Freitag, 17. Mai 2019

Wiglaf Droste (1961-2019)


Der Moment, in dem ich vom Tod meines Lieblingsautors Wiglaf Droste hörte, war einer der Momente, in denen ich als Agnostiker gern gläubig wäre. Wie tröstlich muss die Gewissheit sein, dass da einer zwar aus diesem Leben gehen musste, jetzt aber irgendwo drüben ist. Wo das, was nicht begraben wird von ihm, es sich in einer Tour gut gehen lässt, keine Schmerzen und keine Angst mehr kennt, vielleicht gar von seiner Wolke kopfschüttelnd oder milde belustigt auf das Treiben derer blickt, die er zurückgelassen hat, derweil er sich auf ewig mit Harry Rowohlt genüsslich einen verkasematuckelt. Sie halten sich raus, Dawkins!

Man kann sich als Zurückgelassener damit trösten, dass nur ein möglichst langes Leben als ein gutes Leben gelten zu lassen, etwas für jene Kleingeister und Krämerseelen ist, die Droste zu Lebzeiten immer besonders lustvoll bekämpft hat. Bei aller Kürze wird er ein erfülltes Leben geführt haben. Hat sich zuletzt vor 30 Jahren im Rahmen von 'Erwerbsarbeit' vertraglich ausbeuten lassen, sich nie den Mund verbieten lassen, war stets den irdischen Freuden zugetan, hat es erfrischend unprotestantisch krachen lassen. Mag der Alkohol ihn letztlich gekillt haben, hat er ihm doch ihm nie die Birne vernebelt oder seinen messerscharfen Blick auf Rohes, Dummes und Gemeines getrübt. Auch gab es im deutschsprachigen Raum kaum Profunderes und Geistreicheres, dabei Ungespreizteres über essen und trinken zu lesen als im von den Seelenfreunden Wiglaf Droste und Vincent Klink herausgegebenem 'Häuptling Eigener Herd'.

"Ein sehr guter, innovativer, mal sentimentaler, mal naiver Künstler, ein Welterklärer, Weltbeschimpfer und nicht zuletzt Welterträglichmacher. Er liebte die Schönheit und hasste diejenigen, die ihr Leben damit verbringen, alles Große mit Kot zu bewerfen, weil sie um sich nur ertragen, was genauso riecht wie sie. […] Droste, das ist sehr wichtig, war einer der ganz wenigen, wenn nicht der einzige linke Großautor, der, um dem begrenzten Umfeld der 'Szene' zu entkommen, sich nicht zum billigen Geld hin und nach rechts orientierte, im Gegenteil." (Ambros Waibel)

Er hat es als letzter zuwege gebracht, mir ein Stück Kindheit zu erhalten. Dieses Gefühl, etwas, auf das man sich wochen- und monatelang gefreut hatte, dann endlich nach Hause zu tragen und schon auch dem Heimweg beglückt zu sein, weil man wusste, die nächsten Tage würden ein kleines Fest werden. Alle 1-2 Jahre erschien im Verlag seines Verlegers und Freundes Klaus Bittermann ein neues Buch von ihm mit Kolumnen, Kritiken, Verrissen, Glossen, Liebeserklärungen und Gedichten. Jedes Mal freute ich mich wie Bolle, wenn es hieß, demnächst erschiene etwas Neues von Droste, war frustriert, wenn es wieder einmal Verzögerungen gab und selig, wenn ich es endlich nach Hause tragen konnte. Wissend, die nächsten Tage würden ein kleines Fest werden, von dem ich noch eine Weile zehren würde. Weil ich gewiss sein konnte, diese Welt würde ein wenig wärmer, klarer, heller, sinnvoller und erträglicher sein. Wird es nicht mehr geben. Schnüff.

"Gegen die Artikel von Droste sind die meisten aktuellen Kommentare in gedruckter und gesprochener Form so schrecklich bieder, dass man heulen könnte. Nicht wenige seiner Glossen, würden man sie heute posten, hätten schlimmste Shitstorms zur Folge, endlose Hasstiraden von rechts und links, aber auch von der bräsigen Mitte der Gesellschaft, die nicht von scharfen Formulierungen aufgeschreckt werden möchte." (Carsten Otte)

Es heißt, echte Künstler, also die, die ihren Auftrag nicht darin sehen, gegen möglichst viel Geld das Leben der besitzenden Klasse zu verschönern, seien zuweilen ihrer Zeit voraus. Wiglaf Droste ertrug schon in den frühen Neunzigern, als er dafür plädierte, "nicht jeden Mann mit Schokolade am Kinderspielplatz zum Sexverbrecher hochzufiebern" (Küppersbusch) das, was in unseren Zeiten als 'Shitstorm' zum Massenphänomen werden sollte. Möglich, dass seine lebenslange Abneigung gegen alles, was online ist, erst recht 'Soziale' Netzwerke, aus dieser Erfahrung entstanden ist. Mit Droste verlieren wir einen Sprachliebhaber, Stilisten und "Patriotismusverächter" (Seibt). Die, vor allem letztere, werden mehr denn je schmerzlich vermisst.

