Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Dienstag, 8. Oktober 2019
Schmähkritik des Tages (32)
Heute: Thomas Fischer über Dieter Nuhr
"Herr Nuhr ist 1960 geboren und hält sich daher für einen intimen Kenner der '68er-Generation', deren angeblichen und tatsächlichen Lebensirrtümern er, egal zu welchem Thema, einen Strom höhnischer Verachtung hinterherzunuscheln pflegt.
Der Rest der Nuhr-Kunst befasst sich mit den allzumenschlichen Charakterfehlern des Afrikaners, des Moslems und des jeweils anderen Anderen, also des Anderen in uns allen. Weil er gerne sagt, dass auch Moslems doof sind, gilt er als ungewöhnlich mutiger Humorist. Herr Nuhr verfügt über eine hochentwickelte, wenngleich etwas monothematische Imitationstechnik: Er kann verschiedene Sätze in einem von ihm erfundenen deutschtürkischen Unterschicht-Idiom sagen und dabei ein Gesicht machen, als müsse er dringend in eine betreute Wohngemeinschaft überstellt werden. Das ist sehr lustig. Am Ende jedes seiner Witze auf Kosten von Blöden, Armen, Schwachen sagt Herr Nuhr, dass er selbst theoretisch ähnlich blöd sein könne wie sie. Diese künstlerische Brechung könnte eine gewisse Differenziertheit in die Sache bringen, wenn der Stolz auf sie nicht ganz so penetrant dargeboten würde. [...]
Die Leute klatschen trotzdem, sogar die Frauen. Mit Ausnahme einiger Personen, die auch begeistert sind, wenn Mario Barth in einen Kochtopf furzt, kann das vielleicht als Gegenleistung für das Zuschauer-Catering gedeutet werden, also als Ausdruck eines inneren Gerechtigkeitsgefühls: Er zahlt mir ein belegtes Brötchen und sagt statt »Arschloch« zu mir »liebes Arschloch«; da klatsch’ ich mal.
Komiker dieser Klasse bemerken die spannungsreiche Dialektik zwischen der eigenen Erbärmlichkeit und der großherzigen Zuwendung der Erbärmlichen oft nicht. Wenn das Trauerspiel lange genug anhält, beginnen sie, die Bevölkerung »mein Publikum« zu nennen. Von den Programmdirektoren, die Humorgipfel aus zappelnden Zotenschreierinnen, inhaltsfreien Strickmützenträgern und verachtungsvollen Zwangscharakteren kaufen, wollen wir gar nicht sprechen. [...]
Frage: Was will uns der Künstler sagen? Er verhöhnt den menschenrechtlichen Gleichheitssatz, indem er ihn in sein Gegenteil verdreht und frei erfundenen Unsinn als angeblichen 'Mainstream' ausgibt, dem er sich zu widersetzen behauptet. Das Prinzip der Nuhrschen Komik ist dabei immer gleich: Von oben nach unten wird Verachtung durchgereicht. Das erreicht, bei Licht betrachtet, bestenfalls das Niveau eines Karnevalsabends im AfD-Ortsverein.
Natürlich darf jeder lachen, worüber er mag. Aber muss man das deshalb gleich stundenlang im Fernsehen zeigen?" (Meedia, 19.11.2018)
Anmerkung: Das oben Zitierte ist ein knappes Jahr alt - was im Internetzeitalter ungefähr bedeutet: mittlere Jungsteinzeit -, hat aber frappant wenig bis überhaupt nichts an Aktualität eingebüßt. Die Älteren werden sich vielleicht erinnern, dass der Berufswitzler Dieter Nuhr seine humoristische Karriere einst damit begann, einige Jahre mit dem Erzählen von Alltagsbeobachtungen durchs Land zu tingeln. Zu den Glanzstücken seines Frühwerks gehörte, unter allgemeinem Gelächter des Publikums über seine bereits leicht alterstüttelige (möglicherweise erfundene) Mutter herzuziehen, weil die mit der Bedienung eines Handys überfordert war und sich auch von ihrem smarten Sohnemann partôut nicht helfen ließ. Obwohl der doch so klug war. Und diesen verstubbelten Dackelblick draufhatte. Damit tingelte er, wie gesagt, einige Jahre durchs Land. So weit, so unpolitisch.
Dann wurde irgendwann bei der ARD ein Job als Hofnarr frei, als Lautsprecher kleinbürgerlicher Niedertracht. Es brauchte einen, der skrupellos genug ist, nach unten zu treten für Satire auszugeben. Der jene, früher 'Radfahrer' genannten, verrohten Sozialcharaktere bedient, deren Reste sozialer Interaktion sich auf inflationären Gebrauch hämischer Tränenlach-Smileys beschränken und die sich immer dann am uneinkriegbarsten beömmeln, wenn es gegen Schwächere geht, am besten kollektiv.
