Donnerstag, 6. Februar 2020

Ein Tag mit Folgen


"Nur bleibt, auch wenn viele Leute den Vergleich mit 1933 satthaben, stehen: Die FDP hat in Thüringen den Tabubruch begangen. Das, was von demokratisch, tolerant, antifaschistisch gesinnten Menschen in Deutschland seit den Wahlen im vergangenen Jahr gefürchtet worden war, ist eingetreten." (Barbara Junge)

Es stellt sich zunehmend dringender die Frage, wieso Liberale und Konservative sich eigentlich so standhaft weigern, historische Parallelen zu erkennen, die mit Händen zu greifen sind, ja, jedem entsprechend Halbgebildeten förmlich ins Auge springen müssen? Dass es weiß Gott reicht, schon einmal einem Faschisten ins Amt geholfen zu haben, weil man fälschlicherweise glaubte, ihn locker kontrollieren, vulgo: An die Wand quetschen zu können.

Dafür gibt es zumindest eine schlüssige Erklärung, für die man keine dickleibigen Wälzer vollschreiben muss: Konservative und Liberale, die weitestgehend besitzendes Bürgertum und beträchtliche Teile der Eliten repräsentieren, haben nie wirklich an Demokratie im Sinne von Volkssouveränität geglaubt, sondern immer irgendwie daran, dass dieses Land eigentlich ihnen gehört. Eine Regierung, die nicht von ihnen selbst gestellt wird bzw. nicht von ihren Gnaden ist (Groko) stellt aus ihrer Sicht daher einen Verstoß gegen die natürliche Ordnung der Dinge dar. Es muss sich viel Frust und Zorn angestaut haben darüber, dass im einstigen NS-Mustergau Thüringen ein Bodo Ramelow regierte. Auch wenn der kaum noch als Linker erkennbar war.

Dummerweise hat mit den Rechten auch die Trollkultur des Internet Einzug in die Politik gehalten. Jener naive Kinderglaube, es handle sich um höhere Vernunft, erst einmal alles kaputtzuhauen und dann darauf zu hoffen, es würde sich schon von selbst etwas Schöneres, Besseres aus den Trümmern erheben. Das ist beileibe nicht neu, sondern war schon die Denke jener Blitzbirnen, die 1914 einen Krieg vom Zaun brachen, weil sie dekadenterweise glaubten, so ein reinigendes Gewitter würde allen guttun. Mit dem bekannten Erfolg. Für den sie hinterher den Linken die Schuld gaben.

"Wenn es eine unmissverständliche Lektion aus dem Sommer 1914 gibt, dann die, dass die wahre Gefahr nicht von schlechten Politikern ausgeht, sondern von mittelmäßigen. Diesen zwar top ausgebildeten, aber ungebildeten Funktionärstypen ohne Horizont und ohne Ideen, die immer nur funktioniert […] haben. Schlechte Politiker machen früher oder später zwangsläufig Fehler, die sie in der Regel das Amt kosten oder auf einem Pöstchen landen lassen, auf dem sie keinen Schaden mehr anrichten können. Mittelmäßige hingegen sind einerseits schlau genug, sich um jeden Preis im Amt zu halten, andererseits aber zu verbohrt, um zu merken, dass auch ihre gern behauptete Ideologiefreiheit sie keineswegs immun macht für Ideologie. Das macht sie so gefährlich." (Myself, Juli 2015)

Der Wille, die Linken zu trollen, muss derart übermächtig gewesen sein, dass der ausgebootete Mike Moring sämtliche Vernunft und jegliche Reste politischen Anstands, so noch vorhanden, fahren ließ. Wie anders ist es zu erklären, dass Faschisten und Nazis auch nach dem Mord an Walter Lübcke für einen wie ihn offenbar immer noch keine Gefahr darstellen, sondern augenscheinlich nach wie vor bloß dumme Jungen sind, die halt mal über die Stränge schlagen und die man als Landeseigentümer beizeiten schon zur Raison bringen würde.

"Was heute in Erfurt geschehen ist, war ein einziger langer Werbeblock für Wahlenthaltung und Politikverdrossenheit." (Richard Volkmann)

Vor allem ist das, was gestern in Erfurt geschehen ist, ein einziger langer Werbeblock dafür, dass die Linke wohl nie wirklich unrecht hatte mit ihrer Analyse bezüglich der Durchlässigkeit zwischen Faschismus und Kapital.

Und der Herr Uthoff auch nicht.

(Video im erweiterten  Datenschutzmodus eingebettet. Anklicken generiert keine Cookies.)

