Donnerstag, 17. Mai 2018

Kopfballer


Professionelle Fußballer profitieren bekanntlich allein von der Tatsache, dass ihre höchst speziellen, ansonsten im Hinblick auf Produktivität im Prinzip reichlich nutzlosen Fähigkeiten seit einigen Jahrzehnten nachgefragt sind wie geschnitten Brot und ihnen Millionen einbringen können. Könnte man es, aus welchen Gründen auch immer, zu ähnlichem Reichtum und Ansehen bringen, wenn man besonders formvollendet Einrad führe, sich währenddessen möglichst schnell mit dem Gummihammer auf die Omme gäbe und gewinnen täte, wer am längsten auf dem Rad bliebe und sich die meisten Hiebe verabreicht hätte dabei, dann gäbe es halt Rekordhalter und Superstars in dieser Disziplin.

Apropos behämmert: Dass man kein Intellektueller sein muss als Fußballer, das belegen zahllose legendäre Aussprüche von Vertretern dieser Zunft. So fand Franz Beckenbauers größtes Talent unstrittig auf dem Platz statt. Außerhalb des Spielfeldes war es sein größtes, die richtigen Freunderln zu haben, ansonsten in jedes hingehaltene Mikrofon heiße Luft abzusondern und dabei erfolgreich den Eindruck zu erwecken, diese sei das Ergebnis tiefer gehender Denkprozesse. Wenn er nicht gerade Tore machte, tat Rudi Völler sich unter anderem durch Angerotztwerden und Reporter anpöbeln hervor. Aber man muss ihm zugutehalten, dass er den Posten des Teamchefs der deutschen Nationalmannschaft zu einem Zeitpunkt übernommen hat, zu dem auch der Platzwart des SC Fallingbostel sich aus Sorge um seine weitere Karriere und seinen Leumund im Dorf sich mit Händen und Füßen gewehrt hätte. Da kann einem schon mal der Kragen platzen, wenn man von Waldemar Hartmann aggressiv beduzt wird. Wer noch? Lothar Matthäus? Nein, nicht jetzt, wirklich!

Warum sollen Ilkay Gündoğan (geb. 1990 in Gelsenkirchen) und Mesut Özil (geb. 1988 in Gelsenkirchen) da Ausnahmen bilden? Wie bitte, Gündoğan hat Abitur? Also bitte! Schon zu meinen Schulzeiten auf einem - Tusch! - humanistischen Gymnasium, auf das die Honoratioren der Stadt ihre Kinder schickten, ob nun begabt oder nicht, konnte ein Abitur so einiges sein. Darunter vieles, das mit Intelligenz und Bildung nur sehr am Rande zu tun hatte. Natürlich wirken berufsmäßige Balletten heute oft nicht mehr gar so imbezil wie einst. Das liegt aber vor allem daran, dass ihnen inzwischen beigebracht wurde, immer dann, wenn der Untergrund nicht grün ist, nur das zu sagen und zu tun, was die Berater ihnen eingetrichtert haben. Christiano Ronaldo, den sein Familienclan jenseits des Spielfelds erfolgreich davon abhält, zu viel zu reden und auch sonst irgendwelchen Blödsinn zu machen, wäre ohne Profifußball wohl Fischer auf Madeira mit zahlreichen unehelichen Kindern am Hacken und ebensovielen Ehen von Urlauberinnen auf dem Gewissen. Sofern kein schwuler Modeschöpfer zwischendurch seine Talente erkannt hätte.

Apropos Intelligenz: Wenn Nationalisten eines auf die Palme bringt, dann wenn Menschen ein pragmatisches Verhältnis zu ihrer Nationalität haben. Deswegen betrachten etwa diese Identitären Dödel auch den Liberalismus als große Bedrohung. Der nämlich pflegt das Verhältnis zwischen Staat und Staatsbürger auf ein nüchternes, rein geschäftsmäßiges Rechtsverhältnis zu reduzieren. Eine der wenigen uneingeschränkt positiven Seiten am Liberalismus übrigens. Daher gehen Nationalisten auch so steil, wenn es um doppelte Staatsbürgerschaft geht. Weil man doch mit dem Herzen dabei sein muss, wenn Fahnen flattern und Hymnen erklingen. Und das kann man ja nicht teilen, das Herz. (Klar, kein Nationalist würde je seine Ehefrau betrügen.) So richtig aber stehen sie drauf, sich zum empören auf Kosten anderer, jeden auszugrenzen und zu diffamieren, der qua Herkunft gar nicht mittun kann bei ihren nationalen Emotiönchen oder bei ihrem bierfurzsauren Rudelverhalten lieber nicht mittun mag.

