Donnerstag, 26. Mai 2016

Zwölf Thesen zur Wahl vom Sonntag (2)


(Fortsetzung von Teil 1

7. Die bürgerliche Selbsttäuschung, so schlimm werde es schon nicht kommen, ist hochgradig gefährlich.

Man kann Georg Diez gar nicht genug zustimmen. Die bürgerliche Indifferenz, die Trägheit, die fehlende Entschlossenheit, die liberale Demokratie zu verteidigen, der vermessene Irrglaube, man könne eh nichts machen und so schlimm werde es schon nicht kommen, war im 20. Jahrhundert schon einmal fatal und droht es gerade wieder zu sein. Anders gesagt: Faschisten brauchen für ihren Aufstieg neben einer zerstrittenen, uneinigen Linken vor allem ein feiges, versagendes Bürgertum.

Man sollte sich keine Illusionen machen: Wie bei allen ihren Geistesverwandten in Europa, sind Teile des FPÖ-Publikums ein brutaler Mob, dem es nicht an inhaltlicher politischer Debatte gelegen ist und der verbale Gewalt bewusst zur Einschüchterung einsetzt. Als die ZIB-Moderatorin Ingrid Thurnher Hofer hartnäckig mit dessen wirren Münchhausiaden über seinen Besuch in Israel konfrontierte und sich von den üblichen Phrasen nicht beirren ließ, wurden ihr in den sozialen Netzen unter anderem "drei Afghanen und eine Vergewaltigung" an den Hals gewünscht. FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache distanzierte sich daraufhin nicht etwa davon, sondern forderte die Entlassung der Moderatorin.


8. Rechte und Rechtspopulisten sind keineswegs Wölfe im Schafspelz, die ihre Absichten verschleiern. Wer Augen hat zu sehen, der kann sehr wohl sehen. Und wissen.

Trotz seines freundlich-verbindlichen Auftretens ist Hofer alles andere als ein Wolf im Schafspelz. Er hat ziemlich deutlich gemacht, dass er es im Falle seiner Wahl als sein vordringliches Ziel gesehen hätte, bei nächster Gelegenheit die amtierende Regierung zu entlassen, Strache zum Kanzler zu machen und dass er bereit gewesen wäre, die Befugnisse seines Amtes dafür maximal zu dehnen.

Es sind Kleinigkeiten, mehr oder weniger breite Risse in ihren wohlanständigen Masken, mit denen so genannte Rechtspopulisten immer wieder durchblicken lassen, wes Geistes Kind sie eigentlich sind. Beim sonst so umgänglichen Hofer war es dieser eine Satz: "Sie glauben gar nicht, was alles möglich ist." Das war kein motivierendes "Packen wir's an!", das war unverkennbar eine Drohung. Und eine Warnung, ihn und die FPÖ auf keinen Fall zu unterschätzen in ihrem Willen, die Republik Österreich nach ihren Vorstellungen umzuformen.


9. Rechte sind bei der Nutzung sozialer Netze weit vorn.

Rechtspopulisten sind keine verbohrten Konservativen, die sich nur widerwillig mit modernen Kommunikationsmitteln befassen, sondern höchst netzaffin (in Deutschland ist die AfD die Partei mit den meisten Facebook-Followern). Sie haben die Möglichkeiten, die vor allem soziale Netze bieten, schon früh erkannt und nutzen sie gekonnt. Sie beherrschen die Codes der Netzgemeinde souverän und steuern den öffentlichen Diskurs, indem sie gezielt Provokationen streuen und nach Belieben Empörung generieren. Auch Erika Steinbach vom rechten Flügel der CDU versteht sich hervorragend darauf. 


10. Ob es einem gefällt oder nicht: Hofer hat Bewegung in die Politik gebracht.

Der Schreck des ersten Wahlgangs hat zum Rücktritt des farblosen, rückgratlosen und in jeder Hinsicht überforderten SPÖ-Kanzlers Faymann geführt. Leider geschah das nicht aus Einsicht, sondern lediglich durch den Druck der Ereignisse.


