Donnerstag, 12. April 2018

Um die Wurst


"Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie." (Otto von Bismarck)

Groß das Entsetzen, als kürzlich ein braver Metzgersmann öffentlich demonstrierte, wie sich aus minderwertigen Zutaten eine Wurst zusammenkuttern lässt, die in der Herstellung 59 Cent das Kilo kostet und sich im Supermarkt nach Angaben des Metzgers problemlos für 7 Euro pro Kilo anbieten ließe. Mafiamargen also, bei denen Don Vito Corleone glatt das Nuscheln einstellt vor Neid. Die Wurst bestand nur zu 9 Prozent aus Hühnerfleisch, dafür knapp zur Hälfte aus so genanntem Separatorenfleisch. Als weitere Zutat kam noch Plasmapulver hinzu. Damit ließ sich der Wurst noch 27 Prozent  Wasser hinzufügen, ohne dass das auffiel. Bisschen Paprikaschnipsel für die Optik, geheime Gewürzmischung, fertig war der Lack. Das Erzeugnis bekam sogar auf Anhieb eine silberne DLG-Medaille. "Skandal!", hieß es da. "Wie aus Abfall Wurst wird" - so wurde da getitelt. Und das ist nun ziemlich albern.

Zunächst einmal ist Separatorenfleisch nicht wirklich Abfall. Es handelt sich um ein Nebenprodukt, das bei der Schlachtviehverarbeitung anfällt. Ein pinker Brei, der entsteht, wenn man Knochen mit Fleisch- und Geweberesten durch eine spezielle Maschine presst und der neben Gewebepartikeln noch Knochenmark enthalten kann. So einen Pamp kann man natürlich total eklig finden, aber Separatorenfleisch ist, wenn es ordentlich produziert und verarbeitet wird, für den menschlichen Verzehr geeignet und als Lebensmittel zugelassen, muss aber ausdrücklich als Zutat deklariert werden. Das meiste geht eh in die Tierfutterherstellung. Geht alles mit rechten Dingen zu, dann läge der einzige Skandal darin, dass es theoretisch möglich ist, dass im großindustriellen Maßstab erzeugte Wurstwaren undeklariertes Separatorenfleisch enthalten könnten.

Wäre es also gelungen, einem Hersteller nachzuweisen, undeklariertes Separatorenfleisch in die Wurst gemischt und diese in den Handel gebracht zu haben, dann wäre das selbstverständlich ein Problem, so aber ist es bloß Spekulation. Und es ist auch kein Skandal, dass die DLG dafür eine Silbermedaille vergibt. Man muss kein Fan der DLG sein, wenn man darauf hinweist, dass keine aufwändige (und teure) Laboruntersuchung, sondern lediglich eine sensorische Prüfung nach vorgegebenen Kriterien durchgeführt wird. Und da Separatorenfleisch, wie gesagt, gesundheitlich unbedenklich ist und kaum spürbare Auswirkungen auf den Geschmack hat, müssten die Tester schon Hellseher sein, um das herauszuschmecken. Wie gesagt, ich will keiner Panscherei das Wort reden und man kann und muss jederzeit diskutieren über allerlei chemische Zusätze, aber wo genau hier der Skandal sein soll, erschließt sich nicht.

Sind das am Ende alles bloß perverse Auswüchse eines im Endstadium frei drehenden Kapitalismus? Nun ja, pervers ist vielleicht die Erwartung, in feinst gekutterte Wurst, industriell oder nicht, dürften nur 'hochwertigste Zutaten' hinein. Man könnte eher sagen, wer glaubt, dass Fleischwurst (woanders neutraler als 'Lyoner' bezeichnet) besonders viel gutes Fleisch enthält, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass da Müll drin ist. Pervers ist esvielleicht auch, es für normal zu halten, sich selbst von abgepackter Hähnchenbrust (wegen gesund) und gelegentlich Hühnerbeinen zu ernähren und mit dem Rest der Produktion afrikanische Märkte zu fluten.

