Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Montag, 22. September 2014
Kein Verlust
Bei der 'Süddeutschen Zeitung' darf nicht mehr kommentiert werden. Na und?
Nach dem stern hat auch die 'Süddeutsche Zeitung' vor einiger Zeit ihre Kommentarfunktion abgeschafft und man kann nur noch zu wenigen, ausgewählten Fragen Stellung nehmen. Ich finde das - ausgesprochen erholsam. Im Falle vieler besonders breitärschig und beleidigend auftretender Zeitgenossen kann ich mir, um ehrlich zu sein, auch eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. Eine Zeitung ist ein asymmetrisches Medium mit nur minimaler Interaktivität. Man liest sie, bildet sich seine Meinung und fertig. Die Möglichkeit, mit einer Zeitung irgendwie in Dialog zu treten, gab es lange nur in Form von Leserbriefen, deren Auswahl und Kürzung die Redaktionen sich vorbehielten.
Logisch, dass das vielen Kommentatoren überhaupt nicht gefällt. Vor allem, weil sie sich und die Bedeutung ihres Hobbys grandios überschätzen. Immer wenn man Menschen etwas einräumt, zum Beispiel die Möglichkeit, zu Zeitungsartikeln ihren Senf dazuzugeben, dann glauben nicht wenige schon nach kurzer Zeit, sie hätten ein genuines Anrecht darauf und machen Radau, wenn sie feststellen, dass dem nicht so ist. Leserkommentare seien doch so wichtig, jammern die, die sich nun schnöde ihres Spielplatzes beraubt sehen. Blödsinn. Und, nein, es handelt sich auch nicht um Zensur. Immer noch nicht.
Und wenn schon. Es gibt im Netz nach wie vor hunderte Wege, sich über Veröffentlichtes, auch aus der 'Süddeutschen' auszutauschen. Bewegt euch halt dahin, anstatt immer nur zu klagen. So wichtig sind die Kommentarspalten nämlich nicht.
Vielleicht bin ich ja altmodisch. Web 0,0-sozialisiert und an das ewige Mitbrabbelnmüssen der Generation Digital immer noch nicht recht gewöhnt. Daher fällt mir immer wieder der olle Tucholsky ein. Der meinte einmal über Bücher aus der Bibliothek, die von Besserwissern mit Randbemerkungen vollgeschmiert wurden: "Wenn einer und er entleiht ein Buch von einer Bibliothek, sagen wir den Marx: Was will er dann lesen? Dann will er den Marx lesen. Wen aber will er mitnichten lesen? Den Herrn Posauke will er mitnichten lesen. Was aber hat der Herr Posauke getan? Der Herr Posauke hat das Buch vollgemalt. Pfui!"
Die Möglichkeit, Artikel zu kommentieren, wurde Lesern von Online-Zeitungen exakt aus einem Grund eingeräumt: Man erhoffte sich stärkere Bindung ans Medium und somit mehr Klicks, wodurch sich höhere Werbeeinnahmen generieren lassen würden. Weil Zeitungen für alles, was bei ihnen erscheint, haftbar gemacht werden können, also auch für Kommentare, mussten eigene Abteilungen eingerichtet werden, um den ganzen beleidigenden, teilweise strafrechtlich relevanten Schrott auszufiltern, der tagtäglich dort abgelassen wird. Das kostet. So eine Investition wird nur dann getätigt, wenn sie irgendwann Gewinn abwirft.
Es gibt Zeitungen wie den 'Freitag', bei denen man das Kommentariat sehr ernst nimmt und sich darum bemüht. Es gibt auch den Wiener 'Standard', wo sich eine vitale, eloquente, teils auch humorvolle Kommentar-Community etabliert hat, in der meist echte Diskussionen stattfinden und die über gewisse Selbstreinigungskräfte verfügt. So was wird es auch weiterhin geben und man wird dort weiter kommentieren können. Bei der 'Süddeutschen' haben sie eben andere Prioritäten. Dort wird man Bilanz gezogen und sich gefragt haben: Was kostet uns die Kommentiererei? Was hat sie bislang eingebracht? Wenig außer Ärger, Kosten und Arbeit? Ist in Zukunft etwas anderes zu erwarten? Dann eben weg damit. So what?
