Freitag, 26. Juni 2015

Rettet die Bundesjugendspiele!


Da hat doch eine gewisse Christine Finke, allein erziehende Mutter und Bloggerin eine Petition ins Leben gerufen, die Bundesjugendspiele abzuschaffen. Interessanter, wenn auch befremdlicher Gedanke. Begründung? Finke kann "... nicht verstehen, warum es heute noch für gut befunden wird, Kinder zu zwingen, sich in eine sportliche Wettbewerbssituation zu bringen, die mit Demütigung und Ohnmachtsgefühlen vor der Peer Group verbunden ist."

Weiter meint sie: "Sport sollte Spaß machen und ein positives Körpergefühl vermitteln. Aber die Bundesjugendspiele leben von Wertung: Aufwertung und Abwertung einzelner auf Kosten anderer. Oft ist das Lehrpersonal auch noch so unsensibel, die Unterschiede zwischen den Kindern besonders herauszustellen bei der anschließenden Vergabe der Urkunden in der Klasse. Bei einem Wettkampf gehöre es dazu, heißt es dann. Aber welchen Sinn hat ein Wettkampf, dem man sich nicht freiwillig stellt und bei dem Einzelne schon vorher wissen, dass sie am unteren Ende der Leistungsskala sein werden?"

Hm, nun ja. Dazu kann man so einiges sagen. Man muss gar nicht erst die Leier drehen, von wegen Kinder müssten auch lernen mit ihren Schwächen und mit Enttäuschungen umzugehen. Über Frau Finkes apodiktische Verfügung, Sport habe ausschließlich dem Spaß und dem positiven Körpergefühl zu dienen, kann man zumindest diskutieren. Ferner ließe sich zum Beispiel fragen, warum die Bundesjugendspiele das Problem sein sollen, wenn unsensible Lehrpersonen sie zum Anlass nehmen, Kinder zu demütigen. Sind da nicht eher die Lehrer das Problem bzw. deren pädagogische Schulung? Außerdem: Wer sagt eigentlich, dass die Bundesjugendspiele zwingend eine Wettbewerbssituation sind und von Wertung leben? Ich weiß natürlich nicht, wie die heute so ablaufen, aber bei mir war das damals ungefähr so:

8:30 Uhr: Mit Freunden zum Stadion radeln (geil, nicht zur Schule!)
8:50 Uhr: Sehen, wo man seine Klamotten lässt. Vor allem den Proviant sicher zu verstauen war wichtig, außerdem hatte Muttern ein bisschen was springen lassen für Getränke vom Kiosk ("Aber nicht das süße Zeug, hörst du!" - "Ja, Mama."). Seine Riege suchen.
9:15 Uhr: 100-Meter-Lauf. Meist Vorletzter geworden, je nach dem, welche von den anderen Bewegungslegasthenikern von ihren Eltern eine Entschuldigung bekommen hatten. Zwei Stunden warten. Alle Butterbrote aufessen, ungesunde Getränke vom Kiosk trinken.
11:15 Uhr: Ballwerfen. Mittelgut. Ab Klasse 7 auch Kugelstoßen. Schon besser! Ach, das war die Frauenkugel? Mist! Wieder zwei Stunden warten, Schokolade essen, die der beste Freund mitgebracht hat, ungesunde Getränke vom Kiosk trinken.
13:15: Weitsprung. Meist Vorletzter geworden, je nach dem, welche von den anderen Bewegungslegasthenikern von ihren Eltern eine Entschuldigung bekommen hatten. (Hochsprung war keine Alternative, sondern nur was für Bewegungstalente, Sportvereinsmitglieder und Streber.) Eine Stunde warten. Chips vom Kiosk futtern, für ungesunde Getränke reicht das Geld nicht mehr.
14:00 Uhr: Feierliche Verleihung der Urkunden. Kriege mal wieder keine. Trotzdem, ein schöner Tag geht zu Ende. Energiebilanz: Geschätzte 3.000 Kcal eingepfiffen, maximal 300 verbraucht, also positive Energiebilanz. Passt. Sport ist gesund.

Ab Klasse 11 war man dann Riegenführer, was stressig werden konnte, aber dafür konnte man sich wichtig machen. Oder man war Messknecht. Das war zwar ein ruhiger, dafür aber ziemlich eintöniger Job. Hatte man Pech, musste man beim Bällewerfen drei Stunden mit dem Maßband über den Rasen latschen und sich andauernd bücken. Hatte man richtig ins Klo gegriffen, bei Regen. Hatte man Glück, dann musste man nur Ergebnisse notieren. Immerhin musste man kein Sportzeug tragen und konnte den Kiddies damals noch ganz cool was vorqualmen - heute unvorstellbar. Die Tradition mit den ungesunden Getränken führte ich fort, indem ich mir damals noch Zucker in den Kaffee kippte.

