Freitag, 1. Juli 2016

Ein weiteres Jubiläum


Heute vor 100 Jahren, am 1. Juli 1916, begann die Schlacht an der Somme.

Unter englischsprachigen Historikern ist es verbreitet, das Jahr 1916 als Jahr des 'Great Slaughter' zu bezeichnen, also als Jahr des großen Abschlachtens. Vor allem die so genannte Schlacht an der Somme (wie schon im Falle Verduns habe ich meine Probleme, so ein monatelanges, blutiges Andikehlegehen noch als Schlacht zu bezeichnen) hat sich vor allem im kollektiven Gedächtnis Großbritanniens tief eingegraben.

"Wir hocken hier seit Weihnachten 1914, und in dieser Zeit sind Millionen von Männern gestorben, während wir nicht mehr Fortschritt gemacht haben als eine asthmakranke Ameise mit schweren Einkaufstüten." (Blackadder)

Seit Ende 1914 stand die Front im Westen. Alle Versuche, das Patt zu beenden, waren grausam gescheitert. Es hatte sich gezeigt, dass eingegrabene, mit Maschinengewehren ausgerüstete Verteidiger gegenüber den Angreifern einen Vorteil hatten, der sich mit keinen Menschenmassen mehr aufwiegen ließ. Also versuchte man es mit schwerer Artillerie. Die sollte die gegnerischen Stellungen so lange unter Feuer nehmen, bis möglichst kein Verteidiger mehr lebte oder sie zumindest so dezimiert waren, dass sie zu ernster Gegenwehr nicht mehr in der Lage sein würden. Ist es wirklich bloß Zufall, dass man im Mutterland des Kapitalismus und der Industrialisierung rein industriell dachte und man blinder als anderswo auf die Technik vertraute, sodass dieser Ansatz dort auf besonders fruchtbaren Boden fiel? Wenn man die deutschen Stellungen, so hofften die britischen Kommandeure um Douglas Haig, nur lange und systematisch genug und streng nach Plan zerstampfen würde, dann müsste der Durchbruch einfach gelingen. Konnte rechnerisch gar nicht anders sein.

Zumal man auch zum ersten Mal seit 1914 über ausreichend viele Soldaten für eine Großoffensive verfügte. Ursprüglich waren die Briten mit ihrem gerade einmal 100.000 Mann starken Expeditionskorps in den Krieg gezogen, einer hoch professionellen, kampferfahrenen Berufsarmee. Mehr hielt man nicht für nötig, weil man auch in Großbritannien mit einem kurzen Krieg rechnete. Irgendwann waren die Verluste des Expeditionsheeres zu stark, die zahlenmäßige Überlegenheit der Millionenheere zu drückend geworden. Eine allgemeine Wehrpflicht existierte auf der Insel mit ihrer ausgeprägten liberalen Tradition nicht. Also versuchte es Kriegsminister Lord Kitchener mit einer Mischung aus moralischem Druck und verlockenden Angeboten. Ja du! Genau du! Wie kannst du zu Hause bleiben, wenn du so dringend gebraucht wirst, du Feigling? Belegschaften, Vereinen und Nachbarschaften wurde zugesichert, dass man sie nicht trennen würde.

(Wikimedia Commons)
Mit Erfolg. Bis zum Sommer 1916 war Kitcheners Armee mit ihren 'Pals Batallions' (etwa 'Kumpelbataillone') entstanden. Da man zwar über ausreichend Freiwillige, aber über zu wenig Material und zu wenig erfahrene Offiziere für die Ausbildung der Rekruten verfügte, war der Kampfwert dieser Truppe eher gering. Böse Zungen, die wussten, was in diesem Krieg abging, nannten Kitcherners Armee einen Haufen verpeilter Grünschnäbel. Zwar war das allen irgendwie bewusst, aber man hielt das für irrelevant. Wenn es erst einmal losginge, dann würde die Artillerie alles auf deutscher Seite so zu Klump und Hackfleisch geschossen haben, dass die Infanterie einfach nur hinüberspazieren müsste. Den Rest würde der britische Sportsgeist schon richten. Was sind schon Menschen, wenn man Kanonen hat?

Angreifen wollte man in der Picardie. An der Somme, in der Gegend von Bapaume und Peronne. Zwar war es eine gemeinsame Unternehmung der Franzosen und Briten sein, aber die Briten sollten den größten Teil übernehmen. Man wollte der französischen Armee, die in dem mörderischen Schlamassel bei Verdun schwer blutete, Entlastung verschaffen. Zugleich hoffte man der deutschen Armee, die man durch den monumentalen Fehlschlag bei Verdun geschwächt sah, den entscheidenden Schlag zu versetzen. Umgekehrt aber wurde ein Schuh daraus: Verdun belastete die französische Armee so stark, dass sie ihr Kontigent an der Somme drastisch verkleinern musste.

