Sonntag, 15. April 2018

Schmähkritik des Tages (17)


Heute: Georg Diez über die Echo-Verleihung und Teile der CSU

"Die bürgerliche Mitte also, darüber habe ich vergangene Woche geschrieben, die sich dem rechten oder rechtsextremen Denken anbiedert - verbunden mit einer generellen Apathie und Wurstigkeit einer Öffentlichkeit, die bestimmte Dinge einfach hinzunehmen scheint. […] Wie kann es also sein, dass ein Rapper mit einem scheinbar wichtigen Musikpreis ausgezeichnet wird, der in einem seiner Songs davon berichtet, sein Körper sei »definierter als von Auschwitz-Insassen«? Sinnvollerweise fand die Preisverleihung auch noch am 12. April statt, dem Tag des »Marsch der Lebenden«, mit dem Juden in der ganzen Welt an den Holocaust erinnern. [...]

Hans-Peter Friedrich [...], Vizepräsident des Bundestages von der CSU twitterte nach dem Wahlsieg von Viktor Orbán, der einen offen antisemitischen Wahlkampf geführt hatte, in dem gegen den Investor und Philanthropen George Soros gehetzt wurde und gegen das Bild des gierigen und alles kontrollierenden und die Nation gefährdenden Juden überhaupt: »Ohhh, da vertritt ein Regierungschef tatsächlich die Interessen der eigenen Bürger und die wählen ihn auch noch. Das muss die Linken ja zur Weißglut treiben.«

Das Gleiche hätte er auch über den 30. Januar 1933 twittern können.“ (SPIEGEL online, 15.04.2018)


Anmerkung: Wer mag, kann das, was momentan so passiert, als Beleg dafür nehmen, dass es hochgradig gefährlich wird, wenn die bürgerliche Mitte Faschismus und Antisemitismus möglich macht. Dabei ist es völlig egal, ob das aus Feigheit geschieht, aus Opportunismus oder aus Bequemlichkeit, weil man Rückgratlosigkeit verwechselt mit Freigeist und Toleranz, weil man einen pubertären Spaß daran hat, Linke zu provozieren, oder weil man politisches Kapital schlagen will aus solchen Flirts (und in bewährter, grandioser Selbstüberschätzung glaubt, mit den dumpfen Faschos schon fertig zu werden). Dieselbe Bande übrigens, die einem offen antisemitischen Regierungschef dergestalt um den Bart geht, ist meist hochgradig sensibel und kriegt Schaum vor dem Mund, wenn sie irgendwo linken Antisemitismus (den es gibt) oder muslimischen (den es ebenfalls gibt) wittert.


11 Kommentare :

  1. Zum SPIEGEL-Diezi: Dieser „scheinbar wichtige Musikpreis“ ist doch vor allem ein Verkaufspreis, er wird also nach Umsätzen vergeben, unabhängig von politischen oder geschmäcklerischen Befindlichkeiten. Wer sich über dies Sache unbedingt aufregen will, muss sich also wohl an die Konsumenten wenden. Abgesehen davon ist der besagte Auschwitz-Reim nun mal nicht antisemitisch, sondern einfach nur geschmacklos. Es gab vor langer Zeit mal einen Eklat wegen eines TEMPO-Autoren (Namen vergessen, war es am Ende gar Maxim Biller?), der über eine Disko schrieb, sie sei „gaskammervoll“ gewesen – in dem Bereich würde ich das einordnen.

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    1. Keine Ahnung, ob der Spruch von Biller ist - zuzutrauen wäre es ihm, dann aber mit entsprechendem Kontext. Kollege Kollegah scheint vor allem mal den Mund gehörig voll zu nehmen, zum Beispiel, als er 25.000 Ocken auslobte für, so wörtlich, "objektive Berichterstattung" über diesen Pizzagate-Unfug.

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    2. Dass Kollegah und Kollegen nicht die hellsten Kerzen auf dem Kuchen sind, ist bekannt. Weshalb die so besessen von Pizzagate sind, müssen sie selber beantworten. Ich fürchte aber, das ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die CDU glaubt z.B. an den lieben Gott und darf trotzdem regieren. Der Echo wird nicht für Intelligenz verliehen, sondern, wie gesagt, für Umsatzzahlen. Wenn Helene Fischer morgen ein neues Album mit dem Titel "Die Erde ist flach" veröffentlicht und damit die Charts stürmt, wird sie wohl auch entsprechend ausgezeichnet werden.

