Dienstag, 15. Juli 2014

Abschließendes zur WM


Stolz? Worauf?

Was der WM-Titel mit mir zu tun hat? Nichts. Ich habe nicht den geringsten Anteil daran, dass am Sonntag 14 von 23 Jungmillionären mit 1:0 gewonnen haben. Worauf sollte ich also stolz sein? Eine Nationalmannschaft ist streng genommen nichts weiter als ein Allstar-Team aus jenen, die in der Liga am besten gespielt haben, gerade fit sind und einen deutschen Pass haben. Während eines Turniers ist es die Mannschaft, die ich anfeuere, wenn sie schön spielt und vielleicht auch gewinnt und über die ich mich ärgere, wenn sie verliert bzw. sich mit unbeholfenem Gemauer zum Sieg wurstelt. Alles weitere, zum Beispiel jetzt auf die Idee zu kommen, stolz zu sein, weil die Kicker einen Bundesadler auf dem Leibchen haben, scheint mir absurd.

Warum sollte ich auch? Weil die Herrschaften sich, wie es sich für zivilisierte Menschen gehört, im Ausland halbwegs benommen haben? Pardon, das ist keine große Leistung, sondern eine Selbstverständlichkeit, die nicht weiter der Rede wert sein sollte.

Der Titel vom Sonntag ist vor allem das Ergebnis von Anstrengungen des DFB und der DFL. Wenn man dort stolz ist auf das Erreichte, bitte gern. Ich habe mit keiner der beiden Veranstaltungen einen Vertrag, außer dass ich die sauteuren Fernsehrechte fürs Free-TV mit meinen Zwangsabgaben mitbezahlen darf. Ich will mich auch nicht freuen, geschweige denn freuen müssen für Deutschland. Kein Interesse, in einer wogenden, schunkelnden Masse unterzugehen, die sich im nationalen Rausch von den Zumutungen ablenken lässt, die man ihr unterjubelt.


Schiefe Parallelen und Propaganda

Überhaupt gehen einem die ganzen Reflexionen über angebliche Parallelen zwischen Fußball und Politik bzw. Gesellschaft gehörig auf den Docht. Erst recht, wenn sie am Abschneiden in Turnieren bzw. an Titeln festgemacht werden. Zum Beispiel die Mär, dass noch im Jahre 2000 Deutschland so gelähmt darnieder gelegen habe wie sein Fußball. Dann aber seien nicht nur Agenda 2010 und Angie über das Land gekommen, sondern auch Jogi Löw und das Nachwuchsprogramm des DFB, durch das 'wir' auch auf dem Platz endlich wieder vorn seien im Wettstreit der Nationen.

Beides ist natürlich blanke Propaganda. Wenn Wirtschaft und Wohlstand eines Landes in direktem Verhältnis zur Leistung der jeweiligen Kickertruppe stünden, dann hätte die Nationalmannschaft des von Arbeitslosigkeit, von Finanz-, Kredit- und Eurokrise besonders gebeutelten Spanien wohl kaum zwischen 2008 und 2012 zwei Europameister- und einen Weltmeistertitel, hätte das Schwellenland Brasilien niemals fünf mal die WM gewinnen dürfen. Da würden die Exegeten vermutlich raunen, gerade die Armut in diesen Ländern habe die Spieler erst so richtig angespornt. Wie es halt gerade so passt.

Es ist so entsetzlich beliebig. Liefern deutsche Athleten nämlich bei Olympischen Spielen nicht brav Medaillen, bleiben sie gar hinter den Erwartungen zurück wie letztes Mal in London, dann ist die Journaille beleidigt und schnell dabei, dem hiesigen Jungvolk Erschlaffung vorzuhalten, ja mangelnde Bereitschaft sich zu quälen, alles für ein Ziel zu geben. Läuft es mal, wie jetzt beim Fußball, dann muss das plötzlich gleich als Beweis für die Leistungsfähigkeit der ganzen Nation herhalten. Wer soll das noch ernst nehmen?

