Samstag, 8. November 2014

Opa Drachentöter


Es ist verbreitet und geht selbstverständlich völlig in Ordnung, ein Lebensthema zu haben und sich daran abzuarbeiten. Haben viele. Nur sollte man sich einen klaren Blick für die Dinge bewahren und nicht verkrampfen dabei. Bekommt man nämlich vor lauter Abarbeiten nicht mehr mit, dass die Welt sich weiterdreht, kann es überaus peinlich werden. Wie peinlich das werden kann, offenbarte Wolf Biermanns gestriger Auftritt vor dem Bundestag. Wer in den Achtzigern in Westdeutschland aufwuchs, erlebte Biermann als eine Art hauptberuflichen Ausgebürgerten, der sich vom Establishment als Paradeflüchtling herumreichen ließ. Sieh her, Bevölkerung der freien Welt! So geht man in dem Land, dessen Namen wir nicht nennen und das wir deswegen in Anführungsstriche setzen, mit Künstlern um.

Obwohl er gar nicht ausgebürgert worden war, sondern nach einer Westtournee nicht mehr einreisen durfte, saß der walrossbärtige Klampfenzoni danach in gefühlt jeder dritten Talkshow herum und sah exakt so aus, wie Lieschen Müller sich einen aufsässigen Politbarden vorstellt. Immer schwer leidend aus der Wäsche schauend, krächzte er vom aufrechten Gang, wozu er sein verranztes Instrument in einer Weise malträtierte, die jedem Gitarrenschüler den kalten Schweiß auf die Stirn trieb. Wer mit einem politisch engagierten Deutschlehrer geschlagen war, stand vor dem Problem, sich den Kram im Unterricht anhören und hernach interpretieren zu müssen. Wir im Westen hatten es auch nicht immer leicht.

Nur war Biermann nie wirklich rebellisch, er war vor allem ein begnadeter Selbstdarsteller und nutzte dieses Image durchaus gewinnbringend, indem er sein Problem mit der DDR-Führung in der Öffentlichkeit ausbreitete. Widerständigkeit aber ist nicht bloß politisches Kampfinstrument, sondern eine Grundhaltung. Ein widerständiger Mensch lehnt sich gegen herrschende Schweinereien auf und lässt sich nicht von den Mächtigen kaufen, egal wo er lebt. Biermann aber hat nichts gemerkt, ist im Westen wohlhabend geworden und kämpft immer noch, dem antiken Cato dem Älteren nicht unähnlich, die alten Schlachten von vorgestern. Und alle müssen Mitleid haben. Weil er es doch so schwer hatte damals. Nein, stopp, er hat immer noch den Mut, sich von Norbert Lammert nicht den Mund verbieten lassen. Da kann der olle Siegfried glatt einpacken.

Wie sehr muss es einer nötig haben, der eine Feierstunde des Bundestages derart pfauenhaft für eine peinliche Inszenierung nutzt und genüsslich auf einer marginalisierten Opposition herumlatscht, die sich nicht wehren kann, dabei aber nicht merkt, dass die wahren Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sich langsam aber sicher denen in der Volkskammer annähern? Er hatte die Chance, Größe zu zeigen. Er hätte etwa zu der Fraktion der Linken sagen können: Tut mir leid, aber ich habe immer noch ein Problem damit, dass gerade Sie hier sitzen. Muss an meiner Biographie liegen. Statt dessen trat er Welpen und tat sich dicke. Seht her, ich habe die Mauer damals allein umgesungen! Ich stehe auf der Gewinnerseite und ihr nicht! Ich habe recht gehabt und jetzt über neunzig Prozent hier hinter mir! Na, wer lacht jetzt, hä? Und dann schraddelte er: "Du, lass' dich nicht verbittern, in dieser bitt'ren Zeit."

Dass den anwesenden neoliberalen Christenmenschen, Bionade-Bellizisten und anderen Marktkonformen diese Ironie nicht auffiel, sondern dass sie sich kaum mehr einkriegen mochten darüber, wie ein eitler Opa aus sicherstmöglicher Deckung heraus den Linken mal so richtig die Leviten las, wirft ein bezeichnendes Bild auf das, was die politische Klasse mittlerweile so unter Demokratie versteht. Hach, unser Wölfchen, hat er es denen aber gegeben. Was für ein Kämpfer! Apropos Schule: Wenn da neun auf einem herumprügelten, nannte man das nicht mutig, sondern feige und die Betreffenden bekamen Ärger, wenn es mit rechten Dingen zuging. Er übersieht überhaupt so einiges, der Herr Biermann. Zum Beispiel, dass die Linke vermutlich nicht als drittstärkste Fraktion im Bundestag säße und die Restopposition anführte, wenn die SPD noch sozialdemokratisch wäre und die Welt seit dem Mauerfall sich tatsächlich so ideal entwickelt hätte, wie er es sich zusammenklamüsert.

