Samstag, 3. Februar 2018

Chefgekoche


"Schlecht kochen ist keine Kunst, das kann jeder. Aber auch noch stolz darauf sein, das bringen nur deutsche und englische Hausfrauen fertig." (Wolfram Siebeck) 

So ziemlich jeder hat so seine guilty pleasures. Dinge, die eigentlich nicht gehen, die man aber trotzdem mal macht. Und sich hinterher ein wenig schlecht fühlt deswegen. Beim Essen etwa. Auch ich bin nicht frei davon. Gut, Dosenravioli kriege ich beim besten Willen nicht mehr durch den Hals, aber so hin und wieder mal ein 'Original italienisches Spaghettigericht' für 70 Cent, obwohl das mit Pasta nur sehr am Rande zu tun hat. Kindheitserinnerungen. Es kommt durchaus vor, dass ich - shocking! - ein paar Spritzer Maggi an eine Dosensuppe gebe. In meinem Kühlschrank befinden sich Dinge wie Tomatenketchup (wenn auch aus dem Bioladen) und Majonaise. Überhaupt koche ich zwar so oft es geht aus frischen Zutaten, aber nicht so oft, wie ich das gern täte. Der selige Paul Bocuse möge sich meiner erbarmen. Und selbstverständlich hat auch jeder das Recht auf so was. Wieso auch nicht? Wir sind alle keine Heiligen und es gibt immer Idealvorstellungen und Realitäten. Alles fein bis hierher.

Auf ewig fremd bleiben wird mir indes die Neigung gewisser Leute, mit ihren höchst privaten Panschereien großartig an- und das auch noch für hohe Kulinarik auszugeben. Vor dem Internet gab es für so was nur das Medium des Gemeinde- oder Vereinskochbuchs. Darin tragen Vereins- oder Gemeindemitglieder ihre Lieblingsrezepte zusammen, das ganze wird als Buch gebunden, verkauft und von den Einnahmen dann etwas renoviert oder angeschafft. Vor über zwanzig Jahren habe ich so ein Ding von meiner Tante geschenkt bekommen, die sehr in ihrer evangelischen Kirchengemeinde aktiv war und die mitbekommen hatte, dass ich das Kochen für mich entdeckt hatte. Die Lektüre gruselte mich schon als Kochanfänger, der ich damals war. Ob der krampfhaft auf irre kreativ getrimmten, in Wahrheit aber bloß deprimierenden, uninspirierten Tristesse, die mir dort entgegenblickte. So begannen acht von zehn Rezepten mit dem Satz: 1 kg Hackfleisch krümelig anbraten. Von diesen acht Rezepten wiederum ging der Großteil damit weiter, dass der Inhalt irgendwelcher Konservendosen hinzugegeben werden musste.

Wohlgemerkt, bei den Verfasser/innen handelte es sich durchweg um honoriges, gut situiertes Bürgertum. Schon da dämmerte mir, dass es um die bürgerliche Esskultur nicht allzu gut bestellt sein kann. Irgendwann dachte ich, unsere Großeltern hätten sich geschämt, so was auf den Tisch zu bringen oder gar Gästen vorzusetzen. Immerhin, tröstete ich mich seinerzeit, ist es für einen guten Zweck.

Die digitale Fortsetzung von so was heißt chefkoch.de. Hier wurde schon letztens auf die verdienstvolle Seite 'Worst Of Chefkoch' hingewiesen. Mich hat das nicht losgelassen, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass das, was es dort zu sehen gibt, eventuell mehr über uns als Gesellschaft aussagt als einem lieb sein kann. Ich habe mich mal durchgeklickt und eine Menge gelernt. Meine Erkenntnisse so far:

  • Das krümelig angebratene Hackfleisch, einst unverzichtbare, eherne Säule der postbürgerlichen Manschküche, scheint seine Rolle weitgehend an die Fleischwurst abgetreten zu haben. Fleischwurst ist offenbar die neue Pellkartoffel, der kulinarische Alleskleber der Nation
  • Als Saucengrundlage dient Ketchup. In ganzen Flaschen.
  • Ein Becher Sahne muss dran. Mindestens. Besser zwei. Wegen lecker. 
  • Majo geht immer. Auch im Kuchen.
  • Ohne Majo und Sahne, aber mit Fleischwurst ist 'sommerlich leicht'.
  • Wenn nix mehr hilft, hilft Ananas. Und Currypulver. Wegen exotisch. Oder Hawaii. Wenn ihnen so richtig exotisch zumute ist, machen Sie doch mal einen megaleckeren Hackbraten.
  • Geriebener Käse und Maggi machen alles lecker oder superlecker. Alles, auch Hochzeitsessen. Oder Schmand.
  • Es gibt nichts auf der Welt, das sich nicht in Bacon einwickeln und grillen ließe.
  • Überhaupt vergesse man alles, was überall über gesundes Essen erzählt, gedruckt und gesendet wird. Alles Fake und Getue. In Wahrheit geht es in deutschen Haushalten so richtich fettich zu. Aber richtich. Rauchen war gestern, heute ist chefkoch.de. Ich bin weiß Gott ein Freund reichhaltigen Essens und alles andere als ein Kalorienzähler, aber einige Rezepte grenzen an Körperverletzung.
  • Als Mann irgendwas Grunzsimples wie geröstetes Graubrot, Tomatenscheiben mit Maggi und Fondor oder Fertigmaultaschen mit Scheiblettenkäse mit 'a'la' und eigenem Namen zu versehen und großartig als Eigenkreation anzupreisen, macht die Chefkochmädels ganz wuschig. 
  • Nicht nur gut 150 Jahre Sozialdemokratie, sondern auch 100 Jahre Frauenbewegung waren weitgehend für den Hugo. In diesem Land ist nicht nur der Reichtum wieder so verteilt wie vor dem ersten Weltkrieg, es geht auch hinter den Fassaden so patriarchal zu wie 1914. Mindestens.
  • Seien Sie kreativ! Nur doofe Schafe und Sklavennaturen befolgen Rezepte. Kommentieren Sie vielmehr so: "Super Rezept! Hab den Käse durch Fleischwurst ersetzt, die Hälfte des Ketchups durch Worchestersohse und noch einen Becher Sahne, etwas Gurkenflüssigkeit und Maggi drangetan. Hat auch meeeega lecka geschmeckt, will der Göga jetzt jede Woche."
  • 'Gögas' fressen offenbar alles. 'SchwieMus' auch.
  •  Das wichtigste Kriterium ist nämlich, dass es dem 'Göga' schmeckt bzw. 'meinen Männern'. Mindestens jedoch den 'Kids'. Eventuell auch der 'SchwieMu'. Greift er einmal zum Kochlöffel, dann geht noch: 'den Kollegen (also nur Kollegen, nicht dass jemand denkt, wir wären schwul oder so) serviert und für lecker befunden'.
  • Apropopöchen: Was ein echter tiefenhomophober Kerl ist, dem sind Komplimente wie 'superlecker' bzw. 'suuuperlecker' oder 'meeegalecker' natürlich viel zu schwul. Es könnte ja am Ende noch jemand denken... Nein, ein echtes teutonisches Mannsbild, also so ein richtig männliches, eines, das 'Mugge' hört oder 'Muggä', am liebsten 'Deutschemuggä', und die Lebenspartnerin mit 'Schnegge' anredet oder mit 'Schneggä', das sagt allenfalls 'legger'. Oder 'leggä'.
  • Alkoholismus kann auch Spaß machen. Druffigs 'Gute Laune Cola' (Obacht, nach aaaltem Familienrezept) oder ein Humpen unverfänglich ausschauender Bierbowle mit Zitronen unter die Fontanelle gespült, lässt auch den trübsten Tag im Einfamilienhausghetto gleich viel freundlicher aussehen.
  • Beim Kommentieren niemals, NIEMALS den Standardschlusssatz vergessen: "Super Rezept, wird es ab jetzt öfter bei uns geben." Plus Herzchen-Emoji. Nicht vergessen! Sonst geschehen furchtbare Dinge. 
  • Seien Sie putzig! Und voll witzig. Geben Sie sich megasüße Nicknames wie 'Wölkchen aus der Chaosküche', 'Zwergenmutti1965', 'Zaubermaus69' oder so.
  • Jeglicher Kritik begegne man wie folgt: Meine Güte, zum Glück sind die Geschmäcker verschieden. Soll doch jeder das essen, was ihm schmeckt.
  • Jeder kleinste Ansatz von Verfeinerung ist sofort patzig als Arroganz und Dekadenz zu denunzieren. Butter? Soso, Margarine und Pflanzenfett ist Monsieur/Madame wohl nicht fein genug, wie? Es sind halt nicht alle auf Rosen gebettet und können sich so was Edles leisten! Ja, da denk mal drüber nach! Klar, wieso auch Wein trinken? Doppelkorn dröhnt schließlich auch und ist billiger. 
  • Wissen Sie, was Nufleika ist? Wusste ich auch nicht. Sie wurden gewarnt. Börks.