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Selbstverständlich spiegeln sich in den in der Mannschaft vertretenen Spielertypen von 2014 in groben Zügen Aspekte der gesellschaftlichen Verhältnisse des Jahres 2014 wieder. So wie das bei den Spielern von 1954, 1974, 1990 und 1996 auch der Fall war. Das ist trivial. Ansonsten aber bewegen sich heutige Profis, Popstars seit längerem auch sie, in vom gemeinen Volke und seinen Nöten viel zu entrückten Sphären.

Der Fußballprofi von 2014 ist ein optimal trainierter Konformist, der seine Leistung abruft, auf den Punkt topfit ist, nicht groß aufbegehrt, flexibel ist und immer seinen Marktwert im Blick hat. Glaubt wirklich jemand, Mesut Özil hätte sich 2010 für die deutsche Mannschaft entschieden, weil er plötzlich die glühende Liebe zum Vaterland in sich gespürt hat? Der Grund war wohl eher, dass er die WM als Bühne nutzte, um sich für ausländische Vereine interessant zu machen. Hätte er sich damals entschieden, für die nicht qualifizierte Türkei zu spielen, er wäre wohl kaum bei Real Madrid gelandet.

Überhaupt, Migration in nennenswertem Ausmaß ist seit den späten Sechzigern eine Realität in Deutschland. Zirka 40 Jahre hat es gebraucht, bis sich das in der Nationalmannschaft niedergeschlagen hat. Dass Leute wie Lukas Podolski, Miroslav Klose, Mesut Özil und der Sonntag überragende Jerome Boateng selbstverständliche und geschätzte Teile des Teams sind, ist sicher erfreulich und auf der Höhe der Zeit. Man sollte aber auch daran erinnern, dass gerade der DFB viel zu lange in beschämender Deutschtümelei verharrt ist.


Exkurs: Beginn des schwarzrotgoldenen Zinnobers

Mit noch einem Mythos sollte man dringend aufräumen: Dass die WM 2006 die erste war, bei der die Deutschen sich endlich trauten, ganz unverkrampft und normal ihre Fahne zu zeigen. Ein frommes Märchen auch das. Dient allein dazu, dem Volke einzuimpfen, wie furchtbar verklemmt man früher umgegangen sei mit nationaler Symbolik, ja wie verboten es geradezu war damals in den bleiernen Zeiten, einfach nur stolz auf sein Land zu sein. Nein, die allgemeine Fähnchenschwenkerei ist schon viel früher losgegangen, nämlich 1990.

Jener Estate Italiana war für mich eigentlich eine gute Zeit. So viel Zukunft und Aufbruch war nie. Ich wollte im Herbst das Studieren anfangen und jobbte nach dem Zivildienst noch ein paar Monate, damit ich es mir bis zum Beginn des Wintersemesters noch ein wenig gut gehen lassen konnte. Der im Herbst anstehenden Wiedervereinigung sah ich weder sonderlich euphorisch noch übermäßig kritisch entgegen (wenn man einmal davon absieht, dass wir uns gern Ossi- und Trabi-Witze erzählten). Sie passierte eben, aber es würde Volksfeste und Freibier geben.

Wenn sonst nichts los war, hing ich mit der Clique im Freibad rum, wir machten Radtouren, guckten abends Videos, tranken zu viel Wein dazu und ließen den lieben Gott einen guten Mann sein. Ich musste morgens nicht allzu früh anfangen und der Job strengte kaum an, daher konnte ich auch die gesamte WM problemlos verfolgen. Ab dem Achtelfinale gingen wir dazu über, in größerem Kreis auf einem winzigen Fernseher (mit Zimmerantenne!) im Gemeindezentrum zu schauen.

