Dienstag, 24. Oktober 2017

Ein Jubiläum (4)


Heute vor 100 Jahren, am 24. Oktober 1917, begann die Schlacht bei Caporetto.

Im Nachhinein, oder ex post facto, wie's distinguierter heißt, ist man bekanntlich immer schlauer. In der Rückschau erscheint uns nachfolgenden Generationen die Niederlage der Mittelmächte am Ende des ersten Weltkrieges geradezu zwingend. Die katastrophale Versorgungslage, der nach Jahren des Gemetzels langsam versiegende Nachschub an Soldaten (ab 1917 war man dazu übergegangen, auch 17jährige einzuziehen), während die Ententemächte solche Sorgen nicht hatten. Ihnen standen nicht nur die Weltmärkte offen, sondern ab 1917 auch das Menschenreservoir der USA. Konnte nicht anders kommen. Zeitgenossen sahen das Ende 1917 ganz anders. Mochten die Deutschen schlecht ernährt sein und in Uniformen herumlaufen, die immer mehr Lumpen glichen, vor ihrer Kampfkraft hatte man gehörigen Respekt und sah sich keineswegs auf der Siegerstraße.

"Die Deutschen sind ein schrecklicher Feind und ihre Generäle sind besser als unsere." (David Lloyd George, Januar 1918)


Der Entente war es 1915 gelungen, das bis dahin neutrale Italien mit weitreichenden Versprechungen auf ihrer Seite in den Krieg zu ziehen. Eine dritte Front im Süden, so das Kalkül, würde die Mittelmächte entscheidend schwächen. Auf italienischer Seite hatte man sich als erstes Ziel gesteckt, das zu Österreich-Ungarn gehörende Triest zu nehmen. Die italienische Armee bestand in den Mannschaftsrängen vornehmlich aus Arbeitern und Bauern aus dem armen Süden des Landes, die man mit brutaler Gewalt in die Armee gepresst hatte, wo sie von in jeder Hinsicht überforderten Befehlshabern wie General Luigi Cadorna immer wieder gegen die österreichischen Stellungen getrieben wurden.

Die Bedingungen, unter denen an dieser weniger beachteten Alpenfront gekämpft, gestorben und gelitten wurde, waren nicht minder schlimm als woanders, im Gegenteil. Alles, vom schweren Geschütz bis zum letzten Brotkrümel, musste ins Hochgebirge transportiert werden, teilweise bis auf mehrere tausend Höhenmeter. Hatte man Glück, mit Maultieren oder Pferden. Viele Kilometer lange Tunnelsysteme wurden von Hand und ohne schweres Gerät durch Felsen und Gletscher getrieben. Dazu die permanente Gefahr von Lawinen und Erdrutschen und die, jederzeit in die Tiefe stürzen zu können. Elf Mal hatte Cadorna zwischen 1915 und 1917 schon gegen die österreichischen Stellungen am Isonzo anrennen lassen, jedes Mal war das Fiasko blutiger, die Verlustzahlen größer (und wie immer fielen auch die Geländegewinne nicht ins Gewicht). Ende 1917 aber waren die Österreicher am Ende ihrer Kräfte und man wandte sich an die deutschen Verbündeten mit der Bitte um Hilfe. Einem weiteren italienischen Angriff fürchtete man nicht mehr standhalten zu können.

Die Deutschen schickten die eigens dafür aufgestellte 14. Armee unter dem Kommando Ottos von Below und ein an der Alpenfront noch nicht dagewesenes Aufgebot an Artillerie. Und sie brachten Know-how mit. Im deutschen Heer hatte man gelernt, personelle Unterlegenheit durch neue Kampftaktiken teilweise zu kompensieren. Etwa durch die Stoßtrupp- bzw. Sturmtrupp-Taktik, die nach ihrem Miterfinder Oskar von Hutier auch Hutier-Taktik genannt wurde. Wenn man versuchte, Menschenleben zu schonen, hatte das übrigens nichts damit zu tun, dass im deutschen Oberkommando plötzlich Empathie und Menschlichkeit eingekehrt wären, sondern war allein ökonomischer Notwendigkeit geschuldet. Man musste halt sparsam umgehen mit dem, was man hatte. Das A und O in einem vollindustrialisierten Krieg.

Ferner hatte ein gewisser Oberst Georg Bruchmüller, genannt 'Durchbruchmüller', das Schießen der Artillerie nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten perfektioniert. Tage- und wochenlang auf gegnerische Gräben einzuballern, hatte sich als weitgehend wirkungslos erwiesen und verriet dem Gegner außerdem die Angriffsabsichten. Bruchmüller ließ Geschütze weit hinter der Front einschießen, es wurde nicht nach Sicht, sondern nach genauen Karten geschossen und meteorologische Daten wurden einkalkuliert. Es ging um Überraschung, maximale Konzentration der Kräfte und einen genauestens ausgeklügelten Mix aus Spreng- und Gasgranaten. Ziel war, den Gegner mit einem kurzen, massiven Schlag so zu erschüttern, dass er zeitweise kampfunfähig wurde. Später bezeichnete ein Nachfolger im Geiste das als shock and awe. Bei Caporetto (Karfreit, slowenisch: Kobarid) wurde das am 24.10.1917 ins Werk gesetzt. Mit durchschlagendem Erfolg.