Natürlich wäre es dünkelhaft, sich über so was zu erheben, Und Dünkelhaftigkeit gegenüber anderer Leute Vorlieben geht eigentlich nicht, ist mir klar. Ich will ja auch gar nicht nur lästern, obwohl die Versuchung groß ist. Sehr groß. Nein, es ist leicht da zu urteilen, zu leicht. Zumal auch schnell Gefühle verletzt sind, wenn's ums Essen geht. Sicher gibt es bei chefkoch.de viel Gutes zu entdecken (manches ist auch einfach bloß furchtbar fotografiert). Natürlich kann ich nicht komplett ausschließen, dass eine Kombination aus Nutella, Wurst und Käse wider Erwarten doch ganz interessant sein kann (der Versuch würde bei mir daran scheitern, dass ich Nutella und ähnliche Produkte nicht mag, wegen zu süß). Dennoch wollen einem nach der Lektüre der Horrorrezepte diese vielen Fragen einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wie repräsentativ ist so was? Könnte es sein, dass das ganze Koch- und Gourmetgetue in den Medien, die Tatsache, dass vorwiegend in Wohneigentum immer teurere Küchen als Statussymbol verbaut werden, vorwiegend Show und Fake ist?

Es geht, wie gesagt, völlig in Ordnung, sich nichts aus gutem Essen zu machen, aber was für eine Selbstwahrnehmung ist das, wenn jemand ein Kilo Hackfleisch und eine mittelgroße Zwiebel anbrät, eine Flasche Gewürzketchup darüberschüttet und das Geschloder dann allen Ernstes als 'Rezept' für Bolognese hochlädt? Was erwartet so jemand? Applaus? Bewunderung? Fetten Fame für seine krasse Kochkunst? Was geht vor in Menschen, die es für einen Wahnsinnstip halten, eine Käsestulle in die Mikrowelle zu tun, damit der Käse schmilzt? Klar, nix dagegen, habe ich auch schon gemacht. Aber glauben die dann wirklich, sie hätten da gerade ein flatschneues Hammerrezept erfunden, das die Welt unbedingt erfahren muss? Oder sie erzählten jemandem, dessen kulinarischer Horizont nicht bei Wasser kochen endet, etwas rasend Neues? Wo haben Leute, die so was auch noch bejubeln wie das Ei des Kolumbus, vorher gelebt? Was sind das für Mütter, die ihre Familien fortwährend mit widerlichen, komplett ungesunden Kalorienbomben malträtieren, darauf auch noch stolz sind wie Oskar und bei der kleinsten Kritik sofort persönlich beleidigt sind?

(Apropos Dünkel: Man mache sich da nichts vor. Hauptverantwortlich für diese Trostlosigkeiten ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die so genannte 'Unterschicht'. Ich halte einige Wetten, dass sich bei 'chefkoch' mehrheitlich brave, biedere Mittelschicht herumtreibt.)

