Samstag, 4. November 2017

Warum immer reden?


Jetzt, gut siebzig Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, da die, die ihn noch erleben mussten, nach und nach leiser werden, bis sie bald ganz verstummen werden, geht der politische Diskurs in Deutschland ungefähr so: Mögen Rechte provozieren, pöbeln, prügeln, morden, brandschatzen gar, die wahre Gefahr geht von Linken aus. Denn die wollen irgendwie alle enteignen, zünden Autos an und sind derart arrogant und von Hass zerfressen, dass sie besorgten, allein von Sorge ums deutsche Vaterland getriebenen Bürgern roh das Gespräch verweigern. Man müsse mit Rechten reden, so lautet der momentan durchs Dorf getriebene Imperativ, als handele es sich um ein paar Lausejungs, die etwas ausgefressen haben. Aktuell wird das per Buch ventiliert von Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn, die einen 'Leitfaden' zum Thema verzapft haben.

Warum? Seit wann muss ich neuerdings jeden Mist mitmachen? Was gibt es zu diskutieren mit erwachsenen Leuten, deren Wortschatz sich erschöpft in rassistischen Hassparolen und solchen, die auf "... muss weg!" und "...raus!" enden? Was habe ich groß zu reden mit welchen, die unbedingt welche brauchen, die noch schlechter dastehen als sie, damit sie denen in die Schuhe schieben können, dass sie ihr Leben nicht in den Griff bekommen? Was soll ich denn diskutieren mit jemandem, der mir allen Ernstes erzählt, es sei von der Natur so vorgegeben, dass jedes Völkchen möglichst reinrassig sein angestammtes Fleckchen Erde bewohne? Klar, solches Gedankengut lässt sich nicht verbieten, aber die Freiheit, das Mumpitz zu finden und mit humanistischen Werten unvereinbar, hätte ich schon noch gern.

Ist es nicht besser, weil ehrlicher, diejenigen, die sich ins Abseits stellen, auch so zu behandeln? Gehört zum Disktutierenkönnen nicht auch, zu wissen, wann man mal aufhören muss zu diskutieren? Weil es nichts mehr bringt, die Gegensätze fundamental und unüberbrückbar sind. Ich habe immer wieder gute Erfahrungen gemacht damit, zu sagen: So, hier ist ein Punkt erreicht, an dem wir politische Gegner sind. Ich sehe keine Möglichkeit, dass wir uns da einigen. Also lassen wir es. Dank Paule Watzlawick wissen wir: Nicht kommunizieren ist unmöglich, auch die kalte Schulter zeigen, ist daher Kommunikation. Manchmal muss das reichen. Man kann auch zu viel reden.

Sollen sie halt von "Zensur" jammern und von "Ausgrenzung" - das tun sie sowieso immer, ist Teil ihrer Strategie, die Opfernummer haben sie perfektioniert. Sie fühlen sich schon "verfemt" und "mundtot gemacht", wenn jemand anderer Meinung ist als sie. Bürgerrechte heißt, das im Grundgesetz Verbriefte zu garantieren. Von einem Menschenrecht, immer, überall und für alles Gehör und Akzeptanz zu finden und ein Forum zu bekommen, ist nirgends die Rede.

Der Forderung, mit Rechten zu reden, enthält im Subtext die fatale bürgerliche Selbsttäuschung, man könne Rechte im öffentlichen Raum mittels Diskussion stellen. "Nichts Schlimmes kann geschehen, so lange alle sich gepflegt austauschen und keiner laut wird. [...] Die Nazis sollten doch erst mal ihre Argumente vorbringen, dann werde die Öffentlichkeit sie schon vernünftig erwägen und deren Widersinnigkeit erkennen, so die dahinterstehende Ideologie.", so karikiert Leo Fischer dieses Denken. Nein, werden sie natürlich nicht. Klar, ermutigende Beispiele wie das von Heidi Benneckenstein zeigen, dass es durchaus möglich ist, im persönlichen Umgang mit einzelnen, wenn der Druck der Peergroup weg ist, Denk- und Reflexionsprozesse anzustoßen. Die können dann irgendwann tatsächlich dazu führen, dass einzelne sich abwenden von der Szene. Im öffentlichen Diskurs halte ich das dagegen für utopisch.

"Ihnen Gespräche anzubieten, sie gar in eine gemeinsame Pressestrategie einzubinden, sorgt nicht für ihre Beruhigung oder Verbürgerlichung. Keine bürgerliche Demokratie kann die Versprechen aufwiegen, die der Nationalsozialismus den Leuten macht; kein noch so schlaues Gegenargument kann dem tobenden Irrsinn eines Sportpalasts Einhalt gebieten." (Fischer, ebd.)