Am 24. Juli 1916 war es so weit. 2,5 Millionen Mann und 1.500 Geschütze hatte man zusammengezogen. Eine volle Woche lang rackerten die Kanoniere rund um die Uhr, ließen viereinhalb Millionen Granaten aller Kaliber auf die deutschen Linien hageln. Akkordarbeit. Knochenmühle. Industrie des Todes. In den Gräben sagten die britischen Offiziere zu ihren Mannschaften: Seht ihr, Jungs, kein Mensch überlebt so was. Wenn unsere Artillerie mit den Hunnen fertig ist, ist keiner mehr übrig von denen. Das wird ein Spaziergang. Deckung suchen könnt ihr vergessen. Sie selbst und die Jungs glaubten es mehrheitlich. Es stimmte ja auch: So eine ungeheure Kanonade hatte es bis dahin noch nicht gegeben, nirgends. Einer der blutigsten Irrtümer der jüngeren Geschichte. Der wievielte in diesem Krieg?

Am Morgen des 1. Juli 1916 verstummten die Kanonen. Für die Deutschen, die keineswegs alle tot waren, sondern in tiefen, gut befestigten Unterständen in ausreichender Zahl überlebt hatten, das Signal, dass es losgehen würde. Den tiefen Stacheldrahtverhauen vor den deutschen Linien hatte das Artilleriefeuer mangels Angriffsfläche eh kaum etwas anhaben können. Außerdem hatten die deutschen Generäle eine Woche Zeit gehabt, Eingreifdivisionen dicht hinter der Front zusammenzuziehen. Sie sollten schnell zur Stelle sein und das Hinterland in eine Todeszone verwandeln, wenn die Briten doch irgendwo durchbrechen sollten.

Und so begann das alte grausige Ritual von Neuem: Die Verteidiger wühlten sich aus ihren zerbombten, aber intakten Unterständen, brachten die MGs in Stellung und mähten die Angreifer reihenweise nieder. Wegen der völlig weltfremden Planungen technokratisch verbohrter, inkompetenter Generäle so viele an einem Tag wie nie zuvor. Auf britischer Seite lautete die Bilanz dieses 1. Juli: Über 60.000 Mann Verluste, davon über 20.000 Tote. An einem einzigen Tag. Konseqenzen? Keine. Die Kommandierenden in ihren luxuriösen Hauptquartieren weit hinter der Front ließen weiter beschießen und angreifen, zogen ihren großartigen Plan weiter durch. Irgendwann würde der Erfolg sich schon irgendwie einstellen. Möglich war das auch, weil Haig die Verluste gegenüber der Regierung kleinlog (Haig meldete grundsätzlich nur 'Verluste' und unterschied nicht zwischen Toten, Verwundeten und Vermissten). Was für Kriegshelden!

Im November 1916 stellte man die Offensive endlich ein. Ohne Ergebnis. Die Briten hatten 400.000, die Franzosen 200.000 Mann verloren. Die deutsche Armee ca. 400.000 Mann, davon 120.000 Gefallene. Wegen des Systems der 'Pals Batallions' gab es in Großbritannien ganze Straßenzüge, in denen kein jüngerer Mann mehr lebte. Ein paar Kilometer war die Front eingedrückt, nicht einmal die Stadt Bapaume, eigentlich das Ziel für den 1. Juli, war eingenommen worden. "Nichts weiter als dummes, massenhaftes gegenseitiges Abschlachten" ("nothing but stupid mutual mass-slaughter") nannte der Militärhistoriker Basil Liddell Hart das, was 1916 in dem Schlachthaus geschah, zu dem Europa geworden war. Und damit das weitergehen konnte, führte auch das Vereinigte Königreich 1916 die Wehrpflicht ein. 

Im ehemaligen Kampfgebiet sind die Spuren dieses Blutsommers bis heute deutlich sichtbar, zahllose Blindgänger liegen noch immer im Boden. Erinnerungstourismus, vor allen aus den Ländern des Commonwealth, ist ein echter Wirtschaftsfaktor in der Region. Bereits 2013 kamen 6,2 Millionen Besucher nach Frankreich, um die alten Schlachtfelder und Gedenkstätten zu besichtigen. Seit 2014 dürften es noch einmal mehr geworden sein.




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