Samstag, 30. April 2016

Strudel der Mitte


"In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod." (Friedrich von Logau)

Tempi passati

Möglicherweise bin ich ja familiär vorbelastet. Vor zwanzig Jahren wanderte meine Tante von Sri Lanka kommend, mit ihrer jüngeren Tochter nach Großbritannien ein. Nachdem sie Anfang der Siebziger eine Zeit in London, wo sie ihren Mann kennen gelernt hatte und in Oxford gelebt hatte, war sie mit ihm in seine Heimat Sri Lanka gezogen. 15 Jahre später war die Ehe am Ende. Sie nutzte die Chance, dass ihre Tochter in London studieren wollte und machte sich vom Acker, zurück nach Oxford. Beide hatten neben der ceylonesischen die deutsche Staatsbürgerschaft behalten und daher als EU-Bürgerinnen Anspruch auf Sozialleistungen. Es war übrigens das von John Major verwaltete post-Thatcher-Großbritannien, nur zur Information.

Nachdem sie kurze Zeit bei alten Freunden untergekommen waren, vermittelten die Sozialbehörden ihnen schnell eine Wohnung. Meine Tante fand bald einen Job und zog in eine schönere Wohnung. Meine Cousine bekam dank hervorragender A-Levels ein Stipendium am Imperial College, ist inzwischen zweifache Mutter und als Ärztin gut im Geschäft, Tantchen ist zufriedene Rentnerin und glückliche Großmutter. Das mag der Grund sein, wieso ich mit diversen Generalverdachten so meine Probleme habe. Etwa dem, dass Zuwanderer uns was wegnehmen, weil sie nur Stütze abgreifen und auf der faulen Haut liegen wollen. Oder dem, dass Sozialleistungen bloß träge und inaktiv machen, pardon: falsche Anreize setzen. Wie einem Aufenthalte auf der Insel immer auch vor Augen führen, dass Multikulturalität, wiewohl selbstredend nicht frei von Problemen, normalerweise eine ziemlich coole Sache ist, vor der man keine Angst haben muss.

Querfront? Netter Versuch!

Allen Vernebelungsversuchen Marke Querfront zum Trotze, gibt es sehr wohl einen fundamentalen Unterschied zwischen links und rechts. Schält man linke und rechte politische Konzepte nämlich auf ihren nackten Kern herunter, dann liegt rechter - nicht konservativer! - Politik, verkürzt gesprochen, letztlich immer ein ausgrenzendes Moment zugrunde, weil im Zweifel die eigene Schicksalsgemeinschaft als höherwertig gilt. (Detailliert lässt sich das übrigens in dem Briefwechsel nachlesen, den der Soziologe Armin Nassehi und der neurechte Dickdenker und Höcke-Mentor Götz Kubitschek miteinander führten.) Eine rechtsgerichtete, sprich: national tickende Regierung wird sich demnach immer daran machen, zu separieren. Du gehörst zu uns, du nicht, daher wirst du schlechter gestellt. Keine Arme, keine Kekse. Ist nicht böse gemeint, wir sind selbstverständlich auch keine Rassisten, aber in diesen schwierigen Zeiten ist es nun einmal ganz natürlich, dass uns das Hemd näher ist als die Hose, da ist es doch wohl nur logisch, wenn wir als erstes an 'unsere' Leute denken, oder?

Wenn das so ist, dann müssen wir wohl konstatieren, dass spätestens mit Frau Nahles' Vorhaben, EU-Ausländern Sozialleistungen zu verweigern, die deutschen Sozialdemokraten auf ihrer verzweifelten Jagd nach 'Mitte', 'Regierungsfähigkeit' und 'Verlässlichkeit' endgültig im rechten Lager angekommen sind und dass mit Andrea Nahles eine veritable Rechtspopulistin dem Sozialministerium vorsteht. Die SPD stand schon immer im Verdacht, eine bürgerliche Partei mit linkem Flügel zu sein. Letzterer ist inzwischen weitgehend marginalisiert, übrig geblieben sind die Bürgerlichen, die es allen recht machen wollen. Und die sind traditionell halt eher bereit, sich nach rechts zu öffnen. Anders gesagt: Die ganz Rechten regieren auch ohne ein einziges Mandat im Bundestag längst mit. Wer immer noch einen Beweis brauchte, hat ihn jetzt. Wie übrigens auch den für die These, dass Faschismus im Kern nichts anderes ist als Kapitalismus, der in der Krise die autoritären Folterinstumente hervorkramt.

Und die Nachbarn so?