Sicher gibt es immer mal wieder welche, die Substanzielles in angemessenem Tonfall beizutragen haben, aber im Gegensatz zur Selbstwahrnehmung vieler Kommentatoren, sind geschätzt mehr als neunzig Prozent aller Leserkommentare ungefähr so nützlich wie ein Furunkel am Arsch und man kann sie getrost in die Tonne treten, ohne dass der Welt dadurch etwas entginge. Vieles ist bloß paranoides, eitles Geblähe, Rechthaberei und Ad-hominem-Gehetze am Rande des Strafrechts von Leuten, die zu viel Tagesfreizeit und auch sonst nichts Sinnvolles im Leben zu haben scheinen. Wenn es sich nicht gleich um manipulatives Niedermachen von professionellen Mietschreibern im Auftrag von Think Tanks handelt. Keiner braucht so was.
Ferner ist es arg naiv zu glauben, über die Kommentare käme eine Art fruchtbringender Dialog in Gang zwischen Journalist und Leser zum höheren Nutzen des Journalismus. Passiert vielleicht in Ausnahmefällen mal. Bei aller bereichtigten Kritik an dem, zu dem der selbsternannte Qualitätsjournalismus inzwischen verkommen ist, sollte man daran erinnern, dass Journalist zu sein in der Regel ein Fulltimejob ist. Die meisten haben weder Zeit noch Nerven, sich neben ihrer normalen Arbeit noch stundenlang mit Hunderten von Kommentaren zu ihrem letzten Artikel zu befassen und mit den Kommentatoren zu diskutieren, wenn die Deadline für den nächsten Artikel ihnen bereits im Nacken sitzt.
Nicht einmal Blogs, bei denen die Möglichkeit zu kommentieren quasi serienmäßig eingebaut ist, brauchen das zwingend, um relevant zu sein. Die Nachdenkseiten, die man getrost zu den einflussreichsten deutschsprachigen Blogs zählen kann, kommen seit Ewigkeiten hervorragend ohne aus und machen keine Anstalten, daran etwas zu ändern. Wer etwas zu meckern oder zu ergänzen hat, kann das per Mail tun und die Betreiber greifen diese Reaktionen auch gelegentlich auf. Das reicht vollkommen.
Wären also Demokratie und freie Rede in Gefahr, wenn noch weitere Zeitungen ihre Kommentarfunktion deaktivierten? Wieder Blödsinn. Allein schon deswegen, weil vieles sich inzwischen in sozialen Netzwerken abspielt, werden Kommentarspalten immer mehr zur Spielwiese einer vergleichsweise kleinen Minderheit, die kaum Einfluss hat. Allen wackeren Senfzugebens in Online-Medien zum Trotze, herrschte in großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit noch nie so viel geistiger Stillstand wie 2014. Echte Impulse kommen längst woanders her.
Überflüssig zu sagen, dass Kommentare hier natürlich weiterhin gern gesehen sind.
18 Kommentare:
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Ah ja, gegen Kommentatoren wettern aber Kommentare wollen, das passt ;)
AntwortenLöschenZeitungsartikel sind wohl oft eher die Stichwortgeber für Kommentare. Inhaltliche Auseinandersetzung findet oft nicht statt, viele keilen lieber gegen ihre Lieblingsfeinde. Viele Leute nutzen jeden auch nur halbwegs geeigneten Anlass, ihre (oft vorgefertigte, oft einseitige, oft haarsträubende) Meinung in die Welt zu blasen.
Diese Leute könnten denselben Kram theoretisch auch anderswo zum Besten geben. Sie könnten sich - ein kostenlos gehostetes Blog ist nur ein paar Klicks und ein paar Tastenanschläge entfernt - sogar eigene Spielwiesen einrichten und von dort das Internet bemeinen. Dass viele das nicht tun, wird daran liegen, dass es einfacher ist, irgendwo ein bisschen Senf dazuzugeben, als selbst etwas von Null auf die Beine zu stellen.