Ob er weiterlebt, ist an uns. Daher ein spontan und aufs Geratewohl zusammengewürfeltes Best Of:

"Gibts denn hier noch Hirsekissen? Das wird wohl Wolfgang Thierse wissen." (Der Barbier von Bebra)



"Sex/Gender-Debatten mögen einige Akademikerinnen ernähren; zu diesem einzigen Zweck wurden sie schließlich ersonnen. Sie fügen der Welt jedoch weder Wahrheit noch Schönheit zu. Was sich im feministischen Restmilieu abspielt, ist bloße Folklore. Der Wunsch, über korrekt gemeinte scheußliche Wörter Welt und Weltbewusstsein zu ändern, nervt – und scheitert." (Mösenstövchen bleibt)

"Ich stand / Am Band." (Werkkreis Literatur der Arbeitswelt)

"Schlechte Umgangsformen sind schlechte Umgangsformen, nichts sonst. Wer sich auf so etwas Dummes wie Authentizität herausreden will, belästigt nur seine Mitmenschen. Das ist falsch verstandener Hedonismus: Mir steht alles zu, und ich muss nichts dafür tun. Aber das ist kein Genuss, das ist Stumpfsinn. […] Ich bin mit 18 Jahren aus der Kirche ausgetreten, ich bin kein Christ. Aber wenn ich eine Kirche betrete, nehme ich meinen Hut ab. Als ich das letzte Mal in Güstrow auftrat, besuchten wir am Tag nach dem Konzert eine Kirche. Eine Touristenführerin brüllte die Kirche mit der Mitteilung voll, dass die dort hängende Skulptur von Ernst Barlach berühmt sei. Ich bat sie, mit ihrem Gebrüll aufzuhören, und wurde verständnislos angeglotzt. Ich verstehe nicht, was daran so kompliziert ist, die Ruhe in einer Kirche zu respektieren. Eine andere Merkwürdigkeit ist der seltsame Wunsch, den Rest der Menschheit am eigenen Intimleben teilhaben zu lassen. Aber was gehen mich die Paarungsgewohnheiten meiner Nachbarn an? Nichts. Ich fürchte, diese Leute sind so leer und abgestorben, dass sie sich ausstellen müssen, um überhaupt noch etwas zu spüren. In solchen Augenblicken bedaure ich manchmal, dass die Menschheit leider keine aussterbende Gattung ist, wenn ich es mit Alfred Brehm etwas grob sagen darf." (Du sollst nicht lärmen)

"Fritz W. Bernstein, ein wahrer Künstler, Könner und ein großer Anarchist, ist ein leiser, ausgesucht höflicher Mensch. Aber natürlich weiß er, was er kann. Diese selbstbewusste Bescheidenheit ist das Gegenteil der lärmenden Nichtse." (ebd.)

"Alles was er hatte, war Krawatte." (Über Guido Westerwelle)

"Promis sind Erbrochenes auf der Windschutzscheibe des Lebens." (Die Arbeit der Promis)

"Wer sonst gar nichts hat, der hat doch ein Vaterland. Patriotismus ist die Religion der ganz armen Schweine." (Piep, piep, piep, Vaterland ist lieb)

"Auf diese Weise von eigener Hand zu Bessermenschen geadelt, sind sich die Grünen ihrer besonderen Verantwortung bewußt. Ihre Kinder kaufen sie bei Manufactum und halten diese Preziosen von klein auf fern von Produkten minderer Qualität. Niemals würde ein kostbares Grünenkind in einen der Kriege geschickt, die seine Eltern händeringend befürwortet haben. Wozu hat man das Prekariat und seinen wertlosen Nachwuchs, den man zum Töten und Sterben abkommandieren kann? Auch so vollzieht sich der Klassenkampf der ethisch gehobenen Mittelklasse. […] Richtig glücklich [aber] ist ein Grüner erst, wenn er anderen etwas verbieten kann." (Krieg ja, aber nikotinfrei)

"Seit knapp zwanzig Jahren lebe ich in Berlin, aber der Berliner Hundekitsch ist mir noch immer unbegreiflich. Was treibt den Berliner zum Hund? Liebe kann es nicht sein, denn der Hund hat es nicht gut, und der Mitmensch wird vielfältig belästigt. Bürgerlicher Respekt und die Liebe zur Kreatur gebieten gleichermaßen eines: Wer einen Hund halten will, der möge sich ins Ländliche begeben." (Köter koten)

"Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern 'Beziehung'."

"Es gibt eine einfache Regel: Wir sind nicht auf der Welt, um einander zu bekriegen. Wem das zu schwer ist, dem ist kaum zu helfen." (Ein einfacher Junge vom Land)

Man könnte hier endlos weitermachen. Es soll eine Seebestattung geben. Zu seinen Lieblingsalben gehörte die 'American Recordings'-Reihe von Johnny Cash. Darauf enthalten: Ain’t No Grave (Gonna Hold This Body Down). Das passt schon. Sentimentalitäten würde er sich verbitten. Trotzdem: Er fehlt bereits jetzt.




2 Kommentare:

  1. Ein schöner Gedanke: Wie sähe der Droste-Himmel aus? Sicher bräuchten die Bewohner kräftige Lungen und eine kräftige Leber, dazu einen großen Magen und Lust am Gespräch.

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    1. Ich habe soeben das Frühwerk wieder hervorgekramt. 'Sieger sehen anders aus' und 'Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses'. Und werde mich vorarbeiten. Aus gegebenem Anlass.

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