Montag, 6. April 2015

Die verschiedenen Gesichter des Mobs


Sicher, man sollte im Hinterkopf behalten, dass noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Brandstiftung in einem als Flüchtlingsunterkunft vorgesehenen Haus in Tröglitz einen rechtsextremen Hintergrund hat. Wenn nur Teile der Bevölkerung des sächsischen Kaffs im Verein mit einigen Zugereisten in der jüngeren Vergangenheit nicht so vieles dafür getan hätten, dass dieser Verdacht so plausibel erscheint. Die Fairness gebietet natürlich trotz allem, viel Konjunktiv zu verwenden. Nach wie vor ist es sehr wohl möglich, dass das Feuer von einem durchgeknallten Einzeltäter ohne jeden politischen Hintergrund gelegt worden ist.

Nur ist es eben auch so, dass man mit Sicherheit nicht zu weit geht, wenn man unterstellt, dass so einigen aus Tröglitz und Umgebung der Brand, wer immer ihn nun gelegt hat, ganz prima in den Kram passt. Damit mal gleich klargestellt ist, was für ein Wind hier weht. Einige versteigen sich gar dazu, so was zu einem Akt der Notwehr gegen staatliche Willkür zu erklären, denn die armen Ureinwohner seien ja undemokratischerweise nicht gefragt worden, ob sie für die Unterbringung von Flüchtlingen in der Nachbarschaft seien oder nicht. Ja, das ist wirklich hart! Fehlt bloß noch der scheißrelativistische Deppenspruch von wegen, man habe vielleicht die Sorgen und Nöte dieser Menschen nicht gebührend ernst genommen.

(titanic-magazin.de)
Wenn ich so was höre, dann kann es vorkommen, dass auch bei mir Ressentiments hochkochen. Ich frage mich dann zum Beispiel, wer eigentlich mich damals, 1990, gefragt hat, ob ich denn einverstanden bin, ein ganzes Land mit 16 Millionen Asylanten zu annektieren. Nein, war ich nicht, sondern für eine längere Übergangsphase der Zweistaatlichkeit. Aber mein damaliger Bummdeskanzler musste ja auf Deubel komm raus in die Gechichte eingehen und jetzt haben wir sie am Hacken. Okay, die meisten sind ja so weit in Ordnung, doch gibt es auch eine Menge, angesichts derer ich mir sehnlichst den antifaschistischen Schutzwall zurück wünsche. Vom Soli will ich lieber nicht anfangen. Sonst höre ich nämlich so schnell nicht wieder damit auf bei dem ewigen Gejammer darüber, was Ausländer so alles an Luxus überall hineingeschoben bekämen von unseren Steuergeldern, während der ewig betuppte Ostdeutsche bitterlich darben müsse.

Im christlichen Abendland, das geistige Brandstifter zu verteidigen und zu retten so gern den Anspruch erheben, ist es eigentlich Sitte und man lernt es, Gerüchten zufolge, hier und da immer noch, dass man Menschen nichts Schlechtes wünschen soll, nicht einmal seinen ärgsten Feinden. Aber auch das stößt manchmal an Grenzen.

Kommt mir nämlich klinisch xenophobes Pack unter wie das, das erst den Tröglitzer Bürgermeister aus dem Amt gebangemacht hat und sich jetzt nicht entblödet, auch dem Landrat mit Umbringen zu drohen, ertappe ich mich dabei, diesen Leuten an den Hals zu wünschen, ein einziges Mal im Leben in eine Situation zu geraten, in der sie flüchten müssen und ihr Leben davon abhängt, dass andere ihnen helfen. Und zwar einfach so, ohne groß zu fragen, welcher Herkunft und/oder Hautfarbe sie sind und ohne sie unter den Generalverdacht zu stellen, Dealer, Kleinkriminelle oder Wirtschaftsflüchtlinge zu sein, die nur Stütze abgreifen wollen. Jeder Mensch kann in so eine Lage geraten, immer und überall. Sicher, es gibt Gegenden auf der Welt, in denen das zur Zeit wahrscheinlicher ist als bei uns, aber Inseln der Seligen gibt es nicht, never. In unseren Breiten ist es gerade einmal siebzig Jahre her, dass Millionen zur Flucht gezwungen waren.

