Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
▼
Montag, 10. März 2014
Öl ins Feuer
"In der Ukraine sieht das so aus: Die Bösen wollen das Land für ihren Staat, und die Guten wollen den Markt für ihre Wirtschaft und ihre Medien. Die Bösen drohen mit Soldaten, und die Guten locken mit Geld. Ihre Soldaten schicken die Guten lieber nach Afrika, weil das, wie Gerd Müller von der CSU im 'Morgenmagazin' sagt, schließlich ein 'Chancen- und Wachstumskontingent' ist. Da ist noch was zu holen, dafür bringen wir die Freiheit." (Georg Seeßlen)
Man darf davon ausgehen, dass nur wenige wirklich einen Krieg des Westens, also der NATO, wegen der Krim wollen. Zu denen, die es wirklich drauf ankommen lassen würden, gehören: Pro-westliche, von westlichen Marktradikalinskis und von superreichen Oligarchen geförderte Kräfte in der Ukraine, angeführt von Profiteuren wie der Gasmillionärin Julia Timoschenko und dem ehemaligen Preisboxer Vitali Klitschko. Die schrecken auch nicht davor zurück, sich notfalls zu Antisemiten und Faschisten ins Bett zu legen, gegen die Putins gelenkte Oligarchen-Geheimdienst-Demokratur sich ausnimmt wie ein Kindergeburtstag.
Dann sind da Journalisten, die eifrig die Kriegstrommel rühren, in jener Mischung aus Sensationsgeilheit, Revolutionsromantik und aufgesetzter Besorgnis, die dräuende Kriege immer mit sich bringen. Immer auf der Suche nach simplen Gut-böse-Geschichten, üben sie sich darin, Wladimir Putin als 'Brandstifter' hinzustellen, als aggressiven Eroberer, als kalt stierendes Monstrum von Moskau, das in einer Parallelwelt lebt und gegen das jedes Mittel recht ist.
Ein schönes Beispiel für diese Scharfmacherei lieferte am Sonntag Thomas Walde bei 'Berlin direkt' im ZDF. Dort wollte er Außenschlaftablette Steinmeier andauernd mit Kinnmuskelspannereien kommen von 'Härte', 'Druck erhöhen' und 'Putin lässt eh nicht mit sich reden'. Diplomatie scheint nicht so seins zu sein. Linke, die es wagen, Putin verstehen zu können, bezeichnete Herr Walde in einer leider nicht online verfügbaren Anmoderation übrigens allen Ernstes als 'Russlandversteher'. Ein Einzelfall? Schön wär's. Wer braucht noch ein Propagandaministerium, wenn er solche Fernsehsender hat?
"Und den bislang gültigen Gebrauch der Namen für die Dinge vertauschten sie nach ihrer Willkür: unbedachtes Losstürmen galt nun als Tapferkeit und gute Kameradschaft, aber vordenkendes Zögern als aufgeschmückte Feigheit, Sittlichkeit als Deckmantel einer ängstlichen Natur, Klugsein bei jedem Ding als Schlaffheit zu jeder Tat; tolle Hitze rechnete man zu Mannes Art, aber behutsames Weiterberaten nahm man als ein schönes Wort zur Verbrämung der Abkehr. Wer schalt und eiferte, galt immer für glaubwürdig, wer ihm widersprach, für verdächtig. Tücke gegen andere, wenn erfolgreich, war ein Zeichen für Klugheit, sie zu durchschauen war erst recht groß, wer sich aber selber vorsah, um nichts damit zu tun zu haben, von dem hieß es, er zersetze den Bund und zittere vor den Gegnern." (Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges III)
Schließlich noch gewisse Politiker. Bei uns unter anderem Joachim Gauck, der protestantische Freiheitspapst aus Rostock. Der bekommt bei Szenen wie auf dem Maidan natürlich feuchte Hände - es gilt der Freiheit! - und stimmt die Deutschen vorsorglich schon mal auf Blut, Schweiß und Tränen und das Ende von Lustig ein. Dabei übersieht er, dass die Menschen in Osteuropa nach der Auflösung der Sowjetunion einen gehörigen Schluck nehmen mussten von dem, was man im Westen Freiheit nennt, eigentlich aber Freiheit der Märkte bedeutet. In den ehemals kommunistischen Ländern dürften etliche inzwischen zwei Dinge gelernt haben: Wenn der Westen Freiheit propagiert, dann kommt Reichtum für wenige und Armut für viele dabei heraus. Und wenn der IWF erst mal Kredite vergibt, dann wird es richtig hart. Putin dürfte das bewusst sein.