Man kann davon ausgehen, dass Özil und Gündoğan sich dereinst nicht deswegen entschieden haben, für den DFB aufzulaufen, weil sie plötzlich glühende deutschpatriotische Gefühle bei sich entdeckt haben, sondern weil die türkische Nationalmannschaft seit geraumer Zeit ein wenig abstinkt und sie als türkische Nationalspieler keine Chance gehabt hätten, an Welt- und Europameisterschaften teilzunehmen bzw. um Titel mitzuspielen. Schwer vorstellbar, dass Özil einen Vertrag bei Real Madrid bekommen hätte ohne seinen Auftritt im deutschen Trikot bei der WM 2010. Und wenn Selfies und Trikotüberreichen mit kontroversen Politikern Fame und Klicks bei türkischen Fans mit Faible für den Autokraten vom Bosporus bringt, dann wird auch das halt gemacht.

Nun bin ich schon ein wenig zwiespältig. Einerseits ist es immer wieder schön, Deutschnationalen beim Krämpfekriegen und Backenaufplustern zuzuschauen, andererseits bleibt die servile Kuschelei der beiden Bälletreter mit Erdoğan natürlich eine brettdumme Aktion. Nationalismus wird ja nicht besser, wenn er von Deutschtürken kommt. Ferner ist Erdogan zwar ein hervorragender Kunde der deutschen Rüstungsindustrie, aber eben auch ein Rechtsstaatsaushebler und Journalisteneinsperrer, mit dem man sich nicht gemein macht als deutscher Überdemokrat. Zumal sich jeder, der, pflichtschuldigst oder ernst gemeint, allen Ernstes behauptet, Fußball und Politik ließen sich streng auseinanderhalten, als ziemlicher Intelligenzallergiker outet. Zumindest jedoch als jemand, der gewisse Dinge aus gewissen Gründen nicht zur Kenntnis nehmen will.

Nur ist es ferner nicht so, dass reindeutsche Nationalspieler sich noch nie gemein gemacht hätten mit nicht völlig koscheren Regimes. Manni 'Bananenflanke' Kaltz meinte zum Beispiel vor der WM 1978 in Argentinien, er führe da hin, um Fußball zu spielen, nichts sonst. Belasten täte ihn das nicht, dass dort gefoltert werde. Er habe andere Probleme. Mannschaftskollege Berti Vogts sagte nach dem Turnier, Argentinien sei ein Land, in dem Ordnung herrsche, er habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen. Der damalige DFB-Präsident Neuberger kritisierte die niederländischen Vizeweltmeister scharf, weil sie dem argentinischen Diktator Viela und den Mitgliedern der folternden und mordenden Militärjunta den Handschlag verweigerten. Dafür hatte Neuberger kein Problem damit, dass Ritterkreuzträger und Nazi-Propagandist Hans-Ulrich Rudel die Mannschaft in ihrem Quartier besuchte.

Schon klar, ist vierzig Jahre her, irgendwann muss doch mal Schluss sein und so. Ist aber nicht. Fleißig weggeschaut wird nämlich immer noch gern. Der eingangs erwähnte Franz Beckenbauer konnte auf den WM-Baustellen in Katar beim besten Willen nichts Problematisches erkennen. Julian Draxler verfasste nach dem Confed-Cup in Russland eine Dankesadresse wenn schon nicht an, aber auch in Richtung des lupenreinen Demokraten Putin. Und natürlich steht zu erwarten, dass es während des Turniers in Russland zu keinerlei Protest- oder Boykottaktionen kommen wird. Nicht dass am Ende der Gang der Geschäfte um Sponsoren und TV-Gelder gestört wird. Und irgendwas sagt mir, das wird 2022, wenn die WM in der Superdemokratie Katar ausgetragen wird, nicht anders sein. Ein bisschen weniger selbstgerechtes Klappeaufreißen und saubermännisches Belehren, dafür etwas mehr selbstbewusste Coolness ständen also nicht wenigen halbwegs zu Gesicht.

