Samstag, 23. April 2016

Also schön: 'In eigener Sache'


Normalerweise schätze ich diese Grundsatzartikel Marke 'In eigener Sache' ("Warum ich blogge", "Wie ich die Welt und das Schreiben begreife" etc.) nicht sonderlich und bin da eher sparsam. Erstens läuft so was für meinen Geschmack allzuoft bloß auf eitle Selbstbespiegelung hinaus und ist meist auch grottenlangweilig zu lesen. Zweitens denke ich, dass man sich als Schreiberling ein Armutszeugnis ausstellt, wenn man meint, sich andauernd großartig erklären und immer wieder nachlegen zu müssen. Wenn man es jenseits von Fiktionalem und Philosophischem nicht hinbekommt, sich den geneigten Lesern in seinen Beiträgen einigermaßen klar zu machen, dann sollte man halt sehen, wie man das verbessern kann, eventuell schauen, wie andere das machen oder es vielleicht sogar lieber ganz bleiben lassen.

Nun ist es so, dass meine unmaßgebliche Ansicht zu der Episode Böhmermann/Erdogan offenbar einiges an Staub aufgewirbelt hat. Eigentlich hatte ich gedacht, die Sache hätte sich langsam mal gelegt und verliefe sich. Da lag ich wohl falsch, denn es kommen immer noch Kommentare dazu. Ich finde ab einer gewissen Länge die Kommentarspalte den falschen Ort für solche Diskussionen. Als Blogger hat man da andere Möglichkeiten. Daher ist das vielleicht wirklich eine gute Gelegenheit, mal ein paar grundsätzliche Gedankengänge vom Stapel zu lassen.

Ich denke, es gibt nach wie vor Gründe anzunehmen, dass das ein Sturm im Wasserglas ist, der kaum negative Folgen haben und die ganze Geschichte eine Fußnote bleiben wird. Böhmermann wird am Ende allenfalls eine symbolische, durch eine kleine Spendenaktion locker zu stemmende Geldstrafe zahlen müssen, wenn überhaupt. Man kann das natürlich ärgerlich finden, aber es gibt keinen Grund, Meinungs-, Rede- und Kunstfreiheit deswegen irgendwie in Gefahr zu sehen, im Gegenteil. Paradoxerweise wird die Tatsache, dass Erdogan sich nicht entblödete, § 103 zu bemühen, dazu führen, dass dieses doofe Relikt aus monarchischen Zeiten schnellstmöglich abgeschafft wird und sich so was nicht wiederholen wird. (Nebenbei: Würde eine Regierung, die Meinungs-, Rede- und Kunstfreiheit gering achtet oder gar unterdrücken wollte, so handeln?) Es ist eben, um einen ehemaligen Kanzler zu bemühen, am Ende auch entscheidend, was hinten rauskommt. Wieso ausgerechnet das Schlossgespenst von Bellevue gern an diesem Paragraphen festhalten würde, ist freilich eine andere, höchst interessante Frage.

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es für die Regierung Gründe gab, eine Strafverfolgung zu ermöglichen, die jenseits eines platten Liebkindmachens bei Erdogan liegen (unter anderem hier nachzulesen). Mir ist bewusst, dass es sich dabei um eine Minderheitenmeinung handelt, vielleicht eine Außenseitermeinung in meinem Milieu. Anti-Gegenmainstream sozusagen. Es ist ein alter Hut, dass die Gegenöffentlichkeit, die sich ihrerseits rühmt, gegen den quasi offiziellen Mainstream zu sein (den es gerade in diesem Fall übrigens nicht gibt, die großen Medien haben da durchaus unterschiedlich reagiert), ihrerseits zum Mainstream werden kann und längst nicht immer so offen und tolerant ist, wie sie sich selbst gern sieht bzw. wie sie es anderen abverlangt. Auch da gibt es Kuschelecken, Stammtische quasi, wo Politik ganz einfach, Weltbilder schlicht und die Schuldigen an allem Elend der Welt sofort eindeutig benennbar sind. Ich halte das zwar für menschlich verständlich, aber auch für gefährlich, deswegen schreibe ich zuweilen dagegen an, auch wenn es dann staubt und ich an Bequemlichkeiten kratze. Auch bei Leuten, die sich selbst gern unbequem geben.

