Freitag, 28. Oktober 2016

Gallisches Dorf vs. Konzernokratie


"Dumme kann man gescheit machen, aber wenn einer ein Interesse hat, dann können Sie sich tot reden, der weiß genau, was sein Interesse ist." (Kurt W. Rothschild)

Zu erwarten war es ja irgendwie. Haben sie die widerständigen Wallonen doch noch rumgekriegt, jenes kleine Gallische Dorf der EU, das ein paar Tage lang öffentlich wagte, gegen das Freihandelsabkommen CETA zu sein und so die Hoffnung nährte, jenes Gebilde namens Europa sei doch noch irgendwie demokratisch. Ich bin schon ein wenig neugierig, wie diese Einigung am Ende zustande gekommen ist. Waren die Wallonen jetzt einfach zufrieden mit den paar Extrawürsten, die sie herausverhandeln konnten, oder musste man ihnen erst mit dem Beispiel Griechenlands drohen, um ihnen Vernunft beizubringen?

Man muss sagen, im Falle CETA hatten Sie's ein wenig geschickter angestellt als im Falle TTIP. Den Vertragstext öffentlich gemacht. Vertragspartner Kanada als fast schon sozialdemokratisches Musterländle und den knuffelig-progressiven Premier Trudeau als Maskottchen vorgeschickt. Botschaft: Kann dieses sympathische, im Vergleich zur gewaltigen EU so kleine Land, kann dieser nette, teddyäugige Regierungschef etwa Böses im Schilde führen? Und dann, auf der Zielgeraden, kurz vor der Unterschrift, so hieß es, kommt wie Kai aus der Kiste diese bockige belgische Volksgruppe daher und macht aus rein egoistischen Motiven alles wieder kaputt. Fakten wie etwa die, dass das Veto des wallonischen Parlaments keineswegs überraschend kam, sondern seit Jahren im Raum stand, und dass die dortigen Parlamentarier eigentlich nichts anderes getan haben als den Vertrag ziemlich genau zu lesen und klitzekleine Selbstverständlichkeiten wahrzunehmen, die für Staatsgebilde, die demokratisch sich schimpfen, nicht weiter der Rede wert sein sollten, störten da nur. Höhepunkt der doofen Denunze: Der Flame und Wallone ist halt so, ist dessen Kultur, er kann halt nicht anders. Ja. Sicher doch.

Es ist ja nicht so, dass das Prinzip der Einstimmigkeit per se undemokratisch wäre, wenn es aber zum reinen Druckmittel und einzigen Argument gerät, dann wird es verdächtig. Die Wallonen könnten nach den jahrelangen Verhandlungen das schöne Abkommen doch jetzt nicht einfach so blockieren, hieß es. Wenn das und der Vorwurf der regionalpolitischen Profilierungssucht wirklich alles ist, was CETA-Befürwortern zugunsten ihres Herzensprojektes argumentativ auf der Pfanne haben, dann sollte man sich über gar nichts mehr wundern. Erst recht nicht darüber, wieso so viele Menschen immer misstrauischer werden angesichts des Wirkens der politischen Klasse. Der Nestbeschmutzer-Anwürfe oder "Keiner darf abseits stehen!" zu quargeln, sind keine Argumente, sondern autoritär-totalitäres Gehabe. Moralische Erpressung, mit der sich im Zweifel noch der grausamste Krieg legitimieren lässt.

"Wir sind das Volk, und wir wollen, daß kein Gesetz sei; ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt's kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!" (Georg Büchner, Dantons Tod)

So wie ich kein Anhänger der Idee der Schwarmintelligenz bin, halte ich auch Volkes Stimme und Volkes Willen für keineswegs unfehlbar. Basisdemokratie ist kein Ponyhof und kein Grund, romantisch zu glotzen. Im Gegenteil, richtig manipuliert und aufgestachelt, kann das Volk den gefährlichsten Blödsinn fordern. Den kann man als demokratischer Fundamentalist natürlich respektabel finden, vernünftiger wird er dadurch aber nicht. Wenn es aber nach Jahren und Jahren einfach nicht gelingen will, einer Mehrheit der Bürger deutlich zu machen, wieso ein Abkommen wie CETA (lies immer mit: TTIP) ihnen so große Vorteile bringt und es ebenfalls ums Verrecken nicht gelingen will, die verbreiteten Bedenken, es handele sich um ein Elitenprojekt, zu zerstreuen, dann sollte man vielleicht auch als Kritiker direkter Demokratie irgendwann ins Grübeln kommen.

