Mehr oder weniger geordnete Gedanken zu den mehr oder weniger geordneten Gedanken des Alexander Dobrindt
Es waren die frühen Neunziger. Hans-Hubert 'Berti' Vogts hatte das Amt des Fußball-Bundestrainers von 'Kaiser' Franz Beckenbauer übernommen. Der hatte unmittelbar nach dem Titelgewinn 1990 verkündet, die deutsche Nationalmannschaft werde von nun an auf Jahrzehnte unschlagbar sein. Ja gut, das sei jetzt zwar schon irgendwie blöd für alle Gegner, das wisse er, aber das sei leider nun einmal so, hugh, der Große Häuptling habe gesprochen. Beckenbauer hatte zeitlebens die Gabe, zu zirka 95 Prozent heiße Luft zu reden, das aber auf eine weltmännisch wirkende, leicht strizzihafte Art und dabei so zu tun, als nähme er sich selbst nicht völlig ernst. Das genügte, um ihn in den Augen diverser Medien und nicht weniger Deutscher zu einer Lichtgestalt zu machen.
Auch Vogts musste berufsbedingt viel reden. Leider Weil sein Redetalent jedoch an das seines Vorgängers nicht heranreichte, wirkte er im Gegensatz zu Beckenbauer dabei immer, wie der schwerzüngige Werkzeugmacherlehrling aus Korschenbroich von einst, den man zwingt, vor großem Publikum eine Rede zu halten. So passierte es, dass er auf einer Pressekonferenz, die sich an ein unterirdisches, mit Mühe und Not 1:1 ausgegangenes Qualifikationsspiel für die WM 1994 anschloss. resümierte: "Wir haben ein gutes Spiel gesehen.", und wir uns vor der Glotze frugen: Von welchem Spiel redet der Mann da? Hat der vielleicht ein anderes gesehen? Gibt es am Ende doch Paralleluniversen? Solche Fragen stelle ich mir in letzter Zeit übrigens öfter als früher. Etwa wenn ich mitbekomme, wie Besorgte BürgerTM die amtierende Regierung, deren Fan ich gewiss nicht bin, in jeder Hinsicht folgenlos aufs Übelste beschimpfen und im gleichen Atemzug beklagen, ihre Meinungsfreiheit sei gefährdet.
Das mag erklären, wieso ich meinte, eine Art Déjà-vu-Erlebnis gehabt zu haben, als der CSU-Landesgruppenchef und -Chefintellektuelle Alexander Dobrindt, "dessen Lebenswerk sich mit dem einen Wort 'Maut' präzise zusammenfassen lässt" (Heiko Werning), es fünfzig Jahre nach 1968 für geboten hält, sich einen gepfefferten Aufruf für ein neues bürgerliches Deutschland aus der Runkel zu wringen. (Zur Erinnerung: Herr Dobrindt ist der, der die VW-Abgasaffäre ministeriell so wohlwollend begleitet hat.) Weil er sich nur noch von Linken umgeben sieht, ruft er einen "konservativen Aufbruch", eine, so wörtlich, neue "konservative Revolution der Bürger" aus. Abgesehen von der Frage, ob "konservativer Aufbruch" nicht schon ein Widerspruch in sich ist, so rein von der Semantik her, frage ich mich ferner: Leben wir am Ende in unterschiedlichen Ländern, der Herr Dobrindt und ich? Was soll das für ein linkes Land sein, in dem Eigentum wieder so ungleich verteilt ist wie 1914? In dem Lobbyverbände des Kapitals so viel Einfluss auf die Politik haben wie nie zuvor und in dem Banken gleich selbst ihre Gesetze schreiben dürfen?
Herrn Do
"Ihr Versprechen ist eine stillgestellte Zeit - ohne Globalisierung, Diversity, Migration, überfordernden Wandel." (Stefan Reineke)
Der kluge Sozialdemokrat (ja, liebe Kinder, so was gab es einmal) Gustav Heinemann, tat einst den prominenten Ausspruch, wer mit dem Finger auf andere zeige, auf den zeigten gleichzeitig immer drei Finger zurück. Wer eine konservative Revolution fordert, sollte also, von den bräunlich miefelndeln historischen Implikationen des Begriffs selbst einmal abgesehen, zumindest grob umreißen, was er unter konservativ eigentlich versteht. Das ist nicht ganz einfach für einen Unionsmann, weil davon ist zumindest in Deutschland nicht mehr viel übrig ist, seit die Unionsparteien damals endgültig auf Lambsdorff-Kurs geschwenkt sind und sich so zu den nach der FDP zweitbravsten Schoßhündchen und Liebedienern des Kapitals gemacht haben. Dadurch haben sie exakt jene Zustände maßgeblich mit herbeigeführt, die sie gern so bitterlich beklagen: Auflösung traditioneller Strukturen, Internationalisierung, Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.