Nicht pervers, aber ziemlich dämlich dünkt es mir überdies, wenn Lifestyle-Magazine einerseits über Nose to tail als Ausdruck des Respekts gegenüber der geschlachteten Kreatur salbadern, dieselben Milieus aber bei Separatorenfleisch "Igittigittwiekannmannur!" kreischen. Das ist nichts weiter als bourgeoiser Dünkel von Leuten, die in 'Industrie' per se ein Reich des Bösen sehen, das Müll für Dreckfresser ausstößt, sich selbst aber zu achtsamen Besseressern stililsieren.

Und bitte nicht die Nummer, dass früher alles besser gewesen sei! Nein, war es definitiv nicht. Zumindest für die meisten. Bei Hausschlachtungen wurde früher, in der guten alten Zeit, strengstens darauf geachtet, dass auch nicht ein Fitzel dessen, was theoretisch noch irgendwie verwert- bzw. essbar sein könnte, weggeworfen wurde. Innereien, Knorpel, Schwarten, Blut, Bindegewebe, alles kam irgendwie irgendwo hinein. In ein Bruckfleisch zum Beispiel, eine alte Wiener Spezialität aus Innereien, gehören von jeher Liechteln (in Ringe geschnittene, über Stunden weich geschmorte Aorta bzw. Herzröhren). Schieres Muskelfleisch in die Wurst? In ein paar wenige, ausgewählte vielleicht (weil man das ganze Frischfleisch halt nicht rechtzeitig aufessen konnte). Ansonsten: viel zu schade! Und natürlich wurden auch die allerletzten von den Knochen gefutzelten Reste noch verwendet. Was dann nicht die Hunde bekamen, wurde in die Suppe geworfen oder ging, wenn‘s in größerer Menge anfiel, zum Abdecker. Der machte Leim draus.

Aber man sollte ja sowieso nichts essen, wird einem seit einiger Zeit immer erzählt, was unsere Großmütter nicht als Lebensmittel identifiziert hätten. Aha.

Leider ist auch die Nummer mit Omas angeblich so naturnaher Küche in den allermeisten Fällen ziemlicher Blödsinn. Wenn Oma früher zentnerweise Obst und Gemüse aus dem Garten holte und größtenteils einkochte, dann nicht, weil sie stärker im Einklang mit der Natur lebte oder so, sondern weil sie anders gar nicht über die Runden gekommen wäre. Nicht nur auf dem Land übrigens. Selbstversorgung blieb bis weit in die Nachkriegszeit für viele überlebenswichtig. Im Ruhrgebiet waren die Löhne der Bergarbeiter lange so kalkuliert, dass es nicht ging, ohne dass die Frauen den Gemüsegarten bewirtschafteten. Auch in alten Eisenbahner- und anderen Arbeitersiedlungen hatten die Häuser Wirtschaftsgärten. Aber bestimmt nicht, um die gesunde Ernährung der Arbeiter zu fördern. Romantisch oder urwüchsig war da gar nichts dran.

Und weil das so war bzw. nicht war, fuhr meine Oma damals total auf alles ab, was es fertig zu kaufen gab. Sie, die zwei Weltkriege (und die Folgen) miterlebt hatte, war glühende Anhängerin aller Arten von Fertig- und später auch Tiefkühlkost, die sie von diesen beschwerlichen Pflichten des Selbstanbauens und Einmachens befreite. Wir Kinder bekamen Limos, Süßigkeiten und alles, was bunt und ungesund war, hauptsache modern. Wenn Oma selbst kochte, was sie nicht selten noch tat, dann machte das Ergebnis, stundenlang totgekocht wie es meist war, vor allem mal satt, sonst nichts.

Übrigens: Wer sich vor Separatorenfleisch ekelt, sollte den freundlichen holländischen Frittenwirt seines Vertrauens lieber nie-nie-niemals fragen, was alles in Frikandel Speciaal drin ist.



