networking, socializing, in der Pause Pause machen ist für Loser. Zur Strafe mussten sie über die grunzdämlichen Machosprüche ihrer Vorgesetzten lachen, denen sie um den Bart gingen. Mit solchen Menschen mochte ich schon damals nicht unnötig den Sauerstoff teilen, geschweige denn, mit ihnen essen.

Nun ist es ja nicht weiter ungewöhnlich und sollte einen nicht überraschen, dass in der Kantine einer Bank überdurchschnittlich viele solcher Nasen sich tummeln. Ist schließlich ihr Biotop. Sie waren auch gar nicht die Schlimmsten, fand ich. Nein, die Schlimmsten waren für mich die emotional Abgestorbenen, die Arbeitszombies. Sie taten mir leid. Vermutlich waren sie es, die mir Kantinen letztendlich vergrätzt haben, denn ich kann Menschen einfach nicht dauerhaft leiden sehen.

Ich habe Leute erlebt, intelligent, in gut bezahlten Positionen und gar nicht mal unnett, die vom täglichen Einerlei so stumpf geworden waren, dass das Essen in der Kantine für sie der einsame Höhepunkt des Tages war. Stundenlang konnten sie erzählen über die Qualität des Jägerschnitzels gestern oder über die Menge an Fleisch- und Wursteinlage in der Erbsensuppe letzte Woche. Wenn donnerstags der Speiseplan der nächsten Woche bekannt gegeben wurde, verbrachten sie immer den halben Tag damit, ihn gründlichst zu studieren und zu diskutieren. Mir dämmerte, sie hatten nichts anderes mehr.

Tag für Tag standen sie parat, Tablett und Besteck im Anschlag, noch bevor die Rollläden der Essensausgabe hochgingen. Der ungeliebte, geisttötende, entfremdete Mistjob hatte sie doof gemacht, zu Hause herrschte wahrscheinlich auch tote Hose und für ein erfüllendes, sinnstiftendes Hobby hatten sie längst keine Energie mehr übrig. Raus aus dem Elend konnten sie nicht, weil sie ja ihre Häuser und Autos abbezahlen mussten. Neben dem Suff am Wochenende war ihnen nur die Kantine geblieben als letzte Erinnerung daran, dass es noch anderes gibt im Leben als Arbeitarbeitarbeit. Mich deprimiert so was über die Maßen. Aber zurück zu meiner Mittagspause.

Englische Woche
Weil ich, wie gesagt, tagsüber nicht warm essen mag, bringe ich mir in der Regel etwas von zu Hause mit. Kein Chichi, meist Butterbrote und was Obst oder Joghurt. Nichts gegen eine ordentliche Stulle! Gutes Brot mit guter Butter (alles andere, wie diese angeblich so urgesunden, geschmacksfreien Industriefettcremes, ist baba), gut was drauf, lecker. Schmeckt und belastet nicht. Hat Generationen von Handwerkern und Arbeitern zuverlässig satt gemacht. Noch lieber mache ich mir, very British, ein, zwei Sandwiches. Mit allem drum und dran. Mit Tomaten- und Gurkenscheiben plus Salatblatt, damit nichts durchweicht. Klappt aber nur, wenn ich, Nachteule eben, morgens halbwegs aus dem Bett komme (und die nötigen Zutaten im Haus sind, versteht sich).

Gegessen wird übrigens im Büro. Am Schreibtisch, manchmal die Füße auf der Heizung. Bei gutem Wetter auch gern im Freien, liegt der Bau, in den das Schicksal mich zum Schaffen abkommandiert hat, doch zur Hälfte im Grünen. Dass ich mich mittags lieber zurückziehe, liegt übrigens nicht an den Kollegen. Mit denen habe ich es ganz gut getroffen und ich mag sie, ehrlich. Nur bringt mein Beruf es mit sich, dass ich viel reden muss und dauernd unter Menschen bin, da will ich beim Essen meine Ruhe.


6 Kommentare :

  1. Hachja, wenn ich eines nicht vermisse in meinem Provinzdasein, fernab jeder Zivilisation, dann sind es Kantinen. Ehrlich nicht. Dann tatsächlich lieber ein Sandwich. Wobei ich gestehen muß: der Kniff mit dem Salatblatt als anti-Durchsicker-Membran quasi - hey, den kannte ich nicht. Ich dachte, Salat wär bloß für Vitamine und damit zu vernachlässigen. Also wieder was gelernt. (Und das mir, als EnglandFän, au weia.) Danke fürs Mitmachen bei der Parade!

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    1. Sehr gern doch. Würde mich noch mehr freuen, wenn auch einige der hier lesenden Blogger mittun würden.
      Was die Sache mit dem Salatblatt angeht (man hat schließlich auch einen Bildungsauftrag, ein Stück weit): Auch ich musste erst nach England, um das zu begreifen.

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  2. Ein wunderbarer Text, vielen Dank dafür. :-)

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  3. Aha, auch noch jemand, der gerne einfach ganz ruhig sein k.
    arges Mittagsmahl einnehmen möchte! Ist für mich auch das Gesündeste, deshalb am Schreibtisch im Klassenraum, weg von den andern, wenigstens ein Viertelstündchen. Labern und zugelabert werden - das habe ich vorher & hinterher genug.
    Ich fühle mich verstanden durch einen solchen Post...
    Herzlichst
    Astrid

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