Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Donnerstag, 27. Februar 2020
Rechts ran, bitte!
Geradezu esoterisch könnte man werden in diesen Tagen! Ist es wirklich bloß Zufall, dass gemeinsam mit Friedrich Merz auch Lars Windhorst wieder aus der Versenkung auftaucht? Jener einstige, mit Augenbrauen Waigelschen Ausmaßes ausgestattete Junginvestor, der schon als fast noch Minderjähriger neben irgendwelchen Wolkenkratzermodellen und Helmut Kohl posierte? Der ihn im Chor mit neoliberaler Journaille artigeifrig als Wunderkind und Hoffnungsträger der deutschen Wirtschaft präsentierte?
Man fühlte sich ein wenig in die Neunziger versetzt, als Windhorst verkündete, dem vor sich hin siechenden Fußballverein Hertha BSC Berlin zu neuem Glanz als Big City Club verhelfen zu wollen. Mit der Verpflichtung des als Fußballtrainer verkleideten Schlangenölverkäufers Jürgen Klinsmann tat das einstige Wunderkind dann gleich den ersten sauberen Griff ins Klo. Nun also Auftritt Friedrich Merz. Der will nicht nur CDU-Vorsitzender werden, sondern am besten auch gleich Kanzler. Weil er kann, wie er findet. Und weil lästige Gegnerinnen, mit denen er hätte debattieren müssen, nicht mehr bzw. bald nicht mehr da sind.
Der Mann hat ein geradezu beängstigendes Talent, sich immer dann, wenn es drauf ankommt, selbst aus dem Spiel zu nehmen. Die Gabe für das haarscharf falsche, aus der Zeit gefallene Wort zum falschen Zeitpunkt. So wie damals, als er meinte, sich ausgerechnet auf einen Coolnesswettbewerb mit Joschka Fischer einlassen zu müssen, einst unangefochtener Liebling des linksneoliberalen Establishments. Leutselig gab Merz, der auch da schon im grauen Anzug auf die Welt gekommen schien, zum Besten, was für ein ganz wilder, langhaariger, moppedfahrender sauerländischer Dorfjugendlicher er doch gewesen sei. Ward Unsouveränität je schöner verkörpert?
Seit dieser Woche können Armin Laschet und Jens Spahn, seine Parteikollegen und Mitbewerber um den Vorsitz, eigentlich schon mal den Sekt kaltstellen. Danke, das war's, Fritze. Rechts ranfahren, bitte. Was ist geschehen? Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass Friedrich Merz nicht nur gedanklich in den Neunzigern stehen geblieben, sondern auch sonst offenbar nicht in der Lage ist, halbwegs aktuelle Entwicklungen, also etwa die der letzten zwanzig Jahre, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Und dass wenn ihm doch mal was auffällt, er es dann konsequent falsch einzuschätzen pflegt.
Man bedenke: Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg manifestierte sich jüngst eine satte rot-rot-grüne Dreiviertelmehrheit. Das kann natürlich alles mögliche bedeuten und Hamburg ist bestimmt nicht repräsentativ für ganz Deutschland. Man kann aber durchaus mit aller Vorsicht daraus folgern, dass man sich zumindest in westdeutschen Großstädten eher weniger bedroht fühlt von Multikulti und Gevatter Migrant. Was machte nun Merz? Verkündete frohgemut, der beste Weg, Rechtsextremismus zu bekämpfen, seien konsequentere Grenzkontrollen. Damit sind schon seine linksradikalen Umtrieben nicht eben verdächtigen Kollegen Seehofer und Söder vor Jahren sauber auf die Nasen gefallen und haben sich entsprechend korrigiert.
Pardon, aber wer im Jahr 2020 ernsthaft glaubt, hartleibige AfD-Wähler zurückgewinnen zu können, indem er ein bisschen über Grenzkontrollen debattiert, dem ist nicht mehr wirklich zu helfen. Die AfD hat sich in ihrer 5-10prozentigen (West) bzw. 20-25prozentigen (Ost) Blase stabil eingerichtet und vergiftet von dort das Klima. Wer spätestens nach dem Coup von Erfurt immer noch AfD wählt und behauptet, das sei doch bloß bürgerliche Mitte, ist entweder strohdumm oder will mich gewaltig verarschen.
