Samstag, 22. November 2014

Mr Pickup im Anmarsch


Es ist ein schwer auszurottendes Missverständnis, dass die Befreiung unserer Sexualität in die allgemeine, frisch-fromm-fröhliche freie Liebe geführt hat. Sie hat lediglich neue Zumutungen geschaffen, die es zuvor so nicht gegeben hat. Michel Houellebecq hat schon 1994 scharfsichtig erkannt, dass es sich mit einer weitgehend liberalisierten Sexualität in etwa so verhält wie mit einer weitgehend liberalisierten Wirtschaft: Sie schafft Gewinner und Verlierer. Gewinner profitieren von der Lockerung moralischer Standards, indem sie eine Menge Spaß und Abwechslung haben können, ohne deswegen gesellschaftlich geächtet zu sein. Verlierer bleiben auf der Strecke, manchmal ein Leben lang, und bekommen von einer Begehrten allenfalls das Kompliment zu hören, ein echt netter Kerl zu sein. So was kann auf Dauer frustrieren.

Für die, die sich in erotischer Hinsicht zu kurz gekommen fühlen, gibt es so genannte Pick-up Artists. Professionelle Dorfstecher, die von sich behaupten, eine für jedermann erlernbare Methode zu kennen, mit der sich fast jede rumkriegen lässt und die ihr Wissen in kostenpflichtigen Seminaren an interessierte Kunden weitergeben. Wie das anderer x-beliebiger Coachings, beruht das Geschäftsmodell auf der Behauptung, es gäbe eine Art Stein der Weisen, mit dem jeder es schaffen kann, vorausgesetzt, er ist gegen eine kleine Schutzgebühr bereit, an sich zu arbeiten. Ich will das gar nicht von vornherein schlecht reden. Wenn es darum geht, Schüchternen zu etwas mehr Selbstwertgefühl und damit zu einer positiveren Ausstrahlung zu verhelfen, dann muss das nichts per se Negatives sein.

Interessanter wird es schon, wenn die Verführungskünstler einem beibringen wollen, wie man angeblich Frauen auslesen und zu willenlosen Betthäschen manipulieren kann. Eine Kernbotschaft lautet: Schluss mit Mr. Nice Guy, Frauen stehen auf Arschlöcher, die erobert werden wollen. Sicher kann man die Misogynie dahinter kritisieren. Es ist berechtigt, ein Problem damit zu haben, wenn Frauen zu gesichtslosen Objekten, zu 'targets' degradiert werden, an denen man nur irgendwie rumschrauben muss und schon geht’s ab. Problematisches Frauenbild das, sicher, aber andererseits auch schwierig, das per Gesetz zu verbieten.

Das Ganze atmet halt auf erbärmliche Weise den prosaischen Geist unserer Zeit, in der alles Warencharakter hat. So wird auch Sex zu haben zur planbaren Frage der richtigen Psychotricks und der Selbstoptimierung. So wie die boomenden Online-Partnervermittlungen uns einreden wollen, Romantik sei mitnichten Zufall, sondern nur eine Frage der richtigen Matching-Software. Das kann man mögen oder nicht. Ich nicht. Nicht mein Menschenbild, nicht meine Werte. Überdies hat die Guardian-Kolumnistin Hadley Freeman letztens sehr amüsant geschildert, wie befremdlich, wenn nicht gar unfreiwillig komisch solche gecoachten Du-musst-ein-Arschloch-sein-Typen auf eine seelisch einigermaßen gesunde Frau wirken, die ihre fünf Sinne halbwegs beisammen hat.

Daher kann ich es absolut nicht verstehen, wieso jetzt allen Ernstes gefordert wird, Julien Blanc keine Räumlichkeiten in Hotels zur Verfügung zu stellen. Blanc ist Anbaggerdozent der Firma Real Social Dynamics, die in Berlin Seminare für 3.000 Euro pro Nase anbieten will. Meine Güte, wenn demnächst jedes Seminar, jede Tagung verboten würde, weil deren Inhalt ein paar Leuten nicht passt, dann würde bald die Hälfte aller Hotels schließen müssen. Ob das im Einzelfall immer so ein Verlust ist, sei natürlich dahingestellt.

Angeblich geht es nicht nur um das Pick-up-Gehuber, sondern darum, dass Blanc und andere Coaches in Videos propagiert haben sollen, Frauen notfalls auch mal zu würgen und in den Schwitzkasten zu nehmen, wenn sie sich zu sehr zieren. Ja, kann sein. Oder auch ein missglückter Scherz, wie Blanc behauptet. Natürlich ist das mindestens eine Grauzone und der Gedanke ist nicht schön, aber es gilt aus gutem Grunde, dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden ist. Wer so hohlraumversiegelt ist, auf YouTube unter Klarnamen Vergewaltigungspraktiken zu propagieren oder Geld dafür zu bezahlen, das beigebracht zu kriegen, hat noch ganz andere Probleme.

Blanc, dessen Branche mir, wie gesagt, alles andere als sympathisch ist, hat deswegen eine weltweite Online-Kampagne unter dem Hashtag #TakeDownJulienBlanc an den Hacken. Nach Australien, Brasilien und Großbritannien darf er schon nicht mehr einreisen. Liegt es nur an dem, was ich da in der Hose habe, wenn es mir dabei ein wenig blümerant wird?

Sollten die Vorwürfe berechtigt sein, dann handelt es sich dabei zweifellos um eine Straftat. Aber es ist Sache der Justiz, da zu entscheiden, und nicht die eines aufgepeitschen Lynchmobs auf Twitter. Bis dahin gibt es absolut keinen Grund, den Mann nicht einreisen zu lassen, solange er nicht wegen Vergewaltigung oder Nötigung irgendwo rechtskräftig verurteilt wurde. Ob einem der Gedanke, dass Mr. Pickup in town ist, nun sonderlich behagt oder nicht, spielt keine Rolle. So wie es die eine Sache ist, Bauchschmerzen zu haben, wenn ein Pädophiler, der seine Strafe abgesessen hat, ins Nachbarhaus zieht und eine andere, die Nachbarschaft zur Selbstjustiz anzustacheln.

Abgesehen davon, dass körperliche Gewalt nicht geht - was soll das ewige Schreien nach Verboten? Es gab sie immer, es gibt sie und es wird sie leider wohl immer geben: Manipulative Arschlöcher, die ihren Lebenszweck darin sehen, ihre jeweiligen Gegenüber in Dinge hineinzuquatschen, die diese eigentlich nicht wollen. Am besten funktioniert das übrigens, wenn man mit Schuldgefühlen arbeitet (kleiner kostenloser Tipp am Rande, wieder 3.000 Euro gespart!). Dagegen hilft kein Verbot und keine Strafandrohung, sondern nur, die potenziellen Opfer so stark zu machen, dass sie diese Maschen durchschauen und das Rückgrat haben, im richtigen Moment eine Grenze zu ziehen. Leider ist das meistens nicht zu haben ohne den einen oder anderen, eventuell schmerzlichen Blick auf sich selbst. Das Leben ist kein Ponyhof. War es noch nie.


2 Kommentare :

  1. Mit Verboten macht man solche Spacken wichtiger als sie sind.
    Die Ökonomisierung auch der privatesten Lebensbereiche als letzter Schritt in Richtung Zusammenbruch.

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    1. Keine Ahnung, ob das ein weiteres Zeichen für den Untergang des Abendlandes ist. Der wurde mir schon zu oft herbeiorakelt. Aber dieser Verbotsreflex bei allem, was einem irgendwie nicht passt, geht mir gehörig auf den Senkel.

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