Nicht zuletzt liegt dem Redeimperativ die alte bildungsbürgerliche Selbstüberschätzung zugrunde, das Bewusstsein, dem rechten Gesindel intellektuell überlegen zu sein und es daher kontrollieren zu können. Das haben die Vorgänger dieser Leute schon 1933 gedacht, als sie Hitler die Reichskanzlei überließen. Sie dachten, sie könnten diesen Schreihals als nützlichen Idioten für ihren viel dringenderen Kampf gegen Links einspannen. Was sollte schon schief gehen? Ich bitte Sie, der Mann hat doch noch nicht mal Abitur! Und als die Sache dann zwölf Jahre später mit dem bekannten Ergebnis schiefgegangen war, machten Sie große Augen und faselten sich was zusammen, von wegen, ihr superanständiges, kultiviertes Deutschland sei schnöde und unerwartet von einer Verbrecherbande gekapert worden.

Es gibt übrigens sehr wohl Anlässe, und zwar nicht nur in Deutschland, die zeigen, wie grandios Leo/Steinbeis/Zorn mit ihrem Kalkül danebenliegen. Ihr Buch passe wunderbar in die Zeit, so jubelt's teils im Föjetong. Tut es offensichtlich. Nur auf keine gute Weise.



11 Kommentare :

  1. Interessanter Artikel.
    Ist nicht das eigentliche Problem, daß auch hier in der öffentlichen Debatte wieder nur in "entweder oder" gedacht wird? Entweder gar nicht reden oder gleich alles als Argument akzeptieren?
    Jahrzehntelang wurde jeder als rechts verunglimpft, der "rechte" Themen auch nur ansprach, v.a.Migration.Wer dabei gar auf Probleme verwies, war ein Nazi.

    Dadurch wurde das Schwert der Einstufung als "rechts" stumpf und unglaubwürdig, und wirkt heute nicht mehr, wenn es tatsächlich gebraucht wird.

    Es geht nicht darum, sich pauschal für oder gegen das Reden mit Rechten zu entscheiden. Wir müssen weg von dieser Haltung, daß alles, was Rechte sagen, automatisch falsch oder menschenverachtend sei. Das ist es nicht, und mit Verlaub, auch in allen anderen Richtungen gibt es inakzeptable und faschistische Denkweisen, Stichworte Neoliberalismus, Feminismus und Migration.
    Reden? Auf jeden Fall ja, und erst diese Bereitschaft gibt einem selber die Glaubwürdigkeit, zu sortieren, was diskussionsfähig ist und was nur noch Abgrenzung zuläßt.
    Reden über ausnahmslos alles?
    Nein, wo steht denn bitte geschrieben, daß die Option der Abgrenzung nicht Teil einer offenen Debatte sei? Das scheint mir kein Problem der offenen Diskussionsweise zu sein, sondern eher ein Mißverständnis unserer Zeit darüber, wie eine solche zu gestalten sei.

    Volle Zustimmung zur Analyse des Totalversagens der konservativen Eliten von Weimar. Einspannen ist aber eben nicht Reden, die haben nicht die Auseinandersetzung, sondern die Anbiederung gesucht. Nicht den scharfen demokratischen Diskurs, sondern, siehe Artikel, eigene Machterhaltung.

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    1. „... wurde das Schwert der Einstufung als ‚rechts‘ stumpf ...“ – es ist deshalb stumpf, weil die usprüngliche 68er-Bewegung mit der Selbstbezeichnung „Links“ in den Institutionen angekommen ist und anstelle gesellschaftlicher Verbesserung auf Sicherung ihrer Besitzstände achtet.

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    2. @Wolf-Dieter Busch
      Auf die 68er würde ich das nicht pauschal schieben, da sind auch alternative "78er"(AKW-und Umweltbewegung) dabei, oder geistig demente Antifaschisten.
      Nicht zu vergessen, diejenigen, die gerade erfolgreich die Reste der Bürgerrechtsbewegungen abwickeln, im Namen der Idenditätspolitik.

      Stimme aber dem Prinzip eindeutig zu, es geht um Besitzstandswahrung.
      Die schlimmsten dabei sind diejenigen, denen das System nichtmal einen guten Job rüberschieben muß, die das quasi für lau machen, um den Lautsprecher markieren zu können in dem versifften Abstellraum, den ihnen das System noch gnädigerweise überläßt.
      Die schlimmste Form der Korrumpierung, die die auch noch billig ist.

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    3. @Art – werde ich dir widersprechen?

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  2. @ Art Vanderley: Mit Verlaub, aber Dein Kommentar ist debiler Bullshit. Ich habe in all den Jahren, in denen ich bewusst denke, noch nie von einem Nazi eine bedenkenswerte Äußerung gehört. Rechtsradikale sind Menschenfeinde und reden (und denken) entsprechend menschenfeindlich. Da gibt es nichts, das man zwischen Schwarz und Weiß in irgendwelche Grautöne kleiden könnte. Oder möchtest Du hier auch das leidige Thema der "Obergrenze" anschneiden, während Du in Dein Steak beißt, den SUV in der Garage parkst und ein Fläschchen Rotwein öffnest ("denn Du hast Dir das schließlich verdient")?

    Das hat auch nichts mit "Pauschalurteilen" zu tun, sondern mit einem Bekenntnis: Entweder bist Du Humanist, oder Du bist ein Menschenfeind. Dazwischen gibt's nichts.

