Dienstag, 1. Mai 2018

Geht's noch, Helmut Schümann?


"Fußball kräftigt die Muskeln des ganzen Körpers. Indem er überschüssige Säfte nach unten befördert, sorgt er für einen klaren Kopf." (Richard Mulcaster)

Karl-Heinz Rummenigge kann man sympathisch finden oder nicht. Analog zu jener Fußballmannschaft, der er präsidiert, rangiert er in meinem persönlichen Sympathieranking irgendwo in der Gegend von Fußpilz und kein Bier im Haus zu haben. (Ist natürlich nur auf die öffentliche Persona bezogen, privat mag er ein feiner Mensch sein.) Herr Rummenigge jedenfalls hat am Tag des Champions-League-Halbfinalrückspiels gegen Real Madrid wörtlich einen "heroischen Kampf" gefordert, an dessen Ende notfalls auch ein "Heldentod" stehen könne. Das fand Helmut Schümann vom Berliner 'Tagesspiegel' so unentschuldbar, dass er Rummenigge allen Ernstes in den Mund legte, den Befehl erteilt zu haben, "dass der Pole Lewandowski für Bayern ab 20.45 gefälligst zurück zu schießen hat." - und fragte rhetorisch: "Geht's noch, Karl-Heinz Rummenigge?"

Die Frage lässt sich auch sehr schön umdrehen. Einen Griff in die verbale Mottenkiste, wie Rummenigge ihn da tat, kann man natürlich muffig finden. Man sollte aber, um mit einem ehemaligen Bundeskanzler zu reden, die K-kirchemalimdorflassen *hicks*. Vielleicht hilft auch der Hinweis, dass Quargeleien von Heroik und Heldentod, wiewohl extensiv genutzt von ihr, keineswegs exklusive Erfindungen der NS-Führung waren, sondern schon lange zuvor von entsprechendem Personal gern und oft ventiliert worden sind, wenn es galt, Armeen und Völker konflikttechnisch aufzustacheln.

Es ist noch nicht allzu lange her, darauf könnte man ferner hinweisen, dass Fußballtrainer, -kommentatoren und Sportjournalisten mehrheitlich vom Krieg geprägte ältere Herren waren. Der ehemalige Bondscoach Rinus Michels etwa hat als Jugendlicher den 'Hongerwinter' 1944/45 erlebt und nur knapp überlebt. Hiesige Reporter entstammten nicht selten der 'Flakhelfer-Generation' oder waren ehemalige Kriegsberichter. So bedienten diese Herren sich gern einmal martialischen und blumigen Vokabulars. Da wurden, sagen wir, eher körperbetont agierende Abräumer wie 'Katsche' Schwarzenbeck oder Hans-Peter Briegel zum "Turm in der Abwehrschlacht". Wenn es besonders heiß war, gerieten Spiele zur "Hitzeschlacht". Da wurden Mittelfeldler zu "Vorstößen" und "Durchbrüchen" angefeuert. Auch von "Endkampf" und vom "Sieg der Willenskrrraft" war da in meiner möglicherweise getrübten Erinnerung durchaus zu hören und zu lesen.

Wenn die Erinnerung ins Stocken gerät, dann hilft ein Blick ins Buch. Zum Beispiel in Christian Eichlers '90 oder Die ganze Geschichte des Fußballs in neunzig Spielen'. An dem lässt sich kritteln, wenn man mag. Etwa an der Reihenfolge der ausgewählten neunzig Spiele. Das Finale (D - ARG 1 : 0) und das Halbfinale 2014 (BRA - D 1 : 7) sind das erste und das letzte, erscheinen somit als Alpha und Omega des Fußballs, wodurch die Sache doch arg hagiographisch gerät. Andererseits erfährt der Interessierte in dieser amüsanten, immens kenntnisreichen und flott geschriebenen Zusammenstellung eine Menge Neues. Unter anderem immer wieder, was diverse Berichterstatter in früheren Zeiten sich so aus der Runkel wrangen. Eine kleine Auswahl:

"Falkland, Runde zwei" (Eine englische Zeitung vor dem WM-Halbfinale Englands gegen Argentinien 1986, S. 67).

"Ein Land, das den Begriff des Machismo mehr oder weniger erfunden und auf die Spitze getrieben hatte, war seines männlichen Stolzes beraubt, besiegt, kastriert und gedemütigt worden, noch dazu von einem alten Weib wie Mrs. Thatcher. Und es hatte bislang keine Gelegenheit gehabt, seinen Stolz, seinen Schwanz und seinen Sack zurückzuerobern." (Per Olov Enquist über das gleiche Spiel, S. 68)

"Weiße und Azzurri sind keine Gegner, sondern Interpreten einer Oper wie die Capuleti und die Montecchi in einem Romeo und Julia des Fußballs."
(Romano Giardiana über das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Italien 1970, S. 89)

"Das größte Trauma Hollands im zwanzigsten Jahrhundert, sieht man von der Flut 1953 und dem Zweiten Weltkrieg ab." (Johan Timmers über das WM-Finale zwischen Deutschland und den Niederlanden 1974, S. 131)

