Freitag, 31. März 2017

Unterste Schublade


Die Tage ein Anruf beim notwendigen Übel, a.k.a. Versicherungsmann. Ein nicht ganz billiges Fahrrad galt es gegen Diebstahl zu versichern. Ich bin da gebranntes Kind. Von Kind auf nämlich haben mich, wie viele andere, Fahrräder durchs Leben begleitet. Meist waren das eher Solala-Räder, manchmal nicht. Mein letztes Nicht-Solala-Rad hatte ich als Student. Ein Crossbike, Modell Giant Custom Lite. Von einem Teil des Betrages gekauft, den mir Oma selig hinterlassen hatte. Nach gerade einem halben Jahr fand ich gegen Mitternacht das nicht billige Schloss, das ich eigens dazu besorgt hatte, durchgeflext auf der Straße vor der Kneipe vor, das Rad war weg. Als ich pflichtschuldig Anzeige gegen unbekannt erstattete, meinte der freundliche Polizeibeamte, es handele sich vermutlich um professionelle Banden, wahrscheinlich aus Osteuropa, die auf Bestellung arbeiteten. Und versuchte dabei, so unrassistisch wie möglich zu wirken.

Arglos wie ich war, hatte ich es nicht für nötig gehalten das Rad extra zu versichern. Hey, ich hatte schließlich eigens ein nicht billiges Schloss dazu besorgt. Dummer Junge, dummer! Und so bekam ich von der Hausrat einen lächerlichen Betrag erstattet. Den nahm ich, um ein günstiges Gebrauchtrad zu kaufen. Das wurde dann, ebenfalls trotz Bügelschloss, wieder nach ein paar Wochen entwendet. Ich ward für ein paar Jahre bedient von der Radelei und fuhr ÖPNV. Wozu hatte ich mein Studententicket? Den Fehler wollte ich nicht wiederholen.

Normalerweise bin ich bereit, für so einiges an Kriminalität zumindest Verständnis aufzubringen. Ich plädiere auch dann noch tapfer für Resozialisierung, zweite Chancen und weise auf gesellschaftliche Umstände hin, wenn alles um mich Rübe ab, Steinbruch oder ewiges Wegsperren fordert. Oder Verstümmelung. Fahrraddiebstahl aber ist einer dieser Punkte, bei denen auch bei mir der Spaß aufhört.

Mag sogar ein Kinderschänder im Einzelfall noch irgendwie eine tragische Figur sein, gehören Fahrraddiebe, Ladri di biciclette, auf meiner persönlichen Liste zusammen mit Frauenschlägern, Menschenhändlern und Kinderanfixern zur Kategorie der echten Arschgeigen unter den Kriminellen. Fahrräder klauen ist deswegen so mies, weil es meist nicht um Luxus geht, sondern dass Menschen ihren einzigen und letzten kostbaren Besitz verlieren, schlimmstenfalls ihr letztes bisschen Mobilität. Das ist wie Welpen treten, Kinder misshandeln oder armen Rentnerinnen die Handtasche klauen. Klar, es gibt Leute, die vielleicht nicht wissen, wohin mit ihrer Kohle und die es auch sonst nötig haben. Die sammeln Vintage-Bikes oder kaufen sich Karbonenes zum Preis eines (neuen) Kleinwagens. Um solche geht es nicht, sondern um die vielen anderen.

Die hängen meist von ganzem Herzen an ihrem Drahtesel. Meine getreue Gazelle hat inzwischen fast 40 Jahre auf dem Buckel und wird, geschissen auf Wirtschaftlichkeit, behalten und so lange repariert, bis der Rahmen sich irgendwann auflösen wird. Mag man das noch als Romantik oder höchstpersönlichen Spleen abtun, ist, weit wichtiger, ein Fahrrad für viele, wie gesagt, die einzige Möglichkeit, einigermaßen mobil zu sein, einer Arbeit nachgehen zu können, sich überhaupt irgendwie Bewegung zu verschaffen und daher fast so wichtig wie ein Dach über dem Kopf und was zu essen. Weil Sozialtickets vielerorts abgeschafft sind und eine Monatskarte vom Regelsatz nicht finanzierbar ist. Weil anderweitig Sport machen meist mit Kosten verbunden ist. Ich bleibe dabei: Fahrräder zu klauen, egal wie und warum, ist menschlich allerunterste Schublade. Erwische ich so jemanden in flagranti, dann könnte es passieren, dass ich ernsthaft sauer werde. Sehr ernsthaft. Über die Maßen. Und ich lehne Gewalt eigentlich ab.

