Donnerstag, 4. Februar 2016

Nur Bares ist Wahres (2)


Wieder einmal wird die Abschaffung des Bargelds diskutiert. Manchmal frage ich mich, ob die, die das fordern, sich wirklich klar machen, was sie da eigentlich fordern. Technik-Nerds, die nichts anderes kennen und die jede elektronische Lösung per se allen anderem vorziehen, okay. Aber Menschen aus Fleisch und Blut, die noch am Leben teilnehmen? Was meinen Standpunkt angeht, wiederhole ich mich gern: Sie werden mir die letzten Münzen und Scheine aus meinen kalten, toten Händen reißen müssen. Jede elektronische Transaktion kann theoretisch überwacht werden. Was ich hingegen mit meinem Bargeld anstelle, ist allein meine Privatsache. Bargeld entzieht sich der Überwachung und der Kontrolle, und das ist auch verdammt gut so. Denken wir nicht an Wirtschaftskriminalität oder organisiertes Verbrechen, denken wir an unseren ganz normalen Alltag.

Die Möglichkeit, schnell und unverbindlich ein paar Münzen loszuwerden, gehört zu den Dingen, die das das Leben oft erst nett und menschlich machen. Dem Bettler was geben. Dem Kellner, dem Zimmermädchen ein Trinkgeld zukommen lassen, all das soll nur noch auf elektronischem Wege möglich sein? Kriegt das Schulkind, dem die Oma ein paar Euro für sein gutes Zeugnis in die Hand drückt, dann ein Kartenterminal? Oder geht das per Handy? Natürlich hat Bargeld auch Schattenseiten. Nicht die passenden Münzen fürs Parkticket zu haben, ist sicher ärgerlich. Und ok, ja, wir müssen auch über Schwarzarbeit reden. Dann aber bitte auch, dass es möglicherweise einen Unterschied gibt zwischen Schwarzarbeit und Schwarzarbeit.

Da gibt es einmal die, die ernsthaft gewerblich betrieben wird. Finde ich in der Tat asozial. Auch wer das System, in dem wir leben, grundsätzlich und zutiefst ablehnt, wird zugeben müssen, dass auch der ärgste Systemgegner auf Infrastruktur, Bildungssystem und andere Dinge angewiesen ist, die sich sinnvoll nur durch Steuern finanzieren lassen. Dann gibt es Schwarzarbeit, die man eher Grauarbeit nennen müsste. Die aus Bedürftigkeit passiert. Um aus einer Klemme zu kommen. Der Hartz-IV-Empfänger, der eine neue Waschmaschine braucht und ein paar Mal gegen Bares auf dem Bau aushilft. Die alleinerziehende Mutter, die ihrem Kind was bieten will und deswegen gegen Cash putzen geht. Der Schüler oder Student, der Nachhilfestunden gibt. Wollen wir alle diese letzten Grauzonen tatsächlich restlos und ein für alle mal eliminieren? Wie ticken Menschen, die das eine paradiesische Vorstellung finden?

Immer mehr Deutsche scheinen sich jedenfalls schon ganz prima arrangiert haben mit einer bargeldlosen Welt. Bis vor einiger Zeit konnte man sicher sein, dass im Supermarkt oder Discount nur Großeinkäufe bargeldlos bezahlt wurden oder wenn ausnahmsweise jemand nicht genug Bares dabei hatte. Inzwischen aber werden auch die popeligsten Kleinigkeiten mit Karte bezahlt. Schachtel Zigaretten, Dose Cola. Mit Karte bitte. Ups, ist wieder langsam heute das Teminal! Wrrrt, halber Meter Bon, Unterschrift, wrrrt, noch ein Bon. Nicht zu beschleunigen, das Ganze. Kaugummi, Flasche Wasser. Mit Karte bitte. Gerne doch, Geheimzahl, bip, bip, bip. Ups, vertippt, hihi. Bip, bip, bip. Wrrrt. Auch der nächste muss unbedingt irgendeinen Dreckskleinkram für 3,98 mit seiner verschissenen, stinkenden EC-Karte zahlen. Die wahrscheinlich so abgenudelt ist, dass sie erst beim vierten Versuch gelesen werden kann. Und dahinter formiert sich langsam ein wütender, mit Pechfackeln und Mistforken ausgerüsteter Lynchmob.

