Dienstag, 22. November 2016

Untote


Christian Krachts anstrengend ennervierender Roman 'Die Toten'

Jochen Malmsheimer, jener Großmeister des sprachlichen Floretts, merkte einmal schwer widerlegbar an, es gäbe Eigennamen, die in sich bereits ganze Sätze seien. Marion Kracht etwa. Oder Steffen Seibert. Den nicht mit Marion verwandten Christian Kracht hingegen erwähnte er nicht. Warum, will mir ein Rätsel bleiben. Was das mit dem Thema zu tun hat? Eigentlich nichts. Ich möchte halt ein Buch des Letztgenannten rezensieren und habe irgendwie nach einem Einstieg gesucht. Und weil es sein kann, dass es bei jenem Christian gewaltig kracht im Hirn. Sein 1995 erschienener Erstlingsroman 'Faserland' wirbelte damals einiges an Staub auf. Ein Jahrhundertbuch!, jubelte ditt noch janz frisch jesamtverdeutschte Föjetong. Der Retter und Erlöser der schwer an notorischer Walser-Grass-Sklerose leidenden deutschsprachigen Gegenwartsliteratur schien in dem schmalen blonden Jüngling endlich gefunden.

Es war eine Zeit, in der ich alles Fashionable aus Prinzip verachtete, also ging mir auch 'Faserland' am Arsch vorbei. Ich kaufte es dennoch, weil ich es einer Studienfreundin zum Geburtstag schenken und sie, zugegeben, auch ein wenig mit meinem Sophisticatedsein beeindrucken wollte. Die Party versäumte ich leider wegen einer schlimmen Bronchitis, so lag das adrett als Geschenk verpackte Bändchen eine Weile bei mir herum. Ein paar Wochen später saß ich im Wartezimmer meines Zahnarztes und blätterte in Druckerzeugnissen einer Sparte, die sich selbst 'People-Journalismus' nennt, ohne sich in einer Tour kaputt zu lachen. Ich glaube, es war die 'Bunte', jenes Zentralorgan der deutschen Gegenaufklärung, die sich in Bezug auf Kracht allen Ernstes zu der Bezeichnung "Goethilein" verstieg. Das reichte dann. Als ich reparierten Zahnes heimkehrte, packte ich das Buch aus und las es. So was hatte, fand ich, niemand verdient.

'Faserland' schildert aus der Ich-Perspektive die gar nicht mal unflott beschriebene Odyssee, die ein finanziell offenbar gut abgesicherter, markenbewusster, weitgehend emotionsloser Jeunesse-dorée-Schnösel vom Stamme Eure Armut kotzt mich an kreuz und quer durch die Republik unternimmt. Rebellion gegen die altgewordene Rebellengeneration durch äußerliche Überanpassung. Sofern ich mich erinnere. Ich erinnere mich jedenfalls, gefunden zu haben, dass der Autor sein Handwerk durchaus versteht und das im Geiste in die Abteilung 'rückstandsfreie Unterhaltung' eingeordnet zu haben. Eine Art 'Tempo'-Reportage in lang halt. Die Jubelhymnen der Kritiker konnte ich nicht nachvollziehen. Krachts weitere Arbeit, darunter den Roman 'Imperium', in dem es um Leben und Werk des sauber durchgeknallten Kokovoren August Engelhardt geht, ging weitestgehend an mir vorbei.

'Imperium', heißt es dortselbst wörtlich, spielt "ganz am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, welches ja bis zur knappen Hälfte seiner Laufzeit so aussah, als würde es das Jahrhundert der Deutschen werden, das Jahrhundert, in dem Deutschland seinen rechtmäßigen Ehren- und Vorsitzplatz an der Weltentischrunde einnehmen würde". Ist das noch die verstellte Stimme eines Erzähler-Ichs, ein Spiel mit Masken und Ebenen (was legitim wäre), oder ist das schon mehr? Oder heißt das einfach nur: Ätsch, Deutsche, ich bin Schweizer, somit neutral by nature, und darf das? Man muss jedenfalls kein in der Wolle gefärbter Antifaschistsein, um da Ungutes anklingen zu sehen.