Und komme man mir bitte bloß nicht damit, Fahrraddiebstahl zum Akt sozialer Notwehr zu stilisieren. Ich behaupte, dass niemand, der dringend ein Fahrrad braucht, deswegen eines stehlen muss. Dieses Wegwerfland erstickt förmlich in hervorragend nutzbarer Alt- und Gebrauchtware. Überall gibt es Händler, die günstige Gebrauchträder führen und eventuell auch über Ratenzahlung mit sich reden lassen. Eben weil Fahrräder in vielen Fällen lebensnotwendig sein können, gibt es in jeder größeren Stadt gemeinnützige Initiativen, die entsprechend Bedürftigen ein gebrauchtes oder aufgearbeitetes Rad kostenlos oder gegen kleines Geld überlassen. Auf dem Land, wo man sich überwiegend kennt, dürfte es irgendwo immer jemanden geben, der jemanden kennt, der was älteres zum Aufarbeiten im Schuppen stehen hat. Fahrräder zu klauen, egal warum, ist also nicht nur widerwärtig, sondern auch unnötig.

Erst recht komme man mir nicht damit, das sei ein klaglos hinzunehmender, da unvermeidlicher Teil eines total ungezwungenen, modernen, voll unspießigen Großstadt-Lifestyles. Klar, so wie Hauseingänge vollpissen oder -kotzen, aggressives Betteln, werktags nachts um drei Wohnungspartys veranstalten oder Kleinselbstständigen den Lieferwagen zu verwüsten, nicht wahr? Coooool! Nein, Schätzchen, hättest du wohl gern! Unzivilisiertes Verhalten wird nicht dadurch weniger unzivilisiert, weil es in der Großstadt passiert.

Die Tage rief ich also den besagten Versicherungsmann an, der es ist, weil er nicht übermäßig wuchert, mich nicht unaufgefordert mit Angeboten behelligt und weil wir damals gemeinsam die Schulbank gedrückt haben, weswegen ich die möglicherweise naive Hoffnung hege, er würde, wenn es einmal hart auf hart kommt, nicht allein Geschäftsmann sein. Ich erfuhr, dass meine Hausratversicherung durch das Rad gute 20 Prozent teurer würde. Als ich meinte, das sei aber durchaus ein wenig happig, um nicht zu sagen, ein ordentlicher Schluck aus der Pulle, entgegnete er bloß: "Was glaubst du denn? Hier sitzt jede Woche mindestens einer auf dem Stühlchen, der sein geklautes Fahrrad ersetzt haben will." Na danke sehr.

Von einem GPS-Tracker hatte der Händler übrigens abgeraten. Die meisten Räder, die auf diese Weise wieder ausfindig gemacht werden, sind vandalisiert und der stolze Besitzer steht dann mit einem Wrack da. Also Finger weg. Folgekosten also, einmal mehr. Weil Fahrräder klauen ja so ein Kavaliersdelikt ist. Mit dem man sich gefälligst abzufinden hat. Wer ein Auto kauft, zahlt nicht nur den Kaufpreis, sondern die nächsten Jahre über nicht nur Kraft- und Schmierstoffe, sondern auch Inspektionen und Reparaturen. Wer sich rasieren muss, zahlt lebenslang für teure Klingen. Ebenso wer sich die Zähne elektrisch reinigen will, für Bürstenköpfe. Sein Fahrrad versichern zu müssen ist bloß ein weiteres schönes Beispiel dafür. Was ich sagen will: Ich find Fahrraddiebe einfach scheiße.



