Samstag, 7. Januar 2017

Am Automaten


In der nahegelegenen Filiale jenes Discounters, der sich auf Ghetto reimt, haben sie einen neuen Pfandautomaten. So ein mordshochmodernes Hightech-Teil mit Touchscreen. Abwarten, dachte ich, gib ihnen noch ein paar Jahre, dann ist da ein Fingerabdruckscanner integriert und die Speichelspuren am Flaschenhals können einer DNA-Analyse unterzogen werden, deren Ergebnisse bei Bedarf automatisch an die Ermittlungsbehörden... Lieber nichts beschreien, aber diverse Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass man lieber niemals nie sagen sollte, wie's der große Philosoph Ian Fleming einst formulierte. Im Namen einer wie auch immer gearteten Sicherheit ist im Zweifel noch jede kleine Freiheit abgeschafft worden. Wir haben schließlich Terror.

Apropos Terror: Warum kommt der eigentlich immer nur in Form des islamistischen Terrors daher? Ich meine, wie es aussieht, war Anis Amris ein frei herumreisender Einzeltäter mit mehr oder weniger losen Kontakten zum IS, der seine Tat nicht von langer Hand geplant hatte. Alles andere als ein topgedrillter Killer, den man eigens geschult, gebrieft und gezielt auf Mission geschickt hat. Gibt es da nicht eher Parallelen zu Anders Breivik? Der hat immerhin 69 Menschen getötet, wenn auch nicht völlig wahllos per Lkw, sondern gezielt per Schusswaffe. Auch Breivik war Einzeltäter mit regelmäßigen Kontakt zu rechtsextremen Kreisen. Warum war da nicht von 'faschistischem Terror' die Rede bzw. von 'Rechtsterror' und davon, Gesetze zu verschärfen? Nur so ein Gedanke, ein ganz spontaner, unstrukturierter, doch man könnte durchaus ins Spekulieren geraten. Aber ich schweife ab, zurück zum Dosenpfand.

Neu war, dass man mir nach getaner Flascheneingabe die Wahl ließ und folgende Optionen anbot: "Pfandbon ausdrucken" oder "Spende für die Tafel". Wow, das kannte ich noch nicht. Ich kann mit solchen Situationen nicht umgehen. Wenn ich per moralischem Druck um Spenden angekobert werde, weiche ich in der Regel aus. Mag ich nicht, die Masche. Hier aber konnte ich nicht ausweichen. Also drückte ich auf "Spende". Scheiß drauf, es geht um 75 Cent und es gibt Menschen, die es dringender brauchen, dachte ich, wohl wissend, dass ich damit eine perverse Armutsökonomie am kacken halte, deren eine Säule das bundesweite Netz der Tafeln, eine andere das Dosenpfand ist.

Das war ursprünglich als rein umweltpolitische Maßnahme gedacht, mit der die rückläufige Mehrwegquote und die Recylingquote bei Einweggebinden erhöht, die Menschen motiviert werden sollten, leere Getränkedosen und -flaschen nicht einfach in die Gegend zu werfen. Jürgen Trittin, der das seinerzeit als Bundesumweltminister einführte, bekam kräftig Prügel für diese, wie es hieß, typisch grüne Spinnerei, wobei ignoriert wurde, dass er lediglich jene gesetzlichen Grundlagen umsetzte, die seine Vorgängerin im Amte, eine gewisse Angela Merkel, schon 1998 gelegt hatte. Dass das Pfand ausgerechet 2003 eingeführt wurde, etwa zeitgleich mit der unseligen Agenda 2010, mag Zufall sein. Wiewohl kein Teil von ihr, passt das Pfandsystem so gut dazu, dass es sehr gut eines sein könnte.

