Donnerstag, 10. Mai 2018

Das Arschlochkraut


Vom verstorbenen Paul Bocuse habe ich dank eines seiner Kochbücher ein paar Dinge gelernt. Etwa, dass es, ungeachtet des Gehubers diverser Fernsehweißmützen, auch bei den Kulinarikweltmeistern jenseits des Rheins durchaus in Ordnung geht, etwas mit Stärke zu binden. Dass Gemüsesuppen deutlich klarer und delikater schmecken, wenn man auf Bouillon und Fonds verzichtet, sondern nur mit Salzwasser arbeitet. Und vor allem: frischer Thymian rockt. Ein paar Zweige davon machen alles lecker. Katapultieren die simpelsten Gerichte in die Champions League. Aber nicht das traurige getrocknete Zeugs, sondern, wie gesagt, frisch aus dem Blumentopf oder vom Beet. Man ist schnell angefixt, fragt sich schon bald, wie man eigentlich ohne frischen Thymian hat kochen können und mag nicht mehr darauf verzichten. Merci beaucoup, Grand Mâitre!

Und weil man Töpfe mit Thymian inzwischen bei jedem gut sortierten Kaufmann bekommt, könnte die Welt also sehr schön sein. Das Dumme ist nur, dass der gemeine Thymian botanisch mit den Mimosen verwandt zu sein scheint. Und zwar mit der Unterart der Mimimimimosen. Anders gesagt: Was ich auch mache, das Gemüse geht mir nach wenigen Wochen ein. Schön, ich gebe zu, mein grüner Daumen ist eher so mittelgut ausgeprägt, ich interessiere mich als Stadtpflanze auch nicht weiter für Grünzeug. Aber die paar Zierpflanzen, die ich aus Dekogründen daheim habe, pflegen problemlos etliche Jahre zu überleben. Alle paar Tage gießen, gelegentlich etwas Universaldünger, Handvoll frische Erde dann und wann, alle paar Jahre größerer Topf, das tuts in der Regel. Bekomme sogar ich hin. Dachte ich. Bis ich mich an Thymian versuchte. Was immer ich gemacht oder nicht gemacht habe, das Zeug verwandelte sich nach kurzer Zeit in braunes Gestrüpp und hauchte bald darauf sein kurzes Leben aus. Viel gießen, wenig gießen, umtopfen oder im Aufzuchttopf belassen, immer der gleiche Effekt.

Natürlich habe ich fachkundigen Rat eingeholt. Eine Bekannte, Landschaftsgärtnerin von Beruf, konnte die ganze Aufregung nicht verstehen. Thymian, meinte sie, käme in Puncto Anspruchslosigkeit direkt nach Kakteen. Das Zeug brauche kaum Nährstoffe und eher weniger als mehr Wasser. Wachse in den Mittelmeerländern ja quasi auf nacktem Fels. No big deal also. Aha. Ich habe eher den Eindruck, dass Thymian etwa so anspruchslos ist wie eine überspannte Diva, die ihre Umwelt ob derer mangelnden Fähigkeit, ihre Gedanken zu lesen, in den Wahnsinn treibt. Eine Art Mariah Carey der Pflanzenwelt, nur suizidal. Ein paar Lux zu viel auf der Fensterbank? Ein Hauch Zugluft? - Ich steeer-her-beeee! Einen Tag nicht gegossen? Ups, das wars jetzt, das halte ich nicht aus! Hui, das war jetzt aber ein Tropfen zu viel Wasser - ade, du schnöde Welt! Dünger? Um diese Uhrzeit? - Das ist... arghhh! Du wagst es, mich in diese billige Baumarkterde zu setzen? Und dann noch nicht einmal die exakt richtige Menge Sand hinzuzugeben? - Nur zu, nur zu! Wirst schon sehen, was du davon hast, Freundchen.

Im Winter bekommt man ja keinen frischen Thymian im Laden. Da vergisst man schon mal. Umso größer meine Freude, als letztens wieder welcher feilgeboten wurde. An einen sonnigen Fensterplatz gestellt. Nicht zu viel gegossen. Irgendwann muss es doch mal klappen, dachte ich. Konnte doch kein Hexenwerk sein. Und, was machte diese Arschgeige unter den Küchenkräutern? Zeigte mir schon nach einer Woche die kalte Schulter in Form der ersten abgestorbenen Triebe. Nach drei Wochen waren drei Viertel eingegangen. Das verbliebene Viertel gab ich an eine Ratatouille. Und es war himmlisch.





6 Kommentare:

  1. Sieh's mal so:
    Vielleicht hast Du Dein Schreibtalent ja durch einen Thymianfluch erkauft. Wäre doch kein schlechter Deal, oder?
    Vielleicht kannst Du ja dem Fluch umgehen, und das Arschlochkraut einfach auf dem Balkon (oder Fensterbrett außen) stellen, um der Natur die Regie die Regie zu überlassen.
    Wenn ich mich so umschaue, dann scheint das bei vielen anderen Pflanzen hervorragend zu funktionieren...
    :-)

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    1. Na ja, gut, wenn ich auswählen müsste zwischen Schreibtalent und Thymian, näme ich das erstere. Am allerliebsten wäre mir ein passionierter Gärtner in der Nachbarschft mit einem monströsen Thymianstrauch im Vorgarten, der mir erlaubte, mich jederzeit nach Belieben zu bedienen.

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    2. Ich wünschte mir auch einen ebensolchen Gärtner in meiner Nachbarschaft. Mein Fokus läge dabei aber auf einem anderen Kraut.
      Aber das wiederrum ist ein anderes Thema... [hüstel]

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  2. Die landschaftsgärtnerin hat völlig recht: thymian ist eine durchaus anspruchslose pflanze. In der natur kommt der im trockenen magerrasen vor, man kann den im freiland einfach an eine trockene, sonnige stelle pflanzen oder am besten in einen steingarten - der ist damit normalerweise höchst zufrieden und wächst wie unkraut vor sich hin.

    Und genau das ist der grund, weshalb thymian als topfpflanze, wenn man ihn für länger als wenige wochen haben will, durchaus schwierig ist. Der kommt halt mit der standardblumenerde, die es überall gibt, nicht zurecht. Da sind viel zu viele nährstoffe drin und das bringt ihn um. Wenn Du das kräutlein im topf etwas länger kultivieren möchtest, ist das mit aufwand: Du nimmst einen blumentopf, der ein kleines bißchen größer sein darf, als benötigt. Als erstes gibst Du ordentlich kies hinein, damit überflüssiges gießwasser auf jeden fall abfließen kann. Darauf pflanzt Du Deinen thymian, der nicht vom lebensmittelhändler, sondern aus einem gartenmarkt kommen sollte, in anzuchtsubstat aus kokosfasern. Anzuchtsubstrat hat den vorteil, daß es nicht mit nährstoffen angereichert ist, Du mußt über den sommer sehr vorsichtig selbst düngen und im spätsommer damit konsequent aufhören. Der vorteil daran ist, daß der thymian auch im spätherbst und winter noch lebt, wenn man »hammelkotelets mit kartoffeln aus dem ofen« nach dem rezept von Paul Bocuse essen möchte, wofür man frischen thymian sehr gut brauchen kann.

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    1. Verbindlichen Dank - also demnächst mal zum Gartencenter. Artet vielleicht in Arbeit aus, aber gerade viele deftige Schmorgerichte vertragen, wie du anmerktest, Thymian sehr gut. Und die Apothekenpreise im Bioladen für ein paar gekappte Zweige - ich weiß nicht...

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