Drei Spiele er deutschen Mannschaft waren wirklich gut: Das erste gegen Jugoslawien, dann das Achtelfinale gegen die Niederlande, nachdem Rijkaard und Völler vom Platz waren und das Halbfinale gegen England. Das Finale dagegen gehörte zum Langweiligsten und Einschläferndsten an menschlicher Aktivität, das jemals im Fernsehen übertragen wurde. Der große Diego Maradona hatte seinen Zenit überschritten, wurde vom humorlosen Guido Buchwald weitgehend am Spielen gehindert und trabte irgendwann nur noch lustlos über den Rasen. Ansonsten neutralisierten sich die beiden Teams gegenseitig und nachdem Brehme den Elfmeter verwandelt hatte, gab Kommentator Gerd Rubenbauer die Parole aus, niemand würde später danach fragen, wie dieser Titel zustande gekommen sei - das armselige Motto derer, die Erfolgsmenschen sich schimpfen.

Dass am nächsten Tag die Verbalonanisten von Springer die Zeitschriftenstände der Republik patriotisch vollkleckern würden, war uns schon klar, als wir nach dem Abpfiff in die Stadt gingen. Aber was uns wirklich wunderte, waren die allgegenwärtigen Fahnen. Wo kamen die alle auf einmal her? Wer in den Siebzigern und Achtzigern groß geworden war, kannte Deutschlandfahnen als etwas, das vor öffentlichen Gebäuden gehisst wurde oder von Spießern im Schrebergarten und auf Campingplätzen, sonst fast nirgends.

Gut, bei Spielen der Nationalmannschaft schwenkten immer mal ein paar Zuschauer im Stadion welche (vermutlich, nachdem sie einen Antrag beim Ordnungsamt gestellt hatten). Aber plötzlich schienen die Dinger allgegenwärtig zu sein. Gefühlt jeder zweite wedelte mit so einem Feudel herum. Auch der einsame Neonazi, der damals auf offener Straße die Reichskriegsflagge schwenkte und wie von Sinnen "Sieg Heil!" brüllte, damit aber zum Glück ziemlich allein dastand, gehört zu den unguten Erinnerungen.

Vielleicht lag es auch an der damaligen Bekleidung der Nationalmannschaft, 1988 bei der Europameisterschaft erstmals getragen, das die Hemmschwellen gesunken waren. Zum ersten Mal trugen die Spieler die Nationalfarben auf jenem Trikot, das gut zwei Jahre nach dem Finale von Rom zur weltberühmten Ikone des hässlichen Deutschen werden sollte.

Franz Beckenbauers Ausspruch von der jahrzehntelangen Unschlagbarkeit des deutschen Fußballs wollten wir zunächst als dem Überschwang geschuldetes Daherreden abtun. Tasächlich hatte er einen Nerv getroffen. Verschiedene, darauf folgende Ereignisse, die mit Fußball nichts, mit den schlimmsten Zeiten der deutschen Geschichte dagegen umso mehr zu tun hatten, offenbarten aber, dass sich gewaltig etwas geändert hatte im Lande und der WM-Titel ein Katalysator gewesen sein konnte.

Nein, 2006 war definitiv nicht der Beginn des allgemeinen Scheißrotgold, es war allenfalls der Beginn des nettfröhlichen Partynationalismus, des inflationären Devotionalienhandels damit, der systematischen wirtschaftlichen Verwertung des Ganzen und der latenten Nötigung, mitmachen zu müssen, wenn man kein Verräter an der gemeinsamen Sache sein wolle.


Versöhnliches zum Schluss

Am Gebaren der FIFA kann man weiß Gott einiges kritisieren und man liegt meist richtig. Wenn eines mir jedoch sympathisch ist, dann ist es dieser stoische Konservatismus der Fußballgranden. Jede Wette, die widerwillige Einführung der Torlinientechnologie und das Freistoßspray sind auf Jahrzehnte hinaus die letzten technischen Neuerungen, die wir erleben werden. Videobeweise wird es nicht geben, und das ist gut so.