Das bringt uns nun sehr schön zu Thomas Kemmerich. Bei ihm fällt es ausnehmend schwer, vom pimmeligen Äußeren nicht auf innere Werte zu schließen. Der hätte eine Möglichkeit gehabt, den Spuk zu beenden und zumindest die Illusion aufrechtzuerhalten, es gäbe in diesem Land noch so etwas wie einen demokratischen Grundkonsens: Er hätte auf die Frage, ob er die Wahl annähme, mit nein antworten können. Nein, er hätte es müssen. Statt dessen ließ er sich vom verschlagenen Faschisten Björn Höcke gratulieren, dessen Fraktion gerade ihren eigenen Kandidaten aus taktischen Überlegungen geopfert hatte und damit immerhin einen kleinen Vorgeschmack davon gab, wie sie in Zukunft Politik zu machen gedenkt.

Man fragt sich, wie kräftig Kemmerich vor genau welchen Schrank gelaufen sein muss, wenn er ernsthaft glaubt, er als Repräsentant einer Fraktion, die es knapp über fünf Prozent geschafft hat, könne sich von der AfD zum Ministerpräsidenten von Höckes Gnaden wählen lassen und unbehelligt regieren, ohne je erwarten zu müssen, die AfD würde dafür keinerlei Gegenleistungen sehen wollen? Und dann auch noch ohne ein erkennbares Zeichen von Verlegenheit weiterhin behaupten, er sei das Gegenteil der AfD?

(So sehn Bürgerliche aus. Für den Fall, dass das noch jemanden interessieren sollte. Getwittert im übrigen in der Woche nach dem mit gewissem Aufwand begangenen Auschwitz-Gedenken.)

Weiter oben habe ich mich gegen meine Gewohnheiten selbst zitiert. Weil ich glaube, dass uns jetzt das auf die Füße fällt, was im Sommer 2015 geschehen ist. Nicht die vielzitierte 'Flüchtlingskrise', das ist oberflächlicher, rassistischer Quark. Nein, es war die ganz offen exekutierte Brutalität, mit der da um der Rettung von Verbindlichkeiten von Banken willen, die sich verzockt hatten, ganze Volkswirtschaften ins Elend gestoßen wurden und mit der, für alle sichtbar, die einst hehre europäische Idee ersetzt wurde gegen das nackte, brutale Recht des Stärkeren. Und nebenbei 70 Jahre Nachkriegsdiplomatie zerdeppert wurden. Das und nicht 'die Flüchtlingskrise' war das Signal zum Aufbruch an alle Rechten, dass nun endlich mal Schluss ist mit Humanitätsduselei.

Das geht nicht gut aus, war damals mein spontaner erster, noch diffuser Gedanke. Ich hasse es zuweilen, Recht zu behalten.



9 Kommentare:

  1. Ach Leute! Das ist doch nur der bisher vorläufige Höhepunkt der Protegierung der AfD durch Medien, insbes. Talkshows und Parlamentarier anderer Parteien.

    Peer Heinelt hat auf 3 Seiten in konkret 1/20 (leider nur Print) ausführlich beschrieben, wie reibungslos die Zusammenarbeit zwischen AfD-Parlamentariern und den Parlamentariern der anderen bürgerlichen Parteien (außer LINKE) bisher funktioniert - von der Versorgung mit Stellvertreterfunktionen in Bundestagsausschüssen bis hin zu der Frage, ob man sich mit Nazis duzen darf (Lars Klingbeil: Nein, FDP-Parlamentarier: Ja doch).

    Insofern ist das Geschehen in Thüringen nur das Produkt der Kontinuität geheuchelter Distanz.

    Ich würde jetzt schon Wetten darauf abschließen, dass mal wieder im Interesse des "Volkes" bzw. des Landes die CDU umkippen und sich an der Regierung beteiligen wird. Wie geschmeidig das geht, hat die SPD im Bund vorgeführt. Wir erinnern uns: GroKo? Niemals, nie und nimmer, "ab jetzt kriegen sie auf die Schnauze!"

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    1. Das mag ja alles so sein. Nur bringt es absolut niemanden weiter, der Onkel zu sein, der alles schon immer gewusst hat und durch nichts zu überraschen ist. Eine solche Dreistigkeit wie die gestrige ist jedenfalls in der jüngeren Geschichte ziemlich ohne Parallele.

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    2. Mir fällt auch nichts Vergleichbares ein.

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    3. Stefan: Dr. Heinelt ist Gesellschaftswissenschaftler und hat seit der letzten Bundestagswahl das Zusammenspiel der Parteien im Bundestag sorgfältig recherchiert. Ihn schnodderig als Onkel zu bezeichnen, der immer schon alles gewußt hat ist einfach daneben.

      Und ansonsten ist das alles doch mal wieder völlig verfassungskonform, legal, formaljuristisch in Ordnung verlaufen. Eine Klatsche für Verfassungspatrioten. Provokant ausgedrückt: Die CDU hat einen FDP-Mann gewählt. Rechtsextrem?

