Geht das? Werd ich es noch erleben, Sweetheart? Kriegt man das hin? In Deutschland einem Sonntagnachmittag verbringen zu können, ohne irgendwo was auf die Ohren zu bekommen? Leidet die Welt an einem kollektiven akustischen horror vacui? Als würde es nicht reichen, dass für diesen jung gebliebenen Besserverdiener aus der Gegend ein Sonntag offenbar kein Sonntag ist, wenn er nicht mindestens zwanzig Mal die Straße, an der ich wohne, mit seiner Harley rauf- und runterbollert, dass die Tassen im Schrank klappern, nein. Auch Museen, früher einmal Stätten der kontemplativen Ruhe, sind längst nicht mehr sicher vor den Geräuschemachern. Denn Radau gehört inzwischen immer öfter zum Konzept.
Das Museum der deutschen Binnenschifffahrt in Duisburg zum Beispiel ist eigentlich ein netter Ort. Es ist untergebracht in einem ehemaligen Gründerzeit-Hallenbad direkt am Rhein. Sicher, es erwarten einen keine künstlerischen Offenbarungen und die Welt ist keine andere, wenn man herauskommt, aber es gibt einiges Interessante zu sehen und auch das eine oder andere zu lernen. Genau richtig für ein wenig Abwechslung vom Alltagstrott. Zudem befindet sich auf dem Gelände auch das gediegene Restaurant 'Schiffchen', in dem sich nach getanem Museumsbesuch ein stilechter britischer Five o' Clock Tea einnehmen lässt. Mit Scones, Gurkensandwiches und was sonst alles dazugehört (Reservierung dringend empfohlen). Stopp! Eigentlich müsste es heißen: Das Museum der deutschen Binnenschifffahrt in Duisburg könnte ein netter Ort sein. Denn wenn, ja wenn.
Nett: Binnenschifffahrtsmuseum |
Weniger nett: Krachmacher am Werk |
Das Ende der Fahnenstange ist übrigens längst nicht erreicht. Im Imperial War Museum in London konnte man im Untergeschoss durch einen Schützengraben des Ersten Weltkriegs latschen und bekam nicht nur Lichteffekte und Geräuschkulisse, sondern auch die passenden Gerüche serviert. Verwesungs- und Fäkalgestank waren übrigens nicht dabei, hätte möglicherweise noch jemanden traumatisieren können. Bei meinem letzten Besuch konnte man gar in einem nachgebauten Luftschutzkeller einen Bombenangriff auf London nacherleben. Diesmal wackelte der Bau sogar richtig, wenn es krachte. Die zahlreich anwesenden Jugendlichen waren von dieser Erfahrung nicht etwa schwer geschockt, sondern fanden das alle ziemlich cool.
Sieh an, dachte ich halb angewidert, Den Krieg machen sie jetzt also auch zum Disneyland. Nach neuerlichem Überlegen ergab das aber irgendwie auch wieder Sinn. Die nächste Generation Kanonenfutter will schließlich beizeiten begeistert werden für den vaterländischen Dienst. Das Museum wird übrigens gerade umgebaut. Man kann sie also wieder einmal stellen, die Frage aller Fragen. Nämlich die, was die eigentlich als nächstes machen.
Der Hintergrund ist wie immer: Geld ;-)
AntwortenLöschenDa die Museen, wie die Kultur in Deutschland insgesamt, Jahr für Jahr mit weniger Geld auskommen muss, versuchen sie mit aller Kraft mehr Besucher in ihre Hallen zu locken (und die Preise werden natürlich auch jährlich erhöht). Und um die Zielgruppe der Jugendlichen und Kinder zu erreichen, macht man ein Event-Entertainment-Krach-Bumm-Beng-Spektakel draus. Je lauter, bunter und flippiger - desto "cooler" finden die das.
Heute geht doch niemand mehr in ein Museum, in eine Ausstellung oder eine Galerie, um seinen Horizont zu vergrößern oder gar sein Wissen zu erweitern, sondern um etwas zu "erleben".
Leidet die Welt an einem kollektiven akustischen horror vacui?
AntwortenLöschenJa, mit Sicherheit, und an wahnsinnig verkürzten Aufmerksamkeitsspannen. Warum sonst würden so viele hibbelige Radiosender während der (inhaltlich meistens ohnehin schon sehr sparsamen) Nachrichten zwischen jedem Halbsatz ein gutgelauntes, dynamisches und wiedererkennbares Geräusch spielen und zwischen den einzelnen Meldungen eine Fanfare, sodass die ganze kurze Nachrichtenlesung noch in einer schmissigen Rhythmusimitation daherkommt und man das Abfeiern nichtmal für die Erdbeben-, Bomben- oder Bürgerkriegsopfer des jeweils aktuellen Krisenherdes unterbrechen muss.