11. Es gäbe einen Lösungsansatz, der auch zuverlässig funktionieren würde. Doch hat er wohl keine Chance.

Eigentlich war schon der erste Wahlgang vor vier Wochen eine Klatsche für die etablierten Parteien und hat gezeigt, wie tief ehemalige Volksparteien sinken können. Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol von SPÖ und ÖVP, jenen Parteien also, die über Jahrzehnte das Regieren des Nachbarlandes schiedlich-friedlich unter sich aufgeteilt haben, bekamen zusammen gerade einmal um die 20 Prozent der Stimmen. Nicht nur für Österreich gilt: Wenn die etablierten Parteien jenes Vertrauen zumindest teilweise zurückgewinnen wollen, das sie an Nichtwähler und Rechtspopulisten verloren haben, dann müssen sie endlich damit anfangen, ihr Verhältnis zum Neoliberalismus grundsätzlich zu revidieren und neu über die soziale Frage nachzudenken. Die deutsche Bundesregierung indes hat sich fürs Weiterwursteln entschieden, wie schon ihr erbärmlicher Eiertanz in der Sache TTIP zeigt, diesem maximal neoliberalen Konzern-Ermächtigungs- und Politik-Entmachtungswerk. Umgekehrt heißt das, dass jede Regierung, egal wo in Europa, der immer nur mehr Agenda 2010 als Antwort einfällt, die Rechten unweigerlich noch stärker machen wird. Das wird als nächster François Hollande zu spüren bekommen. Und hinterher werden sich alle wieder die schreckgeweiteten Augen reiben, aber keine Konsequenzen ziehen.


12. Rechte sind erstmals in der Lage, aus eigener Kraft Mehrheiten bei Direktwahlen zu erzielen. Vorerst nur in Österreich, aber das kann sich ändern.

Zwar konnte der Beginn der Balkanisierung Mitteleuropas gerade noch einmal aufgehalten werden, aber es bleibt die Erkenntnis, dass Rechtspopulismus inzwischen so mehrheitsfähig geworden ist, dass ein FPÖ-Präsidentschaftskandidat auch ohne Koalitionen und Regierungsbeteiligung beinahe direkt vom Volk gewählt wurde. Das hat eine neue Qualität und ist das eigentlich Beunruhigende.



3 Kommentare :

  1. Vor allem 7 und 11 sind treffend beschrieben.Rechte haben aber auch Schwächen , vor allem haben sie ein Problem , das für sie ein unauflösbares Dilemma darstellt. Die finale Eskalation rechten Denkens ist der europäische Krieg , als Höhepunkt der Nationalisierung und der Regionalisierung.
    Dieses Mittel steht ihnen nicht mehr zur Verfügung , was Rückwirkungen hat auf die davor liegenden Vorstufen.
    Schon ist es nicht mehr der Rechtsextremismus , der Chancen hat , sondern die schwächere Form des rechten Populismus , anders als in den 30er-Jahren.
    Auch ist es höchst erstaunlich , mit welchen Werten die Rechten z.T. antreten , zumindest in Frankreich und vor allem in Holland ist es die Frage , ob das überhaupt noch stringent als rechts einzustufen ist , leider ein Punkt , der weithin übersehen wird.
    Wenn die destruktive Eskalation am Ende fehlt , macht es immer weniger Sinn , überhaupt noch auf das Ende zuzulaufen , das merkt man auch den Rechten selber an.

    Leider erkennen Linke diese Chance kaum , auch weil sie gefangen sind in einem undifferenzierten Pazifismus, der alle Kriege in eine Kiste schmeißt und dabei völlig übersieht , welche Chance für sie selber liegt in der Abkehr Europas vom Krieg.
    Aber vielleicht brauchen die Linken ja den Arschtritt von rechts , auf sachliche Kritik haben sie seit Jahrzehnten nicht mehr reagiert.

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  2. Für mich sind die Punkt 3 und 11 am spannendsten.

    Zu 3:
    Rechte Parteien erscheinen momentan als einzige ein alternatives Narrativ zu vertreten, eine andere Ideologie, wenn man so will. Das hebt die Auseinandersetzung mit ihnen auch auf eine andere Ebene. Es geht eben nicht um ein Wahlversprechen hier oder einen Punkt im Parteiprogramm dort, sondern fast immer um das große Ganze. Ein "inhaltliches Stellen" der Rechten wird nicht gelingen, es wäre von Seiten der politischen Akteure jedweder Coleuer auch gar nicht gewollt, denn auch die Vertreter der etablierten Parteien gehen vor allem auf ideologischer Ebene gegen FPÖ, AfD & Co vor. Das stärkt wiederum deren Anhänger, die sich eh schon fast in einer Endzeitstimmung wähnen.