Weil aber auch den stumpfsten Funktionierer mitunter Zweifel befallen können, braucht es einen, der ihm erklärt, dass Leistung sich lohnt, er es sich verdient, da selbst erarbeitet hat. Dass Ungleichheit und Ausbeutung unveränderbare, natürliche Dinge sind und wer was anderes behauptet, ein weltfremder, tepperter Träumer ist. Dass Armut allein auf Faulheit oder sonstigem persönlichen Versagen beruht. Kurz: Dass sie, die jeden Morgen früh aufstehen und hart arbeiten, kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen, ihr Lebensstil vollkommen okay ist und dass alle, die diesen hohlen, sinnentkernten Komsumerismus kritisieren, doof sind. Und das als mutig ausgibt. Weil man's ja nicht sagen darf. Denn die, die einem da ans Leder wollen, so wird suggeriert, sind eine stetig wachsende Übermacht, gegen die es mutig sich zu stellen gilt. Ohne Popanz geht so was nicht.
Den Job hat im Moment unter anderem eine 16jährige Schwedin an der Spitze einer globalen Spaßbremsenbewegung, die unseren Lebensstil so bedroht wie zuletzt nur Al Quaida und der IS.
Und die, die sich das im Staatsfunk ansehen (obwohl der doch immer alles zensiert, das nicht streng mit dem links(radikal)-grünen Mainstream auf Linie ist), können sich im Geiste auf die Schulter hauen und sich sagen: Ha, endlich sagt‘s mal einer! Obwohl das doch verboten ist. Und ich kuck das. Jetzt erst recht! Was bin ich doch für ein mutiger, unangepasster Hecht! Und weil Dieter Nuhr das hervorragend rüberbringen kann, dazu irre klug ist - wie sonst könnte er immer so witzige Wortspiele mit seinem Nachnamen machen ('Nuhr' - 'nur'. Gecheckt? Hammer, oder?) - und diesen verstrubbelten Dackelblick draufhat, sah man in ihm den perfekten Mann für den Job.
Mit dafür sorgen, dass es mit der Revolution noch ein wenig dauert und mit dem Kapitalismus noch ein wenig weitergeht, das ist seine Funktion im herrschenden System. Mehr gibt es eigentlich kaum zu wissen über ihn.
Der Vollständigkeit halber muss angemerkt werden, dass Nuhrs humoristisches Wirken vollumfänglich von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Man sollte sich halt nur gut überlegen, das als Satire zu bezeichnen.
7 Kommentare:
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Nuhr gefällt sich in der Pose des todesmutigen Dissidenten, der sich einer sechzehnjährigen Diktatorin entgegenstellt. In seiner letzten Sendung hat er ja auch die "Ökodiktatur" mit dem Dritten Reich in Verbindung gebracht. Dem Mann ist nicht mehr zu helfen.
AntwortenLöschenDer Mann ist nuhr der Weißferdl des Neoliberalismus ;)
AntwortenLöschenWenn auch das Kabarett zur Lobhudelei herrschender Politik verkommt, so erweist sich solch eine Vorstellung als ein weiteres Modul auf den Weg zur totalitären Gesellschaft.
AntwortenLöschenEs gibt allerdings Menschen, die sehr allergisch reagieren, wenn man die politischen Strukturen heute mit denen des 3. Reiches vergleicht. Die Frage dabei ist jedoch, ob jemand in der Lage ist, strukturelle Ähnlichkeiten begrifflich und exemplarisch herauszuarbeiten oder ob solche nur plakativ assoziiert werden.
Wie gesagt, ich tue mich sehr schwer, Nuhr in die Sparte 'Kabarett' einzuordnen.
Löschen@ert_ertrus: Ogottogottogott, das gibt doch wieder Erklärungsbedarf...
Ich achte Thomas Fischer über die Maßen, seinen Satz aber
AntwortenLöschen"Von den Programmdirektoren, die Humorgipfel aus zappelnden Zotenschreierinnen, inhaltsfreien Strickmützenträgern und verachtungsvollen Zwangscharakteren kaufen, wollen wir gar nicht sprechen."
in dem er neben Frau Kebekus und Herrn Nuhr auch den "Strickmützenträger" Torsten Sträter stellt, möchte ich nicht unterschreiben. Torsten Sträter ist nämlich wirklich komisch.
Wie ungeheuer klug (und lang) man doch über Satiriker ablästern kann. Bleibt da noch Zeit fürs Lachen? Ach ja, wie konnte ich vergessen: darum gehts ja gar nicht.
AntwortenLöschenWarum soll man Kabarettisten nicht kritisieren dürfen? Und: Muss man jemanden komisch finden, weil er als Kabarettist daherkommt, oder darf man das Programm etwa von Dieter Nuhr auch minderkomisch finden?
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