Die völlig überrumpelten italienischen Soldaten, die durchgefroren in nur schlecht ausgebauten Stellungen lagen, waren dem von Bruchmüller diabolisch choreographierten Hagel aus Stahl, Sprengstoff und Giftgas nahezu schutzlos ausgeliefert. Viele Italiener hatten nicht einmal Gasmasken, die an der Westfront seit 1915 zur Standardausrüstung gehörten. (Aber auch die nützten nicht immer, da die Deutschen etwas praktizierten, das sie 'Buntschießen' nannten.) Die Infanterie, darunter erstmals in größerer Zahl die speziell ausgebildeten Sturmbataillone, hatte leichtes Spiel. Die italienische Front kollabierte, jegliche Ordnung löste sich auf. Erst 120 km weiter südlich, am Piave, konnte der deutsch-österreichische Vormarsch mithilfe schnellstens hinzugezogener britischer und französischer Einheiten im November gestoppt werden. Und das wohl auch nur, weil der Fluss Hochwasser führte. In Österreich sprach man vom 'Wunder von Karfreit'. Die Opfer? Sechsstellig, wie fast immer in diesem Krieg.

In Italien hat 'Caporetto' noch heute einen Klang wie Waterloo. Maximale Demütigung, völlige Katastrophe. Der legendär schlechte Ruf der italienischen Armee gründete sich darauf. Zu Unrecht allerdings.

"Von 1915 bis 1917 hatten die italienischen Regierungen - »ganz zu schweigen von den reaktionären und brutalen monarchistischen Generälen« - versucht, einen »traditionellen« Krieg zu führen. Sie hatten keinerlei Versuch unternommen, den Krieg vor den Arbeitern und Bauern, die die Masse der Soldaten stellten, zu rechtfertigen oder zu begründen." (Richard C. Bosworth)

Die italienischen Soldaten sahen am wenigsten von allen Kriegsteilnehmern ein, wieso sie sich haufenweise massakrieren lassen sollten. Triest? Was sollte das? Auch daher ergaben sich bei Caporetto ganze Einheiten auf einmal. Die Eliten jedenfalls zeigten in der Folge, wie wenig sie begriffen hatten:

"»In den Tagen nach Caporetto […] fanden die decimazioni statt. Jeder zehnte Soldat wurde an die Wand gestellt. Mindestens 300 Soldaten wurden so erschossen, ohne Prozess. Vermutlich waren es mehr, aber in vielen Fällen fehlt jede Dokumentation oder die Dokumente wurden zerstört.« Mit den wahllosen Erschießungen wollte Italien von den Fehlern der eigenen Generäle ablenken, die den Durchbruch der Österreicher zugelassen hatten.“ (Guido Ambrosino)

Im deutschen Oberkommando glaubte man, den militärischen Stein der Weisen gefunden zu haben, der doch noch den Sieg bringen würde. Auch sonst sorgte dieser größte taktische Einzelerfolg des Krieges in Militärkreisen und vaterländisch-konservativen Gruppen der deutschen Gesellschaft für eine breite Brust und ein Überlegenheitsgefühl, das sich am Ende als trügerisch erweisen sollte. Als ab dem 7. November auch noch das Zarenreich unter der Revolution kollabierte, die Entente plötzlich zerbrochen war und auf einmal Unmengen Ressourcen sowie Truppen von der nicht mehr existierenden Ostfront zur Verfügung standen, berauschte man sich förmlich an Endsiegsphantasien.

Was im Oktober 1917 so erfolgreich erprobt wurde, sollte im Frühjahr 1918 als Blaupause dienen für die deutschen Frühjahrsoffensiven im Westen, die noch einmal hunderttausende Leben auslöschen sollten für nichts. Eine weitere Spätfolge: Man ist sich inzwischen weitgehend einig, dass ohne die desaströse Niederlage von Caporetto und die mythische Überhöhung der Schlacht am Piave der Aufstieg des Faschismus in Italien und dessen Machtergreifung 1922 kaum möglich gewesen wäre.


Die bisherigen (traurigen) Jubiläen:


21. Februar 1916: Schlacht bei Verdun
1. Juli 1916: Schlacht an der Somme
31. Juli 1917: Schlacht um Passendaele




3 Kommentare:

  1. kleine Ergänzung: In der von dir beschriebenen Schlacht begann auch die eigentliche Karriere eines gewissen Erwin Rommel, der für die Eroberung des Monte Matajur den Pour le Merite erhielt.
    Ich war übrigens mal vor Ort und kann mir daher vorstellen, wieso man damals von einem "Wunder" gesprochen hat. Von unten betrachtet sind die Berge dort unglaublich hoch und steil und es war mir völlig schleierhaft, wie man es da rauf schaffen konnte.

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  2. Dieses entsetzliche Schlachten war auch der Mittelpunkt im gestrigen "Kalenderblatt" des Deutschlandsfunks. Noch einmal vielen Dank für die detailierte Rekapitulation dieses grausamen Fiaskos.

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  3. In den sogenannte Soldatenbordellen wurden Kondome verteilt,da immer mehr Soldaten durch Geschlechtskrankheiten ausfielen(auch bei den US Truppen).Der einzig positive Punkt;nach Kriegsende war dieser Schutz auch unter dem einfachen Volk bekannt.

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