Dienstag, 15. Dezember 2015

In eigener Sache: Nicht lustig


Normalerweise lösche ich keine von mir geschriebenen Beiträge nachträglich. Was ich geschrieben habe, ist in der Welt und dazu stehe ich, so viel Rückgrat muss sein. Anders liegt der Fall, wenn Dritte in unguter Weise involviert sind. In meinem letzten Beitrag 'Ronny des Monats – Dezember 2015' habe ich einen Ehrenronny vergeben an drei jüngere Leute (ob sie eine Familie sind, ist nicht bekannt) aus dem Mecklenburgischen Boizenburg, die sich in einem viral gegangenen, knapp dreißig Sekunden langen Video in übler bis lachhafter Weise über Flüchtlinge äußern. So scheint die eine Gerüchte über eine angebliche Vergewaltigung durch Flüchtlinge weiterzugeben. Eine andere, offenbar Minderjährige  behauptet gar, ein fünfjähriges Mädchen sei bei lebendigem Leibe gegessen worden.

Das Video tauchte angeblich zuerst am Samstag in einem Blog auf und verbreitete sich über die üblichen Kanäle rasend schnell. Am Sonntag griff der 'Postillon' das auf, woher ich es dann übernommen habe. Ich dachte, der 'Postillon' sei als professionell arbeitende, kommerzielle Veranstaltung  eine sichere Quelle, auf die man sich schon beziehen kann. Es sieht so aus, als hätte ich mich da getäuscht. Blöd, auf vermeintliche Autoritäten zu vertrauen. Die Sache ist vermutlich komplizierter und könnte sich für die im Video gezeigten am Ende ernsthaft als rufschädigend erweisen, und das zu Unrecht. Was dann alles andere als lustig wäre. Weil ich bei so was nicht weiter mitmachen mag, habe ich den Teil aus dem Beitrag vom Sonntag wieder gelöscht. Rückgängig machen kann ich ihn nicht. Leider.

Das Problem ist, dass es sich um einen entsprechend geschnittenen Ausschnitt aus einer NDR-Dokumentation handelt. Schaut man sich das im Zusammenhang an, dann ist das alles längst nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Matern Boeselagers Artikel hat mich da ziemlich nachdenklich gemacht.

"Das Video schneidet nämlich ab, kurz bevor sie im Original noch sagt „Stand auf Facebook", und ihr Freund „Stand. Ob das so stimmt, weiß man nicht", hinzufügt. Das passt ziemlich gut zu dem Text, mit dem die Szene in der NDR-Doku eingeleitet wird: Die Sprecherin erklärt, dass die Jugendlichen im Ort sich um die Wette Gerüchte über Flüchtlinge auf Facebook schicken. Es ist also gut möglich, dass die drei im Video gebeten wurden, mal wiederzugeben, was man sich im Ort so erzählt—und nicht unbedingt ihre eigene Meinung. Das würde die ganze Szene natürlich in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen—und wurde deshalb wohl weggelassen, als das Video zurechtgeschnitten wurde.
Aber selbst wenn dieses Mädchen glaubt, dass irgendwo ein Flüchtling eine Fünfjährige gegessen hat—ist das Grund genug, sie vor der Öffentlichkeit bloßzustellen? Unter dem NDR-Beitrag kommentierte schließlich auch eine Nutzerin, die das Mädchen offenbar kennt—und bemerkt, dass sie auf eine Förderschule geht und es ihr deshalb womöglich nicht so leicht fällt, Unsinn von echten Informationen zu unterscheiden."


Keine Ahnung, ob die Gezeigten rechts eingestellt sind oder nicht, ob sie auch sonst zu den helleren Kerzen auf der Torte gehören oder nicht oder was auch immer. Man weiß natürlich auch nicht, ob die Aussage der Nutzerin stimmt, die meinte, das Mädchen sei eine ihr bekannte Förderschülerin. Behaupten kann so was im Zweifel jeder. (Was soll das überhaupt heißen? Mit sind Förderschüler begegnet, die vielleicht keine Intellektuellen, dafür aber empathischer, sensibler und herzlicher waren als das komplette Frankfurter Bankenviertel.) Bis zum Beweis des Gegenteils jedenfalls gilt die Unschuldsvermutung. Für alles andere sollte man sich zu schade sein, auch aus ehrenwerten Absichten heraus. Erst recht als jemand, der für sich in Anspruch nimmt, Unanständigkeiten und Unfairness im öffentlichen Diskurs nicht zu tolerieren.

Sicher, man kann diskutieren. Kann man immer tun. So könnte man sagen, in dem Video werde eben mittels dreier namentlich ungenannter das Verhalten von Rassisten karikiert, indem es auf die Spitze getrieben werde. Das kann man selbstverständlich gern tun, ich finde das aber eine billige Ausrede. Beim Kampf gegen Rassismus halte ich es sehr wohl für legitim, lächerlich zu machen, bloßzustellen, zu vereinfachen, zu überspitzen und Hetzern gern auch den einen oder anderen großzügigen Löffel ihrer eigenen Medizin zu verabreichen. Ich finde es völlig in Ordnung, Ignoranz und Dummheit auch mit Arroganz zu begegnen. Wenn ausgewiesene Rechte, ob prominent oder nicht, sich in der Öffentlichkeit  zum Deppen machen, dann sollte das durchaus genüsslich breitgetreten werden. Immer gib ihnen! Wichtig ist nur, dass es die Richtigen trifft. Daran gibt es aber in diesem Fall erhebliche Zweifel.