"Wenn jemand so tut, als gäbe es keine Alternative, dann kann man davon ausgehen, dass bessere Alternativen totgeschwiegen werden sollen." (Norbert Häring)

Was ich mich immer wieder frage, ist dies: Es bedarf wirklich nur wenig an intellektuellem Aufwand, um zu kapieren, dass Abkommen wie CETA, TTIP et al. exakt einer einzigen Gruppe von Akteuren wirklich nützen, nämlich großen internationalen Konzernen. Die haben ein handfestes, zählbares Interesse, das Primat der Politik endgültig in die Tonne zu treten, Rechtsprechung ins Hinterzimmer zu verlegen, weil sie gern fetten Schadensersatz aus Staatskohle hätten, wenn irgendwo lästige, demokratisch zustande gekommene Gesetze ihrem Gewinnstreben im Wege stehen sollten. Jede Wette, die Multis wissen seit der Finanzkrise, dass ihr Spiel aus ist, der Wind sich langsam dreht und bereiten daher schon mal die nächste Stufe vor. Darum geht’s. Alles, wirklich alles andere ist Blendwerk und Makulatur.

Wenn das doch so einfach ist, muss man sich ferner fragen, welche konkreten Vorteile sich so viele Politiker eigentlich erhoffen, wenn sie so unverdrossen für ihre eigene Entmachtung trommeln. Denn darauf laufen diese Abkommen ja letztendlich hinaus. Worauf sonst? Wen faszinieren großartige Visionen von den größten Freihandelszonen aller Zeiten denn bitte noch, wenn schon die bisherige Globalisierung bloß Lohndumping, so genannte Flexibilisierung, Einkommens- und Arbeitsplatzverluste gebracht hat? Sind ein paar gemeinsame Industriestandards es wirklich wert, eine Paralleljustiz zu schaffen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit über schlimmstenfalls millardenschwere Strafzahlungen aus Steuermitteln entscheidet? 

(Nebenbei bemerkt, frage ich mich weiterhin schon lange, wieso gerade Konservative, so oft neoliberale Hardliner sind. Konservative treten nicht selten an, schöne und sinnreiche Traditionen zu bewahren, wenn ich mich nicht irre. Nichts aber löst traditionelle Strukturen und Bindungen zuverlässiger und schneller auf als ein immer weiter betriebener neoliberaler Umbau der Gesellschaft, in dem alles und jedes, wie von Marx einst richtig bemerkt, Warencharakter bekommt. Aber das ist ein anderes Thema.)

Und? Das Fazit? Gibt keins, denn irgendwie bin ich hin- und hergerissen. Einerseits könnte ich mich trösten. Etwa damit, dass, obwohl das herrenmenschenhafte Gezerre um CETA unwürdig und teils zum kotzen war, die Welt nicht untergeht. Dass man sich nunmehr geeinigt hat, bedeutet ja keineswegs, dass CETA in Kraft wäre. 42 Parlamente und Länderkammern müssen den Vertrag noch ratifizieren. Das dauert. In der Zeit kann vieles sich ändern, auch Mehrheitsverhältnisse. Die Wallonen haben gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, Vorteile für die eigenen Bauern herauszuschlagen. Alles andere als ausgeschlossen, dass das Vorbildcharakter hat. Andererseits ertappe ich mich bei dem Gedanken: Warum sie nicht einfach machen lassen? Lass sie das gegen alle Proteste durchwinken, lass sie die Menschen einfach weiter entrechten, ihre Konzerndiktatur errichten. Vielleicht beschleunigt das ja ihr Ende.


7 Kommentare:

  1. In Europa hat die "Demokratie fertig".

    Die Organisation "EU", also die Kommission, Beamte, die Bediensteten haben verstanden, das sie selbst auf "tönernen Füßen" stehen.

    Das demokratische Entscheidungsprozesse in den 28 Mitgliedssstaaten insgesamt für die jetzige Ausrichtung und Arbeitsweise der Brüsseler Bürokratie kontraproduktiv sind.

    Juncker und andere Chargen haben bereits reagiert, öffentlich ihren Unmut kundgetan und einmütig gefordert, das hier zukünftig ganz klare Trennlinien´zwischen EU und nationalen Parlamenten gezogen werden müssen.

    Das haben die Brüsseler Fürsten, logischerweise, aufgrund ihres Selbstverständnisses, als Quintessenz gezogen.

    Den Umkehrschluss, nämlich eine grundsätzliche demokratische Arbeitsweise der Kommission in Betracht zu ziehen, kam zu keiner Zeit in Frage.

    Weniger Demokratie, dafür vermehrt EU-Diktatur. Dann klappt das auch mit den weiteren, geplanten Abkommen zur Machtübernahme der Konzerne, hüben wie drüben.