Wie einige reagieren, wenn einer, den sie als einen der ihren ansehen, nicht auf ihrer Linie liegt, finde ich schon ein wenig irritierend. Warum nicht einfach sagen: Meine Güte, da ist eben einer in einem Punkt anderer Ansicht und fertig? Ist deren Selbstbewusstsein so leicht zu erschüttern? Was wollen diese Leute? Immer und überall eitel Harmonie? Oder vielleicht doch Gefolgschaft? Es ist schon ein wenig lustig, mir vorzuwerfen, den Zusammenhang nicht zu kennen, in dem das Erdogan-Gedicht steht, wenn ich in einem früheren Beitrag selbst zu nicht weniger als drei Quellen verlinkt habe, in denen exakt das zu sehen und zu lesen ist. Und dass ausgerechnet Leute, die für sich in Anspruch nehmen, einer kritischen Minderheit anzugehören, mir damit kommen, ich sei im Unrecht, weil der überwiegende Teil der Blogger, der von ihnen gern durch den Kakao gezogenen Mainstreammedien und der Öffentlichkeit sei anderer Meinung als ich, also mit dem klassischen Mehrheitsargument, ist schon ein echter Treppenwitz.

Ich habe normalerweise kein Problem damit, inhaltlich kritisiert zu werden. Das ist aber etwas völlig anderes als hier angeschissen zu kommen und zu glauben, ich hätte meinen Standpunkt gefälligst komplett zu revidieren, und zwar pronto. Wieso? Weil Der Große Gnatz sich im alleinigen Besitz der Wahrheit dünkt und es so befiehlt? Kann ich nicht leiden, so was. Führt bei mir zuverlässig zu einer Jetzt-erst-recht-Haltung. Bräsige Selbstgerechtigkeit geht mir auf den Keks und autoritäres Gehabe bleibt autoritäres Gehabe, ob von links, von rechts, aus der religiösen Ecke oder sonstwoher.

Und bitte nicht das blöde Eltern-Gelaber von wegen, ich hätte mich da in was verrannt und sei jetzt bloß zu stolz oder zu bockig, das einzugestehen. Blödsinn. Dass ich sehr wohl in der Lage bin zu revidieren, habe ich, glaube ich, hier mehr als einmal demonstriert. Ich leiste mir lediglich den Luxus einer eigenen Meinung, die ich in der Regel auch begründen kann, und die vielleicht einigen ums Verrecken nicht passt. Asche auf mein Haupt! Vielleicht fand ich ja auch - horribile dictu! - die Gegenargumente oder das, was deren Urheber dafür halten, allesamt nicht stichhaltig genug? Wenn es schon zu solchen Reaktionen führt, wenn einer mal gedanklich ein wenig aus der Reihe tanzt, dann steht es um die Linke noch schlimmer als ich dachte. Volksfront von Judäa halt. Leute, von denen ich inständig hoffe, sie mögen bitte, bitte niemals irgendwo das Sagen haben.

Ich verstehe auch die Haltung einiger Satiriker in diesem Lande nicht. Satiriker wird man doch, weil man bewusst anecken will, oder nicht? Was einen dann vom bloßen Komiker unterscheidet. Ist es da nicht ein wenig komisch, nein, seltsam, wenn einer sich erstmal neurasthenisch verpisst, sobald er wirklich mal aneckt? Oft wird auch gesagt, Satire lote Grenzen aus. Ist es daher nicht ein wenig doof, sofort aua zu schreien und von exakt jener Regierung, die man zu verspotten und bloßzustellen sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, einzufordern, sich sofort schützend vor einen zu stellen, wenn man mal an Grenzen stößt? Was begehrt man zu sein? Stolzer Citoyen, der sich vor keinem Throne beugt, oder letztlich doch bloß Hofnarr von des Königs Gnaden?

Es ist, siehe oben, sehr einfach und überdies auch saumäßig bequem, andauernd Tucholsky im Munde zu führen. Zumal es einen von jeglichen weiteren intellektuellen Anstrengungen entbindet. Trotzdem, ich bleibe bei meiner Frage: Ist alles erlaubt, sofern man es nur in einen ironischen Zusammenhang stellt? Das wäre ja schön, aber nehmen wir doch einmal die Frage, ob die Reaktionen dieselben wären, wenn nicht ein türkischer Präsident in die Nähe heftiger, zum Teil antitürkischer Schmähungen gerückt worden wäre, sondern ein israelische in teils antisemitische? Ich würde einige Wetten dagegen halten. Aus der Frage kommt man übrigens auch nicht heraus, wenn man, wie ebenfalls hier geschehen, einfach die Gegenfrage aufmacht, wie es sich mit Putin verhalten würde. Das ist kein Gegenargument, sondern man nennt es ausweichen. Wer mir da allen Ernstes vorwirft, eine "Antisemitismuskeule" auszupacken, sollte sich dann auch nicht beklagen, wenn von rechts dasselbe mit der nicht minder dämlichen 'Nazikeule' geschieht. Mit Argumentieren hat so was jedenfalls nicht mal am Rande zu tun.