Dabei ist die politische Situation eigentlich gar nicht so verfahren und kompliziert wie sie gern gemacht wird. Putins langfristiges Ziel ist es, Russland wieder auf Großmachtstatus zu hieven. Geostrategisch benötigt er dazu die Krim. Streng genommen nicht die ganze Krim, sondern eigentlich nur den Hafen von Sewastopol, in dem die russische Schwarzmeerflotte vor Anker liegt. Weil Russland sonst nur über Häfen am Eismeer verfügt, ist das der einzige marine Zugang zum nahen und mittleren Osten. Der Rest der Krim ist für Russland ziemlich uninteressant, für den Westen ist sie komplett uninteressant. Oder zumindest so uninteressant, dass ein Krieg darum ein noch kompletterer Wahnsinn wäre als die Kriege, die man eh schon führt. Putin dürfte auch das bewusst sein.
Wladimir Putin macht nichts anderes als das, was Imperialisten seit Jahrhunderten tun, wenn sie ihre Einflusssphäre sichern wollen: Er hält sicherheitshalber den Daumen drauf, und zwar nachdrücklich. (Könnte das ein Grund sein, warum es im britischen Blätterwald längst nicht so rauscht? Die haben darin schließlich Erfahrung.) Klar, am liebsten wäre es ihm wohl, wenn die Krim gleich eine russischen Exklave würde. Völkerrechtswidrig? Möglich. Muss man das kritisieren? Kann man machen. Nur sollten Länder, die ihrerseits auch mit fragwürdigen Begründungen völkerrechtswidrige Kriege vom Zaun brechen, wenn es ihnen gerade in den Kram passt, diesbezüglich vielleicht etwas zurückhaltender sein.
Damit keine Missverständnis aufkommen: Dem geschassten ukrainischen Ex-Präsidenten Janukowitsch muss man keine Träne nachweinen. Das macht die, die an seine Stelle getreten sind bzw. im Begriff sind, das zu tun, aber nicht automatisch zu Heilsbringern. Außerdem war Janukowitsch, ob es einem passt oder nicht, demokratisch gewählt und damit das völkerrechtlich legitime Staatsoberhaupt. Wer jetzt einwendet, auch Hitler sei schließlich demokratisch gewählt worden damals, hat zwar recht, muss aber auch die Frage beantworten, wo er dann überhaupt noch einen Unterschied machen will, wenn das Völkerrecht nicht endgültig zur reinen Farce verkommen soll.
Auch Putin ist sicher nicht die allersympathischste Figur auf der Weltbühne. Seine repressive Politik nach innen, die übrigens zwei Drittel der russischen Bevölkerung ganz okay finden, wenn man den Umfragen trauen darf, ist weit davon entfernt, mit dem zu vereinbaren zu sein, was man gemeinhin westliche Werte nennt. (Nebenbei: Wie viel Prozent der Bevölkerung sitzen eigentlich in den USA im Knast?) Eines ist er jedoch nicht: Ein unberechenbarer, gemeingefährlicher Irrer, ein irrational agierender Bösewicht und Blutsäufer. Im Gegenteil: Auch wenn man seine außenpolitischen Ambitionen und sein Vorgehen problematisch finden kann, handelt er durchaus rational und nachvollziehbar.
