Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Samstag, 6. Mai 2017
Le Quál de la Wáhl
Es ist zwar blöde, auf einer 'Silly Left' herumzuhacken, andererseits gibt es aber gute Gründe, Macron zu unterstützen.
Die Diskussion um die morgige Stichwahl in Frankreich offenbart auch das Problem nicht weniger Linker: Dass deren intellektuelle Abkürzungen oft nicht weniger krud sind als anderswo. Wer etwa schon bei der Information, Emanuel Macron sei Investmentbanker bei Rothschild gewesen, das Denken weitgehend einstellt und bloß sagt: "Schon klar, ich weiß Bescheid!", kann das selbstredend gern tun, sollte aber bitte schleunigst damit aufhören zu glauben, irgendwie differenzierter zu denken als der doofe Rest bzw. sich für grundsätzlich klüger zu halten als der durchschnittliche Reichsbürgerfreak. Die Welt ist vielleicht doch komplizierter als bei den Nachdenkseiten zu lesen. Grundsätzlich sollte, wer anderen Borniertheit vorwirft oder ein Opfer von Meinungsmache zu sein, und jenseits eigener Kreise ernst genommen zu werden begehrt, zumindest in Betracht ziehen, seinerseits nicht weniger borniert zu sein. Jeder Therapeut und Berater bekommt beigebracht, dass auch er jederzeit Teil des Problems sein kann. Weil wir halt alle Menschen sind.
Bedaure, aber wer glaubt, rechtspopulistisch-autoritäre Regimes seien ein hinzunehmendes, beherrschbares und notwendiges Übel, durch das die dumme, verblendete Menschheit eben durchmüsse auf ihrem Weg zur Abschaffung des Kapitalismus und ins Paradies des Sozialismus, muss sich im Lichte diverser historischer Erfahrungen schon die Frage gefallen lassen, ob die Schiebermütze etwas eng sitzt. Wer so redet, tickt im Kern nicht anders als der aristokratische Herrenreiter von Papen, der 1932 der felsenfesten Überzeugung war, diesen plebejischen Schreihals Hitler bald an die Wand gedrückt zu haben, bis selbiger quietsche (der Erfolg ist bekannt). Beziehungsweise unterscheidet sich das nicht groß von jener Rhetorik, die die Gerhard Schröders dieser Welt, brutale Unternehmenssanierer und andere Gewaltreformer immer im Munde führen. Ja, gewiss, wir müssen schmerzhafte Schnitte vornehmen und den Gürtel enger schnallen und es wird welchen schlechter gehen, aber irgendwann wird es uns deswegen allen besser gehen und wir werden dereinst sagen: Siehe, es war gut so. Am Arsch die Räuber!
Die bisherigen Erfahrungen in Polen und Ungarn zeigen, dass Rechtsautoritäre eben nicht bloß tumbe Maulhelden sind, die eh nichts, haha, Rechtes zuwege bringen, sondern sich sehr wohl daran machen, Staaten massiv und vielleicht irreparabel in ihrem Sinne umzubauen, sobald sie irgendwie eine Mehrheit zusammenbekommen. Auch in den USA scheint Trumps unter schadenfrohem Gelächter von links zunächst arg stotternde Umkrempelmaschinerie langsam in Gang zu kommen. So werden wohl Millionen sehr bald ihre bezahlbare Krankenversicherung wieder verlieren. Aber immerhin, so tröstet man sich steuerbords, konnte durch heroisches Nichtwählen wenigstens Killary verhindert werden. Die große Neoliberalala und damit schlimmste Geißel der Menschheit seit Ebola. Die es zudem gewagt hat, den Heiligen Bernie schnöde aus dem Rennen zu kegeln. Und klopft sich dafür auf die Schulter. Nimm dies, Neoliberalismus! Geht's noch?
Was die Situation so problematisch macht, ist, dass die Linke eben genau nicht die progressive Kraft ist, für die sie sich hält, sondern dass wir es, wie Peter Unfried mit Recht feststellt, "... im Moment mit einem doppelten Sehnsuchtskonservatismus zu tun [haben]: der guten alten Zeit der Rechten und der guten alten Zeit der Linken." Die Rechten versprechen ein rückwärtsgewandtes Utopia ohne EU, Globalisierung und Multikulti, dafür mit dank streng kontrollierter Zuwanderung weitgehend homogenem Staatsvolk, nationalen Währungen, die wieder etwas wert sind, und 'gesundem' Patriotismus. Linke träumen von Zeiten, in denen die Arbeiterklasse den Ausbeutern das Fürchten lehrte, Solidarität kein Fremdwort war, der Staat für die Schwachen da war und ehrliche Arbeit noch was galt. "Beide Zeiten hat es selbstverständlich nie gegeben. Es gab allerdings totalitären Faschismus und totalitären Sozialismus, das schon." (Unfried, ebd.)