(Wie ich überhaupt die Frage, wo Antizionismus aufhört, Antisemitismus anfängt und ob das eine überhaupt ohne das andere zu haben ist, für eine, wenn nicht die Gretchenfrage der Linken halte, aber das ist ein anderes Thema.)

Um das Maß an Verwirrung voll zu machen, betone ich noch einmal, dass ich, trotz allem, was hier steht, Böhmermanns Nummer schon für einigermaßen brillant halte. Weil sie, ob gewollt oder nicht, ziemlich genau den Finger auf eine ganze Reihe wunder Punkte gelegt und Reaktionen hervorgerufen hat, von denen andere Satiriker in der Regel nur zu träumen wagen. Und weil sie wirklich etwas bewegt hat. Nämlich, dass ein obsoleter Paragraph abgeschafft und unser Strafrecht dadurch ein klitzekleines Bisschen zeitgemäßer wird. Das wäre dann eine ganz andere Qualität, als wenn 300 selbstzufriedene, sich für die Guten haltenden Breitärsche beifällig nicken, sich auf die Schenkel hauen und artig klatschen, wenn ein Kabarettist ihnen zwei Stunden lang erzählt, wie doof doch alle außer ihnen sind.

So, und jetzt dürfen mir alle gern erklären, wieso ich nichts verstanden habe. Oder mir feierlich erklären, nie wieder hier zu lesen. Also ihr Abo kündigen.



10 Kommentare :

  1. Ich lese weiter
    danke

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  2. Ich persönlich seh die Sache auch differenzierter. Linke haben aber gerne "rote Grenzen" ("absolute nogo's") bei deren Überschreiten sie halt regelm. austicken. ;) Es ist halt einmal mehr ein klassisches Spalter-Thema. Pispers nannte das Prinzip mal "Arschloch im Wandschrank". Jenes holt man im Westen halt gerne gelegentlich hervor - hauptsächlich aus dem simplen Grund, die vermeintliche eigene Überlegenheit und Fortschrittlichkeit zu betonen, um dem Volk zu zeigen, wie "gut" es hier eigentlich hat...

    Dabei gefällt mir das von Erdogan gezeichnete Bild auch nicht. Parallelen zu der Art, wie der Westen Putin angreift - sind da durchaus zu sehen. Da Erdogan aber der "falschen" / der "bösen" Religion angehört, wird auch deutlich weniger differenziert. Und ja, ich finde es auch befremdlich, dass da mal die ansonsten (völlig zurecht) kritisierten Medien als auch die politische "Mitte" ins gleiche Horn blasen...

    Überhaupt - in letzer Zeit werden meiner Ansicht nach auffallend viele Säue mit erheblichem Spaltungspotenzial durch das Dorf getrieben; Flüchtlinge, Silvester in Köln, Erdogan und Böhmermann. Ein Schelm, wer da nicht nur Zufall vermutet...