"Toni Schumacher, Beruf: Unmensch" (L'Equipe über das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich 1982, S.158)

"1866: Preußen schlägt unter Moltke Österreich bei Königgrätz. 1939: Schalke 04 schlägt unter Szepan Admira Wien neun zu null in Berlin. 1954: Die Bundesrepublik schlägt unter Fritz Walter Österreich sechs zu eins – jetzt haben Krankl & Co die Scharten ausgewetzt." (Die FAZ über das Finalrundenspiel Österreichs gegen Deutschland 1978, S. 175)

Die „größte Verbrüderung seit 1938.“ (Edi Finger über das WM-Vorrundenspiel Deutschlands gegen Österreich 1982, S. 177)

"Überall gibt es eine unheilbare nationale Katastrophe, etwas wie Hiroshima. Unsere Katastrophe, unser Hiroshima, war die Niederlage gegen Uruguay im Jahre 1950." (Nelson Rodrigues über das WM-Finalrundenspiel Brasiliens gegen Uruguay 1950, S. 430)

„Wir waren vom Kriege schließlich einiges gewohnt. Die Heimat mit dem Inferno des Sirenengeheuls, die Front mit anderen Unfreundlichkeiten [sic!]. Das war nichts gegen die Organisation der schwedischen Lärmkonstrukteure." (Das Hamburger Abendblatt zum WM-Halbfinalspiel Schwedens gegen Deutschland 1958, S. 436)

Einen hab ich noch. Achtung, volle Deckung!

Rund "vierzigtausend Repräsentanten dieses mittelmäßigen Volkes, das sich nie über nationale oder völkische Durchschnittsleistungen erhoben hat, [kübelten] den Hass über uns aus […], der nur aus Minderwertigkeitskomplexen kommt. Es ist der Hass eines Volkes, dem man das Schnapstrinken verbieten muss, weil es sonst zu einem Volk von maßlosen Säufern würde." (Die Saar-Zeitung zum gleichen Spiel, ebd.)

Es gäbe noch vieles andere zu zitieren. Den ehemaligen französischen Nationaltrainer Gérard Houllier etwa. Der warf David Ginola wegen einer missglückten Flanke im WM-Qualifikationsspiel gegen Bulgarien 1993 vor, der Equipe tricolore einen "Dolchstoß in den Rücken" verpasst, gar einen "Exocet-Flugkörper durch das Herz des französischen Fußballs geschossen", ein "Verbrechen gegen das Team" begangen zu haben  - aber you get the picture, denke ich.

Also, was lernen wir daraus? Ich würde fürs erste sagen, dass David Ginola ein Schiff ist, Helmut Schümann keine Ahnung hat, davon aber jede Menge, und dass Karl-Heinz Rummenigge ein blutiger Anfänger ist.

Im Ernst. Sensibilität gegen sprachliche Entgleisungen und vermeintliche Mausrutscher ist die eine Sache, die auch hier weiß Gott regelmäßig geübt wird. Etwas ganz anderes ist es jedoch, jemandem aus lauter Empörtsein etwas in den Mund zu legen, was er nie gesagt hat. Derart hysterisch aus Mücken Elefanten zu machen, hilft keinem. Im Gegenteil, es liefert nur jenen Munition (ups!), die es eigentlich zu bekämpfen gilt.

Fun fact: Real-Trainer Zidane sagte der spanischen Zeitung Marca vorletzte Woche: "Wir werden unseren Titel bis zum Tod verteidigen". Geht's noch, Zinedine Zidane? Sind wir schon wieder so weit?




4 Kommentare :

  1. Halb-OT – obwohl ich mich für Fußball nicht interessiere, finde ich ihn gut. Da kann der Mann noch zum Tier werden, und das braucht er auch. Wenn es ihn nicht gäbe (der Fußball, nicht der Mann gemeint) – man müsste stattdessen etwas gleichwertiges erfinden. Ernst gemeint.

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  2. He, he, schöne Zitatensammlung. Da fällt mir noch Berti Vogts ein: "Hass gehört nicht ins Stadion. Die Leute sollen ihre Emotionen zu Hause in den Wohnzimmern mit ihren Frauen ausleben."

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    1. Ok, mir gings zwar eher um die martialische Sprache, trotzdem ein Klassiker! Weitere schöne Beispiele hier.

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    2. "Es ist wahrhaft kein Schmarrn zu blöd, dass er nicht in der Zeitung steht." (Martin Krassnig)
      Dem lässt sich anbetrachts der läppischen Hervorbringungen dieses Tagesspiegel-Gimpels durchaus zustimmen.
      Noch zwei Zitate:
      "Unser Ziel ist der Endsieg." (Bundes-, vormals Reichstrainer Sepp Herberger bei der Weltmeisterschaft 1954)
      "Deutschland schlägt Brasilien 7:1 in einem Fußball-Blitzkrieg." (USA Today auf Deutsch zur Fußball-WM 2014 in Brasilien)

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