Als im Westen Aufgewachsener, der Zeit seines Lebens kaum etwas mit der DDR zu tun hatte, sollte man zurückhaltend sein mit Urteilen, und für Idealisierungen aller Art hat dieses Regime zu viel auf dem Kerbholz. Ich wiederhole mich gern: Als Westdeutscher darf man durchaus dankbar sein, nicht in diesem Staat eingesperrt und den Repressalien seiner in jeder Hinsicht mittelmäßigen, kleinbürgerlich-aggressiven Führungsriege nicht ausgesetzt gewesen zu sein. Weil man daher schlecht wirklich mitreden kann und nur den nachträglichen Blick von außen hat, ist man auf Bücher, Filme, Zeitungen, Erzählungen von Zeitzeugen und ähnliches angewiesen. Doch kann man sich zumindest ansehen, wie andere Künstler in ähnlicher Lage und ähnlichem Status mit der Sache umgegangen sind.

Nehmen wir den mit Biermann ungefähr gleichaltrigen Schauspieler und Sänger Manfred Krug. Der war nicht nur Schauspieler, sondern machte auch gemeinsam mit dem kongenialen Günther Fischer höchst amtlichen deutschsprachigen Jazz. Als es ihm in der DDR zu eng wurde, machte er, dass er in den Westen kam. Dort ritt er, abgesehen von seinem Buch 'Abgehauen', nicht mehr groß auf dem Thema herum und machte Karriere. Ihm zu unterstellen, ein unpolitischerer Mensch zu sein als Biermann, ist anmaßend. Krug hatte Rückgrat, eckte sehr wohl an und weigerte sich mehr als einmal, den Hofnarren für die SED-Apparratschiks zu geben. Wäre er unpolitisch gewesen, er hätte sich bequem im Osten einrichten können, was er nicht tat. Nö, Tür zu, das war's für mich, ihr könnt mich mal. Ich mach jetzt mein Ding und fertig.

Liest sich alles vielleicht leichter als es tatsächlich war, aber das hat Format. So einem Typen verzeiht man dann auch Fehlgriffe wie den mit der Telekom-Werbung.



4 Kommentare :

  1. Sehr gutes Statement! Ich habe den Text genossen!

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  2. Völlig richtig, Stefan, sehr gut analysiert. Gerade wir Wessis brauchen uns das nicht gefallen zu lassen. Peinlichkeiten und Opportunisten haben wir in der Ära Kohl genug erlebt, da brauchen wir den Herrn Sauerbier nicht, auch wenn er noch ein so starkes Ego hat. Und in der Ära Adenauer waren hier mehr Nazis in exponierter Stellung als jetzt Alt-Linke im Bundestag sitzen.

    Mir kommt es übrigens so vor, dass er besser Gitarre spielen kann als reden. Doch egal. Ich hätte ihm gewünscht, Sarah Wagenknecht wäre aufgestanden und hätte ihm eine Ohrfeige verpasst. Leider ist sie dafür zu gut erzogen. Wäre ich je sein Fan gewesen, hätte ich mich, mit einem Unwort gesagt, fremdschämen müssen. Hoffen wir, dass es der letzte Auftritt von Herrn Sauerbier war.

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  3. Ich bin wahrhaftig kein Freund der Linken.Doch das war einfach nur peinlich.Man muss die Linken nicht mögen,aber sie sind eine gewählte,demokratische Partei...mit immerhin auch noch einen sehr hohen Stimmenanteil(und das nicht nur im Osten).
    Für diesen Auftritt wünsche ich allen anderen fett/träge und sattgefressenden Parteien,die sich jetzt gegenseitig auf die Schulter klopfen und beglückwünschen für ihren "genialen" Streich einen empfindlichen Stimmenverlust.Vielleicht werden die dann endlich mal wach und arbeiten wieder für das Volk.Was unseren Klampfen Opa angeht:Warum wurde gerade der ausgegraben?Hätte nur noch gefehlt,dass ein Lagerfeuer im Bundestag angezündet worden wäre.

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  4. Mir ist immer noch nicht ganz erklärlich, welche Schwierigkeiten der "Dissident" Wolf Biermann mit der DDR-Führung hatte. Er war im Gegensatz zu echten Abweichlern niemals in einem DDR-Gefängnis eingekerkert.
    Durch seine enge Bekanntschaft mit Margot Honecker, geb. Feist - sie wurden beide nach dem 2.Weltkrieg zeitweilig von der Mutter Biermanns in Hamburg gemeinsam betreut - konnte er nach seiner Übersiedlung in die DDR, kurz vor dem 17.Juni 1953, in der Folgezeit zwei verschiedene Studiengänge absolvieren.
    Auch wenn die STASI seine späteren "Umtriebe" beäugte, bewahrte ihn die schützende Hand seiner "großen Schwester" stet vor Unbill.
    Es verfestigt sich der Eindruck, dass der enttäuschte Salonbarde Biermann über die Zeit in der Rolle des Feuilleton-Revoluzzers aufgegangen ist.

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