Donnerstag, 17. September 2015

Nicht alles, was hinkt


Es ist eine Sache, den medialen Umgang westlicher Medien und Politik mit dem russischen Präsidenten Putin bzw. dessen Politik äußerst kritisch zu begleiten. Wer aber als Konsequenz daraus meint, uns Europäern täte allen etwas weniger Obama und mehr Putin gut, der hat in meinen Augen, bei aller ebenfalls berechtigten Kritik an Barack Obamas Amtsführung, nicht mehr alle Nadeln an der Tanne und offenbart damit unter Umständen mehr Sehnsucht nach Obrigkeit und einem starken Mann als ihm lieb ist.

Daher kann ich absolut nicht verstehen, was an einem Tweet wie dem der Russischen Botschaft in London zu einer Äußerung des britischen Premiers Cameron über seinen neuen Gegner Jeremy Corbyn so schenkelbrechend witzig sein soll:

"Just imagine UK media headlines if Russian President called a leading opposition party threat to national security."

(Russische Botschaft Großbritannien via twitter, auch: NachDenkSeiten)
Ohne Frage haben Länder, die westliche Demokratien sich schimpfen, jede Menge Dreck am Stecken, ihre Leichen im Keller und insgesamt wenig Grund, sich als große Vorbilder aufzuspielen. Eines jedoch kann man in vielen westlichen Ländern immer noch für sich in Anspruch nehmen: Wiewohl Oppositionellen und kritischen Geistern bei ihrer Arbeit vielleicht keine roten Teppiche ausgerollt werden, ihre Arbeit vielleicht behindert wird, lässt man sie aber trotz allem im wesentlichen gewähren und sie müssen in der Regel nicht befürchten, staatlicher Willkür ausgesetzt zu werden. Natürlich gibt es von staatlicher Seite wie auch aus anderen interessierten Kreisen immer mal wieder Versuche in diese Richtung, wie es auch noch andere Missstände gibt, doch wird dann normalerweise auch darüber berichtet.

Und bitte jetzt nicht die Leier, von wegen, wir lebten ja eigentlich in einer Diktatur und wer in diesem Land etwas sage, was nicht dem Mainstream entspreche, würde zensiert, mundtot gemacht und schluchzbuhu. Das ist weinerlicher Quatsch, dekadentes Gejammer von kindischen Geistern, die sich für die Mehrheit halten und keine Kritik vertragen können. Wer in diesem Land hat zuletzt für eine kritische Bemerkung, ob online oder im Real Life, über die Regierung, über Migranten, Linke, Schwule, Muslime, Rechte, u.ä., die nicht den Tatbestand der Beleidigung erfüllte, befürchten müssen, strafrechtlich belangt zu werden? Hand hoch, bitte! Situation in Russland zum Vergleich: Bitte sehr.

Wenn Cameron sich in derart scharfer Form, über die man sicher diskutieren kann, über einen politischen Gegner äußert, dann ist das nicht etwa eine himmelschreiende Menschenrechtsverletzung, sondern sein gutes Recht und hat in allen Demokratien eine gewisse Tradition. Gegen das, was der selige Franz Josef I. 'Idi Alpin' von Bayern in der politischen Arena so vom Stapel gelassen hat, nehmen David Camerons Übungen sich aus wie die eines Schuljungen. Gut, ja, dass er einer ist, war eh lang schon bekannt. Die Frage ist aber doch, was das für den betreffenden für Konsequenzen haben kann, nöch?

Corbyn muss damit rechnen, in nächster Zeit von den Spin Doctors der Tories gejagt, aus jeder erdenklichen Richtung mit jedem erdenklichen Dreck beworfen und auf kleiner Flamme geröstet zu werden. Das ist alles nicht schön, aber eben auch Teil des politischen Geschäfts und muss einem erfahrenen Parlamentarier wie ihm bewusst sein. Einen klitzekleinen, nicht völlig unbedeutenden Unterschied zur Demokratur alla Putinesca gibt es vielleicht doch noch: David Cameron ist weder in der Position noch hat er die Mittel dazu und wird auch sonst den Teufel tun, Corbyn physisch zu drangsalieren, ihn nach einem Schauprozess einlochen oder gleich verschwinden zu lassen.

Das sollte man doch noch einmal hervorheben, ehe man sich auf die Schenkel schlägt vor Vergnügen über den gelungenen russischen Coup. Weil, nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.


1 Kommentar :

  1. Ich hatte zu der Causa allenfalls Häme für Cameron, daß er sich grad von den Russen vorführen lassen muß. Deinen Persilschein für unsere westliche Demokratie unterschreibe ich aber sicher nicht, ganz ohne Weinerlichkeit. Wenn du die Dinge so siehst, dann hast du es geschafft viel auszublenden. Z.B. die vollkommen aus dem Ruder gelaufene Strafverfolgung/Repression/Überwachung u.a. sächsischer u. bayerischer Behörden gegen linke Aktivisten (zuletzt http://www.sueddeutsche.de/muenchen/urteil-gegen-antifa-aktivist-neun-monate-haft-auf-bewaehrung-fuer-paul-r-1.2649081) o. die neuen Gesetze in Spanien > http://www.heise.de/tp/artikel/45/45321/1.html usw.usf.

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