Donnerstag, 17. Januar 2019

Altwerden - eine Zwischenbilanz


"Reif ist, wer auf sich selbst nicht mehr hereinfällt." (Heimito von Doderer)

Für eitle Bauchpinselei sollte hier normalerweise kein Platz sein, aber aus aktuellem Anlass erlaube ich mir eine Ausnahme. Eine kleine Zwischenbilanz des bisherigen Alterungsprozesses. In bewährter The Good – The Bad – The Ugly-Manier.

The Good:
  • Diese gewisse Gelassenheit, die bei einigen Dingen sich einstellt. Das Gefühl, nicht mehr jeden Scheiß mitmachen, jeder durchs Dorf getriebenen Sau Aufmerksamkeit schenken zu müssen. Weil man einfach vieles schon mal gesehen und erlebt hat. Auch als Lebenserfahrung bekannt.
  • Wer es hinbekommt, einen halbwegs ehrlichen, unnostalgischen Blick auf sein jugendliches Selbst zu haben, verdreht auch kaum mehr die Augen über 'die Jugend von heute'. Weil wir damals auch nicht besser waren. Anders, aber definitiv nicht besser. Bekommt man diese Perspektive hin, dann sind auch viele junge Menschen ganz reizend zu einem. The Kids are allright. 
  • Routine in den Dingen, für die man eben Routine braucht, plus Erfahrung und einen gewissen Horizont. Lässt einem zum Beispiel beim Kochen immer besser werden.

"Das Leben kann man nicht verlängern, aber wir können es verdichten." (Roger Willemsen)


The Bad:
  • Eine zunehmende Unduldsamkeit, ja Verspanntheit Leuten gegenüber, die einem die Zeit klauen wollen. Ampeltrödler im Verkehr (»Bei Grün losfahren? Wiiiesoooo? Ich muss doch noch aufs Handy gucken/telefonieren/eine WhatzDepp-Nachricht verschicken, den ersten Gang/die Kupplung/das Gaspedal suchen, mit meinem Kind reden. Ups, schon wieder rot? Menno! Och, was regt der Typ hinter mir sich denn so auf?«). Die vor einem in der Kassenschlange eine Packung Kaugummi und eine Dose Cola mit ihrer Dreckskarte zahlen und dann drei mal ihre PIN-Nummer falsch eingeben. Schwimmbad-Blockierer. You name it.
  • Das Gefühl, das Leben sei zunehmend getaktet und verlöre an Spontaneität. Was man früher mit Freunden auf bloßen Zuruf (und ganz ohne Handy) spontan auf die Beine gestellt hat, muss heute wegen diverser Verpflichtungen oder schlichter Ermattung über Wochen und Monate hinweg geplant werden. 
  • Dass man selbst andererseits mit dem Hintern kaum mehr von der Couch hochkommt, wenn doch mal einer fragt, ob man Lust hätte, spontan was zu unternehmen.
  • Abnehmende Stressresistenz, ja Dünnhäutigkeit, wenn man permanent mit Menschen zu tun hat, wenn man das Gefühl hat, Leute wollen über einen verfügen. Obwohl man eigentlich Menschen mag.
  • Die Verteuerung des Lebens. Zahnersatz. Altersvorsorge. Umzugsunternehmen bezahlen müssen, weil alle potenziellen Helfer von einst inklusive einem selbst Rücken haben oder verhindert sind. Mit 50 hast du bei Rabatten und Vergünstigungen definitiv die Arschkarte: 20, 25 Jahre zu alt für Studentenschnäppchen, aber noch 10, 15 Jahre entfernt von den Seniorenrabatten. 
  • Man nimmt zu. Und schwerer wieder ab. (Findet aber auch, dass man nicht mehr unbedingt jedem Schönheitsideal entsprechen muss, s.o.)
  • Man verbringt auch als leidlich gesunder Mensch auf einmal in einem Jahr so viel Zeit in Arztpraxen wie früher in zehn.

The Ugly:
  • Das Physische, definitv. Bröselnde Zähne, den erwähnten Zahnersatz benötigen. Knacken und knarzen hier, zwicken und zwacken dort. Rücken. Knie. Hämorrhoiden. Nasenhaare. Lachen Sie nicht. Das ist kein Spaß. Wenn Sie das trotzdem ulkig finden, sage ich mal: In zehn Jahren reden wir noch mal und sehen dann, wer einen Sitzring braucht.
  • Spüren, dass die Kräfte langsam zu schwinden beginnen. Alles noch nicht dramatisch, man ist ja noch jung, die vier Treppen hoch in die Wohnung nimmt man immer noch wie ein junger Gott, mit dem Radl macht man immer noch eine Menge untrainierter Jungspunde und Couchpotatoes nass. Trotzdem, man spürt‘s, immer deutlicher. Eine simple Erkältung ist nicht mehr bloß lästig, sondern kann einen ziemlich anzählen. Auch, dass man die Folgen eines Alkoholexzesses nicht mehr nur am nächsten Tag spürt, sondern noch ein paar Tage länger.  
  • Und ja, auch jene inhosalen Kräfte, deren Schwinden den alternden Herrn sich fragen lässt, wann wohl der Zeitpunkt gekommen sein wird, sich pharmazeutisch aufhelfen zu lassen (was ja beruhigenderweise inzwischen möglich ist). Sagen wir so: Dass es welche gibt, die zu diesem Zweck bereit sind, Einhörner zu jagen und Nashörner zu pulverisieren, dünkt einem zwar immer noch gaga, irgendwann aber nicht mehr gar so dolle.
  • Das Fieseste: Dass um einen herum langsam das Sterben beginnt. Klar, das ist das Leben, gehört dazu, müssen wir alle durch. Trotzdem Mist. Altwerden ist halt nix für Feiglinge.



2 Kommentare:

  1. 1. In meinem Umfeld gibt es zwei nervende Zeitdiebe. Diese verbal Inkontinenten meinen, mir immer, aus Ihrer Sicht spektakuläre Dinge erzählen zu müssen. Da ist bei mir Schweigen Pflicht und die Hoffnung, dass es irgendwann von alleine wieder aufhört. Nur keine Antworten geben, bei denen in jedem Satz für den anderen wieder interessante Stichworte enthalten sind. Ein Hund wäre für diese Typen optimal, hört stundenlang zu und antwortet nicht.

    2. Während meine Hüften stets nur im Winter über die Ufer traten, habe ich an der Stelle seit Überschreitung der 60 Ganzjahresreifen. Ohne mich jetzt mit meinen tausenden von Rad-und Lauf-km p.a. zu brüsten, muss ich inzwischen einsehen, "das geht nicht mehr weg"! Liegt angeblich an dem im Alter extrem sinkenden Testosteronspiegel im Serum und der schwindenden Muskelmasse.

    Fazit: Meine Hosenbundweite hat sich in den letzten 10 Jahren nicht um 1 cm verändert. Sie ist nur 30 cm tiefer gerutscht. Damals kannte ich auch noch nicht das metabolische Syndrom.

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    1. Genau mein Motto - Gewicht ist eine Frage der Höhe des Hosenbunds.

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