Nun also 'Die Toten'. In der Stadtbibliothek geliehen, mal sehen, was der Typ inzwischen so verzapft, dachte ich. Eine qua Dienstreise anstehende, nicht allzu lange Zugfahrt schien eine passende Gelegenheit, das Werkchen zur Hand zu nehmen. Die Kalkulation ist aufgegangen, das Buch bekam ich durch. Und hatte das ungute Gefühl, einen echten Bestseller für die Neue Rechte in Händen gehalten zu haben. Da der Autor aber als allergrößter Ironiker seit Erfindung der Druckerpresse gepriesen wird, kann's im Zweifel auch alles nicht so gemeint sein und der Leser ist der Dumme. Man müsste systematisch, mit professioneller Hermeneutik an die Sache gehen, wollte man Kracht diesbezüglich festnageln. Weil mir dafür aber Zeit und Muße fehlen, muss der geneigte Leser sich damit begnügen, dass alles auch Ironie, Maskerade, Mimikry, Mummenschanz sein kann, für den ich einfach zu blöd bin.

Wir beamen uns zurück in die Zeit der Weimarer Republik, als die noch junge Filmkunst boomte und Babelsberg neben Hollywood als zweite Filmhochburg galt. Der Berner Regisseur Emil Nägeli ist davon besessen, einen bahnbrechenden Horrorfilm zu drehen. Angestachelt durch Bekanntschaften wie die eines gewissen Siegfried Kracauer gelingt es ihm, einen Termin beim mächtigen UFA-Chef Alfred Hugenberg zu bekommen (der nebenbei ein wichtiger Wegbereiter der Nazis war, aber das wäre freilich ex post facto).

Was Nägeli nicht weiß, ist, dass der japanische Ministerialbeamte Masuhiko Amakasu ein großer Verehrer seiner Arbeit ist, die "mit den Mitteln der Filmkunst innerhalb der Ereignislosigkeit das Heilige, das Unassprechbare aufzuzeigen" vermag. (Hust, hust! Riecht's hier nach Weihrauch?) Den Tonfilm hält er für eine verlogene imperialistisch-westliche Idee. Akamasu schwebt gleichsam die Errichtung einer 'Film-Achse' (die freilich nicht so genannt wird, da der Begriff 'Achse' erst ab 1940 verwendet wurde) zwischen Deutschland und Japan vor, um dem als imperialistisch empfundenen Hollywoodkino etwas entgegenzusetzen. (Merke: Wenn Japaner kryptoantisemitische Seitenhiebe auf amerikanischen Kulturimperialismus raushauen und von Heiliger Deutschschweizer Raunekunst bramabarisieren, isses unverfänglich.)

Hugenberg stattet den Schweizer mit den nötigen Mitteln aus, um in Japan sein Projekt zu realisieren, was dann auch geschieht. Zwischendurch gibt es Alt-Berliner Nostalgie (Heinz Rühmann latscht irgendwann durchs Bild), es tritt der besserwisserische Charlie Chaplin auf (in Japan). Allerdings kommt Nägeli bei all dem auch seine junge, hübsche Verlobte Ida abhanden, die auf Hugenbergs Geheiß die weibliche Hauptrolle spielen sollte. Im Zuge seines künstlerischen Schaffensprozess vernachlässigt er sie und sie geht ein Verhältnis mit Amasaku ein. Als er das bemerkt, trennt Nägeli sich von ihr, sie geht mit Amasaku und Chaplin nach Hollywood, wo Chaplin ihr eine glänzende Karriere in Aussicht stellt.

Im sicheren Bewusstsein, ein Meisterwerk geschaffen zu haben, kehrt Nägeli am Ende allein in die Schweiz zurück. Er weiß nicht, dass Amasaku während der Überfahrt nach Los Angeles über Bord gegangen und ertrunken ist. Danach darf der mit dem Gehörnten leidende Leser noch miterleben, wie die untreue Ida einen genüsslich beschriebenen sozialen Abstieg hinlegt. Von ihrem Mann verstoßen, versucht sie in Hollywood eine Filmkarriere zu starten und landet auf der Straße. Schließlich stürzt sie final vom berühmten, damals noch das Wort 'Hollywoodland' formenden Schriftzug in die Tiefe. Hat der geneigte Autor keinen dickeren Holzhammer gefunden für seine Symbolik? Ich konnte mir nicht helfen, aber ich las die ganze Zeit: Blonde Arierin begeht erst Rassenschande mit fernöstlichem Verführer, wirft sich dann dem jüdischen Filmbusiness an den Hals und am Ende erhalten alle ihre gerechte Strafe. Schlusstableau, aus, Applaus. Es gibt welche, die fahren auf so was ab.

