Samstag, 25. März 2017

#Shaming allerorten


"Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel." (Kurt Tucholsky 1919)

"Die deutsche Humorlandschaft ist wie eine Allee von Stromkästen in Berlin-Mitte: Irgendeiner ist immer angepisst." (Micky Beisenherz 2017)

Sicher, die paranoide Wahrnehmung, als Otto Normalmensch auf Schritt und Tritt von einer linksgrünen Gedanken- und Wörterpolizei umstellt zu sein, die wegen eines jeden falschen Wortes, egal aus welchem Grund und in welchem Zusammenhang geäußert, auf Hexenjagd geht, ist normalerweise heillos überzogener Blödsinn. Wer sich auch nur kursorisch durch so genannte Soziale Netzwerke, Kommentarspalten und anderes klickt, erkennt leicht, wie problemlos es möglich ist, so ziemlich jeden rassistischen, misogynen oder sonstwie menschenfeindlichen Dreck zu kübeln, ohne etwas befürchten zu müssen deswegen. Außer natürlich, man stellt sich dabei ganz besonders extrablöd an.

Wiewohl es natürlich kein Grundrecht gibt auf Beleidigen, scheint es andererseits in Deutschland schon eine gewisse Tradition zu haben, vor allem Humoriges - s.o. - sofort persönlich zu nehmen und pikierte Vorträge zu halten darüber, was gefälligst lustig zu finden sei und was nicht. Aus höchst eigenem Angepisstsein das universelle Recht für sich abzuleiten, anderen aus einem Gefühl der moralischen Überlegenheit heraus das Wort abklemmen zu dürfen. Das war auch schon der Fall, lange bevor die Welt sich online tummelte. So erinnere ich mich, wie während eines Radioberichts zu den Paralympics 1992 ein Nachwuchsmoderator im Vormittagsprogramm einen Spruch losließ, der witzig sein sollte, in Wahrheit aber ein wenig daneben war. Es ging, glaube ich, um Medaillengewinner, die während der Siegerehrung einfach sitzen geblieben sind.

Daraufhin wurde der WDR mit empörten Zuschriften, Anrufen und sogar mit Strafanzeigen bombardiert, kam es also zu dem, was heute gemeinhin Shitstorm genannt wird. Das Interessante war nun, dass kaum einer der Empörten, so weit sich das herausfinden ließ, selbst behindert war, sondern dass fast alle sich bloß ungefragt zu deren Fürsprechern aufgeschwungen hatten.

Der Vorsitzende eines Behindertenverbandes, mit dem man sich ein paar Tage später über die Sache unterhielt, meinte, das sei ein vertrautes Phänomen. Man müsse durchaus unterscheiden zwischen echter Diskriminierung, wie man sie im Alltag in der Tat zigfach erlebe, und misslungenen Humorversuchen, die ihren Urhebern in der Regel sofort leid täten, wenn man sie darauf anspräche. Letztere seien normalerweise kein Problem, und wenn doch, dann äußerten die Betroffenen sich schon ganz ohne fremde Hilfe dazu. Außerdem seien auch Behinderte durchaus zu Humor und Selbstironie fähig. Der Kampf gegen die reale, oft ganz beiläufige Diskriminierung im Alltag aber sei eine ganz andere Nummer, bei der man wirklich Hilfe bräuchte, sie aber nur selten bekomme.

"'Kommen ein Jude, ein Palästinenser und ein Nazi in eine Bar. Sagt der...' - 'Halt! Moment! Warum sitzt da keine Frau mit am Tisch!!!' […] Fünf Minuten lachen, fünf Tage lesen, warum man das aus humorarchitektonischen Gründen nicht darf. Stellen Sie das Schenkelklopfen ein - der HÜV hat es nicht abgenommen. Da fehlt ja auch total die Metaebene. […] Der Deutsche Michel ist zum Timm Thaler mutiert - kommt sich dabei aber wenigstens sehr wichtig vor." (Beisenherz, a.a.O.)

Ich lernte damals eine wichtige Lektion: Die lautesten Empörer und angeblichen Streiter für angeblich oder tatsächlich unterdrückte Minderheiten führen meist bloß oberflächliche, weitestgehend nutzlose Stellvertreterkriege. Vor allem aber nehmen sie Minderheiten in Beschlag, um sich selbst als moralisch besser zu stilisieren. Den Betroffenen hilft das kaum, im Gegenteil. Es entmündigt sie in Wahrheit sogar, weil man mal eben meint, sich ungefragt für sie einsetzen zu müssen, obwohl die das normalerweise gut selbst entscheiden können und auch in der Lage sind, andere selbstständig um Unterstützung zu bitten, wenn das nötig sein sollte.

Daran muss ich gelegentlich denken, wenn ich mitbekommen, dass auch mehr oder minder akademische Zirkel, es inzwischen als ihre vornehmste Aufgabe anzusehen scheinen, sämtliche Online-Kommunikation auf irgendwelche verbale Kackscheiße abzuscannen und mit meist englischsprachigen Fachbegriffen zu brandmarken, immer öfter im stylish-fashionablen #hashtag-Look.