Und wenn diese Menschen dann hilfesuchend da stünden und ihnen offene Feindseligkeit entgegenschlüge, man gegen sie demonstrierte, ihnen unterstellte, den Ansässigen was wegnehmen zu wollen, ihnen allein qua Herkunft mehr oder minder latent Gewalt androhte, wenn nicht gar antäte, vielleicht, so die schale Hoffnung, merkten diese Leute, die glauben, allein wegen ihres ihnen zufällig angeborenen Deutschseins Anrecht auf Vorzugsbehandlung zu haben, dann mal irgendwas. Indes, ich glaube es nicht.

"[...]
beware the average man the average woman
beware their love, their love is average
seeks average

but there is genius in their hatred
there is enough genius in their hatred to kill you
to kill anybody [...]"


(Charles Bukowski: The Genius Of The Crowd)

Ich will überhaupt nicht behaupten, dass es in Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünften und um sie herum absolut keine Probleme gäbe. Gibt es, gar keine Frage. Aber es soll auch zwei, drei andere und geeignetere Wege geben, vernünftig damit umzugehen als ausgrenzen, bedrohen, Ärmchen heben, anzünden und draufhauen. Man sollte allerdings auch bedenken, und das sollte einen wirklich beunruhigen, dass Ablehnung von und Gewalt gegen Migranten und Flüchtlinge auf einem sich verbreiternden bürgerlichen Fundament stattzufinden scheint. Pegida et al. sind da nur ein Symptom.

Es ist längst die um ihren Status fürchtende, von Stichwortgebern wie Sarrazin und Buschkowsky enthemmte Mittelschicht, die, wird man ja wohl noch sagen dürfen, marodierendem rechten Pöbel mit den Teppich ausrollt. Entpolitisiert bis zur Ignoranz oder sich der Politik als von Werten weitgehend entkerntes Mittel zur unmittelbaren Wohnumfeldaufwertung bedienend, strickt sie fleißig mit an einem Klima der Ausgrenzung, in dem rechte Spacken zunehmend sicherer sein können, eigentlich nur den wahren, von Lügenmedien und Gutmenschen unterdrückten Willen einer schweigenden Mehrheit, wenn nicht gleich des Volkes zu exekutieren.

Läden wie die AfD werden ja genau nicht maßgeblich getragen von Dumpfbacken, die sich mehr oder weniger offen einen Adolf herbeisehnen bzw. sich was von vergangener Glorie und völkischer Reinheit zusammenbrutzeln. Klar, die gibt es auch, die Mehrheit aber sind integrationsunwillige brave Bürger, die im Kirchenchor von Nächstenliebe singen und die Kinder mit dem Van kilometerweit zur Schule mit dem niedrigstmöglichem Migrantenanteil karren. Zwar hat man natürlich nichts gegen 'die', weist auch jeden Verdacht von Rassismus weit von sich, aber man hört halt so vieles und möchte doch nur das beste für die eigene Brut. So ist ihnen der Gedanke schwer erträglich, Lena-Sophie und Sven-Torben wären nicht nur gezwungen, ein paar Jahre lang neben Murat und Hatice, neben Kevin und Mandy zu sitzen, sondern - Leistungsgesellschaft ahoi! - am Ende noch um dieselben Studienplätze und Jobs mit ihnen zu konkurrieren.

"Und dafür stehen sie ein, der deutsche Bürgersmann und die deutsche Bürgersfrau, die über Jahrhunderte hinweg gelernt haben, sich für fehlendes politisches Rückgrat mit einem Sonderbewußtsein zu entschädigen, das vielleicht wirklich einmal Grund gehabt hat, sich für ein bildungsbürgerliches zu halten, heute aber nur mehr und ausschließlich ein borniert privilegswahrendes, klassenkämpfendes und pöbelfeindliches ist." (Stefan Gärtner)

Exakt in so einem Klima gedeihen perfide Episoden wie im Bremer Stadtteil Ostertor. Glaubt man dem, was sich so in Erfahrung bringen lässt, dann ist Bremen-Ostertor eines dieser gentrifizierten Bullerbü-Ghettos, in dem vorwiegend sich als linksliberal bis linksalternativ bezeichnendes Bildungsbürgertum haust, teils in ehemals besetzten Häusern, und ein entsprechend hoher Anteil an Studenten und Kreativen sowie eine hohe Dichte an Bioläden, Latte-Macchiato-Tankstellen und Kultureinrichtungen zu verzeichnen ist.