Vielleicht bin ich da überempfindlich, paranoid gar, aber möglicherweise sind es gar nicht so sehr die grauenhaften Rezepte, die mich so schaudern lassen, sondern der Subtext. Dieses passiv-aggressive Eingeschnapptsein, wenn jemand Kritik wagt, dieser unterschwellige Hang, Mittelmaß mit Nestwärme zu verwechseln und jeden Hauch von Verfeinerung als überflüssig und irrelevant abzutun, dünkt mir schon ziemlich deutsch. Ein Promi oder Politiker, der es wagte, etwas anderes als Erbsensuppe, Currywurst oder Schnipo als Leibgericht anzugeben, wäre hierzulande sofort untendurch wegen mangelnder Volksnähe. In Frankreich machte sich lächerlich, wer was anderes täte. Es gehört, womit wir wieder beim Anfang wären, zu den verheerendsten Nachwirkungen des deutschen Kulturprotestantismus, die Welt für ein Jammertal zu halten, Genuss für Sünde und Essen für ein notwendiges Übel zum Bauchvollkriegen. Sicher, das mag in kargen Zeiten eine echte Überlebensstrategie sein. Selbstverständlich würde auch ich so einiges essen, sogar Dosenravioli, wenn die einzige Alternative verhungern wäre. Aber warum karge Zeiten zum Ideal erheben und nicht gute?




7 Kommentare :

  1. Von meiner Tante gabs vor 35 Jahren das damals aktuelle Dr Oetker Schulkochbuch, das benutze ich bis heute. Anfang der 80er war der Biowahn noch nicht so verbreitet, da ging man zwar schon zu einer gesundheitsbewussteren Kochweise über, aber in dieser Ausgabe wird zum Glück noch "mit Fett gebraten",wenn ich mich schon hinstelle und koche, dann darf Schmalhans nicht der Küchenmeister sein.
    Chefkoch, wenn überhaupt, dann nur mit Filter: nur Rezepte oberhalb von 4,5 Sternen sind einer näheren Betrachtung wert.
    Und dann kann man tatsächlich auch mal einen Volltreffer landen, hab ich schon zwei Mal gemacht und das Ergebnis war fantastisch - das Fleisch schön saftig und es fiel fast von allein vom Knochen. Und sie macht sich nach der Anfangsarbeit praktisch fast von allein, man hat also viel Zeit für seine Gäste:

    https://www.chefkoch.de/rezepte/184821079451741/Sechs-Stunden-Lammkeule.html

    Nur so als kleiner Tip ;-)

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  2. Abscheuliche kulinarische Gräueltaten von Hollo-Bollo-Triebtätern, und deren "Rezepte" als Tatbegehungsanleitungen für Nachahmungstäter ..

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    1. @Harri: So ähnlich mache ich meine Lammkeule auch, nur dass ich sie ein paar Tage mit angeschlagenen Knoblauchzehen, Salz, Pfeffer, Thymian und Rosmarin in Olivenöl mariniere (Gefrierbeutel). Dann mit 1 Ds. passierter Tomaten und gut 1/2 Fl. provenzalischen Rotweines in einem verschließbaren Bräter in den Ofen. 4-5 Std. bei 140° drinlassen. Wenn das Fleisch am Knochen 85° hat (Bratenthermometer), braucht man kein Messer zum essen. Rezept einer Ex-Kommilitonin mit französischer Verwandtschaft,
      idiotensicher, man braucht nicht mal den Ofen vorzuheizen.
      @nömix: Sehr schön ausgedrückt, Herr Kollege!

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  3. Also "Nufleika" ist eine der wenigen Male, bei denen ich dann tatsächlich den Inhalt meines Mundes in den Bildschirm gespuckt habe! Dieser Link ist der perfekte Horror: Eine plötzliche Mischung aus Überraschung, Grauen und Vergnügen.

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    1. Ja, so ähnlich ging es mir auch. Daher habe ich mir Nufleika für den Schluss aufbewahrt.
      Und Mönsch, den Thomas gibt's ja auch noch - freut mich, mal wieder ein Lebenszeichen zu sehen.

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    2. https://www.youtube.com/watch?v=yw3X-lzwmOM
      ;)

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  4. Fluchtwagenfahrer5. Februar 2018 um 11:32

    Moin Stefan,
    beim Thema Mayo oder Remu musst du nur zwischen den Zeilen lesen. s. dazu:
    https://grillratte.de/praktisches/umstritten/

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