Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Montag, 3. August 2015
In der Nudgokratie
Mein ehemaliger Adoptivhund, ein freundlicher Boxer, hatte mich schnell durchschaut. Er wusste, dass ich morgens nach dem Aufstehen meist noch einen Moment auf der Bettkante sitzen bleibe. Genau dann kam er, drängelte sich sanft zwischen meine Beine und setzte sich, den Rücken zu mir, vor mich auf den Boden. Wink mit dem Zaunpfahl: Ausgiebig kraulen bitte, sonst kommst du hier nicht weg, Kollege. Kein Zweifel, das Tier hatte begriffen, was Nudging ist. Hunde können das eh gut. Ein sozialisierter Hund weiß, dass er nicht in der Position ist, Befehle zu erteilen, also versucht er, auf die nette Tour seinen Willen zu kriegen. Etwa, indem er mit seinem Spielzeug im Maul ankommt und einen vorsichtig anstupst oder so.
To nudge bedeutet so viel wie 'stupsen'. Der Begriff 'Nudging' wurde von dem Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und dem Juristen Cass Sunstein in ihrem 2008 erschienenen Buch Nudge. Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness (deutscher Titel: "Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt") geprägt.
Nudging wurde schnell zu einer sehr angesagten Form, Menschen zu manipulieren. Nicht per Befehl und Gehorsam, nicht per Vorschrift und Bußgeld, sondern per mehr oder minder sanftem Schubsen in die erwünschte Richtung. Indem man sie, in der Regel per positiver Verstärkung in eine Position drängelt, in der sie keine andere Wahl mehr haben als das erwünschte Verhalten zu zeigen. Inzwischen setzen etliche Regierungen auf solche Methoden, die freilich nicht unumstritten sind. Was für die einen für eine besonders fortschrittliche, weil listige und vordergründig repressionsfreie Form der Menschenführung halten, ist für die anderen bloß eine besonders hinterhältige Form der Gängelei.
Die Beispiele sind zahlreich:
Das bekannteste, zumindest unter Männern, dürfte die im Urinal aufgedruckte Fliege sein oder das Fußballtor, das es zu treffen gilt. So sollen allzu wilde Urinisten dazu gebracht werden, sich auf ein Ziel zu konzentrieren, anstatt die halbe Bude vollzustratzen. Spart Reinigungskosten, heißt es.
"Im Rahmen eines Experiments [des Danish Nudging Network, das es wirklich gibt] wiesen Schilder neben den Lichtschaltern einer Universität darauf hin, dass 85 Prozent der Studenten das Licht beim Verlassen des Raumes abdrehen würden. Das führte dazu, dass das Licht weniger oft eingeschaltet blieb (minus 20-26 Prozent) und sparte effektiv Energie." (FehrAdvice)
"Ebenfalls gute Resultate im öffentlichen Raum brachte das Anbringen grüner Fussabdrücke, die Richtung Mistkübel führten: Die Vermüllung der Strassen ging daraufhin um beachtliche 40 Prozent zurück." (ebd.)
Die Premierministerin der südafrikanischen Provinz Westkap versucht mit einem umstrittenen als HIV Lottery bekannt gewordenen Programm, Menschen dazu zu motivieren, sich auf HIV testen zu lassen, indem sie unter denen, die sich einem Test unterziehen, Geldpreise bis zu 6.000 US-Dollar verlosen lässt.
Im australischen New South Wales hat man begonnen, den Energieverbrauch sämtlicher Einwohner öffentlich zu machen, um die Menschen so per Gruppendruck zum Energiesparen zu bringen. Gerade dieses Beispiel ist interessant, weil es zeigt, dass Nudging nicht immer nur nett sein muss. Und das bringt uns sehr schön zu den Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen netzpolitik.org.
Die populäre Deutung vieler Medien, die sich, zumindest verbal, mit den Bloggern solidarisieren, nämlich, dass hier ein machtvergessener Generalbundesanwalt ungeschickt und überzogen reagiert habe und dafür vom Justizminister gerüffelt worden sei, erscheint vor diesem Hintergrund lachhaft. Wie Markus Kompa völlig richtig bemerkte, dürften bei der Bundesanwaltschaft genügend Juristen herumsitzen, die so weit qualifiziert sind, dass sie sowohl eine Vorstellung davon haben, was den Tatbestand des Landesverrats ausmacht (und was nicht) als auch in der Lage sein dürften, § 94 StGB sinnerfassend zu entziffern und somit genau zu wissen, ob ihr vorgehen rechtlich geboten ist oder nicht.
Natürlich weiß man nichts Genaues nicht, doch spricht einiges dafür, das Vorgehen gegen die Blogger von netzpolitik.org letztlich als eine verschärfte Form des Nudging zu begreifen. Es war von vornherein nicht das Ziel der Übung, juristisch wasserdichte und daher notwendige und Erfolg versprechende Maßnahmen einzuleiten, sondern einfach nur, unmissverständlich eine Duftmarke zu setzen, die Instrumente zu zeigen, Druck zu machen, eine Schere in die Köpfe zu implantieren. Wie effektiv das gerade bei kleinen, finanzschwachen Bloggern und freien Journalisten sein kann, lässt sich hier nachlesen.
Es dürfte jedenfalls kein Zufall sein, dass gerade Angela Merkel, die nach außen hin das offene Wort und die klare Kante so scheut wie keine Regierungschefin sonst und die ihre Härte hinter einer fast immer geschickt aufrecht erhaltenen, freundlich-unverbindlichen Mutti-Fassade verbirgt, die Möglichkeiten des Nudging so verlockend findet, dass das Kanzleramt Ende 2014 drei entsprechende Experten hat einstellen lassen, die die Regierung diesbezüglich beraten sollen. Kann natürlich auch alles purer Zufall sein. Sicher. Doch passt der Ansatz, Menschen in alternativlose Situationen zu manövieren, nun einmal in unsere postdemokratischen Zeiten wie Arsch auf Eimer.
5 Kommentare:
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Selten liest man einen Kommentar, der die aktuelle Lage hierzulande (und vermutlich auch anderswo) präzise zusammenfasst, dies mit einem (noch) anscheinend nur Eingeweihten bekannten Tatbestand belegt und zudem in den letzten vier Worten sich selbst beschreibt. Kudos.
AntwortenLöschenWirklich klasse geschrieben. Wenn es etwas gibt, was zusammengehört, dann ist das Nudging und Trendsetting. Unter diesen Gesichtspunkten, darf man sich auch viele der ehemaligen bis heutigen Zukunftsforscher, auch unter den netzaffinen, und auch als Regierungsberater, ruhig mal etwas sensibler betrachten.
AntwortenLöschenDanke sehr! Wie es aussieht, wirken ein paar Tage Hirnlüften in Bergluft tatsächlich Wunder in der Runkel.
LöschenHirn lüften, in Sole verschiedenster Trinkstärken imprägnieren und anschließend frisørnameninduziert gepflegt rebooten. Das muss was bewirken. ;-)
LöschenSehr interessant! Von dem Begriff habe ich bis jetzt noch nichts gehört. Was den "Nudgern" höchstwahrscheinlich sehr zupass ist.
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