Dort, wo ich zwecks Lebensunterhalt schaffe, kommt mehrmals am Tag eine freundliche, gepflegt aussehende ältere Dame auf einem nicht minder gepflegten Fahrrad vorbei und sammelt die Pfandflaschen aus den Mülleimern. Als ich sie einmal halb im Scherz fragte: "Na, kleiner Nebenverdienst?", lachte sie und antwortete, das Pfand spende sie dem Tierheim. Das sei nicht nur ein guter Zweck, sondern sie habe so auch eine Aufgabe als verwitwete Rentnerin, sie käme aus dem Haus, bliebe fit und beweglich. Ergab Sinn für mich und gefiel mir, zumal das Tierheim in der Nähe ist. Eines nasskalten Tages sah ich von weitem, wie sie aus einem Mülleimer ein angebissenes Butterbrot fischte, sich verstohlen umsah und es aufaß. Schau an, dachte ich, nachdem ich meinem ersten Schrecken überwunden hatte, wetten, das Pfand, das sie tagtäglich sammelt, geht nicht ans Tierheim?

Auch so sieht Armut aus. Auf den ersten Blick völlig unauffällig nämlich. Weil sie sich tarnt. Aus Scham. Die Dame entspricht äußerlich, wie gesagt, in keiner Weise dem Klischee, das über Arme und Bedürftige verbreitet wird. Hat sich was mit Unterschicht wie im RTL-Nachmittagsprogramm. In einem Lesekreis oder einem Vormietekonzert würde sie ums Verrecken nicht auffallen.  Ein Grund vermutlich, warum so viele die Jubellitanei nachplappern, wie bombe es uns allen doch geht im pi-pa-properen Superdeutsch-la-la-land.

Das Dosenpfand ist vor allem eine gigantische Umverteilungsmaschine. Zurückgegeben werden nämlich nur 90 bis 95 Prozent der Trinkgebinde, den Rest teilen sich Handel und Flaschensammler. Da kommt einiges zusammen. Auf zwölf Millionen Euro belief sich 2012 der Reibach, den allein der REWE-Konzern nur mit nicht zurück gebrachten Pfandflaschen einsackte. Alle verdienen daran, bis auf die, die ihre Flaschen nicht zurückgeben. Man kann also sagen, jede nicht zurück gegebene Flasche ist entweder eine Subvention für den Einzelhandel oder eine Spende für einen guten Zweck.

Die 'Agenda 2010' hat viel Hässliches hervorgebracht und bringt es immer noch. Armut. Entrechtung. Hat Vermögen vernichtet, Biographien zerstört, Würde genommen. Hat den Sklaventreibern das Kommando gegeben, die Lebenserwartung derer gesenkt, die ihnen ausgesetzt sind. Und sie hat eine beschämende Schattenwirtschaft aus Tafeln und Pfandsystem aufblühen lassen. Was denn, der Regelsatz reicht nicht? Dann gehense doch zur Tafel! Das Pfand für das Sixpack Mineralwasser, das einen wie mich normalerweise durch die Arbeitswoche bringt, entspricht woanders ein bis zwei warmen Mahlzeiten, so sieht's aus.

(Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt übrigens eine abwechslungsreiche, ausgewogene, möglichst proteinreiche, dabei kohlenhydratarme Ernährung aus frischen Zutaten und mit hochwertigen Fetten. Nur zur Info.)

Interessant jedenfalls, auf was für Gedanken man so kommt am Samstagmorgen vor dem Automaten, an dem man bloß ein paar doofe PE-Flaschen einlösen wollte. Das neue Teil scheint schon einmal die nächste Eskalationsstufe anzuzeigen. Die Lebensmittelspenden des Einzelhandels allein reichen offenbar nicht mehr, das angebliche Win-Win-System der Tafeln am Laufen zu halten  und man sieht sich daher gezwungen, einen um Geldspenden anzugehen. Quersubventionierung nennt man das wohl.




6 Kommentare :

  1. Nunja, ich komm inzwischen auch täglich während meiner Touren bei diversen Supermärkten auf meinem Carbon-Rennrad (aus besseren Tagen...) vorbeigeritten - und schmeiße das Zeug in die Automaten, was andere aus ihren Autofenstern schmeißen. Sind das eigentlich dann Umweltverschmutzer - oder wohltätige Spender...? Jedenfalls: Inzwischen kann ich durch "langfristige Studien" die "Leergutquote" an deutschen Straßen in "Euro je 100 km" auf den Cent genau beziffern. Leider bin ich schon fast bei "Vollzeit" angelangt - um ganz zum "Profi" zu werden, reicht es dann "leider" doch nicht aus...