Die ganze Sache hat leider einen einzigen Haken. 1994 wurden unter anderem der Ukraine in Bezug auf ihre weitreichende Sicherheitsgarantien gegeben. Als Gegenleistung dafür, dass die Ukraine ihre Atomwaffen abschafft, haben Großbritannien und die USA sogar militärisches Eingreifen zugesagt, sollte ihre territoriale Integrität bedroht sein. Darauf berufen sich pro-westliche bzw. pro-europäische Kreise in der Ukraine jetzt. Weil nicht nur Putin, sondern auch Obama das bewusst sein dürfte und die beiden bereits länger miteinander telefoniert haben, kann man vermuten, dass das Säbelgerassel der Politik auch dazu dient, sich nicht unglaubwürdig zu machen. Jede Wette, in einiger Zeit wird eine Konferenz einberufen, die am Ende einen Kompromiss aushandelt, mit dem alle irgendwie leben können.
Es wird zurzeit viel geredet über mögliche Parallelen zwischen 1914 und 2014. Misstrauen gegenüber der politischen Klasse ist immer angebracht, heute wie vor hundert Jahren. Im Fall der aktuellen Krimkrise aber sollte man sich mindestens genau so große Sorgen machen über die Rolle von Medien, die ihre Rolle nicht mehr darin sehen, den Mächtigen auf die Finger zu klopfen, sondern in der Pose des Scharfmachers noch zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen. Weil ihnen das diplomatische Gerede offenbar viel zu langweilig ist. Bringt schließlich keine Quoten.
6 Kommentare:
Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.
Also dieses zweite Zitat gibt dem Text erst seine richtig deprimierende Note. Wenn's in den letzten fast zweieinhalb Jahrtausenden keinen Fortschritt gab, dann wird's in den nächsten zweieinhalb Jahren wohl auch eher keinen geben...
AntwortenLöschenHat kaum an Aktualität verloren, der olle Grieche. Ich glaube es war Leopold von Ranke, der sinngemäß meinte, es gäbe keinen erkennbaren Fortschritt in der Geschichte der Menschheit...
LöschenDanke dafür ;)
LöschenUnd anhand der historischen Zitate fühle ich mich jetzt in guter Gesellschaft, wenn ich von der ewigen Kreisbahn der Menschheit spreche. Eine Kreisbahn, die in den "unendlichen Weiten" der Geschichte nur so aussieht, als sei es eine Gerade ;)
Nicht dafür, Rosi. Aber ich hoffe doch sehr, dass der Herr Seeßlen uns noch lange erhalten bleibt - der ist meines Wissens nämlich keineswegs historisch... ;-)
Löschen"Im Fall der aktuellen Krimkrise aber sollte man sich mindestens genau so große Sorgen machen über die Rolle von Medien, die ihre Rolle nicht mehr darin sehen, den Mächtigen auf die Finger zu klopfen, sondern in der Pose des Scharfmachers noch zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen."
AntwortenLöschenTreffer versenkt. Überrascht aber nicht wirklich , dieselben "Journalisten" beweisen seit 20 Jahren , wes Geistes Kind sie sind , gemäßigte Denker kann man nicht brauchen , wenn es gilt , eine marktextremistische "Elite" zu hofieren.
Denke aber , daß die Krimkrise mittelfristig einen Wendepunkt darstellen dürfte in Bezug auf die Akzeptanz dieser Form des Journalismus , das hier ist zu existenziell und richtet gerade massiven Schaden an im Bereich der schreiberischen Reputation , Ausnahmen ausdrücklich abgesehen .
Es wird keinen Krieg geben , die Russen haben schon immer gemacht , was geht , waren aber nie bereit , die Welt dafür in Brand zu setzen.
Außerdem geht es nicht nur um Großmacht - Status , die Truppen an der russischen Ostgrenze sind vor allem eine klare Ansage an die eigene Bevölkerung , nur ja die Füße still zu halten , Putin hat zurecht die Befürchtung , die eigenen Proteste könnten auf sein Land übergreifen.
Und was die Garantie angeht , cool bleiben , niemand ist so erfahren darin , Verbündete im Stich zu lassen wie die Amerikaner , wer hätte gedacht , daß sich das auch mal als günstig erweisen würde.
und genau das wird passieren, fürchte ich. Die Amis werden sich mit Putin wieder "vertragen" und der Böse und Blöde wird die EU, mit der BRD an der Spitze sein. Und dann heisst es wieder mal für uns alle, "zahlen".
AntwortenLöschen