Als ruchbar wurde, dass nun in dieser Ecke der Stadt eine Unterkunft für 60 Flüchtlinge eingerichtet werden sollte, ging das endemische Bionadebiedermeier auf die Barrikaden. Man habe selbstverständlich nichts gegen Flüchtlinge, denen müsse ohne wenn und aber geholfen werden, AAABER es sei doch wirklich die Frage, ob nun ausgerechnet diese die richtige Gegend für diese armen Menschen sei. Besonders übel die Wortmeldung einer Bürgerin, die sich allen Ernstes besorgt zeigte, dass mit den Flüchtlingen auch der Fremdenhass in den idyllischen Kiez Einzug halten könnte. Weltflucht hat eben mindestens so viele Gesichter wie Rassismus. Man muss die Sorgen und Nöte dieser Menschen... ups, hatten wir schon.

Möchte einem über den Tröglitzer Mob schon übel werden, so will man angesichts dieser nicht nur hinterhältigen, sondern auch noch verlogenen Bande im ganz dicken Strahl kotzen. Es ist der großen Gudrun Penndorf, bis vor ein paar Jahren verantwortliche Übersetzerin der 'Asterix'-Comics, zu danken, diese geistige Gemengelage schon vor Jahrzehnten genauestens auf den Punkt gebracht zu haben. In einem Band lässt sie einen besorgten Bürger des gallischen Dorfes anlässlich des Zuzuges einer Familie aus dem Süden sagen: "Ich habe nichts gegen Fremde, aber diese Fremden sind nicht von hier."

Man mag nun einwenden, sich ganz basisdemokratisch-zivilisiert per Bürgerinitiative und Petition gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in der Nachbarschaft auszusprechen, sei doch etwas völlig anderes als ihnen mittels zu Spaziergängen verharmlosten Drohgebärden und prophylaktischem Abfackeln der Unterkunft schon mal zu zeigen, was sie erwarten könnte, wenn sie's wagen sollten, hier untergebracht zu werden. Wiewohl das vielleicht sogar sein kann, das Ergebnis ist auf jeden Fall dasselbe: Ausgrenzung, Wagenburg. Wir gegen die. Wir wollen sie nicht, zumindest nicht hier.

Zum guten Schluss noch, zur Information für jene, die mir ad hominem entgegnen möchten, ich risse hier nur vom grünen Tische meiner in gutbürgerlicher Gegend gelegenen Stuckdecken-Altbauwohnung her die Klappe auf und wolle anderen Dinge zumuten, die ich selbst mir verbitten würde: Ganz in der Nähe ist seit fast 25 Jahren eine Unterkunft für Asylbewerber. Keine 200 Meter die Straße herunter, die Innenstadt bequem per pedes zu erreichen. Läuft, seit Ewigkeiten. Man liebt sich nicht, man hasst sich aber auch nicht und lebt so nebeneinander. Hier wird nicht mehr gedealt als auf jedem durchschnittlichen Schulhof und die Kinder sind so weit unbehelligt groß geworden. Ich lache mich jedesmal schlapp, wenn besorgte Leserbriefschreiber im Lokalblatt mir erklären wollen, wie lebensgefährlich es hier sei.


2 Kommentare :

  1. "daß mit den Flüchtlingen auch der Fremdenhass Einzug halten könne".

    Köstliche und unfreiwillig ehrliche Selbsteinschätzung der politischen Korrektheit , bei der es eben nicht wichtig ist , was der Realität entsprechen könne , sondern nur , daß man das Richtige sagt.
    Ein Migrant , das ist für diesen Typus der grinsende Neger aus der Afrodisco , immer gut drauf und vor allem gut verdienend.
    Ein Asylbewerber eher nicht , der guckt einen schonmal aus irren Augen an , und ist vielleicht auch schlecht angezogen , oder hat irgend so eine Sucht , weil er mit den Folgen seiner mutigen Flucht alleine gelassen wird und sich dann noch als Fußabstreifer wiederfindet , für die oben genannte Klientel.

    Damit hat man nichts zu tun in der alternativen Vorstadt , man hat ja dann doch studiert , sollen sich diese Städter damit rumschlagen , hätten sie was Ordentliches gelernt.
    Wehe aber , einer vom urbanan Pöbel wagt es , zu äußern , daß es im Zusammenleben mit Migranten auch mal Probleme geben kann , dann ist er aber auf dem Plan , der Vorstädter , und fährt demjenigen kräftig übers Maul.

    Vielleicht muß man das sogar verstehen , kennt er Menschenrechtsverletzungen schließlich auch am eigenen Leib , immerhin hat er eine Frau mit drei Nachnamen zuhause sitzen...

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    1. "... kennt er Menschenrechtsverletzungen schließlich auch am eigenen Leib , immerhin hat er eine Frau mit drei Nachnamen zuhause sitzen..." *kicher*

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