#sexism
#racism
#fatshaming
#bodyshaming

#lookism
#speciecism
#ableism
#ageism
#gaslighting
#mansplainining
#kiddieshaming

Was vergessen? - #forgettism

Inhaltlich ist das ja nicht völlig abwegig. Natürlich kann man diskutieren und sollte das auch, ob es die Welt irgendwie zu einem besseren Ort macht, wenn alle sich andauernd und ungefiltert jede erdenkliche Bosheit an den Kopf werfen und das für völlig normal halten. Nur bekommt die intellektuelle Schwerstleistung, auf Stichwort irgendwelche, aus dem Internet heruntergeladenen kryptisch-trendigen Termini zu hupen und maßlos entrüstete Moralpredigten zu halten, zur Not auch eine dressierte Robbe hin, die Bälle auf der Nase balancieren und dazu mit den Flossen patschen kann.

Mag sein, dass ich altmodisch bin, aber gerade von akademischen Zirkeln meines Vertrauens, vor allem im geistes- und sozialwissenschaftlichen Metier, erwarte ich ein bisschen mehr als das. Zum Beispiel, sich etwas tiefergehend und jenseits simpler Gut-Böse-Muster bzw. schwarz-weißer Täter-Opfer-Diskurse mit Fragen nach dem Warum zu befassen, also etwa, wieso wieso eigentlich Gesellschaften unter den Bedingungen eines heißgelaufenen Kapitalismus im Endstadium offenbar solche Verhaltensweisen hervorbringen. Vermutlich ist das unter den herrschenden Verhältnissen zu viel verlangt.

"Der heutige, steil aufstrebende, sich final optimierende Mensch betet die auf Festplatten angehäuften Informationsmüllberge an und ist dumm wie Bohnenkraut. Daß Denken Zeit verlangt, Pausen, Ruhe, Muße, 'Negativität', davon hört er nichts mehr läuten." (Stefan Gärtner/Jürgen Roth: Benehmt euch!, S. 99)

"Wie eine böse Karikatur wiederholen die Bürgerkinder die Leben ihrer Eltern, machen sich auf den gleichen Weg wie einst die 68er, ein Weg, an dessen Ende Hartz IV, protestantische Arbeitsethik, Krieg und wieder nur Gefängnisse aller Art standen, nur überspringen die heutigen Bürgerkinder die von den 68ern doch geleistete Arbeit an der Verbesserung der Lebensumstände durch soziale Reformen gleich ganz und landen nach einer kurzen Zeit hyperradikalen Geschwätzes in den Institutionen, wo sie die in Sekten und Banden erlernten Ellenbogen-Skills zum eigenen Fortkommen einsetzen." (Bernhard Torsch)


Vielleicht ist das alles also bloß das, was dabei herauskommt, wenn man Bildung zum bloßen Werkzeug herabwürdigt, zu einer Ansammlung von Skills eindampft, Universitäten a'la Bolognese zusammenstutzt und Studierende zu Ich-AGs trimmt. Mehr als anglophone, wichtig klingende, auf '-ism' und '-ing' endende Schubladenfloskeln quaken ist halt das, was man noch erwarten kann von Leuten, die das Stahlbad aus Creditpoints und Workloads durchlaufen haben. Sie lernen's halt nicht mehr anders.



2 Kommentare :

  1. Was ich zwischen Deinen Zeilen lese ist die Kritik an der Zerstrittenheit der Linken. Ich habe mich auch schon mehrfach drüber ausgelassen.Ist nicht schön, muss man aber feststellen. Ich habe es schon erfahren, was sich da Trennendes hervortut. Nichts ist albern und nichtig genug, um sich nicht auf's Blut drüber zu streiten.
    Aber die Neoliberalen marschieren Seit an Seit. Sozialabbau, weniger Staat, mehr Markt.
    Die lachen über die Linken, die sich darüber streiten, ob man noch links ist, wenn man Leder trägt, ober 'Das Kapital' nicht gelesen hat.

    Du führst 'Das Narrenschiff' in Deiner Blogroll, der extremst rechthaberisch seine Gülle auf andere giesst. Natürlich nur in linker Richtung.
    Bei Bedarf poste ich Dir Beispiele dafür.


    Du musst selbstverständlich nicht Deine Blogroll vor mir rechtfertigen.
    Aber das Narrenschiff betreibt genau das, was Du zwischen den Zeilen Deines Textes, bedauernd feststellst.

    Auch meine Zeilen sind ein Zeugnis über die Zertrittenheit der Linken. Möglicherweise lassen meine Zeilen uns auch in Streit geraten.
    'Wir'Linken sind momentan einfach zu zerstritten um wirklich Opposition bilden zu können.
    Muss man einfach mal so feststellen.

    Aber, die Hoffnung stirbt zuletzt...

    Solidarische Grüße
    Duderich

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    1. Es geht mir auch weniger um die Zerstrittenheit der Linken, obwohl selbige natürlich - Volxfront von Judäa! - Spitzenkandidatin ist in der Disziplin, sich selbst zu zerfleischen, das ist schon richtig. Ich glaube nur, dass es gar nicht so sehr um Linke geht. Was ist z.B. links an einem Feminismus, dessen vordringliches Ziel es bloß ist, Frauen in die gleichen Ausbeuterpositionen zu bringen wie Männer?

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