Mittwoch, 21. März 2018

Ein Jubiläum (5)


Heute vor 100 Jahren, am 21. März 1918, begann die so genannte 'Michael-Offensive' der deutschen Armee

Mit der Bemerkung, Recht sei kostbarer als Frieden, hatte der pazifistisch gesinnte US-Präsident Wilson im April 1917 den Eintritt der bis dahin mehrheitlich isolationistischen USA in den ersten Weltkrieg begründet. Auf Friedensangebote Wilsons ging man nicht ein, da man immer noch die Möglichkeit eines 'Siegfriedens' sah und dergleichen Verhandlungen als verbrämte Kapitulation auffasste. Ende 1917 sah die Entente sich keineswegs auf der Siegerstraße und auf deutscher Seite dachte man, mit einer letzten großen Offensive im Westen, es wäre die erste seit 1916, müsste sich das Blatt wenden lassen. 'Kaiserschlacht', so wurde das Vorhaben auch genannt. Doch Wilhelm II. war politisch längst kaltgestellt und bloß noch Symbolfigur. Auch wusste man um die Stimmung in der Heimat. Diese eine allerletzte Anstrengung, so erzählte man den Soldaten und der Bevölkerung, ein letzter Schlag, und die kriegsmüden Alliierten würden umkippen wie ein tönerner Riese, dann würden die Osterglocken den Sieg einläuten. Es sollte, wie so oft in diesem seit dreieinhalb Jahren dauerndem Krieg, anders kommen.

Grundsätzlich hatten Ludendorff und seine Kommandeure den richtigen Zeitpunkt gewählt: Wenn in diesem seit gut drei Jahren währenden Krieg militärisch noch etwas zu holen war, dann jetzt, Anfang 1918. Franzosen und Briten waren nach den Meutereien in der Französischen Armee 1917 und der verlustreichen Flandern-Offensive erschöpft. Italien spielte nach dem Debakel bei Caporetto vorerst keine Rolle mehr. Man benötigte sogar Truppen der Verbündeten, die woanders fehlten, um die kollabierende Front zu halten und das zaristische Russland war besiegt. Aus dem Dreifronten- war praktisch ein Einfrontenkrieg geworden. Die Entente konnte eigentlich nur noch auf die Amerikaner warten. Die waren Anfang 1918 aber noch nicht in ausreichender Zahl in Europa, um wirkungsvoll eingreifen zu können. Außerdem bestand der umsichtige General Pershing auf gründlicher Ausbildung seiner unerfahrenen Truppe.

Die Deutschen hingegen konnten ausnahmsweise aus dem Vollen schöpfen. Durch die russische Niederlage und den Separatfrieden von Brest-Litowsk hatte man plötzlich viele tausend Soldaten zusätzlich zur Verfügung und war zum ersten Mal seit 1914 im Westen in der Überzahl. Zwar war die Versorgungslage im Deutschen Reich immer noch katastrophal, doch weil man, ebenfalls eine Folge von Brest-Litowsk, das Baltikum und Teile Weißrusslands besetzt hatte und man die Ukraine als eigenständigen Staat anerkannte, mit dem man ebenfalls einen Friedensvertrag schloss (den so genannten 'Brotfrieden'), bestand Aussicht auf Besserung.

Der Aufwand war gewaltig. Das Westheer war komplett neu geordnet worden, 90 Divisionen waren allein für die erste Angriffswelle vorgesehen. 90! Mehr als 6.500 Geschütze aller Kaliber hatte man geräuschlos zusammengezogen. Sie sollten, von Oberst Bruchmüller orchestriert, eine Kanonade entfachen, wie es sie noch nie zuvor gegeben hatte und den Gegner für den Augenblick des deutschen Angriffs kampfunfähig machen, die nach der inzwischen eingespielten Sturmtruppen-Taktik vorgehende Infanterie den Gegner dann überrumpeln. Auch das erste Angriffsziel der 'Michael' genannten Offensive war geschickt gewählt: Man wollte in die Nahtstelle zwischen der britischen und französischen Armee bei Cambrai und St. Quentin stoßen und spekulierte auch auf Befehlswirrwarr im Oberkommando der Entente. Zudem stand den Deutschen die in Flandern arg dezimierte britische 5. Armee gegenüber, die sich dort eigentlich erholen sollte. 