Es ist mir auch ein Rätsel, wieso man als Radiosender immer, aber auch immer derart gute Laune verströmen zu müssen glaubt. Hey, es ist halb sechs an einem verregneten Montagmorgen, geil, erstmal Party. Hey, ich muss in zwei Stunden in xy sein und stehe hundert Kilometer vor dem Ziel seit 2 Stunden in einem Mammutstau. Geil, erstmal Party. Danke, Radio YZ, ihr seid die geilstentschakatschakabrabbel...
Da passt das mit den Museen doch voll rein.
@epikur: Geld ist natürlich immer ein Argument. Dabei muss das gar nicht mal in Radau ausarten. Ich erinnere mich noch, wie ich meine Begleitung vor ein paar Jahren in eine Sonderausstellung im neuen Folkwangmuseum einlud. Als der den Eintrittspreis nannte, wollte ich erst anmerken, dass ich nicht den Laden kaufen wollte.
Löschen@gnaddrig: Warum läuft bei mir bloß immer dradio Kultur oder WDR 5 (die hiesige regionale Variante)? Bei den privaten Dudelsendern würde ich noch hibbeliger.
Selber hören tu ich sowas auch praktisch nie, aber man kriegt es aus der Umgebung oft genug mit, um eine Vorstellung vom Audiodesign solcher Sender zu haben.
Löschen"dass für diesen jung gebliebenen Besserverdiener aus der Gegend ein Sonntag offenbar kein Sonntag ist, wenn er nicht mindestens zwanzig Mal die Straße, an der ich wohne, mit seiner Harley rauf- und runterbollert, dass die Tassen im Schrank klappern, "
AntwortenLöschenSpricht mir aus der Seele , das scheint ein neuer Sport zu sein , und dabei geht es ganz offensichtlich nicht um den Spaß an der Geschwindigkeit , sondern darum , ganz gezielt ganze Stadt-und Ortsteile zu terrorisieren ,nicht nur mit dem Hochjagen des Motors , sondern auch mit dem gezielten Einbau von Teilen , die auf einer besonders durchdringenden Frequenz laufen.
Ich fürchte , das hat tatsächlich was mit Aufmerksamkeit um jeden Preis zu tun und auch damit , ums Verrecken nur keine Sekunde auf sich selber zurückgeworfen zu werden.
Was diesen Typus Biker angeht , es ist überfällig , daß dagegen polizeilich vorgegangen wird , absichtliche Lärmbelästigung ist schon heute nicht erlaubt , das wird aber immer nur in den falschen Bereichen angewendet , anstatt immer gleich anzudackeln , wenn irgendein frustrierter Mitbürger seinen Haß auf Kinder oder feiernde Mitmenschen ausleben will , sollte die Polizei ihr Augenmerk mal auf diesen Bereich lenken.
Wenns nicht anders geht , muß eben eine generelles Fahrverbot her , für Motorradfahrer (und auch Sportwagen) in geschlossenen Ortschaften.
Das mit den Motorrädern ist so eine Sache. Habe neulich gelesen, dass die einmal geprüft werden und die Plakette kriegen. Wenn hinterher jemand die Einsstellungen ändert, interessiert das niemanden mehr (ist ja bei der ASU genauso). Die haben teils Schalter für "spießig" und "wie man in echt fährt", und letzteres macht dann eben etwas mehr Lärm. Ist aber, wenn man selbst draufsitzt, offensichtlich so geil, dass einem die Bugwelle aus Krach hinten vorbei geht.
LöschenAber ärgern tut mich nicht mal so sehr, dass viele Motorradfahrer die vorhandenen Krachmachmöglichkeiten bis zum Letzten ausschöpfen, sondern dass ihnen überhaupt soviel Lärm erlaubt wird. So eine Schüssel darf (soweit ich mich erinnere) ungefähr soviel Lärm machen wie ein LKW, und das finde ich schon unverschämt. Wenn ein LKW, der - platt gesagt - mir Kaugummi, Klopapier, Turnschuhe und meinetwegen Schnittblumen in die Läden bringt, die Tassen im Schrank rappeln lässt, ist das lästig, aber ok. Der tut seinen Job und man hat was davon.
Wenn aber so ein verzogener Schleifsteinreiter dasselbe macht, bloß weil er gern auf seinem Furzkissen durch die Stadt schnarzt, greife ich im Geiste zur Schrotflinte. Der LKW bewegt mit dem Lärm immerhin 40 Tonnen Güter, der andere schiebt bloß seine Vierteltonne Onanierhilfe völlig unnütz durchs Land, statt sich wie andere Leute auch zuhause im stillen Kämmerlein einen runterzuholen.
Oder so ähnlich :)
@gnaddrig
AntwortenLöschenDabei ist nichts spießiger , als den Druck auf dem Alltag durch kurzzeitige Pseudofreiheit am Feierabend zu kompensieren.
"greife ich im Geiste zur Schrotflinte"
Den Gedanken kenne ich auch , in Form eines Baseballschlägers.