Ist es wirklich bloß Zufall, dass mit Österreich, Ungarn, Polen und Kroatien mittlerweile vier Länder, die auf dem Territorium der versunkenen Donaumonarchie liegen, politisch immer ähnlicher zu ticken scheinen? Nur so ein spontaner Gedanke meinerseits, pure Spekulation. Definitiv aber lässt sich am Beispiel Österreichs sehr schön studieren, was mit einer Sozialdemokratie passiert, die verzweifelt hinter einer nach rechts driftenden 'Mitte' hinterherhechelt. In dreißig Jahren hat die FPÖ sich vom einstigen Krawallo- und Partyverein, der nebenbei die Seelen von Altnazis streichelte, zu einer politischen Kraft gemausert, an der niemand mehr vorbei kommt.

Wobei man auch nicht unterschätzen sollte, dass es Österreich inzwischen eine ganze Jungwählergeneration damit aufgewachsen ist, dass die FPÖ zu wählen eine akzeptierte und selbstverständliche Option, ja geradezu coole Alternative ist. (Man redet in diesem Zusammenhang auch von 'Feschismus'.) So ist es durchaus denkbar, dass die Blauen nicht nur mit Norbert Hofer den nächsten Bundespräsidenten, sondern mit Heinz Christian Strache auch den nächsten Kanzler stellen könnten. Es wird davon abhängen, wie viele Wähler bei der Stichwahl in drei Wochen den erfahrenen, aber ein wenig grummelig wirkenden Grünen Alexander van der Bellen für das kleinere Übel als den alerten, als 'Stimme der Vernunft' inszenierten Strahlemann Hofer halten.

Zumal der mit seiner filmreifen Biographie ein mächtiges Narrativ anzubieten hat: Ehemaliger Flugzeugingenieur (ganz normaler Bürger, einer von uns, Leistungsträger, kein Parteigewächs), der sich nach einem schweren Unfall (private Tragödie) beim Gleitschirmfliegen (sportlicher Typ) zurück ins Leben gekämpft hat (Stehaufmännchen) und sich nun, obwohl er auf einen Stock angewiesen ist, für das Land aufreibt und die Strapazen des Wahlkampfs klaglos auf sich nimmt (Schmerzensmann). Daraus lässt sich Kapital schlagen. Man sollte sich nichts vormachen: Immer wieder hat sich gezeigt, dass noch die ärgsten Knallchargen in höchste Ämter gelangen können, wenn sie es nur verstehen, ihre Lebensgeschichte anrührend und mitreißend genug zu verkaufen.

Rechte Opferrhetorik beherrscht er jedenfalls souverän, der fesche, nette Herr Hofer: Seinen Gegenpart van der Bellen hat er bereits als "faschistischen grünen Diktator" bezeichnet, besteht seinerseits aber pikiert auf Fairness im politischen Diskurs, sollte ihm ähnliches widerfahren. Stimme der Vernunft halt. Deutungshoheit. Zurück zu den Sozis.

Gefährliches Vakuum

Man kann die Sozialdemokratie natürlich für eine insgesamt entbehrliche Veranstaltung halten und sich rechtschaffen freuen, dass sie gerade dabei ist, im Orkus zu verschwinden. Doch kann das durchaus eine Freude sein, die man noch bitter bereuen könnte. Eine der schlimmsten politischen Fehlentwicklungen der letzten Zeit ist doch, dass die Sozialdemokraten und, vergessen wir das nicht, große Teile der Gewerkschaften irgendwann vor 15, 20 Jahren aufgehört haben, Anwälte der so genannten kleinen Leute zu sein und auf die Linie des Kapitals eingeschwenkt sind.

Mag das damals dem Druck der so genannten Globalisierung ("Arbeitnehmerrechte? Dann produzieren wir halt in Polen. Harr harr!") geschuldet gewesen sein, ist das dadurch entstandene Vakuum aus zweierlei Gründen gefährlich. Erstens verabschieden sich die Enttäuschten sich aus dem Willensbildungsprozess, indem sie gar nicht mehr wählen. Das verschiebt dann das politische Gewicht noch weiter zugunsten der Reichen, weil die Politiker haben, die ihre Interessen vertreten und die sie auch wählen.