Nur war dieses Unternehmen von vornherein ein Vabanquespiel und es einiges sprach klar gegen einen Erfolg. Die Masse des deutschen Heeres bestand Anfang 1918 aus schlecht ausgebildeten, unerfahrenen und unterernährten Wehrpflichtigen. Die größtenteils aus Freiwilligen bestehenden und gut geschulten Sturmtruppen, ohne die die Offensive nicht zu machen war, standen nur begrenzt zur Verfügung und durften nicht zu hohe Verluste hinnehmen. Ferner war nichts zu machen ohne massive Verbände schwerer Artillerie. Da der Angriff aber über das verwüstete Gelände der Somme-Schlacht von 1916 führen würde, war vorprogrammiert, dass die kampfentscheidende schwere Artillerie mangels Transportmitteln nicht würde Schritt halten können. Lastwagen, so man sie denn gehabt hätte, wären in dem zerwühlten Terrain nicht durchgekommen und die Pferde waren noch schlechter ernährt als die Soldaten.

Doch schien der Plan zunächst aufzugehen. In den ersten Tagen gelang der deutschen Armee scheinbar alles. Der Angriff kam für die britische 5. Armee so überraschend, dass sie beinahe in Auflösung geriet und sich im Oberkommando der Entente Ratlosigkeit breitmachte. So vorwärts war es in Frankreich seit 1914 nicht  mehr gegangen. Euphorie machte sich breit. Am dritten Tag bekamen die Kinder im Reich auf Geheiß des siegesgewissen Kaisers schulfrei und man ließ schon die Kirchenglocken läuten, wie damals, als bei Verdun das Fort Douaumont gefallen war. Zu früh gefreut, wie so oft. Mit jedem weiteren Tag traten die Schwächen der Planung deutlicher zutage. Ludendorffs Kalkül konnte nur aufgehen, wenn die gesamten britischen Truppen unter dem ersten Angriff kollabierten und als Kriegspartei ausschieden, wie Monate zuvor die Italiener. Zwar kam es zu Auflösungserscheinungen, vor allem bei der britischen 5. Armee, aber der völlige Kollaps, wie Ende 1917 bei Caporetto, konnte abgewendet werden. Damit war die Offensive bereits gescheitert. Als man sich im Lager der Entente dann noch auf Ferdinand Foch als gemeinsamen Oberbefehlshaber einigte, war auch das strategische Ziel, einen Keil in die Front der Verbündeten zu treiben, wiewohl eh illusorisch, verfehlt.

War der alte Hindenburg klug genug zu schweigen, spricht es Bände über die Feigheit und Schäbigkeit des wohl genährten Ludendorff, wenn er nach dem Krieg beklagte, die Offensive sei gescheitert, weil Soldaten sich in gut gefüllten gegnerischen Vorratsdepots, auf die sie beim Vormarsch gestoßen seien, förmlich festgefressen hätten und nicht mehr zum Weitermarschieren zu bewegen gewesen wären. In Wahrheit lag das eher an seinen Planungsfehlern und dass er sich schlicht verzockt hatte. Konnte man es den ausgehungerten Männern wirklich verübeln, dass sie sich erst einmal ordentlich satt aßen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekamen?

Schlimmer wog eh, dass Ludendorff kein strategisches Konzept hatte. Er sagte bloß: Wir hauen ein Loch hinein, alles weitere findet sich. Das war für einen, der sich gern als Feldherrngenie feiern ließ, dann doch ein wenig dürftig. Und finden tat sich auch nichts. Man hatte zwar das erreicht, was drei Jahre nicht gelungen war und die Front durchbrochen, hatte aber weder die Mittel, den Erfolg auszunutzen noch eine Vorstellung, wie das geschehen sollte. Wie so oft war das deutsche Militär zwar in der Lage gewesen, große taktische Erfolge zu erzielen, die den Gegner empfindlich trafen, aber an der strategischen Gesamtsituation nichts änderten. Bis Juni folgten vier weitere Offensiven nach ähnlichem Muster ('Georgette', 'Blücher-Yorck', 'Gneisenau', und 'Marneschutz-Reims' genannt) dann den endgültigen Erfolg bringen. Obwohl man noch einmal bis zur Marne kam wie 1914, verliefen die sich aber immer mehr im Sande. Weil die eigenen Kräfte schwanden und weil der Gegner sich inzwischen auf die deutschen Angriffe eingestellt hatte. Eine halbe Million auf beiden Seiten bezahlten das mit dem Leben. Viele davon, weil man sich das Scheitern eines vermeintlich genialen Planes nicht eingestehen wollte und stur daran festhielt.