Kann sein, dass Didier Eribon recht hat mit seiner Orakelei, jetzt Macron zu wählen, bedeute beim nächsten Mal Le Pen zu bekommen. Oder auch nicht. Der Mann ist zweifellos hoch intelligent und im Gegensatz zu mir sicher ein echter Kenner der politischen Verhältnisse in Frankreich. Aber ist er neuerdings auch Hellseher? Hat bei uns jemand vor vier Jahren etwas von einer gewissen Frauke Petry gehört? Liegt es daran, dass ich kein schwuler Soziologieprofessor mit Arbeiterklassen-Hintergrund bin, wenn ich es vorziehe, noch ein wenig Zeit zu haben mit einer Präsidentschaft Marine Le Pens? Die man dann eventuell sinnvoll nutzen könnte für den Aufbau einer mehrheitsfähigen linken Alternative? Zumal völlig offen ist, wie die Parlamentswahlen ausgehen und mit welchem Premierminister der Präsident dann klarkommen muss? Was soll's, ich bin eh nicht wahlberechtigt morgen.
Natürlich bekommt Neoliberalismus, wer Macron wählt. Und damit wäre seine Wahl natürlich nicht die Rettung des Abendlandes, jegliches erleichterte Gefeier, wie es zu befürchten ist, daher unangemessen wäre. Das Fiese ist aber nun, dass Neoliberale vom Schlage Macrons sich auch liberale Werte weitgehend zu Eigen gemacht haben, die ich gern bewahrt sähe, mithin das eine ohne das andere momentan kaum zu haben ist. So wie man als Linker zur Zeit immer auch einen in Teilen höchst problematischen bis überspannten Feminismus gratis hinzubekommt, ohne wirklich etwas dagegen ausrichten zu können. Es ist also nicht nur die Wahl zwischen rechtspopulistisch und neoliberal, sondern noch ein paar anderen Dingen.
"Der Kampf gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie ist aber längst eine politische Frontlinie geworden, die ebenso wichtig und ebenso links ist wie der Kampf gegen soziale Ungleichheit. Vielen Altlinken fällt immer noch schwer, das zu akzeptieren." (Peter Weissenburger)
Ohne Frage frustrierend ist es, vor einer Wahl zu stehen, bei der man nur mehr die hat zwischen verschiedenen Geschmacksrichtungen von Scheiße. Man kennt dergleichen: Entweder sofortige Schließung der Firma oder zwei weitere Jahre Bestands'garantie' mit 20 Prozent weniger Mitarbeitern und 30 Prozent weniger Gehalt? Na los, entscheiden Sie selbst, Sie haben die freie Wahl, wir machen da niemandem Vorschriften. Kann man es wirklich welchen verdenken, wenn sie sich dann dafür entscheiden, zwei Jahre mit weniger Geld weiterzuwursteln und eventuell die Zeit zu nutzen, sich einen anderen Job zu suchen (was möglicherweise illusorisch ist), anstatt für sofortige Arbeitslosigkeit zu stimmen? Weil auch anderswo im Leben die guten Entscheidungen leider meist bloß die Zweitschlechtesten sind? Kann ich es andererseits den beiden mir bekannten Frauen, die vor zwei Jahren überglücklich ihre Hochzeit gefeiert haben, wirklich übelnehmen, wenn sie die Tatsache, verheiratet sein und weitgehend offen leben zu können, auch den herrschenden Verhältnissen zuschreiben? Ich mag da kein Richter sein.