    Stefan hat die Parallele zur Weimarer Zeit gewiss nicht leichtfertig gezogen. Heute steht exakt dieselbe Entscheidung wieder an - es ist zum Davonlaufen, dass heute noch viel mehr Menschen nicht nur nicht erkennen, dass Kapitalismus und Faschismus zwei Worte für dieselbe Haltung sind, sondern allen Ernstes wieder einmal glauben, dass der "bürgerliche" Faschismus den "echten Rechten" schon Einhalt gebieten werde. Mit Nazis reden zu wollen ist in etwa so sinnvoll wie ein Fläschchen Parfüm in eine Jauchegrube zu schütten.

    So tönt es heute aus der "bürgerlichen Mitte":

    "Der grüne Berlin-Mitte-Bürgermeister Stephan von Dassel ließ mit großem Tamtam und flankiert von Interviews verlauten, dass '50 besonders aggressive' osteuropäische Obdachlose den Tiergarten verdrecken würden. Er forderte Abschiebungen nach Polen. (...) / 'Die Ratten kann man nur bekämpfen, wenn die Menschen weg sind', sagte die Pressesprecherin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Sie ließ eine 'Räumung aus hygienischen Gründen' anordnen."

    Hier muss man aufstehen, die Faust heben und laut "Nein!" sagen - weiteres Reden ist hier weder erforderlich, noch sinnvoll.

    Liebe Grüße!

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  3. @Charlie
    Die Obergrenze muß sein, damit nicht diese ganzen Sozialschmarotzer ins Land kommen, um sich in die soziale Hängematte zu legen und uns mit ihren Bakterien zu verseuchen.
    Sollen sie lieber ihr Land wieder aufbauen, haben wir ja schließlich auch gemacht, mitten im Bombenhagel. Weicheier!!
    Mit meinem SUV bin ich leider sehr unzufrieden, wahrscheinlich wurden die Teile aus irgendeinem unterentwickelten Land geliefert, wo sie nicht richtig arbeiten wollen, den westlichen Arbeitgebern aber trotzdem die Haare vom Kopf fressen. Faules Pack.

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  4. Reinrassig das eigene Fleckchen Erde bewohnen,geht nicht mehr; der Morgenthau Plan wird bei uns seit "wir schaffen das" umgesetzt.

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    1. Das mit dem Morgenthau-Plan ist so großartig verpeilt, da muss man gar nichts zu sagen.

      Aber zur Reinrassigkeit ein paar Worte: Um "reinrassig das eigene Fleckchen Erde bewohnen" zu können müsste man überhaupt erstmal reinrassig sein. Kein Deutscher ist "reinrassig", wie immer man das im Detail definieren mag, wir sind alle eine bunte Promenadenmischung, seit die bunt zusammengewürfelten Indoeuropäer in Europa aufkreuzten und dort alles assimiliert haben, was nicht schnell genug auf den Bäumen war (und die vorgefundene Bevölkerung hatte sich ihrerseits mit so ziemlich allen vermischt, auf die sie trafen, einschließlich Neanderthaler u.ä.), da ist nirgendwo auch nur ein Quäntchen "Reinrassigkeit" in Sicht.

      Und seit der Völkerwanderung ist es ja auch nicht ruhiger geworden, da hat sich wenig "gesetzt" mit all den kriegs- und pestbedingten Entvölkerungen und Migrationsbewegungen usw.

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  5. Zu Sozialschmarotzer/Osteuropäische Obdachlose/(Berlin)Weshalb erhalten diese Leute nicht gratis Sterilisationen ,natürlich "freiwillig".Steri gegen Sozialhilfe wäre ein super Deal.

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  6. @Hermann: Ja, sicher, natürlich. Sagen Sie mal: Sind Sie nach dem gleichnamigen Denkmal benannt? Das ist auch innen hohl.
    @Rainer: Spitzenidee! Und als nächstes wieder ein paar ordentliche Rassegesetze. Sagen Sie mal: Sind Sie und Herrmann derselbe? Könnte man aufgrund Ihrer gemeinsamen typografischen Fehlleistungen glatt vermuten.

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  7. Hab schon bei Stadler davon gelesen und mir einen Fehlkauf erspart. Falls der Titel mit einem Fragezeichen geendet hätte: „Mit Rechten reden?“, so wäre die Antwort zweibuchstabig ausgefallen: ne. Denn vom Reden haben die Rechten sich verabschiedet.

    Betrachten wir die Teilmenge der AfD-Wähler aus Neufünfland: folgten 1989 dem Ruf der D-Mark (und verpassten eine großartige Chance: die rohstoffarme, aber kenntnisreiche DDR hätte industriell locker mit BRD gleichziehen können – zu spät).

    Stück für Stück bröckelt die Lebensqualität, etwa Eisenbahn-Zusatzrenten werden verweigert. Und was kriegen die zu hören? „Begreife doch ...“, „Geduld, nur noch wenige Jahrzehnte ...“, „derzeit keine Alternative“. Worte.

    Selbst sagen können sie viel, aber hilft nichts, sie verarmen. Erinnert ein wenig an die Sparpolitik von Reichskanzler Brünig (1888-1970). Kann sich noch jemand an seinen Amtsnachfolger erinnern?

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