Weiterhin ließe sich sagen, im Osten gäbe es nun einmal ein Rassismusproblem, da gehöre ein grober Klotz zuweilen auf einen groben Keil und wo gehobelt werde, da fielen Späne. Es ist die eine Sache, sich pauschal und satirisch zugespitzt über ein Phänomen wie Pegida auszulassen und über das, was sonst noch aus dem Schoß kriecht. Wenn konkrete Personen wie Lutz Bachmann entsprechende Vorlagen liefern, dann mögen auch sie über den Leisten gezogen werden, dass es eine Art ist. Aber einfach so aufs Geratewohl Menschen, die vielleicht nicht die Eloquentesten unter der Sonne sind, so was in den Mund zu manipulieren, ist eine ganz andere Sache, war schon nicht richtig, als Stefan Raab das gemacht hat und erweist der antifaschistischen bzw. antirassistischen Sache letztlich einen Bärendienst.

Schließlich kann man sagen, und es wird auch gesagt, die drei hätten doch wissen müssen, was passieren kann, wenn sie vor der Kamera missverständliche Aussagen machen. Das ist aus zwei Gründen problematisch: Zum einen gibt das dem Topos von der Lügenpresse, die manipuliere und einem das Wort herumdrehe wie es ihr in den Kram passe, unnötig Futter und erklärt zudem derlei Manipulationen für normal bzw. für unproblematisch. Das kann niemand wirklich wollen. Zum anderen möge sich jeder fragen, der keine Erfahrung im Umgang mit Kamerateams, keinen V.i.S.d.P. im Rücken hat und auch sonst nicht in der Position ist, sich entsprechend zu wehren, wie leicht oder schwierig es sein kann, im Zweifel jeden in ähnlicher Form öffentlich blöd dastehen zu lassen. Ich kann hier jedenfalls nicht wohlfeil solche Praktiken von Medien angreifen und dann so was gutheißen bzw. mich auch noch daran beteiligen.

Wie es eh lachhaft wäre, mich hier einerseits vehement gegen Shitstorms auszusprechen und dann selbst bei einem mitzumachen. Das ist nicht nur inkonsequent, sondern auch selbstgerecht und insgesamt menschlich ziemlich mies. Dass im Video keine Namen genannt werden, ändert an all dem nicht viel, denn es kann gut sein, dass die drei qua Augenschein nachhaltig stigmatisiert sind, auch ohne namentlich bekannt zu sein. Es ist mir sehr peinlich, so voreilig auf diesen Zug aufgesprungen zu sein, vermutlich, weil mir mein eigenes Vorurteil vom rassistischen Ossi den Blick vernebelt hat, und ich entschuldige mich hiermit. Auch wenn die, die es angeht, es vermutlich nicht lesen werden. Mit dem Vorwurf, ich könnte damit eventuell Rassisten unabsichtlich die Hand reichen, kann ich leben.





9 Kommentare :

  1. Hallo Herr Rose, danke für die Richtigstellung. Finde ich super, dass Sie so schnell reagiert haben und das Video in einem anderen Kontext vorgestellt haben. Bei solchen Sachen muss man wirklich höllisch aufpassen, dass man nicht auf eine Manipulation reinfällt. Kann leider immer wieder passieren.

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  2. Man fällt schneller auf Meinungsmache und Propaganda rein, als einem lieb ist. Niemand ist davor gefeit. Umso wichtiger ist es, sich regelmäßig auch selbst zu hinterfragen. Finde ich mutig, dass Du das hier sogar öffentlich machst.

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  3. Moin Stefan,
    shit happens aber dann auch den Arsch in der Hose zu haben zu revidieren, Respekt.

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  4. Möchte mich meinen Vorrednern anschließen.

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  5. kevin_sondermueller16. Dezember 2015 um 14:45

    Das nenne ich Integrität! Ich weiß sehr wohl, warum ich sehr
    gerne hier vorbeischaue.

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    1. Danke an alle. War mir ein Bedürfnis. Finde aber auch nicht, dass man sich damit einen Zacken aus der Krone bricht, im Gegenteil.

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    2. Wie dieser Fall zeigt, ist es leider weder in Kleinbloggersdorf, noch im Social Web üblich, sich für Fehler oder Missverständnisse auch angemessen zu entschuldigen. Traurig. Beim Shitstormen sind sie aber alle ganz groß.

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  6. Diese Form der Selbstkritik verdient in der Tat höchsten Respekt - da kann ich nur demütig meinen Hut ziehen!

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