Darum sind sie dann mucksch, wenn man sie im großen Saal nicht mehr ans Mikro lässt...
Nicht einmal Blogs, bei denen die Möglichkeit zu kommentieren quasi serienmäßig eingebaut ist, brauchen das zwingend, um relevant zu sein. Die Nachdenkseiten, die man getrost zu den einflussreichsten deutschsprachigen Blogs zählen kann, kommen seit Ewigkeiten hervorragend ohne aus und machen keine Anstalten, daran etwas zu ändern.
AntwortenLöschenNaaa. Das sehe ich nicht ganz so. Richtig ist zweifelsfrei, dass es viele Trolle, Spinner und Idioten unter den Kommentierern gibt - die ganze Funktion des "Kommentars" deswegen in Frage zu stellen, halte ich aber für gewagt.
Mir geht es seit einiger Zeit so (und ich glaube auch vielen anderen), dass ich die Kommentare bei den neoliberalen, gleichgeschalteten Einheitsbrei-Massenmedien, als ein notwendiges Korrektiv betrachte und sie sehr intensiv lese. Und erst die Funktion des Widerspruchs und des Gegenarguments macht eine Nachricht bzw. einen Artikel erst interessant (und zwar direkt auf der Seite und nicht irgendwo im Nirvana des Web!). Genau das gilt auch für Blogs und fehlt bei den Nachdenkseiten - was übrigens viele nicht gut finden und ihnen deshalb auch die Bezeichnung "Blog" aberkennen wollen. Zu Recht!
Wann und wo findet man bei den Leitmedien gut recherchierte Artikel, die auch ohne Kommentare einen Mehrwert haben? Beiträge, die nicht von PR-Huren formuliert, von Nachrichtenagenturen abgeschrieben oder von NATO-Propagandisten hingerotzt werden? Denkst Du, es ist ein Zufall, dass sie ausgerechnet jetzt die Leserkommentare abschalten wo sie überall eine völlig einseitige NATO-Propaganda betreiben und in ihren Kommentaren hierzu jedemenge Widerspruch bekommen?
Was die nur immer alles gegen Trolle, Spinner und Idioten haben :-) Meine Güte, ich fühle mich auf's Schlimmste diskriminiert. Aber als Putin-Versteher und KGB-Maulwurf, der gerade dabei ist, ein konspiratives Netzwerk von Kommunisten für ein Weltreich "neue Sovjetunion" aufzubauen, muss ich mich Epikur anschließen. Die Süddeutsche darf man schon, als eine Art NATO-Freundschaftssender bezeichnen. Wobei das größere Problem das ist, dass sie zumindest hier in der Ecke, für eine schier unübersehbare Zahl von regionalen Zeitungen und Provinzblättern, quasi so eine Art Funktion von Nachrichtenagentur übernimmt. Will meinen, was heute in der SZ steht, kannst du morgen auch so ziemlich in jedem Stadtblättle nachlesen, was neben irgendwelchen Kaffeetassen liegt. Die Kommentare, hatten da schon eine gewisse Filterwirkung und auch so manchen Lokalmatador, auch mal zum Nachdenken angeregt. Das fällt nun weg.
AntwortenLöschen@Stefan Rose
AntwortenLöschenHhhm, dieses Thema treibt mich auch mal wieder um, die Sinnfrage von Kommentaren unter Medien, aber auch in Blogs (meisten pausiere ich dann wieder für einige Zeit).
Generell schließe ich mich Ihren Gedanken an. Weite sie jedoch auf die Blogs aus. Denn das hier: "einer vergleichsweise kleinen Minderheit, die kaum Einfluss hat." gilt m.E. nicht für eine kleine Minderheit, sondern für die große Masse. Mit Kommentar, mit Blog-Artikel oder ohne, der Einfluss bleibt völlig gleich 0. Also nicht böse sein, formuliere jetzt etwas (*räusper*) deutlich:
Sie schreiben einen Artikel, was ändert sich? Nichts. Braucht die Welt diesen Artikel? Nein. Brauche ich Ihren Artikel wirklich oder ist der Artikel letztlich auch nur eine Randnotiz am Buch der Welt? Lese ihre Artikel gerne, aber brauchen tue ich sie nicht.