    Den Rest teilen sich eben nicht nur der Handel und die Sammler - du hast da nämlich die Automatenhersteller vergessen. ;)

    Einerseits isses ja toll, dass diese Spacken, die die Umwelt so "freigiebig" vermüllen (allerdings ohne "wohltätigen" Vorsatz) mit ein kleines Zubrot ermöglichen. Es sind auch oft die selben; man wird da irgendwann zum "Profiler".

    Einweg ist dabei ja weiter auf dem Vormarsch - so hat grade Coca-Cola erst letztes Jahr die 0,5- und 1,5-Liter-MW-Flaschen aus dem Programm genommen. Gut, bringt mir 10 Cent mehr - und ich krieg das Zeug überall los. Wenn ich mir dabei halt ansehe, was davon in die Natur gepfeffert wird, kann man die Regelung als gescheitert betrachten. Oder das Pfand ist noch nicht hoch genug? Einigen geht es halt wohl immer noch zu gut; wenn die dem Handel das Geld aus purer Faulheit förmlich schenken wollen; dann soll er es auch haben. Auch hinzu kommt die Blödheit vieler Verbraucher (von der viele "Eimersucher" profitieren) - die werfen ne Dose oder eine Flasche einmal in den Automaten - und wenn der dann rumzickt, wird es (Technikgläubig wie man ist) nicht einfach ein zweites Mal probiert - lässt man das Zeug halt dort. Dabei werden auch nicht wenige vom Unterschied zwischen Mehr- und Einweg total überfordert.

    "Spendentasten" kenn ich als "Semipro" schon länger, vorwiegend findet man die bei Lidl. Manch Supermarkt stellt auch einen Glaskasten daneben, in den man den Bon schmeißen kann. Ob das Geld dann wirklich wo ankommt, bleibt dem guten Glauben des Spenders überlassen.

    Achja - so am Rande: Kennt ihr diese Leute auch, die ihr gesamtes Leergut offenbar immer mindestens ein Jahr lang sammeln - und dann an gerne einem Samstag Vormittag(!) mit fünf großen Plastiksäcken (wie man sie auf Fotos aus Indien und Afrika kennt) sich einen Supermarkt aussuchen, der nur einen einzigen Automaten hat? Und das Ding dann ne halbe Stunde lang blockieren? Und ne halbe Stunde ist da noch fix; der Automat könnte ja (wie so oft) gerne auch noch rumzicken...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ohhh ja, natürlich kenne ich die. Wer kennt sie nicht? Ich denke, das sind auch nicht welche, die da drauf angewiesen sind, sondern Leute, die einen Schnitt extra machen. Wir hatten mal einen Azubi, der trank jeden Tag zwei (Plastik-) Flaschen Malzbier und warf die Dinger einfach weg. Ein Kollege hat die gesammelt, ist nach einem Jahr davon mit seiner Freundin nett essen gegangen und hat sich freundlich bedankt.

      Stimmt, jetzt fällt's mir auch ein mit den Glaskästen. Scheint so eine Richtung einzuschlagen wie in Großbritannien. Dort ist aufgrund einer der beiden guten Taten der Regierung Blair der Eintritt in allen staatlichen Museen frei (die andere gute Tat war, das Ende des Nordirland-Konfliktes aktiv zu betreiben).
      Seither wird man im Museum um Spenden gebeten. Hat man sich zu Anfang noch freundlich im voraus bedankt, heißt es mittlerweile: "Admission free, suggested donation: £5" Als ich letztes Jahr im Science Museum nicht sofort die Brieftasche zückte, bekam ich von zwei studentischen Hilfskräften einen Vortrag über die immensen laufenden Kosten des Ladens gehalten, inklusive des Vorwurfs, man werde wegen asozialer Subjekte wie mir wohl bald dichtmachen müssen...