    Man steht nämlich im Wort, steckt unwiderruflich im Rektum des Großkapitals, seit Jahren, fest

    Auch die NATO will eine mögliche "Götterdämmerung" für sich in Europa abwenden und hat Pläne veröffentlicht, nachdem künftig NATO-Truppen, vor allem aus den USA, generell die Möglichkeit bekommen müssen, in Europa stationiert werden zu können, über Staatsgrenzen hinweg verschoben werden zu können.

    Ohne die Erlaubnis der jeweilig betroffenen Staaten. Durch ein, noch zu schliessendes Abkommen. Oder irgendwelche Zusätze zum bestehenden NATO-Abkommen.

    Die USA fordern also eine "Carte blanche" für ihr Militär und ihre militärischen Vorhaben im Rahmen der NATO-Geiselhaft ein, in der alle anderen NATO-Mitglieder derzeit gefangen sind.

    ROM, zu seinen mächtigsten Zeiten, hatte das alles genauso gemacht. Allerdings, ohne vorher großartig Vorschläge zu unterbreiten.

    Trotzdem habe ich das Gefühl, das Europa recht bald komplett verkauft sein wird. Verraten sind wir alle bereits sowieso.

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  2. Und danke, für die Aufnahme in Ihre Blogroll. Das ehrt mich und freut mich sehr.

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  3. Die Gesellschaftsform „Demokratie“, wissen wir aus Unterrichtsfach Geschichte, ist ein ideologisches Konzept des Bürgertums zur Sicherung des Privateigentums. Nichts sonst. Das Konzept war die Waffe gegen den durchaus unertäglicheren vorigen Feudalismus.

    Jedoch das, was wir seit Schulzeit als „Garten Eden mit kleinen Fehlern“ verinnerlichen, ist instrumentalisiert. Zu erkennen an der historischen Tradition der Manipulation. Die amerikanischen Wählerverzeichnisse, das Gerrymandering, die deutschen Überhangmandate sind noch der unwichtigste Teil davon, denn sie verfälschen Entscheidungen zwischen von sehr ähnlichen Zielen.

    Wichtiger ist diese: diese Demokratie ist eine „repräsentative“ solche. Zwischen zwo Wahlen gibts keinerlei Kontrolle von Parlament und Regierung: vier Jahre freie Hand fürs Kapital. Kein schlechter Schnitt.

    Erinnert sich noch jemand an das Aus für Softwarepatente? Das in Kraft getretene EU-Parlament stimmte dagegen, und wir tanzten auf der Straße: es war noch nicht lange genug aktiv, um gekauft zu werden (braucht nämlich auch seine Zeit). Heute wäre ich über den Ausgang solcher Entscheidung nicht mehr sicher.

    Unterschätze mir niemand die „Schwarmintelligenz“. Deren Verächtlichmachung ist ebenso apodiktisch wie falsch. Das Volk ist nicht generisch bekloppt (sondern wird gelegentlich – etwa von Axel Springer – dazu gehämmert). Und gegen Populismen wie „Tod den Kinderschändern“ gibts die Mauer der Verfassung.

    Fazit: Das Kernkonzept der Demokratie ist eine Illusion. Quasi die Möhre vor dem Esel. Unsere Gesellschaftsform ist in Wahrheit eine Kleptokratie. Leben wir damit, oder soweit möglich, bekämpfen wir sie mit unseren bescheidenen Mitteln.

    Danke für die Aufmerksamkeit.

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    1. Glückwunsch zu dem Geschichtslehrer (war vermutlich einer, der überall als linker/kommnunistischer Revoluzzer galt). Stimmt ja auch alles, ist nur so, dass dem Kapital seit einiger Zeit das Gefühl abhanden zu kommen scheint, wann der Bogen überspannt ist.

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    2. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, keiner meiner Geschichtslehrer war so. Den letzten betrachte ich – kann es nicht besser sagen – als gebrochene Persönlichkeit.

      Dennoch lernte ich auf die eine oder andere Art, Gelerntes neu zu überdenken und neu zu bewerten. Das rechne ich auch dem miesesten Lehrer an, und sei es nur aus Versehen.

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    3. Zum Thema „Bogen überspannt“ – ebenfalls klar ist dies: seit wir den Kalten Kriege gewonnen haben, also seit wir keine Konkurrenz seitens dieser schrecklichen Kommunisten haben, ist der Rheinische Kapitalismus als Gegenentwurf zum Sozialismus ... ähm ... nicht mehr nötig.

      Wir haben gewonnen, wie gesagt.

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