Es kann bloße Korrelation sein oder purer Zufall, aber man sollte schon zur Kenntnis nehmen, dass das neoliberale Zeitalter zufällig dasjenige ist, in dem sich in West- und Mitteleuropa für die meisten diskriminierten Minderheiten in puncto Emanzipation und Gleichstellung das meiste bewegt hat. Der Grund ist einfach: Kapital kennt halt keine Moral, und Fragen wie die, ob jemand einer gesellschaftlichen Minderheit angehört, und wenn ja, welcher, sind weitgehend egal, solange sich alle nur weiter ausbeuten lassen. Nur ist das eine Garantie für gar nichts. Dass Kapital nämlich auch mit Faschisten sehr gut kann, ist mehr als einmal bewiesen worden. Glaubt irgendjemand, Frankreich bekäme ein Gran weniger Neoliberalismus, wenn morgen Le Pen gewählt würde? Wäre es ausgemacht, dass ein Mélenchon, mit knapper Mehrheit gewählt, in der Lage wäre, die Verhältnisse umzukrempeln? Alexis Tsipras, seinerzeit mit deutlicher Mehrheit gewählt, war es jedenfalls nicht. Ein krachend gescheiterter, zum Bettvorleger geschrumpfer Linker diskreditiert die gute Sache mitunter mehr als einer, der gar nicht erst gewählt wird.
Ob jemand wegen wegen der herrschenden Herrschaft des Kapitals und der daraus folgenden grassierenden sozialen Ungleichheit in der Gosse sitzt und nicht wieder hochkommt oder ob zum Beispiel jemand wegen Geschlecht/Hautfarbe/Herkunft/sexueller Orientierung keinen Job kriegt oder ihm Schlimmeres angetan wird (sage niemand, das würde so schlimm schon nicht werden), mag in der Theorie vielleicht ein Unterschied sein, im Ergebnis ist es das für die Betroffenen sicher nicht. Die angebliche Wahl zwischen Pest und Cholera ist die zwischen einem zweifellos kapitalistisch tickenden Politiker mit klassischer Elitenkarriere und gewiss erheblichen Nachteilen, aber auch einigen Vorteilen, etwa dem, für rationale Argumente immerhin zugänglich zu sein, und einer nicht minder kapitalistischen, xenophoben, Kreide fressenden Blenderin ohne Vorteile, die bloß die schlechteren Instinkte im Menschen kanalisiert und unseriöse Versprechungen macht.
Nur zum Verständnis: Mit so ziemlich allem, was gegen den Kapitalismus vorgebracht wird, gehe ich konform. Ich glaube halt nur nicht, dass man mit ihm fertig wird, indem man leichtfertig Faschisten/Rechtspopulisten/Autoritäre ans Ruder lässt bzw. wäre mir der Preis zu hoch. Es ist pure Spekulation, wenn nicht reines Wunschdenken, dass rechte/faschistische Regimes den Zusammenbruch des Systems nur beschleunigen würden. Das unterschätzt im Zweifel bloß die Anpassungsfähigkeit des Kapitals. Ich möchte auch gern glauben, dass da jenseits der Sozialdemokratie vielerorts etwas im Entstehen begriffen ist, das Hoffnung macht, wie es ein freundlicher Kommentator letztens hier geschrieben hat. Nur wird so was Zeit brauchen, Geduld und langen Atem, jene Souveränität, die aus dem sicheren Bewusstsein entsteht, dass die Zeit für einen arbeitet. Neoliberale wissen das sehr gut und haben das alles. Es hat Jahrzehnte gebraucht, die neoliberale Agenda in Wissenschaft, Politik und Medien als quasi alternativlos zu etablieren. Davon sollten Linke sich etwas abschauen.
So, und jetzt dürfen alle mich gern einen rot lackierten Faschisten nennen oder, schlimmer noch, einen Sozialdemokraten. Damit wäre ich übrigens in nicht allzu schlechter Gesellschaft. Ich weise ferner zu meiner Entlastung darauf hin, dass ich es immerhin geschafft habe, das böse V-Wort und das böse Q-Wort komplett zu vermeiden.
2 Kommentare:
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Es wird impliziert, die Nachdenkseiten würden behaupten, "rechtspopulistisch-autoritäre Regimes seien ein hinzunehmendes, beherrschbares und notwendiges Übel", das wird dort allerdings mit keiner Silbe gesagt. Es wird dort betont, es sei unzumutbar, von der Linken eine Wahl Macrons als kleineres Überl zu verlangen. Als problematisch muss lediglich gesehen werden, dass Jens Berger von einer sicheren Wahl Macrons ausgeht, es der Stimmen der Linken also gar nicht bedürfe, LePen zu verhindern. Ob diese Einschätzung zutrifft, sehen wir in einigen Stunden.
AntwortenLöschenNach dem Motto "Sozialismus oder Tod" wird eben im Zweifelsfall der Tod gewählt. Hauptsache auf dem Grabstein steht "Hier liegt ein aufrechter Genosse" … (pun intended)
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