Was ist 'brauchen' überhaupt?
“neunzig Prozent aller Leserkommentare ungefähr so nützlich wie ein Furunkel am Arsch“ Das würde ich glatt auf 99.99 % ausweiten (mich mit eingeschlossen, selbstverständlich), wenn ich mir die Unterscheidung mit der sog. Trollerei erspare. Wie funktioniert denn diese Menschenwelt, inkl. aller Berichterstattung, Meinungsäußerungen und der Politik. Was tun wir denn den ganzen Tag so alle überwiegend? Wir helfen dabei Dinge zu produzieren und zu konsumieren, die die Welt nicht braucht. Natürlich gibt es auch sinnvolles in dieser Welt. Doch das mit der Tagesbeschäftigung zu kombinieren, halte ich für die Ausnahme.
Mir kann niemand mehr erzählen, das basiere alles auf Vernunft. Nein, diese Welt menschelt, ununterbrochen und überall (das ist nicht mal Kritik. Denn was sollen Menschen auch sonst machen, wenn nicht menscheln?). Man interveniert doch nicht in der Ukraine, weil es vernünftig wäre. Sondern man rüstet (nicht nur) rhetorisch auf, weil Russlands Präsident Putin heißt und eine Menge subjektiver Interessen einzelner Profiteure berücksichtigt werden sollen. Profitierte die Welt, die gesamte Menschheit davon? Nein, das würde sie nicht.
Was unterscheidet den Web 0,0-er vom Web 2.0er, wenn er irgendwo etwas bei den Medien kommentiert oder einen Artikel in seinem Blog dazu schreibt? Ändert sich etwas am Wirkungsgrad?
Und hat ein R.D. Precht, der Rasmussen in einer Talkshow 'Knalltüte' nennt, wirklich mehr Einfluss? M.E. nicht, die Eigendynamik des Systems lässt sich nicht aus dem Trott bringen. Mit oder ohne Eloquenz, mit oder ohne Verstand, alles völlig irrelevant. Aber jeder findet natürlich sein Publikum und das ist vermutlich der einzige Sinn, der zu finden ist.
Das müsste nicht immer so gewesen, sein oder in Zukunft bleiben. Denke jedoch, dass es im Moment so ist und exakt derart empfunden werden soll. Man arbeitet m.E. zurzeit an vielen Maulkörben an den verschiedensten Fronten. Sei es mit justiziablen Maßnahmen gegen Edward Snowden, die Beschränkung des Rechtshilfeweges für Leistungsberechtigte oder auch solches:
http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2014-09/bnd-ueberwachung-ermittler-maulkorb-datenschutz
Erwähnen möchte ich noch - damit keine Missverständnisse entstehen - vertrete nicht einmal die Meinung, dass alles was man tut gleich einen tieferen Menschheits-Sinn erfüllen muss oder dass sich eines Tages vll. nicht doch herausstellen könnte, dass es einen hatte, den man (wie auch ich) nur nicht erkannte. Was Sinn macht, ist eh eine subjektive Einschätzung.
Gruß
Rosi
@epikur: "Denkst Du, es ist ein Zufall, dass sie ausgerechnet jetzt die Leserkommentare abschalten wo sie überall eine völlig einseitige NATO-Propaganda betreiben und in ihren Kommentaren hierzu jedemenge Widerspruch bekommen?" Da ist etwas dran. Kann mir auch nicht vorstellen, dass das jetzt ein Zufall ist.