Denn nicht nur auf dem Platz ist entscheidend, sondern auch, dass alte Säcke sich noch fünfzig Jahre später darüber streiten, ob der Ball damals im Aus, der Schiri blind oder ob Manuel Neuers Einsteigen gegen Higuain ein Foul und eine rote Karte war oder nicht. Die Grauen Herren aus Genf scheinen immerhin begriffen zu haben, dass zum Fußball auch die kollektive Erinnerung gehört und der ewige Streit um sie.

6 Kommentare :

  1. Jaaa, gut, ich habe selbst vielleicht nichts zum Titelgewinn beigetragen. Aber wenn der Löw nach mir verlangt hätte - ich wäre ja gegangen und hätte mein Allerbestes eingebracht!
    Damit sollte ich doch genug moralische Berechtigung zum Mitfeiern haben! ;) ;)

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  2. Die "Berichterstattung" im Radio (SWR3) war für mich regelrecht physisch schmerzhaft. Spätestens vor dem Frankreichspiel habe ich es nicht mehr ausgehalten und das Radio für den Rest dieser Veranstaltung bis heute ausgeschaltet.. Stundenlange in Schall gestanzte Hirnlosigkeit.Vor allem die andauernden Spass-Fragen an die Zuhörer samt der ätzenden Antworten....

    Wenn ich auf etwas stolz bin, dann das ich die Weltmeisterschaft ohne bleibenden psychischen Schäden überstanden habe. Ich habe bei solchen Gelegenheiten immer die Furcht Hirnschwund könnte infektiös sein.

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  3. Bin ich froh, dass der ganze Scheiß vorbei ist... ;-)

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  4. Unsere Herrschenden begrüßen den Scheißrotgold-Patriotismus in all seinen Formen. Wer das kollektive "Wir" höher stellt, als seine individuellen Bedürfnisse, der ist eher bereit für schmerzvolle Reformen. Schließlich geht es dann ja um "Deutschland". Das funktioniert in den USA seit Jahrzehnten: da werden den Armen und Ärmsten Hilfen gestrichen und die finden das sogar gut, weil das ja dem ganzen Land zugute komme, für eine höhere Sache ist, so die Behauptung der US-Politiker. Volksveraschung pur. Nichts anderes ist die Fussball-WM. Abgesehen vom MIlliarden-Geschäft.

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  5. Die Welt, bzw. jene der Menschen, scheint mir generell und aktuell ziemlich absurd zu sein ;).

    Manchmal kommt es mir so vor, als hätte Menschheit die letzten 100 Jahre Entwicklung glatt verschwendet, weil sie sich ständig im Kreis um sich selbst dreht. Mir ist, als redete man seit mind. 100 Jahren ständig und immergleich über dieselben Themen ... (manches davon übersteht sogar Jahrtausende).

    Egal, welchen gesellschaftskritischen alten Meister man hervorkramt, letztlich geht es immer nur um Reichtum, Korruption, Macht, die Kehrseite für die Unterdrückten und die jeweils dazu passenden Insignien, die - mehr oder weniger offiziell - anzubeten seien. Der Rest ist lediglich Verpackung.

    @Wolfgang Buck
    "Ich habe bei solchen Gelegenheiten immer die Furcht Hirnschwund könnte infektiös sein."

    Diese Furcht ist völlig berechtigt, Wolfgang. Exakt in der Art, wie sich in Gesellschaften kollektive Intelligenz ausbreiten kann, funktioniert es umgekehrt. Beides agiert pandemisch ....

    Gruss
    Rosi

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  6. Neiiin, das verstehst du von der Political Correctness Verblendeter mal wieder völ-lig falsch! Das sind doch keine Nazi-Shirts, sondern eine voll witzige, ironische Aktion, die zeigt, wie entspannt die Deutschen mit ihrer Vergangenheit umgehen. *Ironie off*
    @Wolfgang: Bring mich bloß nicht auf die Berichterstattung der Öffimedien, da wirds zappenduster!

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