Dienstag, 29. November 2016

Herr S. wirft mit Dreck


Über den möglichen nächsten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz kann man sicher einiges Kritische sagen. Auf der untersten Ebene politischer Auseinandersetzung kann man ihn und seinen manchmal schwerzüngigen rheinischen Akzent schlicht unsympathisch finden oder sich meinetwegen auch ein wenig lustig machen darüber bzw. über seine provinzielle Herkunft, obwohl er dafür nichts kann. Wäre aber noch im Rahmen für mich. Ferner kann man ihn selbstverständlich für jede seiner Positionen angreifen, man kann ihn einen pupsgrauen Karrieristen nennen, einen abgehobenen Eurokraten, der die Knechtung Griechenlands und anderer angeblicher Pleitestaaten unter die Austeritätsknute mit entsprechend brachialer Rhetorik maßgeblich mitbetrieben hat. Kann man alles tun. Sollte man sogar. That's demoracy.

Eines aber sollte man ihm nun gerade nicht aufs Butterbrot schmieren: Seine Vergangenheit. Schulz hat nie einen Hehl daraus gemacht, als junger Mensch praktizierender Alkoholiker gewesen zu sein und seit Jahrzehnten abstinent zu leben. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hat er es ohne Abitur zum Präsidenten des europäischen Parlaments gebracht, nachdem der gelernte Buchhändler über zehn Jahre eine von ihm gegründete Verlagsbuchhandlung betrieben hat. Das kann man durchaus respektabel nennen und auch anmerken, dass es Berufspolitiker geben soll, die auf deutlich weniger ehrliche Erwerbsarbeit zurückblicken können. Selbstverständlich darf es nicht tabu sein, auch über problematische Aspekte aus Schulz' Leben öffentlich zu diskutieren, wieso genau aber so eine Biographie einen für das Amt des deutschen Bundeskanzlers von vornherein disqualifizieren soll, ist mir ein Rätsel.

Das bringt uns nun zu Gabor Steingart. Der ist einer der Hauptverantwortlichen für den neoliberalen Tunraround des 'Spiegel' und darf als eines der wichtigsten publizistischen Sturmgeschütze der 'Agenda 2010' gelten. Die Aussicht, dass Schulz nun möglicherweise als Kanzler kandidieren könnte, muss diesem erfahrenen, mit allen Wassern gewaschenen, ansonsten eigentlich schmerzfreien, da nach wie vor stockneoliberalen Qualitätsjournalisten einen derartigen Schrecken eingejagt haben, dass ihm gleich mal alle Qualitätsmaßstäbe abhanden gekommen sind und er den alten Popanz namens 'Darf so was eigentlich Kanzler werden?' aus der Mottenkiste kramte. Sogar zwei Mal.

Klick. Und Klick (Facebook!).

Da ist wirklich alles drin, was ekelt. Als ich das las, wusste ich nicht, was mir unsympatischer sein sollte: Ein "grantelnder Abstinenzler" oder vielleicht doch ein sich als Großjournalist spreizender Denunziant voll dünkelhafter bourgeoiser Verachtung des vermeintlich 'Kleinen Mannes', der sich von allen Anstandsgeboten und jeglicher Pflicht zum inhaltlichen Argumentieren entbunden sieht.

Und so was will im Netz Geld kassieren für seine Qualitätsinhalte, möchte man da hinzufügen. Für was denn bitteschön? Derartigen Dreck kriege ich an jeder Ecke um die Ohren gehauen, und zwar völlig umsonst und deutlich mehr als mir lieb ist. Nähere Hinweise darauf, auf welchen Titelseiten genau Schulz bislang "wie ein Erlöser" gefeiert wurde bzw. es gerade wird und woran er sich genau - hohoho, Hammertiefschlag, Gabi! - "berauscht", sucht der geneigte Leser übrigens auch vergebens. Was soll's, Propaganda hat sich noch nie mit Fakten aufgehalten.

Sollte Herr Steingart übrigens bereit sein und das Rückgrat haben, Martin Schulz diese Anwürfe auch direkt ins Gesicht zu sagen, dann nähme ich den Vorwurf der Denunziantentums zurück.

(Mit Dank an Bildblog.)