AntwortenLöschenAnlässlich der breit angelegten 'Kriegsrhetorik' (der Begrifflichkeit NATO-Propaganda weiche ich aus, um mich eben nicht der gleichen Rhetorik der Propagandisten zu bedienen) war ich für eine kurze Zeitspanne sporadisch Kommentator bei der Süddeutschen (mehr bei der Zeit, doch das hat sich m.E. kaum voneinander unterschieden). Glaube zwar nicht, dass es der einzige Grund für die Abschaltung ist, es wird ein willkommener Anlass gewesen sein.
Allerdings, so meine Beobachtung, ausgerechnet der Widerspruch gegen diese Kriegsrhetorik, die einseitige Berichterstattung, das Verpacken von Twitter-Gezwitscher als Nachrichten in den Süddeutschen (unfassbar eigentlich) war m.E. in der Masse, 85 % (würde ich schätzen, die plapperdenen Trittbrettfahrer außen vor gelassen) sachlich und von Vernunft geleitet. Das sah auf Seiten der „Scharfmacher“, der Befürworter eines neuen Kalten Krieges und sogar solchen, die nach sofortigen militärischer Intervention plärrten, anders aus. (Erschreckend für mich)
Nur, hat dieses Mehr an Sachlichkeit einen Sinn erfüllt? Nein, hat es nicht, zumindest nicht den vorgesehenen. Bot evtl. nur den Anlass, die Kommentarfunktion abzuschalten. Und dann passt es doch wieder. Medien und Politik beten vor, Volk soll alle vier Jahre ein Kreuz machen und gut ist. Das schränkt des Volkes Redefreiheit nicht ein, da hat Stefan Rose völlig Recht. Denn es ändert sich doch nichts. Außer, dass die Medien sich den administrativen Aufwand wieder einsparen.
Gruß
Rosi
PS: Und selbstverständlich ergibt sich auch aus diesen meinen Äußerungen keinerlei Nutzen für diese rein funktionale Welt.
@Rosi
AntwortenLöschenUnd selbstverständlich ergibt sich auch aus diesen meinen Äußerungen keinerlei Nutzen für diese rein funktionale Welt.
Psssst. Das ist schon richtig, aber es ergibt sich ein Nutzen für eine nicht funktionale- und möglicherweise sogar menschliche Welt. (*Duck und wech*, sprach der Troll, doch niemand fand es toll)
;) ...
LöschenDa hast Du mich aber gut verstanden .... *ganzbreitgrins* ... und mist, das war doch so gut getarnt.
Scherz beiseite, zumindest untereinander ist es so gedacht gewesen (der Begriff Welt ist relativ). Und weiter kann ich eh noch nicht gucken ;) ... zu viele dunkle Wolken ziehen auf ...
Lieben Gruss
Rosi
Karl Kraus monierte seinerzeit (um 1930) über das Thema "Veröffentlichung von Leserbriefen in Zeitschriften":
AntwortenLöschen»Der Schwachsinn, der früher nie daran gedacht hätte, aus seinem Privatleben hervorzutreten, hat eine Gelegenheit für die Unsterblichkeit entdeckt.«
Was Herr Kraus wohl heutzutage darüber zu sagen wüsste, hätte er das Zeitalter von Web 2.0 noch erlebt? ...
Prophetisch...dürfte sich aber mit der Zeit geben , irgendwann gehen auch die soz.Netzwerke den Weg allen Kneipen - Stammtisch - und Kollegen - Gewäscha , irgendwann wirds keine Sau mehr interessieren.
LöschenIst vielleicht kein Zufall , daß sich der Artikel ausgerechnet an der SZ entzündet , es gab wohl keine Kommentarspalte in den "etablierten" Überregionalen , die ein derart versifftes und mieses Niveau aufzuweisen hatte.
AntwortenLöschenMag die SZ jetzt keine durchgehend gute Zeitung sein , aber sie zählt auch nicht zu den schlechtesten , umso erstaunlicher , welches Stammtisch-Geschwafel sich in den Kommentarspalten fand , das war schlicht und ergreifend unerträglich.
Ich würde den Vorrednern aber zustimmen , daß Kommentare nicht zwingend so laufen müssen , ganz im Gegenteil , immer rein ins Netz und Schnauze aufreißen , in welcher Form dann auch immer , und trotz des letzten Satzes riskiert der Artikel das Mißverständnis der Geringschätzung der Kommentarfunktion .