Als Aktiver, also von Klasse 5 bis 10, waren meine Ergebnisse jedes Jahr eher im unteren Bereich angesiedelt, höflich ausgedrückt. Na und? Zwar habe ich mich immer ganz gern bewegt, nur war schwimmen und Rad fahren, was ich noch heute gern mache, nicht Bestandteil der Spiele. Außerdem fand ich Wettkämpfe doof. Hätten meine Eltern gemeckert oder meine Freunde mich gehänselt, wieso ich nichts gerissen hätte bei dem Zwangsgesportel, ich hätte gelacht. Ich war eben nicht der sportliche Typ und konnte dafür andere Dinge gut. Das war allgemein akzeptiert und niemand, als letztes ich, wäre auf die Idee gekommen, deswegen in Tränen auszubrechen.

Mit Ausnahme der Vereinssportler unter den Schülern, die wirklich ernsthaft für eine der Urkunden trainierten, bedeuteten Bundesjugendspiele für mich, meine Freunde und den überwiegenden Rest der Schülerschaft einen herrlich sinnlos vergeudeten Tag. Den brachten wir so angenehm wie möglich hinter uns und freuten uns, dass wir an der frischen Luft herumhängen durften und nicht sechs Stunden lang die Schulbank drücken mussten. Eine wundervolle Absage an das Leistungsprinzip, wenn man es so betrachtet.

Einen in unserer Klasse gab es, der tatsächlich weinte, wenn er keine Urkunde bekam (Teilnehmerurkunden gab es damals noch nicht). Der Typ, obwohl eher unsportlich und mit nur wenig Körpergefühl gesegnet, ging mit einer Verbissenheit an die Sache, als sei es um die Olympianorm im Zehnkampf gegangen. Eine Zeitlang haben wir anderen herzlich gelacht über ihn. Als dann irgendwann herauskam, dass der arme Kerl daheim von seinem Terrorvater mit Prügeln und Hausarrest bestraft wurde, wenn er nicht den hohen Erwartungen entsprach, hat keiner mehr gelacht. Eines war uns aber völlig klar: Die Bundesjugendspiele waren hier wohl nicht das Problem.

Nein, die Bundesjugendspiele sind exakt in dem Maße ein Wettbewerb, indem man  einen draus macht. Geht man positiv an die Sache heran, sind sie eine schöne Unterbrechung des Schulalltags, ein Wandertag ohne lästiges Wandern. Das Problem sind vielleicht eher Eltern, die ihre Kinder mit unrealistischen Erwartungen überfrachten und eine Gesellschaft, die von Evaluation, Wettbewerb und Rankings besessen ist. Daran aber würde sich nichts ändern, wenn die Bundesjugendspiele abgeschafft würden. Nur die Kinder hätten einen öden Schultag mehr.


4 Kommentare :

  1. Sie haben korrekt ins Schwarze getroffen. Zu meiner Schulzeit - DDR - gab es die jährlichen Schulsportfeste. Na und. Es war unterrichtsfrei. Da störte es nicht, dass auch ich im unteren Leistungsbereich lag.

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  2. Ich war auch einer von den Bewegungslegasthenikern, in meinem Fall dann mit Teilnehmerurkunden. Über die Petition musste ich trotzdem herzlich lachen.

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    1. Jo, vermutlich hatte unsereiner einfach Glück. Die Anlage war so weitläufig und die Sportskanonen so verbissen bei der Sache, dass sie gar nicht dazu kamen, einen wie mich zu hänseln.
      @eppi69: Interessant, wie wenig gewisse Dinge sich unterscheiden...

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  3. In meiner letzten Jahrgangangsstufe (1982) "durften" alle Jungens aus meiner Klasse NICHT an den BJS teilnehmen, da wir die Kerntruppe für das Team "Jugend trainiert für Olympia" bildeten; wir hätten die anderen Teilnehmer mit unseren Leistungen " nur beschämt" (Original-Zitat des Schulleiters). Stattdessen mussten wir zu einem "Crosslauf" benamten Event antreten [zusammen mit "Bewegungslegasthenikern], welches ca. 5 Kilometer durch Wald und Flur führte.
    Der Verantwortliche Lehrer verkündete vor dem Start:
    "Es folgt nun: DER CROSSLAUF! Wer abkürzt -was unsportlich ist- hat für eventuell auftretende Flurschäden selbst aufzukommen!"
    Sic gloria transit mundi...

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