Zweitens werden die ins Prekariat Gestoßenen bzw. davon Bedrohte empfänglich für rechte Rattenfänger. Einer der interessantesten Aspekte des ersten Wahlgangs der österreichischeb BP-Wahl vom letzten Sonntag ist, dass Hofer anteilig die meisten Stimmen nicht etwa bei Abgehängten und Prekarisierten, sondern bei männlichen Auszubildenden und jungen Arbeitnehmern mit qualifizierter Ausbildung geholt hat, also ziemlich genau bei jener Klientel, die einst sozialdemokratisches Kernpublikum war. Man sollte gerade als Linker dringend zur Kenntnis nehmen, dass Angst vor Zuwanderern nicht unbedingt etwas mit Rassismus zu tun haben muss, sondern durchaus ein Klassenphänomen sein kann.

Wenn etwas dran sein sollte daran, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, dann wäre es nur folgerichtig, dass etwa prekär angestellte und ausgebeutete Leiharbeiter einen anderen Blick auf Flüchtlinge und Einwanderer haben, für die zudem noch der Mindestlohn aufgeweicht werden soll. Wer so dasteht, dem erscheinen Zuwanderer möglicherweise nicht prinzipiell als Bereicherung, sondern vielmehr als Konkurrenz und damit als Gefahr für den eigenen labilen Status Quo. Anders verhält es sich mit denen, die, vielleicht nicht besser verdienend, aber vergleichsweise gut abgesichert dastehen oder in Berufen arbeiten, die zum Beispiel besondere Sprachkenntnisse erfordern. Die können Muktikulti entspannt angehen, denen ist im Zweifel egal, wer die Drecksarbeit macht, ihre Büros putzt, den veganen Mittagstisch kocht, solange bloß die Preise stabil bleiben.

Wie immer man dazu steht, sieht es weder in Österreich noch in Deutschland nach Besserung im sozialdemokratischen Lager aus. Es dominieren die Grauen Herren, die verdienten Funktionäre, die lieber an ihren Sesseln klebend in der neoliberalen Mitte absaufen. Man muss schließlich auch an die ganzen Arbeitsplätze denken, die so ein Parteiapparat bietet. Keine schönen Aussichten, so alles in allem. Wobei diesseits von Inn und Salzach immerhin wieder ein klein wenig Hoffnung keimen kann, dass der AfD ein ähnliches Schicksal blühen könnte wie so vielen rechten Experimenten zuvor.




4 Kommentare:

  1. Ich würde sagen das kommt so nicht ganz hin. Abgrenzung findet sowohl bei Rechts als auch bei Links statt. Das ist nötig um sich überhaupt als Gruppe definieren zu können. Sie ziehen nur die Grenzen jeweils an anderer Stelle. Auch ist es nicht wahr das die Abgrenzung automatisch zur Abwertung aller Außenstehenden führt. Das kann auftreten, muss aber nicht, sonst würde bereits im kleinen jede Bildung einer Familie sofort zur Abwertung aller anderen führen.

    AntwortenLöschen
  2. @Anonym.
    Ganz hin kommen, tut es niemals, - aber kann deutlich Richtungen wahr nehmen wohin sich etwas entwickelt und dann gegen steuern. Mit der ständigen Aufweichung des klar gesagten, wird das aber niemals gelingen. Allerdings kann dir leider auch nicht wirklich widersprechen, denn der Sinn von links bedeutet tatsächlich genauso einnehmen wie rechts ausgrenzen, als auch Belohungs- statt rechtes Bestrafungsprinzip. In beiden Fällen steht die Realität aber nun mal vor dem Spiegel dessen, was sie selber verlogen hat. Und ja, - ich gebe dir sogar recht, - solange es diese nicht nationalistischen Nationalisten gibt (eben auch bei links), - wird das nix.

    AntwortenLöschen
  3. Überseht bitte einfach mal die Rechtschreibfehler bzw. unterlassenen Wörter, - ich mach das hier gerade ohne Lesebrille, die ich ohne Brille gerade nicht finde :-)

    AntwortenLöschen
  4. Gute Analyse der Sozialdemokratie , leider eine weitere Parallele zu den Dreißiger Jahren .
    Es ist wohl kein Zufall , was da von Nahles kommt , die SPD hat das offenbar im Blut , immer , wenns drauf ankommt , läuft sie den Rechten hinterher , anstatt eigene Konzepte zu entwickeln , alleine steht sie mit diesem Prinzip allerdings nicht.

    "Ich hasse die Revolution wie die Sünde selber" , Friedrich Ebert zur Frage der Abdankung des Kaisers , 1918 , die er unterstützte , aber eben nur , um die verhasste Revolution einzudämmen.

    Freiwilliger Arbeitsdienst , Vorschlag der SPD zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit , 1932 , erkennbar bei den Nazis abgeschrieben.

    Hartz 4 und Agenda 2010.

    Austeritätspolitik für Europa.

    to be continued....?

    AntwortenLöschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.