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    3. altautonomer:

      [Antwort auf ersten Kommentar, S.R.]

      1. Es war der taz-Redakteur Thomas Kapielski, der 1988 von einer gaskammervollen Diskothek schrieb.

      2. Über den Schlager "Theo, wir fahrn nach Lodz" von Vicky Leandros hat sich nach meiner Erinnerung seinerzeit (1974) kein Schwein aufgeregt. (Am 8. Februar 1940 wurde das Ghetto Łódź, eines der größten im „Dritten Reich“, errichtet. Die dort eingesperrten Juden mussten Zwangsarbeit leisten und wurden später zum größten Teil deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. Im Mai 1940 wurde Lodz von den Deutschen in Litzmannsztadt umbenannt.)

      3. Die akademische Elite in Deutschland läßt nun auch die Sau raus:

      https://www.erklaerung2018.de/

      Aber es gibt Gegenwind:

      https://antwort2018.hirnkost.de/

      Ich beobachte das alles mit großer Sorge.

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    4. 1. Danke für die Recherche. Keine Ahnung, weshalb ich das Zitat der TEMPO unterschieben wollte, es war zumindest kein böser Wille (Hand hoch zum Schwur)!

      2. Der Schlager von Frau Leandros geht wohl auf ein älteres Volkslied von 1915 zurück. Dessen Texter starb 1942 im KZ Auschwitz … 

      3. "Große Sorge" vs. "Wachsendes Befremden" ;-)

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    5. Ich empfehle noch die Sicht eines direkt von Antisemitismus betoffenen. Kann man überempfindlich finden, vielleicht holzschnittartig, ich finde es durchaus nachvollziehbar.

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    6. Ich kann Oliver Polak keine Überemfindlichkeit bescheinigen. Wenn er der Meinung ist, der Kollegah wäre ein lupenreiner Antisemit und somit das Verderben der Jugend, so ist das sein gutes Recht. Wahrscheinlich hat er sich mit dessen Gesmatwerk ausreichend beschäftig. Aufhänger der allgemeinen Berichterstattung war aber nun mal diese eine Auschwitz-Zeile, auf die habe ich mich auch bezogen.

      Grundsätzlich frage ich mich, inwiefern ein solcher Industriepreis als Bühne für moralische Stellungskriege taugt. Das wurde ja bei Freiwild alles schon mal durchgespielt. Am Ende des ganzen Empörungs-Zirkus gehen die Verkaufszahlen dieser Leute nur noch weiter nach oben.

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  2. Fluchtwagenfahrer16. April 2018 um 11:47

    Moin,
    "Die bürgerliche Mitte" wer issn das?

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    1. Weiß ich auch nicht soo genau, mit Sicherheit aber unter anderem die, die Burks letztes Jahr so beschrieb:
      "'Urbane Eliten' ist übrigens für mich ein Synonym für Spießbürger, die vegan essen, wissen, was 'queer' bedeutet (meine Eltern, die noch leben, wissen das nicht), und die trotzdem, wenn es die Situation gefühlt erforderte, sehr schnell bei einer NSDAP light, revisited landen könnten, auch wenn sie sich 'alternativ' dünken. Ich traue dieser Hipster-Mischpoke nicht über den Weg."

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  3. Fluchtwagenfahrer16. April 2018 um 15:01

    Moin Altauto, streiche akad. Elite, setzte Elitäre.
    Sollte das die Speerspitze der ..... sein, dann trink ich nochen Korn. Weil traurig, du verstehst.

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  4. Guten Tag,
    sehr schön die Einleitung mit dem "Anbiedern der bürgerlichen Mitte.
    Erinnert mich an die historisch belegten Worte von von Papen auf Kritik an der seinerzeitigen Goutierung der NSDAP: "den Hitler drücken wir dann an die Wand bis er quietscht". - oder so ähnlich. Offensichtlich haben große Teile der Politik im Geschichtsunterricht zu oft gefehlt.

    Gruß
    Jens

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