2 Kommentare:

  1. Ich hatte vor ein, zwei Wochen selbst zu Schulz geschrieben. Hatte auch seinen Alkoholismus angesprochen, der ein Teil der Vita des Martin Schulz ist und bleiben wird. Alkoholkranke sind nie geheilt, sondern müssen jeden Tag aufs neue gegen den Alkohol ankämpfen. Das seine Krankheit medial genutzt werden würde, war Schulz ganz sicher bewusst, als er sich entschied, sich als das spd-Gegenstück zu Merkel aufbauen zu lassen.

    Zumal jeder halbwegs rational denkende Mensch sich darüber im Klaren sein wird, das Schulz niemals Bundeskanzler werden wird. Es geht halt bei der spd gerade jetzt darum, Gabriel aus der öffentlichen Schusslinie als BuKa-Kandidaten zu nehmen, um weitere Wählerverluste für die spd in 2017 zu verhindern, zu stoppen, vielleicht sogar mit einem „Den-mag-ich, der-is-nich-so-arrojant“-Kandidaten Schulz den freien Fall der spd umkehren zu können. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

    Denn Gabriel ist für die Atlantiker, für die Neoliberalen, die Wirtschaft und die Reichen in Deutschland zur Zeit noch nicht völlig verzichtbar. Es läuft gut für diese Kreise, mit und durch Gabriel und der Mann gibt sich alle Mühe, auch auf Kosten seiner persönlichen Reputation und „Beliebtheit“.

    Ich habe allerdings schon den Eindruck gewonnen, das in letzter Zeit etliche Medien sich durchaus wohlwollend zu dem möglichen Kandidaten Schulz geäußert haben und dies auch weiter tun werden. Ihn „hochschreiben“ sollen und wollen.

    Um die GroKo fortführen zu können.

    Ich glaube (weil ich es nicht weiß), das sich die Kreise des Kapitals einig sind, nochmal durch 4 Jahre GroKo den gegenwärtig eingeschlagenen Kurs Deutschlands durchführen zu lassen.

    Kiwi, Schwarz-Braun, sind vermutlich doch noch nicht die Optionen, die man derzeit ziehen will und muss. R2G halte ich für eine Nebelkerze, eine Möhre, der die Wähler hinterherjagen sollen, die sich für „links“ halten.

    Was ein Steingart sich leistete und noch leisten wird, wird vermutlich keine mediale Einzelleistung bleiben. Zeit, FAZ, Springer können das auch und werden es tun. Denn dort kann man nichts anderes mehr. Nicht nur im „Fall Schulz“.

    Man hat in diesen Kreisen vollständig verlernt, Sachlichkeit anzuwenden.
    Zuerst hatte man in den Medien die Sachlichkeit, die Lust an ausgewogener Information intern und extern bekämpft, den Kampf gegen sich selbst auch schnell gewonnen.

    Durch die, über Jahre hinweg konsequente Anwendung billigster Propagandamethoden, als einzig anwendbare journalistische Waffe, wurden alle anderen Möglichkeiten der Medien vergessen.

    Die Ergebnisse lesen, hören und sehen wir alle jeden Tag. Das Allerschlimmste daran ist, das sich die meisten Bürger damit abgefunden haben, es konsumieren und sich willig beeinflussen lassen.

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  2. Die "Bezahlinhalte-Konzeption" unserer Q-Presse ist wirklich lächerlich. Da werden einfach die üblichen Artikel, von den üblichen Verdächtigen hinter Paywalls geparkt. Warum man da nicht externe Autoren, freiberufliche Journalisten oder Gast-Redakteure exklusive (also qualitativ hochwertige) Beiträge, Artikel, Reportagen, Interviews usw. verfassen lässt, ist mir natürlich kein Rätsel (weil billiger), aber kann doch keine Leser-Motivation sein, dafür extra zu löhnen? Bei Spiegel Online gibt es Bezahlinhalte mit dem üblichen Russen-Bashing-Gerotze. Jetzt soll ich für Propaganda auch noch freiwllig bezahlen? Die Öffentlich-Rechtliche Zwangsabgabe inklusive täglicher Lügenmärchen reicht wohl nicht?

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