Zumal die OHL über ihre eigenen Propagandalügen stolperte. Man hatte den hungernden Soldaten immer wieder erzählt, den Alliierten ginge es wegen des uneingeschränkten U-Boot-Krieges der Deutschen nicht viel besser als ihnen. Beim Vormarsch angesichts der wohlbestückten gegnerischen Depots immer wieder feststellen zu müssen, dass dies offensichtlich nicht der Fall war, dürfte das Vertrauen der Truppe in die Führung nachhaltig beschädigt haben. Ohne Mampf kein Kampf - auch der Kieler Matrosenaufstand im Herbst 1918 entzündete sich letztlich daran, dass zwei Seeleute standrechtlich erschossen wurden, weil sie berechtigte Beschwerde geführt hatten über die Mangelversorgung der Mannschaften an Bord der stolzen Kriegsschiffe Seiner Majestät, auf denen den Herren Offizieren täglich mehrgängige Menüs kredenzt wurden.

Liest man zeitgenössische Darstellungen, ist man zuweilen arg befremdet von dem pathetischen Jubelton, in dem die Heldentaten des deutschen Heeres vom Frühjahr 1918 da besungen werden. Die taktischen Erfolge der deutschen Frühjahrsoffensiven bereiteten so den Boden für den Mythos vom im Felde eigentlich unbesiegten Heer, von ungebrochener deutscher Kampfkraft und damit für die perfide Dolchstoß-Legende.


Die bisherigen Jubiläen:

21. Februar 1916: Schlacht bei Verdun
1. Juli 1916: Schlacht an der Somme
31. Juli 1917: Schlacht um Passendaele
24. Oktober 1917: Schlacht bei Caporetto



5 Kommentare :

  1. Es ist immer wieder erstaunlich, aber auch nachvollziehbar, wie die Ernährung der Menschen ihre Sicht der Dinge beeinflusst. 1905 sorgte ein Stück Fleisch, aus dem die Würmer krochen, zum Aufstand der Matrosen auf der "Potemkin". Ihr Beschwerdeführer wurde erschossen, die Rebellion begann. Eine Million Hungertote in Deutschland während des Ersten Weltkriegs haben den Willen gebrochen, nicht der Gegner. Der Mangel an Lebensmitteln in den Flüchtlingslagern der Syrer hat den Marsch auf Europa ausgelöst. Leider kommen die sozialen Aspekte in der Geschichtsschreibung zu kurz. Dein Artikel hingegen: Chapeau!

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  2. Zeugt Kinder für den Kaiser und Vaterland (aufruf 1892).Diese gezeugten Jungs wurden als Kanonenfutter im Ersten Weltkrieg "verbraten".Einziger Nutzen,wegen Ausfällen der Soldaten in allen Ländern(Soldatenbordell) wegen Geschlechtskrankheiten wurden millionenfach Kondome verteilt und nach dem Krieg auch im Privaten benutzt.

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  3. Ich erinnere mich an einen Ausspruch - ich glaube, der "Ulenspiegel" hat ihn damals abgedruckt: "Die Diktatur des Magens ist stärker als die Demokratie des Geistes." Der Mensch muss eben essen, heizen, schlafen, etc...

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  4. Eben. Oder mit Bud Spencer´s Worten: Ohne Heu kann das beste Pferd nicht furzen.

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  5. Hmmh...sehr interessant. Bei mir war der Verlauf der "Kaiserschlacht" aber eher so angekommen, dass der südliche Flügel unter Oskar Hutier (dem Erfinder der Stoßtrupptaktik) die Franzosen vor sich hertrieb, während sich die Engländer im nördlichen Abschnitt zäh verteidigten. Da die OHL (wie von dir richtig beschrieben) keinen strategischen Plan hatte, wurden die Reserven gegen die Engländer geschickt, anstatt in die Lücke zu stoßen und die Front durch Umgehung zum Einsturz zu bringen.

    Ansonsten: Herzlichen Dank für die prägnante und kenntnisreiche Zusammenfassung.

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