6 Kommentare :

  1. Der menschiche Körper ist immer noch, evolutionär bedingt, eine große Mangelverwaltungsmaschine. Dre Spruch: "Dreck fressen reinigt den Magen" kommt da nicht ganz unbedarft daher. Rein theoretisch ernährt sich der Körper nur von Salzen und Fetten. Essen ist da einfach überbewertet.

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    1. Wie alle Omnivoren (Allesfresser) – zu denen auch der Fleischhauptlieferant Deutschlands gehört :D
      Übrigens ein Evolutionsvorteil: Ernährungsspezialisten leben gefährdet, sobald ihr staple verknappt …

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  2. Es gehört wohl schon eine ziemlich abgestumpfte Natur dazu, wenn ein Mensch, selbst ein lebendes Wesen, das andere Lebewesen, das Tier, für sich als Nahrungsquelle benutzt und dies industriell in Massenschlachtungen für sich herrichtet.

    In Europa sind es die Länder Frankreich und Deutschland mit dem höchsten Fleischkonsum.

    Der Anteil von Vegetariern und Veganern mit insgesamt maximal 3% ist dagegen wirklich zu vernachlässigen, als dass man deren Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten besonders hervorheben muss.

    Wenn möglicherweise deshalb, weil sie eine Projektionsfläche für das kollektive Selbstverständnis, bieten, das Abweichungen vom Kollektiv nur schwer ertragen kann.

    Für mich ist es in der Tat eine sehr ekelhafte Vorstellung zu denken, dass aus ökologischen Motiven und aus Motiven der ökonomischen Nachhaltigkeit dafür geworben wird, das Tier " mit Haut und Haaren" zu verwerten und das noch als kulinarische Spezialität anzupreisen.

    Ich mag mir das nicht verkneifen, aber der Typ sieht bereits so aus, als wäre er äusserlich und nachhaltig in der Transformationsphase zum toten Tier.

    Nun gut! Mir ist das ziemlich wurscht, was die Menschen so in sich reinfressen, wenn sie nicht immer diese unangehme Eigenart hätten, andere Menschen zu kontrollieren, ob sie sich so verhalten wie sie selbst und die Mehrheit ihrer Zeitgenossen und dies in all seinen Facetten.

    Hier noch ein "kleines Amüsement":

    Tierquälerei als Show und Volksvergnügen
    https://www.infosperber.ch/Artikel/Wirtschaft/Viehschau-Tierqualerei-Landwirtschaft



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  3. Fluchtwagenfahrer16. April 2018 um 11:35

    Moin Stefan,
    " Und da Separatorenfleisch, wie gesagt, gesundheitlich unbedenklich ist"
    Steile These!!
    Und überhaupt, ich bin für Soylent Green.
    Guten Appetit, ihr Maggi Fachberater.

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    1. Nach meinen Recherchen ist es das durchaus, sofern bei der Gewinnung nicht geschludert und die Kühlkette eingehalten wird. Separatorenfleisch vom Rind ist seit der BSE-Krise wegen möglicherweise enthaltenen Nervengewebes verboten.
      Weil das Zeug höchst verderblich ist, ist das Risiko, dass es gesundheitsschädlich werden kann, natürlich deutlich höher, das ist klar.
      Letztlich geht es darum, dass Hersteller kontrolliert werden und Zutaten ordentlich deklariert sind, damit Verbraucher fundiert entscheiden können.

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  4. Das mit den Selbstversorgergärten in den Bergmannssiedlungen habe ich noch in den 70iger selbst erlebt. Und wie du richtig schreibst: Dann kam eine große Begeisterung für Konserven und Fertigfutter aller Art. Meine Fresse, was wir als Kinder teilweise für ein Zeug bekommen haben. später schlug das Pendel wieder zurück, insbesondere als mein Papi anfing, sich selber das Kochen beizubringen.

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