Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Samstag, 27. Dezember 2014
Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (6)
Alle Jahre wieder über den vorweihnachtlichen Konsumterror herumzumosern, mag verständlich sein und Spaß machen, ist aber auch nicht eben originell. Ich mache lieben Menschen gern eine Freude und finde diese immer allgegenwärtigeren Geschenkgutscheine zunehmend blöder (außer, es handelt sich um Einladungen zu wirklich schönen Dingen). Wenn ich weiß, dass sich jemand über das Erstandene ehrlich freut, dann nehme zuweilen das Konsumgetümmel auf mich. Ich hatte so weit alles beisammen fürs Fest, doch die liebe Frau M. drängte auf einen Besuch des neuen Riesenkonsumtempels, der vor kurzem in der Stadt eröffnet hatte.
Madame brauchte noch eine Kleinigkeit für eine alte Studienfreundin und betrat daher eine Filiale von 'Oil & Vinegar', jenes Küchenschrankausstatters der Besserverdienenden, die es bis zu uns in die Provinz geschafft hat. Was macht der ratlose Begleiter in so einer Lage, will er nicht herumstehen wie Falschgeld, derweil die Lady stöbert? Nebenbei: Ich habe mich ja immer gefragt, wie das eigentlich aussieht, wenn Falschgeld herumsteht. Wahrscheinlich so ähnlich, wie wenn Hechtsuppe zieht. Aber zurück zum Thema. Er peilt selbst ein wenig die Lage, der Begleiter. Also, was haben wir denn hier schönes? Ah, Mango Chutney. Könnte ich mal wieder was von brauchen. Was kostet der Spaß? Potzdonner!
6,95 €, in Worten: Sechs Euro und fünfundneunzig Cents, für ein 300-Gramm-Glas Mango Chutney!
Dank eines geschätzten Kollegen war ich ja gewarnt, was den Laden angeht, aber wie nennt man so was genau? Puff-, Mond- oder Apothekenpreise? Vermutlich letzteres, denn ich war kurz davor, eine der vorweihnachtlich gestressten Verkäuferinnen zu fragen, ob man ein Glas auch für fünf Euro bekommt, wenn man ein Rezept vorlegt.
Als nächstes studierte ich das Etikett und schaute, ob die Pampe eventuell aus Super-öko-linksdrehend-biodynamischen-demeter-hoch-zwei-Mangos zusammengebraut war, die bei Vollmond per Hand geerntet und von einer anthroposophisch verstrahlten Bauernmutti alle einzeln verlesen und besprochen wurden, um dann auf offenem Feuer in einem fünfhundert Jahre alten Kupferkessel, der schon der weisen Frau, die ihn ihrerseits dem Leibkoch König Gustav Adolfs nach dem Dreißigjährigen Krieg abgeschwatzt hatte, gute Dienste geleistet hat, schonend und unter manuellem Rühren mit einem Holzpaddel, dem ein Schamane zuvor mit einem uralten Ritual alle schlechten Schwingungen ausgetrieben hat, verkocht zu werden. Könnte ja sein.
Doch nichts dergleichen. Damit war klar, dass absolut nichts es rechtfertigen kann, so einen absurden Betrag für nichts anderes als als eine Art konventionell hergestellte, gewürzte Marmelade hinzulegen. Stopp! Eine Ausnahme wäre vorstellbar: Um im Dienste der Wissenschaft mittels einer Blindverkostung der Menschheit ein für allemal zu beweisen, was offensichtlich ist: Nämlich, dass das überteuerte Zeugs höchstwahrscheinlich um keinen Deut anders schmeckt als Ware, die es in jedem Bioladen für deutlich weniger, in jedem Supermarkt für ein Drittel und in jedem Asia-Shop für ein Fünftel zu kaufen gibt.
Apropos kaufen: Stellt sich noch die Frage, wer so was eigentlich kauft. Ich will da nicht urteilen, aber vor Weihnachten offenbar ziemlich viele, wie an dem Gedränge in der Bude leicht zu erkennen war. Nicht minder interessant ist aber immer auch die Frage, was ein Geschenk über diejenigen aussagt, die es verschenken. Diese Übung wurde hier ja schon vor zwei Jahren anhand zahlreicher Beispiele unternommen. Es ist an der Zeit für eine Ergänzung:
Sauteures aus diesem Öl-und-Essig-Chichiladen: Wir sind beruflich so ausgepowert, dass wir außer exklusiven Fressalien absolut nichts mehr haben, das uns interessiert. Also verschenken wir immer Essige, Öle, Pesto und anderes Zeugs. Weil wir aber auch absolut kein Rückgrat haben, müssen wir zwanghaft auf Äußerlichkeiten schauen. Damit das alles also schön exklusiv aussieht und nicht wie aus dem Supermarkt, kaufen wir das in diesem überteuerten Laden. Keine Sorge, wir können uns das leisten, weil wir so viel arbeiten.
Und weil Weihnachten war, noch einmal alle bisher erschienenen Grenzerfahrungen:
1. Verhunzte Musik und der Aufsteller des Grauens
2. Modische Abgründe in der Landeshauptstadt
3. Zu kurz geratene Männer und Paragraphen
4. Schland und die fast weinende Frau
5. Sondernummer: Ach, Karstadt!
2 Kommentare:
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Lieber Stefan,
AntwortenLöschenich denke, dass für Jene, die mit übermäßigen finanziellen Mitteln Ausgestatteten paradoxerweise ein hoher Preis einen Kaufanreiz darstellt.
(in extremer Form hier zu finden:)
http://www.goldenstore.de/product_info.php/info/p528_24--Karat-Echtgold-gepraegtes-Toilettentissue.html
Durch die sich immer weiter spreizende Reichtums- und Armutsschere verdient man einerseits als Diskounter und andererseits als Luxusartikelanbieter eine goldene Nase. Mit Pferdefleischlasagne ist ebenso viel Kohle zu scheffeln, wie als Yacht-Bauer.
Letztendlich sind dies Phänomene, die die Konsequenz der gesellschaftlichen Zustände darstellen. Auch ein Mango-Chutney für 6,95 ist in gewissen Kreisen Billigplörre welches für ein Grande-Deluxe-Exquisit-Chutney für 18,95 stehen gelassen würde...
Liebe Grüße
Dude
Ups, Verzeihung, aus Versehen einen Kommentar zu viel gelöscht. So lautet er:
LöschenNachreichend der O-Ton, mit dem das Luxus-Toiletten-Papier angepriesen wird:
"Sophisticated, edel und sinnlich. Zeigen Sie Stil und Noblesse mit einem in 24-Karat Echtgold geprägten Toilettenpapier. Jedes einzelne Blatt ist geprägt und jede Rolle wird in einer exklusiven Designerdose mit Echtgoldzertifikat verpackt. Ein Toilettenpapier für den gehobenen Anpruch. Bereichern Sie damit Ihre Yacht, Penthouse, Wellnessoase oder den Privatjet."