4 Kommentare :

  1. Also, es gibt bestimmt Situationen, wo man ein Fahrrad klauen muss, auch wenn's scheiße ist. Ich denk mir hier jetzt kein Szenario aus, aber sowas kommt vor. Damit hätten wir ungefähr einen von 100.000 Fahrraddiebstählen abgedeckt. Für die restlichen 99.999 gebe ich Dir recht - Fahrräderklauen ist einfach scheiße.

    Es soll ja Möglichkeiten geben, das Risiko zu minimieren. Gebrauchträder nehmen, technisch einwandfrei, aber eben nicht das Allerneueste, wo sich das Ausschlachten einfach nicht lohnt. Auf alt trimmen - Paketband auf den Rahmen, nach zwei Wochen abziehen, dann Staub draufreiben, ein verbogenes Schutzblech dran, die Lampe schief hängen lassen, so Sachen. Keine Ahnung, ob's wirklich das Risiko senkt, klingt aber einigermaßen plausibel.

    Mein Drahtesel ist ein ehemalig nicht ganz billiges Gerät, dass durch rudimentäre Pflege langsam an die Grenzen seiner Dienstzeit kommt. Ein Drahtzug der Schaltung ist mir gerissen, und weil es (Suntour!) keine Ersatzteile mehr gibt, habe ich das Ding mit Draht, einem abgeknipsten Nagel und Heißkleber wieder an den Schalthebel gemogelt. Ziemlich sichtbar. Und das solide, aber ziemlich verratzte Kryptonite-Schloss aus den 90ern hat mittlerweile fast eine Art Steampunk-Charme. Und dann die bis aufs Garn abgefahrenen Mäntel - das Ding klaut mir keiner. Ich warte nur drauf, dass mir mal wer den alten abgewetzten (nur von unten gepflegten) Brooks-Sattel abbaut.

    Ich mag diese runtergerittene Schleuder jedenfalls, von daher gebe ich Dir recht: Fahrraddiebe sind - mit der einen Ausnahme - einfach scheiße.

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    1. Nun, wenn ich intensiv genug recherchiere, dann könnte ich vielleicht sogar ein Szenario konstrurieren, in dem es gerechtfertigt sein könnte, eine Wasserstoffbombe zu zünden. Spaß beiseite, der rationale Grund, meinen alten Holland-Roller zu haltren, ist, damit ein Gefährt zu haben, das weniger attraktiv für Diebe ist. Zumal der hiesige Gebrauchtfahrradhändler letztes Jahr leider den Betrieb eingestellt hat...

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  2. Radklau ist wirklich unschön... Da ist es einmal mehr ein "Glück", in einer ländlichen Gegend zu wohnen, in der nur sehr wenige Menschen mit dem Rad fahren; dementsprechend gibt es auch keine kriminelle "Szene", die sich da regelrecht drauf spezialisiert hätte. Lohnt sich hier einfach nicht; alles fährt Auto...

    Da geht höchstens mal nebenbei eins mit, wenn z. B. in einen Keller eingebrochen wird. So ist mir damals (da war ich glaub ich so um die 16) mein bislang einziges Rad gestohlen worden.

    Da es grade gut passt - bei uns muss man sogar nur in die Straßengräben kucken; gestern fiel mir ein (von einer rostigen Gabel mal abgesehen) an sich noch brauchbares Jugend-MTB (u. a. mit Hydraulikbremsen, gute Felgen, Reifen neu) auf - was dort einfach über die Leitplanke "entsorgt" wurde...

    Viel machen kann man dagegen leider wirklich nicht; höchstens wo abschließen, wo viel "Verkehr" herrscht und es auffallen würde, wenn man da mit dem Bolzenschneider rumwerkelt. Ich stell meine beiden Räder inzw. auch grundsätzlich nur noch daheim in der Wohnung ab.

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  3. ich bin kein roboter5. April 2017 um 21:11

    Dazu passt:
    Kraftklub - Mein Rad

    https://www.youtube.com/watch?v=wPvZTxjrOBw

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