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  3. Andere Meinungen zu respektieren und einen sachlichen Umgang mit der jeweils anderen Meinung zu pflegen, ist nicht jedermanns Sache. Eine Tatsache, die kein ausgesprochenes Problem politischer Auseinandersetzungen ist, sondern, ganz allgemein, ein menschliches Problem. Jeder, der öffentlich Stellung bezieht, setzt sich dem Risiko aus, das seine Meinung nicht verstanden wird, oder nicht verstanden werden will.
    Und das er/sie für seine Meinung von anderen unsachlich angegangen werden kann.
    Die öffentliche Debatte um Böhmermann/Erdogan/Merkel/ §§103/104/90 StGB etc. hat für meinen Geschmack mittlerweile etwas vom ADAC-Skandälchen bekommen. Mediale Stürme werden entfacht, weil man, auch noch für einen längeren Zeitraum, was zu schreiben, zu berichten hat.
    Ein Thema, das aufgebauscht wird, verzerrt wird, von politischen Parteien, vor allem spd, LINKE und Grünen genutzt wird, um von den unsäglichen Missständen neoliberaler Politik abzulenken. Denn jetzt ist die „Meinungsfreiheit“ in Gefahr. Mehr noch, das GG ist gefährdet. Wegen Erdogan, weil der beleidigt ist und durch einen dämlichen Paragraphen Mutti mit hineinziehen konnte. Er hatte ja bereits nach §185 StGB Anzeige erstattet. Aber §103 ist für einen Präsidenten eben wirksamer. Nur, es ist nicht Erdogans Schuld, das ein Paragraph von 1871 immer noch im deutschen StGB existiert und für Staatskunst genutzt werden kann.
    Ausgerechnet spd und Grüne, die seit 1998 durch ihre neoliberale Politik das GG für 13 Mio. Hartz-IV-Sklaven außer Kraft setzten, die BW wieder zu einer kriegführenden Armee machten, die jede neoliberale Sauerei bereitwillig mitmachten und mitmachen, nur um an den Trögen zu bleiben, wollen jetzt die „Meinungsfreiheit“ schützen.
    Und es wird denen von nicht wenigen Bürgern abgenommen.
    Seit 1949 sah keine Regierung der Bonner und Berliner Republik die Notwendigkeit, das StGB zu entrümpeln. Unmengen neuer Gesetze, Vorschriften wurden statt dessen produziert.
    Das wäre etwas zum Aufregen. Oder das jeden Tag auf diesem Scheiß-Planeten 50.000 Menschen an HUNGER krepieren. Oder das nach wie vor jeden Tag Flüchtlinge durch Krieg und Hunger „produziert“ werden. Im Mittelmeer ersaufen. Das die „EURO“-Häuptlinge eine Demokratie aushebelten und dieses Modell bei Bedarf auch woanders durchsetzen werden.
    Aber davon steht ja momentan „nix von inne Zeitung“.
    Genau „Michel“, alles gut, leg dich wieder hin. Wir wecken dich, wenn wir deine „Meinung“ wieder brauchen.

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    1. Solche Bullshit-Themen, über die die Volksseele sich regelmäßig erregt, sind natürlich eine wunderbare Ablenkung von den wahren Missständen. Je mehr es im Blätterwals wegen so was rauscht, desto ruhiger können die Ausbeuter schlafen. Ist halt kein Zufall, dass neoliberale Raubzüge immer auch mit einer Boulevardisierung der Medien einhergehen.

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  4. Och Stefan,kein Problem.Es gehört zum Leben dazu, das man mal unterschiedlicher Meinung ist.Ich habe ja auch ganz bewusst den betreffenden Post von dir bei mir verlinkt,
    um mehrere Meinungen gegenüber zu stellen.
    Kalkofes Kommentar ,den ich im Nebenpost verlinkt habe,entspricht meiner persönlichen Meinung.Wenn du anderer Meinung bist,dann ist das eben so.Ich werde deshalb trotzdem weiter bei dir lesen,und bleibst in meiner Blogroll(alles Andere wäre auch Kindergarten), und das die überflüssigen Paragrafen 103 und 104a abgeschafft werden ist zweifellos ein positiver Nebeneffekt der ganzen Sache, aber das wäre auch mit einem Nein möglich gewesen.
    Überlassen wir den Rest jetzt der Justiz.

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  5. Bin in der Frage, ob Merkel bei der Ermächtigung die richtige Entscheidung getroffen hat, nach wie vor uneins mit Dir.

    Vielleicht auch mal ganz erfrischend, in dieser Frage mit Dir auseinandergeraten zu sein.

    Also, nix für ungut! :-)

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  6. Ich bin zwar nicht immer Deiner Meinung, aber du denkst nach, bevor Du schreibst, begründest, was du sagst und bist in der Lage zu streiten, ohne die inhaltliche Ebene zu verlassen. Deswegen lese ich Deinen Blog gerne und regelmäßig- auch wenn ich nicht soo viel kommentiere, wie vielleicht andere hier. Mach einfach weiter so!

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  7. Der erste Absatz ist gut und richtig. Danach hab ich konsequenter Weise nicht mehr weiter gelesen. Na ja. Jeder darf mal daneben liegen auch wider besseres Wissen. Nix für ungut! ;)

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