Wer weiß, vielleicht wollen Özil und Gündoğan sich durch ihr Liebkindmachen auch Optionen für eventuelle zukünftige Anschlussverwendungen beim türkischen Fußballverband offen halten. Die jüngsten saukomischen Aussagen des türkischen Verbandspräsidenten Demirören jedenfalls legen nahe, dass die beiden so einen Job intellektuell locker gewuppt kriegen dürften.





7 Kommentare:

  1. Özil und Gündoğan zeigen im Kleinen doch nur, was DFB, UEFA und FIFA, aber auch das IOC usw. im Großen seit Urzeiten praktizieren: Demokratie und Menschenrechte sind sekundär, wenn es um den Sport geht. Deswegen findet die Fußball-WM beim lupenreinen Demokraten Putin statt und 2022 bei den Scheichs von Katar. Jeder Massenmörder ist bei Sportveranstaltungen willkommen, solange seine Athleten nicht gedopt sind.

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  2. Die beiden waren nur ihrer Zeit voraus.

    Wenn die Türkei 2024 Austragungsort der Europameisterschaft sein wird, müssen alle lächelnd nach Ankara

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  3. Immer Interessant: Sportverbände sollen sich also diplomatisch korrekt verhalten - aber von der Politik, der Wirtschaft, Kunst und Kultur wird ein Boykott nicht verlangt. Nein, da ist der Kontakt auch mit Diktatoren, Autokraten und Despoten Völkerverständigung, Friedensinitiative und Wwasnichtsonstnochalles.

    Euch moralischen Übermenschen ist schon klar, dass diese internationalen Verbände INTERNATIONAL sind: Das heißt, dass zb bei der FIFA über 200 nationale Verbände über die Geschicke (zb WM-Vergabe) entscheiden - mit der gleichen Gewichtung (Prinzip: Ein Verband - eine Stimme).

    Und viele afrikanische, asiatische, amerikanische und auch einige europäische Verbände haben kein Problem mit Diktatoren, Autokraten und Despoten. Wie übrigens auch viele "westliche" Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur.

    Wär vielleicht nicht schlecht hie und da auch mal vom hohen Ross runterzusteigen. Dort oben ist die Luft doch recht dünn, das kann dann das Denken schon mal negativ beeinflussen.

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    1. Wow, wenn ich ein "moralischer Übermensch" bin (keine Ahnung, wie Sie darauf kommen), dann müssten Sie demnach... nein... das genaue Gegenteil sein, oder? Die Wortbildung überlasse ich Ihnen. Beste Grüße vom Hohen Ross.

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  4. An allen türkischen Problemen unserer super inteligenten Nationalspielern sind die Putschisten schuld.Wieso haben Sie das Ferienhotel des türkischen Diktators nicht bombatiert?

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    1. Wenn Ich Ihnen jetzt mit Völkerrecht käme, dann bin ich wieder der arrogante Sack.

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  5. "Der Fussball muss von Werten gelebt werden." (DFB-Präsident Grindel)

    Das sagt eigentlich alles.
    Das schreckliche Deutsch kommt erschwerend hinzu. Ginge heutzutage so etwas in einer Klassenarbeit ohne schriftliche rote Bemerkung des Lehrers durch?

    Achso, übrigens: seitdem Fallingbostel den sozialen Problemfall aus Berlin in Form von Kindern armer Eltern, die dort für kleines Geld drei Wochen Zeltlager in den Sommerferien verbringen konnten, los geworden sind, dürfen sie endlich ein "Bad" vor den Namen ihres jämmerlichen Ortes setzen. Darauf wird auch immer schwer bestanden!

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