Wikipedia weiß übrigens noch, dass das Buch nach Art des japanischen Nō-Theaters aufgebaut ist und sich in die Teile Jo-ha-kyū gliedert. Aha.

Die Sprache wird auf der Webseite des Verlages routiniert als 'meisterhaft' angepriesen. Nun ja, wie man's nimmt. Ich frug mich zwischendurch, wo virtuoses Vorführen von Kunstfertigkeit umschlägt in eitles, verblasenes Gepluster. Nur drei Beispiele, aufs Geratewohl:

"Dieser unterdrückt mit der Hand vor dem Mund ein die Speiseröhre hinaufdrängendes Gaswölklein – das mag wohl der rohe Fisch sein, die braune Soße dazu, der grüne Meerrettich."
"... während draußen vor den Fenstern des dahinfliegenden Zuges Fujiyama vorbeizieht, still bebender, summender Gottberg,..."
"Die Schweiz und ihre beschränkten Berganhäufungen, diese nur scheinbar lieblich gezackten Massive, wirken sich morphologisch auf die garstige Renitenz ihrer Bürger aus […]."


Und so weiter. Was ist das, wer spricht da? Ein wortklingelnder Autor mit Spaß an der Alliteration oder ein die Diktion und aufgesetzt feierliche Hohlheit bildungshubernder Bürgerhochsprache von dunnemals parodierendes Erzähler-Ich? Diese andauernde verbale Vexiererei mag ja in akademischer Hinsicht meinethalben ihre Reize haben, mich aber, und man mag mich gern altmodisch nennen deswegen, nervt's irgendwann und ich frage mich: Was zum Fick bin ich hier eigentlich am lesen? Einen Roman oder ein Rätselbuch, einen literarischen Selbstbedienungsladen?

Es soll ja Leute geben, die die Meisterhaftigkeit eines fiktionalen Textes daran bemessen, um wieviel verkrampfte Originalität der Schreibstil bemüht ist, wie viele intertextuelle Bezüge und eitel vorgetragenes Wissen der Verfasser einbaut und wie viele Ebenen und Metaebenen er ihnen zum Aufspüren hinwirft. (Ebenen, immer gib ihnen Ebenen!). Die sich mittels Lektüre vor allem selbst aufwerten, weil das Gelesene aus jeder Zeile ausschwitzt: Obacht! Gebildetes für gebildete Stände voraus! Hier gilt's der Kuuunst! Gehören Sie zu diesen Leuten und ekeln Sie sich nicht vor bräunlichen Schlieren, dann lesen Sie dieses Buch unbedingt! Sie werden es lieben. Alle anderen mögen vorher lieber nachlesen, was Georg Diez 2012 über 'Imperium' schrieb:

"Was also will Christian Kracht? Er ist, ganz einfach, der Türsteher der rechten Gedanken. An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream."

Mahlzeit!


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Christian Kracht: Die Toten. Köln: Kiepenheuer und Witsch 2016 (224 S., 20,00 €)




3 Kommentare:

  1. Kracht – niederländisch für Kraft.

    In diesem Fall Danke für den Warnhinweis auf die (rückwärts)
    gewandte Federfertigkeit des Goethileins. Mir langen schon die Leseproben. Na gut – auch Rilke hat sich mal den einen oder anderen Lapsus durchgehen lassen. Aber wer mag schon
    ganze Lapsus-Anthologien als Literatur rezipieren wollen?

    Christian Kracht – zonder kracht (=nl. Ohne Kraft, kraftlos)

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    1. Oh, alstublieft, helfe immer gern. Frei von Fehlern ist keiner, aber wenn man das Gefühl bekommt, das hat Methode...

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  2. Deine Ausführung zum Sprachschwurbel machen mich heiter, danke dafür! Andererseits macht es keinen Unterschied: ich hätte es eh nicht gekauft.

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