Puhh, in der Tat meine ich, dass Kommentarspalten die Menschheit nicht durch ihre bloße Existenz weiterbringen und erst recht nicht zwingend ein "Korrektiv" (epikur) sind. Im Gegenteil: Eine Veranstaltung wie in der Süddeutschen, wo fast jedes Thema von einigen Stammtisch-Pöblern gekapert wurde, die dann alle mit einer anderen Meinung niedergemacht haben, braucht wirklich kein Mensch. Ist oft auch bei SPON zu beobachten, vor allem wenn J. Augstein eine Kolumne raushaut oder wenn sozialpolitische Themen anstehen. Oder in der taz, wo, wie ich vermute, bei entsprechenden Artikeln sofort ein Rollkommando von PI-News einfällt.
LöschenDas Gegenbeispiel ist für mich der erwähnte 'Freitag': Die schauen sich nach dem Vorbild des 'Guardian' genau an, was da geschrieben wird, Pöler, Trolle und ähnliches Gesoxe werden nicht geduldet, und wer wirklich Sinnvolles schreibt, wird eingeladen, eigene Community-Artikel zu schreiben. So kann man das machen. Bedeutet eben nur einigen Aufwand, den einige Zeitungen schlicht nicht mehr betreiben wollen - was keine Katastrophe ist, wie ich finde.
Wie gesagt: Es mag sein, dass hier und da ein Journalist neue Anregungen bekommt, zum Beispiel in Form von kritischem Feedback auf die momentane Kriegsrhetorik, wie Rosi anmerkte. Wird nur leider angesichts des Zustandes unserer Qualitätspresse wenig bringen, weil Redakteure und Freie nun einmal die von Chefredaktion und Herausgeber vorgegebene Blattlinie umzusetzen.
P.S.: Und dass ein Blog wie dieser erst recht eine Nischenveranstaltung ist, darüber mache ich mir natürlich auch keine Illusionen. Im Prinzip mache ich meist nichts anderes als viele Kommentatoren, nämlich Debattenbeiträge zu aktuellen Themen liefern. Allerdings unter Klarnamen, nicht unbedingt als bloße Reaktion auf einen bestimmten Artikel, in (hoffentlich) angemessenem Ton und einigermaßen strukturiert. Was ich schon einen Unterschied finde, alles in allem.
AntwortenLöschenObwohl, manchmal da wundert man sich schon, was für Kreise das zieht und von wem man so alles gelesen wird. Zum Beispiel, als ich mich auf einmal in Stefan Gärtners "Benehmt Euch!" mit Namensangabe zitiert fand...
Außerdem muss es "Pöbler" heißen und "... umzusetzen haben." *Asche*
obwohl .. mit zwei "ll" hätte es mir ersteres auch ganz gut gefallen ;)
LöschenGruss
Rosi
PS: "Eine Veranstaltung wie in der Süddeutschen, wo fast jedes Thema von einigen Stammtisch-Pöblern gekapert wurde, die dann alle mit einer anderen Meinung niedergemacht haben, braucht wirklich kein Mensch. Ist oft auch bei SPON"
LöschenAlso ich kann es jetzt für die SZ nicht wirklich beurteilen, war anlässlich der Ukraine-Krise kurz drin. Glaube Ihnen aber, dass es generell eher so gewesen ist, wie geschildert.
Für SPON jedoch gilt, dass man sich sein Kommentariat haargenau so »gezogen« hat! Und in der Tat, dieses »Gewächs« hat die Kommentarfunktion voll und ganz erobert. Entweder war das gewollt oder man hatte bei der Moderation ein schlechtes Händchen. Je kürzer, je platter, je heftiger - mein Eindruck einst - desto wahrscheinlicher die Veröffentlichung (das war mitnichten immer so ... lang, lang ist her ...).
