Freitag, 21. Juni 2013

Deutsches Kinderelend


Kristina Schröder hat's manchmal auch nicht leicht. Weil bekanntlich das Damoklesschwert des demographischen Wandels über uns allen hängt, die Deutschen somit auszusterben drohen wie einst die Dinosaurier und die Neandertaler, gilt es als vordringliche Aufgabe einer Familienministerin, dafür zu sorgen, dass die zwar rammelfreudigen, aber vermehrungsmüden Deutschen diesen Trend gefälligst wieder umkehren. Das Elend der deutschen Politik liegt auch hier darin, dass man meint, alles sei im Zweifel nur eine Frage des Geldes.

Wie in der Wirtschaftspolitik, geht man auch in der Familienpolitik angebotsorientiert vor: Man scheint zu glauben, dass, wenn man nur genügend finanzielle Anreize zum Kinderkriegen schafft, das doch irgendwie fluppen müsste mit dem Vermehren. 156 verschiedene Leistungen und Zuschüsse im Wert von 200 Milliarden Euro sind in den Haushalten untergebracht. Der Effekt ist der gleiche wie in der Wirtschaft, weil er auf dem gleichen Denkfehler beruht. So wenig Unternehmen massenhaft Arbeitsplätze schaffen, weil mal wieder die Steuern gesenkt wurden, so wenig setzen Paare Kinder in die Welt, weil irgendwo noch ein Zuschuss zu bekommen ist.

Man verstehe mich nicht falsch: Ohne Frage ist staatliche Hilfe und Unterstützung für Familien mit Kindern wichtig und sollte für eine zivilisierte Gesellschaft überhaupt keine Frage sein. Am eigentlichen Problem aber, nämlich einer mehr oder weniger latenten Kinderfeindlichkeit, ändern alle Steuermilliarden nichts. Es gibt gediegene Wohnviertel, in denen es einfacher sein dürfte, ein Atomkraftwerk zu bauen als eine Kindertagesstätte zu eröffnen. Ein Druckwasserreaktor macht nämlich keinen Lärm zur Mittagszeit.

Überhaupt ist das Thema Kind inzwischen so aufgeladen, dass man mehr und mehr zu Extremen neigt. Auf der einen Seite sind da die tragischen Fälle totaler Vernachlässigung, die für die betroffenen Kinder tödlich enden können, wenn das Jugendamt nicht rechtzeitig eingreift. Das andere Extrem sind überbehütete, zu Tode geförderte Prinzen und Prinzessinnen, die längst keine normale Begleiterscheinung des Erwachsenendaseins mehr sind, sondern vielmehr ein minutiös geplantes Projekt ihrer Erzeuger. Deren Mütter nerven dann oft damit rum, dass sie sich zu quasi Heiligen stilisieren und nicht selten glauben, sie und ihr Nachwuchs müssten immer und überall alles dürfen. Die meinen, von einem Kind ab einem gewissen Alter zu verlangen, sich zu ein wenig zu benehmen, sei eine schandbare Verletzung der Menschenrechte und ein Frevel wider die Majestät des Kindes. Man fragt sich manchmal, wo man mehr Mitleid haben soll.

Kind ist hierzulande nämlich längst nicht Kind. Transferempfängern und Migranten wird gern pauschal unterstellt, sich hinterlistigerweise zu vermehren wie die Karnickel, um dadurch kräftig Sozialleistungen abzugreifen, wenn nicht gar die Nation muslimisch zu unterwandern – von unseren Steuergeldern! Erwünscht sind brave, strebsame, angepasste, deutsch sprechende Mittelschichts- und Akademikerkinder, die, früh gefördert und notfalls auf Ritalin gesetzt, später ordentlich verdienen, auf dass sie uns einmal die Renten sichern. Um die geht es.