Das nervt! Was ist daran so toll? Was kapieren diese Leute nicht? Es geht viel schneller und nützt allen, wenn man schon während des Wartens den ungefähren Betrag in bar ungefähr passend parat hält. Eine erfahrene Kassiererin wickelt den Rest dann in Sekundenschnelle ab und gut. Es geht mich natürlich nichts an, wie jemand seine Einkäufe tätigt, und ich will auch niemandem reinreden, aber ich hasse es schon, das Gefühl zu haben, dass man mir aus Ignoranz oder Doofheit meine Zeit klauen will. 

Ich sehe es förmlich vor mir: Irgendwann nach der Abschaffung des Bargelds, wenn die Konsumentendödel dann rausfinden, dass all ihre Einkäufe der letzten Jahre lückenlos dokumentiert sind und ihnen jederzeit unter die Nase gerieben werden können, etwa von einem Regime, das noch weniger nett ist als das Momentane, dann ist das Gejammer wieder groß. Wer konnte das denn ahnen? Ich wollte es doch nur bequem haben! Die haben uns doch versprochen, das sei alles ganz sicher. Menno!

"Als hätte der alte Plato mit seiner Kritik der Demokratie keine andere Gesellschaft gemeint als die unsere: Die Erzeugung hedonistisch-gelangweilter Menschen, die eher früher als später nach dem nächsten Tyrannen schreien!" (Seeßlen) -- Ich habe es geahnt. Es war wohl doch ein Fehler, sich damals, als man noch die Muße hatte dazu, nie mit Platons Politeia befasst zu haben. Jetzt müsste ich mir zwei Wochen Urlaub nehmen dafür.



2 Kommentare :

  1. "Auch der nächste muss unbedingt irgendeinen Dreckskleinkram für 3,98 mit seiner verschissenen, stinkenden EC-Karte zahlen. Die wahrscheinlich so abgenudelt ist, dass sie erst beim vierten Versuch gelesen werden kann. Und dahinter formiert sich langsam ein wütender, mit Pechfackeln und Mistforken ausgerüsteter Lynchmob."

    Und wie das nervt! Wenn man schon an der Kasse wartet und eh nichts zu tun hat, kann man auch schon mal sein Geld parat halten. Mache ich immer. Ich nenne das Rücksichtnahme auf alle Kunden hinter mir. Aber nein, nachdem die Damen und Herren alles nach dem Einscannen wieder gemütlich in ihren Wagen gepackt haben, tun sie oft so verwundert. "Och stimmt, ich muss ja noch bezahlen, hihi." Und fangen dann an ewig zu kramen: "...hmm...Münzen hier...hab ich es passend? Mal suchen...lalala...Können Sie 10 Cent gebrauchen? Nein. Ok, moment geben Sie mir alles zurück...Hier ist meine Karte!" *grr*

    Unterm Strich zähl ich. Aber wehe, derjenige erlebt so ein Verhalten selbst bei einem Kunden, der vor ihm ist. Wo ist nur die Selbstreflektion geblieben?

    Zum Thema Bargeld. Da geht es natürlich vor alem um Überwachung und Kontrolle.

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  2. Das ist ja alles richtig, aber die Kritik ist mir noch viel zu harmlos. Es werden damit Strukturen geschaffen, die einem autoritären Regime die totale Kontrolle über die Menschen ermöglicht. Man kann ja damit vollkommen vernichtet werden. Staat sperrt Deinen Bankenzugang und Du kannst Dir nicht mal mehr einen Kaugummi kaufen. Du kannst dir auch von Deinem Freund kein Geld leihen. Du hast nicht mal mehr die Kohle, um außer Landes zu fliehen. Und Du musst Dir gefallen lassen, dass Deine Bank z.B. Negativzins verlangt.

    Ich krieg bei der Vorstellung dieser Szenarien schon Panikattacken. Es wäre kein freiheitlicher Staat mehr, das ist mal sicher.

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