Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Sonntag, 27. Januar 2019
27. Januar
"Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen." (Primo Levi)
Ein paar dritte Programme, NDR, WDR und SWR, werden zur Zeit heftig, für meinen Geschmack ein wenig zu heftig, dafür gefeiert, vor einigen Wochen Marvin J. Chomskys vierteilige Serie 'Holocaust' von 1978 wiederholt zu haben. Es mag in Zeiten von Streaming und Mediatheken müßig erscheinen, erschließt sich aber dennoch nicht, wieso man das nicht bundesweit am heutigen 27. Januar sendet. Ist vielleicht zu viel verlangt. Vermutlich genau so, wie das länger als eine popelige Woche in den Mediatheken verfügbar zu halten. Die Reaktionen auf die Erstausstrahlung indes wirken heute, 40 Jahre später, fremd und vertraut gleichermaßen. Mitbekommen habe ich das damals nicht wirklich. Ich ward mit meinen 9 Lenzen für zu jung befunden, das anzusehen.
Die Vernichtung der europäischen Juden wurde in der Bundesrepublik nicht wirklich totgeschwiegen. Nur war das im wesentlichen Sache von Akademikern und Fachkreisen gewesen. Von Wissenschaftlern und Honoratioren, wie Juristen (Auschwitzprozesse) oder literarischen Kreisen (Celan, Sachs, Hochhuth, Weiss). Es gibt eine bezeichnende Episode aus dem Jahr 1978: Da wurde zum ersten Mal der 9. November als Gedenktag der Pogromnacht begangen. Der beliebte Showmaster Hans Rosenthal hatte aus persönlicher Betroffenheit darum gebeten, die für diesen Tag angesetzte 'Dalli Dalli'-Sendung ausfallen zu lassen. Als das ZDF ablehnte, moderierte Rosenthal im schwarzen Anzug, was er sonst nie tat, es gab nur E-Musik als Einlagen zu hören und er nannte immer wieder das Datum 9. November.
Aufschlussreich auch der Tenor der Kritik an Chomskys Film kurz darauf: Eine triviale, rührselige, kommerzielle, historisch nicht korrekte Seifenoper sei das, die dem Thema in keiner Weise gerecht würde. Es galt als unwürdig und pietätlos, dass die ursprünglich für den amerikanischen Sender NBC produzierte Serie so angelegt war, dass Werbeunterbrechungen eingespielt werden konnten. Verdächtig oft wurde 'Holocaust' als Hollywood-Produktion bezeichnet, was gar nicht der Fall war. Es war durchaus zu lesen, Hollywood habe mit seinen Kapitalistenfingern das Andenken an das deutsche Superverbrechen schnöde beschmutzt. (Fun fact: Hollywood galt schon der NS-Propaganda als jüdische Veranstaltung. Der antisemitische Unterton, ob beabsichtigt oder nicht, ist seinerzeit nicht allen aufgefallen.)
"Unzumutbar schien den bundesdeutschen Sendern seinerzeit offenbar der Schluss der amerikanischen Serie. Ihr vierter Teil, 'Die Überlebenden', endet mit Palästina, mit Israel als Perspektive auf einen Neubeginn. Die deutsche Fassung kappte ihn." (Caroline Fetscher)
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass 'Holocaust' auch in den USA umstritten war. Prominentester Kritiker war Elie Wiesel. Doch kommt es einem vor, als seien Teile der (west-) deutschen Intellektuellen vor allem sauer gewesen, dass all ihr akribisches, akademisch korrektes, hoch reflektiertes Geforsche mal eben von einer schnöden, größtenteils fiktionalen (aber gut recherchierten) Unterhaltungssendung beiseite gewischt wurde. Nach 'Holocaust' nämlich war nichts mehr wie vorher. Es war Schluss mit der so populären wie gemütlichen Vorstellung, irgendwelche Nazi-Monster hätten die Juden umgebracht. Nichts da, lautete die Kernaussage: Es waren ganz normale Menschen, die das getan haben. Nachbarn, Mitmenschen, Freunde, Verwandte. Um die vierzig Prozent aller Westdeutschen hatten eingeschaltet und nicht wenige sahen das Land um sie herum danach mit anderen Augen. Für nicht wenige eine Katharsis. Gar nicht so schlecht für eine triviale, kommerzielle Seifenoper.
(Nebenbei: Der Vorwurf, eine Produktion sei 'kommerziell', ist in vielen Fällen nichtssagend, weil so ziemlich alles, was irgendwie für Kino oder Fernsehen produziert wird, auf irgendeine Weise kommerziell ist.)
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"Für ein solches dubioses Vergnügen blättert der WDR auch noch Millionen hin. Der Fall ist noch schlimmer, als es auf den ersten Blick schien. Die Verantwortlichen gehören in die Wüste geschickt." (Die Welt, 1979)
Besonders vertraut erscheinen die damaligen Reaktionen derer, die heute am ehesten als Anhänger der Vogelschiss-Theorie bezeichnet werden können. Nestbeschmutzer! Schweinerei! Pfui Deibel! Wie hätten die Deutschen das denn wohl hinbekommen sollen? Ein paar Neonazis versuchten mittels Sprengstoffanschlägen auf zwei Sendeanlagen die Ausstrahlung zu verhindern, was aber misslang. Wundern sollte das keinen. 1980 hatte die SINUS-Studie zum Rechtextremismus ergeben, dass mindestens 13 Prozent der Westdeutschen ein verfestigtes rechtsextremes Weltbild spazieren trugen. Nicht unbedingt ein Trost. Zumal man das Gefühl nicht los wird, dass es nicht unbedingt weniger werden.