Sollte er das ernst meinen, dann demonstriert Merz damit, auf die Schnurre hereinzufallen, AfD zu wählen sei im Prinzip bloß Notwehr enttäuschter Konservativer, die keine andere Chance sehen, ihren legitimen Protest zu artikulieren. Das ist nicht nur sachlich grundfalsch, es ist eine von der AfD selbst aus bestimmten Gründen stark befeuerte Nebelkerze, die von denen am heftigsten geschwenkt wird, die es am nötigsten haben zu betonen, sie seien ja keine Nazis, aber… Um dann, keineswegs aus Versehen oder aus Verlegenheit heraus, Nazis zu wählen.
(Apropos Nazis: Sascha Lobo weist darauf hin, dass Friedrich Merz Ende 2018 die AfD noch als "offen nationalsozialistisch" bezeichnet habe. Ein paar Monate später dann sei ihm das Aperçu entfahren, er hätte längst einen AfD-Vizepräsidenten im Bundestag gewählt. Ob ihm aufgefallen ist, dass er damit im Prinzip nicht anderes gefordert hat als einen offen nationalsozialistischen Bundestagsvizepräsidenten? Oder dass man diesen beiden Zitaten immer noch ohne viel Konstruiererei entnehmen kann, er fände Nationalsozialismus nicht wirklich schlimm? Man weiß es nicht. Aber ahnt es.)
Als er beim politischen Aschermittwoch mit seinem nicht mehr eben jugendlichen Alter konfrontiert wurde sowie mit der Frage, inwieweit er das vereinbaren könne mit den Belastungen des angestrebten Amtes als Bundeskanzler, konterte er, Alter dürfe keine Rolle spielen in der Politik, er sei fit wie ein Turnschuh. Um dann mit dem fortgeschritteneren Alter von Bernie Sanders zu argumentieren, das schließlich auch kein Problem sei. Moment mal, wenn Alter in der Politik keine Rolle spielt, dann gilt das doch eigentlich für alle, also auch für das von Sanders, oder?
75 Jahre gibt es die CDU jetzt, seit 1945, um genau zu sein. 20 davon war eine Frau Vorsitzende. Für konservative Kerle alten Schlages sicher schmerzlich. Wenn aber Merz nun meint, es sei absolut kein Problem für ihn, dass keine Frau für den Vorsitz antrete, jetzt sei eben mal wieder ein Mann an der Reihe, dann muss man weder Feminist sein noch Anhänger von Quotenregelungen, wenn man so denkt: Hä? Anders gesagt: Wem zu der Frage, wer die CDU in Zukunft wieder herrlichen Zeiten entgegenführen soll, nichts anderes einfällt als dass jetzt aber unbedingt wieder ein Mann dran sei, weil eben einer dran sei, sollte sich mit Kritik an Frauenquoten und Verweisen darauf, es käme immer nur allein auf Leistung an, vielleicht etwas bedeckter halten.
(Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, dass man, wenn man sich beim Tippen des Wortes 'Zukunft' vertippt, 'Zufunkt' erhält? Egal.)
Es gibt bei alledem aber eine schlechte Nachricht für jene, die Rot-rot-grün oder Grün-rot-rot für eine erstebenswerte politische Perspektive halten: Einen dankbareren Gegner als Merz hätte es nicht gegeben für die vor sich hin siechende SPD, die sich kabbelnde Linke und die notorischen Richtigmacher von der grünen Bourgeoisie. Der an Merkels Knuffelkurs geschulte Karnevalsprinz Laschet ist da der weit härtere Brocken.
4 Kommentare:
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Es ist bedauerlich, dass es 1970 noch kein Internet, kein Insta und kein YouTube gegeben hat. Was gäbe ich für einen kurzen Clip, der zeigt, wie Fotzenfritz auf einer NSU Quickly um den Kiosk geknattert ist, die Schokoladenzigarette lässig im Mundwinkel.
AntwortenLöschenJetzt muss er die Themen abarbeiten, die er in den letzten zehn Jahren verpasst hat: Kopftuch, Flüchtlinge 2015 usw. - mit fehlt nur noch das Statement zum 7:1 gegen Brasilien.
Das wäre zwar eine verwackelte Super 8-Aufnahme, aber bestimmt der Hit.
LöschenIch warte ja noch darauf, dass ihm einer Smartphones und Twitter erklärt...
ich will hier mal was loswerden:
AntwortenLöschenhttps://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2019/_12/_15/Petition_104010.$$$.a.u.html
Ach, wenn das doch nur Merz-Fans lesen (läsen?) und sich überzeugen ließen, dass der Mann überall hingehört, nur nicht ins Bundeskanzleramt und auch in sonst kein Amt.
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