Dummerweise sind Paare, die qua Ausbildung und Alter dafür in Frage kommen, oft prekär beschäftigt und müssen beide arbeiten gehen, damit sie finanziell herumkommen. Kitaplätze sind meist schwer zu kriegen und jungen Frauen in lukrativen Berufen wird nach wie vor nicht selten signalisiert: Wenn du es wagen solltest, hier schwanger zu werden, dann kannst du dir das mit der Karriere abschminken. Zudem diese Leute an ihren eigenen, oft holprigen Werdegängen sehen, was ihrem Nachwuchs dereinst blühen könnte. Und sie wissen auch sehr genau, wie abhängig Aufstiegschancen in Deutschland sind von der sozialen Herkunft. Wundert es jemanden, dass viele das mit dem Kinderkriegen lieber auf die lange Bank schieben?

Weil unsere Gesellschaft längst von oben bis unten durchökonomisiert ist und alles unter dem Vorbehalt steht, sich auch rechnen zu müssen, gelten Kinder in erster Linie als ökonomisches Problem. Kinder muss man sich leisten können, das bekommen junge Leute im besten gebärfähigen Alter allenthalben signalisiert. Wer einfach so Kinder kriegt und dann mal sieht, wie's läuft, muss sich in gewissen Kreisen so einiges anhören. Verdient erst mal genug, etabliert euch doch erstmal. Wie, ihr habt kein schickes, verkehrsberuhigtes Reihenhaus am Stadtrand, sondern nur eine poplige Mietwohnung? Da wollt ihr Kinder hineingebären? Oft und gern wird auch vorgerechnet, was ein Kind bis zum Ende seiner Ausbildung im Durchschnitt gekostet haben wird.

Wem zum Thema Kinder keine anderen Schlagworte einfallen als Kostenfaktor, Investition in die Zukunft oder Rentenlücke, sollte sich das mit dem Vermehren eh noch einmal gründlich überlegen.



3 Kommentare:

  1. Am eigentlichen Problem aber, nämlich einer mehr oder weniger latenten Kinderfeindlichkeit, ändern alle Steuermilliarden nichts.

    Volle Zustimmung!

    Die Kinderfeindlichkeit auf der einen Seite und die Überbehütung auf der anderen Seite bedingen einander. Viele Eltern ziehen sich, wegen der Kinderfeindlichkeit, dann mehr und mehr in ihre schützende soziale Höhle zurück. Daraus folgt dann meist eine übertriebene Verehrung der eigenen Kinder. Diese verhätschelten Kinder sind dann wieder Hassobjekt der sowieso schon kinderfeindlichen Karrieristen und so weiter. Ein übler Kreislauf.

    Ich kann nur wiederholen: würde es eine Pille geben, die dafür sorgen würde, dass Frauen erwachsene Menschen gebären, die sofort ausbildungs- und arbeitsfähig wären - Arbeitgeberverbände, Unternehmen und die Bundesregierung wären begeistert.

    Traurig, dabei sind Kinder (ohne sie zu vergöttern), ein großer Quell individueller Lebensfreude. Sie als reine Kostenfaktoren oder Knetmasse zu reduzieren, ist menschenverachtend. Denn auch Kinder sind Menschen. Zwar kleine Menschen, aber Menschen. Das vergessen viel zu viele.

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    1. Das sehe ich auch so. Allerdings: Wenn man Erwachsene mehr und mehr (um nicht zu sagen hauptsächlich) einerseits als Kostenfaktor sieht, andererseits als Arbeitstiere, die sich noch den absurdesten Vorgaben willig anzupassen haben, drittens als Konsumenten, also Umsatzbringer, und viertens als Stimmvieh, gibt es wenig Grund, nun ausgerechnet die Kinder als Menschen anzusehen. Da Kinder nun einmal noch nicht arbeiten und wenig Kaufkraft haben, sind sie eben vor allem Kostenfaktoren und Knetmasse, die bitteschön in markttaugliche Form gebracht werden muss. Das passt nahtlos in diese mammonbasierte Weltanschauung. Traurig, aber folgerichtig.

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  2. Weil unsere Gesellschaft längst von oben bis unten durchökonomisiert ist...

    Für den Satz, muss man dich lieben. Wobei das Letztere genau das ist, was man als erstes verlernt, wenn man von diesem Denken durchdrungen ist. Und die Kinder als erstes betrifft.

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