      Löschen
    2. Nach meinen "Studien" sind das eher keine Leute, die irgendwie 'nen extra Schnitt machen, indem sie das liegengelassene Zeug anderer einlösen. Das ist meist wohl eher so ne Art "Sparen" - wenn man das Zeug ein paar Monate daheim sammelt, kriegt man dann halt irgendwann auch mal einen Großeinkauf "gratis". ;) Die Regel dürfte Faulheit sein; das Zeug wird dann erst zum Supermarkt geschleift, wenn man sonst Gefahr läuft, als Messie bei RTL 2 vorgeführt zu werden oder dafür extra einen Sprinter mieten zu müssen...

      Als "Natur"-Sammler lernt man übrigens auch die Niedertracht mancher Individuen kennen - ich hatte sogar schon Dosen, bei denen sorgfältig mit dem Messer der Barcode rausgeschnitten wurde, bevor das Ding aus dem Autofenster flog... Der ein oder andere zerdrückt und zerdreht die Dosen sorgfältig - oder reißt bei Plasteflaschen das Etikett ab.

      Nicht wenige unterschätzen dabei auch wirklich, was da für ein Betrag zusammenkommt - oder es kommt nicht drauf an. Mir würde den Betrag, den ich inzwischen zusammen habe, kaum einer glauben. Ich hab ja geschrieben, dass ich meine festen Routen habe, wo eigentlich immer die selbe Sorte Dosen zu finden sind - da hab ich dem ein oder anderen Spezi schon ein oder mehrere grüne Scheine zu "verdanken".

      Die Masche mit den aufgenötigten "Spenden" durch Schüren eines schlechten Gewissens ist ja inzwischen auch allgegenwärtig. Das ist wohl das "Charity-Prinzip" - nur von der anderen Seite her. Passt gut zur zunehmenden Pervertierung des Begriffs "freiwillig". Man denke da auch grade an die USA, wo sich viele Promis selber aussuchen, wer ihr Geld kriegt (anstatt angemessene Steuern auf ihre Einkünfte oder Vermögen zu zahlen).

      Löschen
  2. Danke Herr Rose. Eine treffliche Beschreibung von Neoliberalistan.

    Wiederaufbereitetes PET wird nach wie vor, zum größten Teil nicht der Verpackungsindustrie zugeführt, sondern Containerschiffsweise nach China gekarrt.

    Dort werden, vornehmlich billige Sportbekleidungsartikel zusammengeschustert und in alle Welt Containerschiffsweise zurück geschippert.

    Tafeln sind zum ruhigen Gewissen der Über-Vermögenden mutiert.

    "Charity" hat Georg Schramm bereits seziert und erklärt.

    Und trotzdem schustert der "mündige Wähler" immer den gleichen Wirtschaftslobbyisten öffentliche Mandate und hohe Auskommen zu.

    Weiter so...!

    AntwortenLöschen
  3. Zu Breivik: die großen bürgerlichen Lückenmedien haben damals alle sofort nach islamistischen Terror geschrien. Hier gibt es eine schöne Auflistung (mit Bildern) wie zunächst einmal berichtet wurde. Für alle war sofort klar: es waren islamistische Terroristen und die Al Quaida. Als sie dann erfuhren, dass es diesmal (leider) doch ein rechtsextremer Terrorist war, gab es keine Gegendarstellungen oder Entschuldigungen. Das Thema war schneller wieder von der medialen Agenda als eine Fussball-WM. Nazi-Terroristen passen einfach nicht in das herrschende NATO-Narrativ, nachdem der Nahe und Mittlere Osten mit "Frieden-Drohnen" von Terroristen "gesäubert"werden muss.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Interessanter Link, besten Dank.
      @Alles nur Satire: Danke. Ja, die Dimension mit der Fleeceproduktion und den Containerdreckschleudern - Globalisierung ahoi! - habe ich in der Tat noch nicht einmal gestreift. Danke für die Ergänzung.

      Löschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.