      Das als Drestigkeit zu bezeichnen mag ja stimmen, ist aber das gängige Vokabular der MSM. Vorsicht, dass Dir nicht bald die Superlative ausgehen. 2021 kommt noch mal die CDU mit den Grünen ans Ruder, danach geht der Kurs wie in anderen europ. Nachbarländern steil nach rechts. Noch genügend Zeit, die Wähler an die "Bürgerlichkeit" der AfD zu gewöhnen.

      https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/kein-unfall

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    4. Wie zur Bestätigung meiner Prognose war ausgerechnet vogelschiss Gauland gestern Gast bei Maybritt Illner. Der gesellschaftliche Normalisierungsprozess zum Vorteil der AfD wird fortgesetzt. Nichts gelernt.

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    5. "Natürlich hat der Onkel es nicht wissen können."

      In einem Land, wo zu offiziellen Anlässen viel von den Opfern des Faschismus geredet wird, dafür umso mehr von den Tätern geschwiegen und die deutsche Kanzlerin am 6.12.2019 in Ausschwitz diesen Satz hervorbringt:

      „Was hier geschah, ist mit dem menschlichen Verstand nicht zu erfassen."

      Ist es da nicht mehr als berechtigt zu behaupten, dass man aus der Geschichte eben doch nicht so viel gelernt hat, wie man stets mit stolzgeschwellter Brust verkündet?
      Selbstverständlich ist das alles mit dem Verstand zu erfassen. Man muss ihn nur gebrauchen wollen.

      Oder wird da nur der "falsche" Gebrauch von gemacht, bereits auf eine völkische/volksgemeinschaftliche Alternative hingearbeitet ?

      Der Testlauf ist wohl erstmal misslungen.

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    6. Hier der Text von Heinelt:

      https://konkret-magazin.de/aktuell/446-bestens-integriert

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    7. Völkisch und deutschnational ist keine ausschliessliche Domäne der Rechten deshalb von mir zitiert:

      „Wir sind für die Einheit Deutschlands, weil die Deutschen im Westen unsere Brüder sind! Weil wir unser Vaterland lieben! Weil wir wissen, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands eine unumstößliche, eine historische Gesetzmäßigkeit ist und daß jeder zugrunde gehen wird, der sich diesem Gesetz entgegenzustellen wagt!“ Walter Ulbricht 1954

      So ist es eben mit der Dialektik – sie geht ihren Verwaltern, den Parteikommunisten, erst über den Verstand und bricht ihnen dann das Kreuz.

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  2. Siewurdengelesen6. Februar 2020 um 20:43

    "Der Wille, die Linken zu trollen, muss derart übermächtig gewesen sein, dass der ausgebootete Mike Mohring sämtliche Vernunft und jegliche Reste politischen Anstands, so noch vorhanden, fahren ließ."

    +1

    "Vor allem ist das, was gestern in Erfurt geschehen ist, ein einziger langer Werbeblock dafür, dass die Linke wohl nie wirklich unrecht hatte mit ihrer Analyse bezüglich der Durchlässigkeit zwischen Faschismus und Kapital."

    Dito

    Genau dieser Hintergrund ist doch die Ursache für das bisher mit Fleiss verhinderte Bilden einer neuen Regierung in Thüringen. Diese Blamage für eine CDU, als Koalitionspartner an der Seite der Linken und dann nicht mal Ministerpräsident - das geht gar nicht!

    Das CDU inklusive FDP soweit weg von einer AfD sind, ist auch nicht so wirklich neu. Insofern ist dieses Ränkespiel hinter den Kulissen, um die Linke auszubooten, wahrscheinlich nur der Vorgeschmack. Wenn es um das Verbleiben an der Macht geht, wird das in nicht allzuferner Zeit nicht mehr heimlich stattfinden. Zumindest ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich das umkehrt.

    Wie es aussieht mit rechts und links, sieht man doch bereits am Vorgehen in Connewitz. Ähnlich wie bei G20 wird verbal aufgerüstet und angeheizt. Dann richtet man eine Gefahrenzone ein und schickt ein paar Hundertschaften aufgepimpter Polizei hin und lässt es laufen. Tatsachenberichte Anwesender auf Twitter werden als Lüge diffamiert, während ein Polizeisprecher per Privat-Account tatsächlich übertriebene "Lagemeldungen" verbreitet.

    Bei der Demo in Chemnitz 2018 gab es dagegen offiziell keine Hetzjagden, geschweige denn das sich ein ähnliches Engagement der Behörden nebst Distanzieren usw. gezeigt hätte.

    Dem VVN-BdA wird die Gemeinnützigkeit entzogen, während jeder Schützenverein in dieses Raster fällt, in welchen nur zu gerne Rechte Mitglieder sind.

    Was muss dazu noch gesagt werden?!

    Und das in dieser parlamentarischen Demokratie "das Volk" ohnehin nur im Turnus der Wahlen dazu dient, den Trog zu sichern...

    Wir sind nicht mehr auf dem Weg, sondern bereits mittendrin.

    Die Bankenkrise wäre noch ein Thema, aber das passt hier nicht mehr hin.

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