Die von ihnen so gern als 'linke Eliten' geschmäht werden, die vollflexiblen, urbanen, toleranten, polyglotten, oft prekären, totalmobilen, internationalen Unternehmer ihrer selbst, die angeblich die Kultur dominieren, sind mitnichten links, sondern bloß die nützlichsten Idioten und damit der ganz feuchte Traum aller Kapitalisten und Ausbeuter. Es ist ja nicht ganz falsch, dass die von Dobrindt als 'Volkserzieher' apostrophierten identitätspolitischen Lautsprecher, die allen ihre Wahrnehmung der Welt und ihre Auffassung von Recht per Shitstorm, Gesetzen und Verboten aufzwingen wollen, gewaltig nerven und das Rechtssystem möglicherweise auf ungute Weise beeinflussen. Komplett falsch ist es jedoch, diese Leute für links zu halten.
Ferner sollte, wer bürgerliche Werte propagiert, ebenfalls wenigstens eine grobe Vorstellung haben, was er damit meint. Das, was gemeinhin mit dem sehr schwammigen Begriff 'Bürgertum' vermutlich gemeint ist, war dummerweise nie allein durch Lebensstil und Werte definiert, sondern auch durch Einkommen und damit ein Minderheitenprogramm. Für einen im weitesten Sinne bürgerlichen Lebensstil, mit dem gewisse Repräsentationspflichten einhergingen und für den nicht immer billige Freizeitgestaltung obligatorisch war, brauchte es nämlich von jeher das nötige Kleingeld.
Damit grenzte der etablierte, honorige Bürger sich nach unten ab vom Bauern und vom Proletarier (mit dem Mantra vom Fleiß und vom selbst erarbeiteten Wohlstand nach oben vom Adel, der nur erbte). Wer also Bürgerlichkeit als verbindliches Ideal für alle propagiert, sollte auch sagen, wie er möglichst viele Menschen in die Lage setzen will, dieses bürgerliche Ideal, das eben nicht umsonst zu haben ist, auch zu leben. Paradoxerweise waren in der jüngeren deutschen Geschichte die meisten dazu in der Lage während der Jahre von ca. 1960 bis 1980, als der Neoliberalismus noch nicht überall die Lufthoheit hatte.
Wer unter den herrschenden Verhältnissen eines relativ ungehindert agierenden Kapitalismus und einer sich immer weiter öffnenden sozialen Schere allen Ernstes Bürgerlichkeit als verbindlichen Standard für alle propagiert, dem kann es nur darum gehen, die herrschenden Verhältnisse zu zementieren. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Forderung, wenige Privilegierte mögen bitte auch weiterhin über die vielen herrschen dürfen. Weil - Kapitalismus ahoi! - unmöglich alle zu den Privilegierten gehören können (was auch gar nicht in deren Interesse liegt). Darum, und nur darum geht es. Sich gegen Multikulti, Diversity, Globalisierung, Political Correctness usw. auszusprechen, das Gejaller von der angeblich nicht für sie geltenden Meinungsfreiheit, heißt in Wirklichkeit meist nur, dass da welche befürchten, ihr Recht auf allfällige Diskriminierung all jener zu verlieren, die nicht in ihr bürgerliches Raster passen.
Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, wer ernsthaft beklagt, dieses Land sei überwiegend links, hat klinisch einen an der Waffel. Woher ich das weiß? Ganz einfach: Man rede einfach mit Jugendlichen, anstatt immer nur über sie. Und höre ihnen dann auch mal zu. Wer sich nämlich mit ihnen zum Beispiel über ihre Zukunftspläne unterhält, stellt schnell fest, dass da so gar nichts links ist, sondern dass dieses Land grosso modo noch nie so bürgerlich-konservativ war wie heute. Der weit überwiegende Teil der jungen Leute, und zwar egal welcher Herkunft, strebt für sich, an, später über alle Attribute eines kreuzbiederen bürgerlichen Lebensstils zu verfügen: Sicherer Job, gutes Einkommen, Eigenheim, Auto, zwei Kinder, regelmäßig Urlaub. Hat sich was mit Aufbegehren. Da will kaum jemand die Welt aus den Angeln heben, sich selbst verwirklichen, das System stürzen oder welcher Popanz sonst gerade durchs Dorf getrieben wird. Das System sitzt da so fest im Sattel wie nie zuvor.