    Ein gutes Beispiel lieferte vor ein paar Tagen die Diskussion die Annabel Schunke auf Tichys Einblick gestartet hatte. Sie (im liberal-konservativen Spektrum verortet) versuchte ihren Lesern (größtenteils Konservative bis Rechte) klar zu machen, wo sie der AfD programmatisch zustimmen könne uns weshalb sie sie trotzdem niemals wählen würde. Die Diskussion in den Kommentaren war sehr interessant. AfD teilweise gut finden und dann trotzdem nicht wählen? Das geht gar nicht! Die Emotionen kochten derart hoch, dass Frau Schunke sich zu zwei weiteren Texten genötigt sah, um ihren Standpunkt zu verdeutlichen.

    Viele Leserkommentare ließen sich auf die Aussage runterbrechen: "In Zeiten, wo uns grün-linke Ideologen bis in den letzten Winkel unser Privatleben diktieren wollen, müssen Liberale und Konservative doch Seite an Seite kämpfen. Inhaltliche Differenzen können wir dann klären, wenn der Gegner am Boden liegt."

    Soviel zu Punkt 3.

    Zu Punkt 11: Hier muss ich dir ein wenig widersprechen. Und gleichzeitig auch wieder rechtgeben. Ich stimme zu, dass das einseitige Festhalten am Neoliberalismus die großen Parteien schwächt. Allerdings, wenn das das einzige wäre, müsste doch die Linke in der Wählergunst emporschnellen wie nur was. Tut sie aber nicht, im Gegenteil.
    Interessanterweise greift die neue Rechte die TTIP-Ängste kaum auf. Schaut man in die verschiedenen Wahlprogramme, gebären sich die Rechten eher als TTIP-Befürworter, ohne dass es ihre Anhänger stört. Warum?

    Ich glaube, hier kommen die verschiedenen Perspektiven auf Politik zum Tragen. Leute, die sich politisch links verorten, schauen mehr aufs "große Ganze". Sie haben eine bestimme Vorstellung davon, wie gesellschaftliches Leben funktionieren sollte und reagieren daher sensibler auf gesellschaftspolitische Themen.

    Menschen aus dem rechten Spektrum dagegen scheinen ihren Vorgarten als politischen Indikator zu betrachten. Wenn in ihrem Privatleben alles so bleibt wie es ist,nämlich klar berechenbar und planbar, verhalten sie sich systemkonform - kommt es zu tiefgreifenden Veränderungen, revoltieren sie.
    So wie die LINKE in Reaktion auf gesellschaftliche Missstände erstarkte, so erstarken Parteien wie die AfD in Reaktion auf die Bedrohung des Privaten.

    In dieser privaten Perspektive wirken Glühbirnenverbote gewichtiger als die NSA-Affäre, erscheinen Flüchtlinge bedrohlicher als ein Freihandelsabkommen. Irgendwo (ich glaube, es war Martin Rupps' Schmidtbiographie) las ich einmal, das die Deutschen mehrheitlich ein eher konservatives Völkchen seien. Aus dem Biedermeier hätten sie nie ganz herausgefunden. Große Demokraten seien sie auch nie gewesen, allein dem Wirtschaftswunder sei es zu verdanken, dass sie sich mehr schlecht als recht demokratisches Gedankengut aneigneten. Da wäre er dann wieder, der Vorgarten.

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    1. Interessante Gedanken. In Bezug auf die Linke haben Sie die Antwort, denke ich, selbst gegeben: Zwar stellt sie als einzige die Systemfrage, kann davon aber nicht profitieren, weil die Leute da immer noch Angst um ihren Vorgarten haben.
      @ Art: In der Tat ist die Terminologie ein Problem (was Rechte sich ja auch zunutze machen): Es handelt sich eben nicht um Rechte im Sinne von Bürgerlich-Konservativen.

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