Dienstag, 11. Juni 2013

Genderama


"Girls will be boys and boys will be girls / It’s a mixed up, muddled up, shook up world / Except for Lola." (Ray Davies)
Die um ihre Männlichkeit fürchtenden Männer an der Universität Leipzig können aufatmen: Die Klöten bleiben dran und im Uni-Chor wird auch weiterhin Tenor und Bass gesungen werden. Kein honoriger Professor muss fürchten, in Zukunft mit "Frau Professorin", "Frau Professor", "Klaus-Bärbel" oder "Loretta" angeredet zu werden. Auslöser der Panik war ein Bericht auf Spiegel online, in dem es sinngemäß hieß, die Leipziger Alma Mater habe ihre Sprachregelungen dahingehend geändert, dass sich von nun an alle Männer mit weiblichen Titeln anreden lassen müssten. Im Teaser heißt es:
"Das ist ein Novum in Deutschland: Nach 600 Jahren Männerdominanz schwenkt die Uni Leipzig radikal um und setzt nur noch auf weibliche Bezeichnungen: Der Titel "Professorin" gilt künftig auch für Männer. "Jetzt läuft das mal andersrum", freut sich eine Befürworterin im Hochschulmagazin "duz"."
Obwohl ich zugeben muss, dass es eine reizende Vorstellung wäre, wenn auch kernige deutsche Burschenschafter sich in Zukunft weiblich ansprechen lassen müssten, ist das natürlich geqirlter Mist. Zwar wird der Senatsbeschluss der Uni, auf den das Ganze zurückgeht, im Artikel sachlich richtig zitiert, allerdings werden in schönster Uninformiertheit falsche Schlüsse daraus gezogen. Dankenswerterweise haben die Kollegen von Bildblog sich der Sache angenommen und das gemacht, was die Redaktionen der Medienhäuser, ihrem journalistischen Auftrag gemäß, eigentlich hätten selbst übernehmen müssen:

"Der erweiterte Senat der Uni Leipzig hat in seiner Sitzung unter anderem über die Grundordnung, also über die Verfassung der Hochschule diskutiert. Dabei ging es auch um die Frage, wie man Personen bezeichnen soll, die in diesem Dokument vorkommen." Bislang habe man unterschiedliche Formen verwendet, um beiden Geschlechtern gerecht zu werden, wie die Schrägstrich-Variante ("Vertreter/innen bzw. Vertreter/Vertreterinnen"), das Binnen-I ("StudentInnen") oder schlicht die Nennung beider Geschlechter ("Professorinnen und Professoren"). Die neue Variante der Leipziger ist, dass in Zukunft ausschließlich die weibliche Bezeichnung genutzt und dann in einer Fußnote geklärt wird, dass Männer auch gemeint seien. Die umgekehrte Praxis, nämlich ausschließlich Männer zu nennen und dann per Anmerkung oder Fußnote darauf zu verweisen, Frauen seien mitgemeint, ist seit langem vielerorts üblich.

Der Clou an der Geschichte ist, dass in Leipzig lediglich beschlossen wurde, diese Praxis auf exakt ein einziges Dokument anzuwenden, nämlich auf eben jene Grundordnung und nirgendwo anders. Aber solch lästiger Kleinkram ficht einen echten deutschen QualitätsjournalistenTM nicht an, wenn er eine knallige Schlagzeile wittert. Und so brachten in der Folge BildBerliner Kurier, Focus, RTL, Berliner Zeitung, Süddeutsche, Welt, BR, Tagesspiegel und WAZ mehr oder minder originelle Meldungen darüber, wie die Uni Leipzig angeblich von wildgewordenen Gendertussen gekapert worden sei, die das Unterste zuoberst kehren.

Nur ging es eben nie darum, allen Männern in Zukunft weibliche Titel anzupatzen, erst recht nicht um solchen Nonsens, wie den, dass fürderhin Phantasieanreden wie "Herr Professorin" obligatorisch werden sollten. Aber weil man im deutschen QualitätsjournalismusTM, und zwar quer durch den Garten, offenbar lieber Stille PostTM spielt, anstatt vielleicht einen Praktikantin einfach mal direkt bei der Universität Leipzig anzufragen zu lassen, was denn da wirklich dran ist – so etwas nennt man, glaube ich, 'Recherche' – trat man lieber den Quark breit, den die Brandstwiete in die Welt gesetzt hatte.

Auch die weiteren Reaktionen waren zum Teil höchst entlarvend und standen sich sowohl auf männlicher wie auf weiblicher Seite an Vorhersehbar- und Oberflächlichkeit in nichts nach: Männer jaulten auf ob dieser Ungeheuerlichkeit, als sei soeben das Abendland untergegangen, während rachsüchtige Feministinnen sich die Hände rieben und meinten: Seht ihr, jetzt wisst ihr mal, was wir täglich zu leiden haben. Möglicherweise war das Ganze ja auch eine gezielte Aktion von Spiegel online. Ein kleines Experiment, das offenlegen sollte, wie genau man es in Deutschland nimmt mit der Überprüfung von Fakten und wie ernst man es wirklich meint mit der Gleichberechtigung, wo doch an vielen Fakultäten Frauen inzwischen in der Mehrheit sind? Das wäre dann natürlich ein echter Coup.


3 Kommentare:

  1. Die Recherchin ließ selbst aus dem deutschen Land-Funk (DLF), in einer munteren und recht phrasistischinnen Morgensatirin grüßen, der nichts besseres einfiel, - als es der Bild gleich zu tun. (Ich empfehle übrigens schon seit längerem, schwerstens SWR2 statt DLF. )

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    1. Ja, eigentlich scheinen so ziemlich alle irgendwie auf das Pferd aufgesprungen zu sein. Vielleicht sollte auch das einem das eine oder andere sagen...

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    2. Wir hatten's doch schon mal davon. Satire und Realsatire :-)

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