Wie gesagt, so viel Bourgeoisie war nie. Eigentlich könnte er sich also entspannen, der Herr Dobrindt. Dass diese jungen Leute in aller Regel auch sehr locker und entspannt mit anderen Kulturen, Sprachen und Lebensentwürfen umgehen - nun ja, einen Haken gibt es immer.
Monitor
AntwortenLöschen4. Januar um 09:48 ·
Lieber Alexander Dobrindt,
so so, auf eine linke Revolution der Eliten folge jetzt also endlich endlich eine konservative Revolution der Bürger, meinen Sie. Dazu hätte ich dann doch ein paar Fragen.
Erstens: Von welcher linken Revolution sprechen Sie denn da? Von 16 Jahren Helmut Kohl? Von sieben Jahren neoliberaler Schröder-Wende? Oder meinen Sie die zwölf Jahre Kanzlerschaft Merkels? Zusammengerechnet macht das 28 Jahre CSU an der Bundesregierung in den letzten 35 Jahren. Von Ihrer Dauerregierung in München ganz zu schweigen. Strauß, Stoiber und Seehofer als Vorhut des Proletariats: Sapperlot, dass so eine links-elitäre Revolution aussieht, hätten sich Marx, Engels & Co. wohl nicht mal in ihren kühnsten Träumen ausgedacht.
Zweitens: Was meinen Sie mit konservativer Revolution der Bürger? Die 13 % Wähler der AfD, auf die Sie scharf sind? Die nationalistischen Hass-Schleudern, die auch Ihre Facebook-Accounts zumüllen? Oder Ihren Freund Viktor Orbán, der von Europa, Demokratie und Bürgerrechten ungefähr so viel hält wie eine bayerische Wildsau vom Jägergruß?
Ja, und drittens, wo sehen Sie sich denn da? Als Autolobbyist und Mautbringer können Sie ja wahrlich punkten bei den konservativen Neu-Revoluzzern. Die haben auf einen wie Sie gerade gewartet. Nein, glauben Sie mir, so wird das nix mit dem Wahlsieg in Bayern, da müssten Sie sich ja geradezu selbst wegrevolutionieren, und den Söder gleich mit. Ob der das gut findet?
Schönen Gruß,
Georg Restle
"konservativer Revolution der Bürger"
AntwortenLöschenFinde den Fehler!
Wer konservativ und Revolution in einem Satz verwurstet und dann noch auf die Bürger bezieht, der hat sie entweder nicht mehr alle oder weiss genau, was er da absondert.
Bei der zwar intellektuellen Flachzange Dobrindt tippe ich auf Letzteres. Der will sich damit nur beim rechten Rand anbiedern und dazu braucht es eben die sich als konservativ darstellenden 'Bürger', denen durch solches Gesülze vorgequarkt wird, dass eine Wahl der CSU selbige politisch revolutionär wäre. Und wenn man den imaginären Feind dann noch links verortet und aufbauschen kann, wo es nichts aufzubauschen gibt...
...der hat nach wie vor noch nicht geschnallt, dass die gewünschte Klientel trotzdem das Original wählt und nicht die Kopie. Vielleicht kommt die CSU auch nicht damit klar, dass sie nicht mehr die 'rechteste' der zu wählenden völkischen - äääh - Volksparteien ist. Aber Dobrindt kann ja wechseln.
Junge, Junge, der Herr Restle, als ÖR-Journalist traut sich aber was.
AntwortenLöschenHat er denn noch nicht bemerkt, das "Meinungsfreiheit" nur noch für AfD-Schnallen gilt, da aber unbegrenzt.
Die "unabhängige" deutsche Justiz arbeitet eben mit an Muttis Deutschland, dem Land "in dem wir gut und gerne leben".
Ich ahnte es bereits am Wahlabend, das wir alle von nun an noch viel mehr rechten, rechtsradikalen Dreck zu hören bekommen.
Vielleicht hilft begleitende Ironie, Sarkasmus und Satire?
... Der hat sich als Verkehrsminister den Kampfnamen "Doofbrind" erarbeitet. Könnt ihr gerne googeln. Angeblich ist er mit nem IQ wie ne Schaufel Würmer unterwegs...
AntwortenLöschenGruß
Jens
Man könnte auch sagen, Herr Dobrindt sei der menschgewordene Beweis dafür, dass das bayerische Schulsystem maßlos überschätzt wird.
LöschenZumindest muss es erhebliche Lücken aufweisen, oder zumindest Mitschwimmgelegenheiten, bei denen man wenig bringen muss...
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