Am heutigen 27. Januar jährt sich übrigens nicht nur die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Heute vor 75 Jahren, am 27. Januar 1944, beendete die Rote Armee die Blockade Leningrads. Die hatte an die 1.000 Tage gedauert und, den meisten Quellen zufolge, etwa eine Million Menschen das Leben gekostet, fast ausschließlich Zivilisten. Das war kein bedauerlicher Kollateralschaden, sondern volle Absicht.
6 Kommentare:
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Passend zum Thema:
AntwortenLöschenhttps://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2001/Holocaust-Die-Luege-von-ahnungslosen-Deutschen,erste7664.html
Gelatelys "Hingeschaut und weggesehen" steht bei mir im Bücherschrank.
"Es mag in Zeiten von Streaming und Mediatheken müßig erscheinen, erschließt sich aber dennoch nicht, wieso man das nicht bundesweit am heutigen 27. Januar sendet."
AntwortenLöschenDarf ich ergänzen?
...und warum solche Filme und Beiträge generell meist erst nach 22:00 Uhr oder zu den unmöglichsten Zeiten gesendet werden?
Nicht das dem mündigen Bürger zuviel des Guten zugemutet wird und womöglich ebenso zu viele so etwas auch noch anschauen. Das könnte sonst negative Folgen für die Kalottenkühlung haben.
Ich war damals 13 Jahre alt und mir hat die Serie eine Menge gebracht, weil es zu diesem Thema ja nicht die vielen Publikationen und Dokumentationen gab wie heute. Dann habe ich mir Kogons "SS-Staat" aus dem Bücheregal meines Vaters geschnappt und angefangen, mich mit dem Holocaust zu beschäftigen. Ähnliche Wirkung hatte übrigens "Roots", wenn es um Sklaverei geht.
AntwortenLöschen1984 habe ich die Massengräber in Leningrad besucht. Auch ein wichtiger Einschnitt für mich. In der BRD war es überhaupt nicht bekannt, wie viele Menschen bei der Belagerung ums Leben gekommen sind. Da hast du für den Rest des Tages einfach mal deine deutsche Fresse gehalten.
Ich sehe das auch eher pragmatisch-ergebnisorientiert. Wenn eine Fernsehsendung dafür sorgt, dass sich x mal mehr Menschen plötzlich mit dem Thema befassen, kann sie nicht wirklich schlecht gewesen sein.
LöschenDas Thema Leningrad ist hervorragend dazu angetan, dem eh schon erledigten Mythos von der überwiegend 'sauberen' Wehrmacht einen mitzugeben.
@Siewurdengelesen: Die letzte Folge von 'Holocaust' lief gerade um 20:15h auf ARD one. Allerdings ziemlich sang- und klanglos. Könnte man doch mal in den Nachrichten ankündigen oder so.
@altauto: Danke, ist auch was für meinen Bücherschrank.
@Stefan Rose
Löschen"Die letzte Folge von 'Holocaust' lief gerade um 20:15h auf ARD one. Allerdings ziemlich sang- und klanglos."
Eben;-)
"Nebel im August" kam z.B. gestern im ZDF erst nach 22:00 Uhr und die Themenreihe zum Warschauer Ghetto und dem Aufstieg des Dritten Reichs, dem Diskriminieren jüdischen Lebens und damit verbunden das nicht sehen Wollen der Deutschen z.B. ging zwangsläufig bis mitten in die Nacht. Da bleibt bei Interesse faktisch nur die Mediathek oder Herunterladen.
Bestimmte Beiträge sind durchaus auch am Nachmittag oder Vorabend für zeigenswert, speziell für Jugendliche. Und ich glaube nicht, dass diese davor bewahrt werden müssen, an diesem Thema dauerhafte Schäden zu erleiden.
Andere spezielle Nachrichtensender oder auch ein Guido Knopp tat sich mit dem teils eher verherrlichenden Stoff über die Wehrmacht und die ach so tollen technischen Errungenschaften der Nazis nicht so schwer. Topf&Söhne und I.G.Farben kamen dabei nicht so dicke drin vor...
@ Matthias Eberling
"1984 habe ich die Massengräber in Leningrad besucht. Auch ein wichtiger Einschnitt für mich. In der BRD war es überhaupt nicht bekannt, wie viele Menschen bei der Belagerung ums Leben gekommen sind. Da hast du für den Rest des Tages einfach mal deine deutsche Fresse gehalten."
+1
Vor kurzem gab es zum Thema Holocaust noch einen sehr guten (an Ende emotionalen) Kino-Film zur Primetime in der ARD:
AntwortenLöschenhttps://www.daserste.de/unterhaltung/film/filmmittwoch-im-ersten/sendung/die-unsichtbaren-126.html