Eingreifen in das Kommentariat hätte man sicherlich auch bei der SZ (wie Sie bspw. den Freitag erwähnt haben) können. (Überlege gerade, gehen die Kommentare dort sofort raus? Oder erst nach Freischaltung .. k/A .. vermute jedoch letzteres).
Also muss das doch jemand entscheiden, oder nicht? Wenn ich das voraussetze, wieso lässt man es denn erst so ausarten? Das muss doch einen Grund haben. (Abba wirklich wichtig ist das nicht ... ;-))
Damit keine Missverständnisse entstehen, also ich lese Ihre Artikel wirklich immer sehr gerne. Wenn ich auch nicht immer meinen Senf dazu geben mag.
Das ist nicht nur "schon ein Unterschied " sondern ein entscheidender. Aktuelle Artikel sind meist nur einen Tag online , um da auch sinnvoll mit anderen Kommentierern zu debattieren , müßte man einen enormen Zeitaufwand betreiben .
AntwortenLöschenBlogs sind da nicht nur tiefgehender , sondern auch zeitlich viel entspannter.
Außerdem scheinen sie mir weniger anfällig für all die (angesprochenen) 50-cent-armies , die so im Netz ihr Unwesen treiben dürften , seien sie von PI , Neonazis oder auch von diversen "marktwirtschaftlichen" Stiftungen initiiert.
Der Unterschied liegt aber in der Reichweite ;-) Wer liest schon unsere kleinen Nischen-Blogs? Wenn im SZ-Kommentariat mal jemand einen durchaus sinnvollen, gut argumentierten Widerspruch gebracht hat (ja, auch das kam vor!), haben das deutlich mehr Menschen wahrgenommen, als wenn wir hier in trauter Runde diskutieren. Denn darum geht es der SZ und den anderen Leidmedien eben auch: die Meinungshoheit aufrecht erhalten.
AntwortenLöschenWeiß nicht so recht , ich würde nicht so viel geben auf Masse und Meinungshoheit. Wenn das alles so erfolgreich wäre , warum haben dann immer noch so viele Leute Vorbehalte gegen das ganze Propaganda-Geschwafel , mit dem wir seit 20 Jahren zugemüllt werden?
LöschenAußerdem muß man auch an sich selber denken , nur um gehört zu werden , lohnt es sich nicht , Formaten hinterher zu rennen , die Einem selber keinen Spaß machen , schließlich strengt man sich durchaus an , was halbwegs Brauchbares zu schreiben , wenns keinen interessiert , dann eben nicht , sollen sie halt sehen , wie sies alleine wuppen können.
Und unterschätzt mal eure Nischen nicht , gerade in Zeiten . wo so Viele mit aller Macht hinter der Herde her hecheln , ist die Nische besonders interessant , denn sie ist schlicht und einfach frei.
Leute mit intellektueller Substanz verschwenden ihre Kraft , wenn sie den Massen folgen , diese Herdentiere sind ohnehin nicht zu erreichen , weil sie nach anderen Maßstäben funktionieren , sie wollen zuerst der Herde folgen und passen danach ihre "Meinung" dieser Masse an , eben , um dazu zu gehören.
Sie machen sich nicht zuerst ihre eigenen Gedanken und suchen sich dann Leute , die damit was anfangen können , daher tun sich denkbereite Leute oft so schwer damit , zu verstehen , warum ganz offensichtliche Themen so schwer durchdringen bei Vielen.
Kritik üben , selber denken , das sollte man zuerst für sich selber tun , und vielleicht für die Minderheit , die so etwas zu schätzen weiß . Wer sich aber abhängig macht von der Massenwirkung , begibt sich auf dünnes Eis und ist gefährdet , dabei baden zu gehen . Nicht das ich das perfekt drauf hätte , das ist eine Zielvorstellung , aber eben eine , die in meinen Augen sehr wichtig ist.
Da ist durchaus etwas dran. Nicht zuletzt steigt der Frust enorm, wenn man ständig versucht, Menschen zu "überzeugen". Ich vermute, nicht wenige Blogger haben deshalb auch aufgehört.
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