Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Dienstag, 17. März 2020
Kein harmloser Flohmarkt
Ein Versuch über die höchst erfolgreiche ZDF-Sendung 'Bares für Rares'
Wer zumindest einen Teil seiner Zeit an einer bzw. mehreren Universitäten oder Fachhochschulen oder in einschlägigen Szenekneipen verbracht hat, kennt sie. Diese Aushänge an Schwarzen Brettern, auf denen diverses zum Kauf angeboten wird Oft mit mittels Cuttermesser kunstvoll geschnitzten Abreißstreifen versehen auf denen die Telefonnummer, später immer öfter auch eine Mailadresse standen. Die meisten waren Mietgesuche um eine bezahlbare Unterkunft. Alltag. Andere erzählten zum Teil Geschichten. Etwa wenn jemand unbedingt eine Frau wiedersehen wollte, die er auf dem Campusfest getroffen, aber aus den Augen verloren hatte und nun mit nichts als dem Vornamen dastand. Und dann gab es welche, die einen traurig stimmten. "Stereoanlage abzugeben (neuwertig). Dringend! 300,-- V.B.". "Fahrrad schnellstmöglich zu verkaufen! 200 Mark."
Man las es und wusste: Solche Aushänge kündeten von Dramen, vielleicht gar existenziellen. Das Geld reichte nicht mehr für die Miete oder zum Ende des Monats. Schulden drückten. Das BAFöG-Amt machte Stress. Die Eltern hatten ihre Unterstützungszahlungen eingestellt. So was in der Art.
Schnitt.
Mit die erfolgreichste regelmäßige Sendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist, wie man hört, 'Bares für Rares'. Die wird an jedem Werktag teils mehrfach ausgestrahlt und fährt seit Jahren Traumquoten ein. Es ist leicht, dieser Sendung zu verfallen, zumal jetzt, in Zeiten coronabedingten verschärften Stubenhockens. Weil dort vieles so anders läuft. Hier ist Entschleunigung oberstes Gebot. Stets geht es nach folgendem Schema zu: Zwei mal präsentieren Verkäufer in spe ihre Schätzchen, bekommen eine Expertise von einem zuständigen Experten nebst einem Schätzpreis. Sind sie mit dem einverstanden bekommen sie vom zwirbelbärtigen Impresario und Ex-Fernsehkoch Horst Lichter, pardon: Hochst Lischter, eine Händlerkarte als Eintrittskarte für den Händlerraum. Danach bekommt man die beiden Verkäufe im Händlerraum zu sehen. Das Ganze wiederholt sich pro Ausgabe noch zwei mal. Am Ende gehen alle glücklich nach Hause.
Sicher, man kann diese Sendung aus diversen Gründen nicht mögen. Man kann kritteln, dass das Format eine Quasi-Kopie des BBC-Formats Antiques Roadshow ist, das seit 1979 läuft. Man kann genervt sein von Lichters immergleichem rheinischen Geknuffel, mit dem er dem "entzückenden Pärschen" "dat Händlerkärtschen" überreicht. Nur muss auch hevorgehoben werden, dass hier im Gegensatz zu vielen anderen Formaten an keiner Stelle jemandes Menschenwürde in die Tonne getreten wird. Alle Verkaufswilligen werden mit größter Wertschätzung behandelt, immer auf Augenhöhe, niemals von oben herab. Egal, ob sie altes Spielzeug für 10 Euro Restwert oder kostbare Klunker für mehrere Tausend Euro anbieten. Zumal man Lichter seine Menschenfreundlichkeit abnimmt. Der Mann scheint sich ehrlich für andere zu freuen, wenn ihr Dachbodenfund oder das Erbstück deutlich wertvoller ist als gedacht, und mit ihnen zu leiden, wenn es sich umgekehrt verhält.
Viele der dort regelmäßig Auftretenden sind sehr gut gecastet, grundgut und bedienen eine Sehnsucht nach 'echten Typen'. Bei den Experten die latent streng wirkende Wendela Horz, der distinguierte Colmar Schulte-Goltz, der kumpelige Ex-Autoschrauber Sven Deutschmanek, der Altbohemién Albert Maier. Bei den Händlern der herzlich-prollige Eifeler Walter 'Waldi' Lehnertz ("Also aachtzisch Euro wär der Prüjel mir wert."). Der zwischen gothic und queer aufgemachte Fabian Kahl (der damit vielleicht mehr für die Akzeptanz irgendwie queer daherkommender Menschen beim ZDF-Kernpublikum getan haben dürfte als viele flammende Pamphlete). Der ehemalige Akrobat Ludwig 'Lucki' Hofmaier ("I geb eana an Fuchtzger.") mit der bewegten Vergangenheit und den kreischbunten Hemden. Oder die immer ein wenig zwischen Sphinx und Tussi balancierende Edelsteinexpertin Susanne Steiger mit dem niedlichen Sprachfehler.
Ziemlich sicher, das würde den anhaltenden großen Erfolg erklären, ist 'Bares für Rares' für viele wohl eine Art Sehnsuchtsort. Ein Platz, wo die Welt noch in Ordnung ist. Eine Gegenwelt, in der alle stets nett und wertschätzend miteinander sind und die hitzig-hysterischen Debatten der 'Sozialen' Netzwerke ganz weit weg sind. Lichter und Lehnertz geben hier meist den Grundton vor. Frauen werden von ihnen selbstverständlich mit "Engelschen" und "Schätzelein" angeredet. Ganz so, als sei Horst Schlämmer nie als Parodie angelegt gewesen, und niemand schreit "Metoo!" oder scheint sonstwie ein Problem zu haben damit. Die Händler sind niemals Nepper und treten nicht als knallharte Geschäftsleute auf, sondern menscheln gewaltig. Kommt es in Ausnahmefällen nicht zum Kaufabschluss, wird sich bedankt fürs Vorführen des guten Stücks und es wird dem verhinderten Verkäufer Mut zugesprochen. Hach, der ehrbare Kaufmann!
Eine mediale Insel der Seligen also? Vielleicht. Wenn da nicht dieses feine, fiese Gefühl im Zwischenhirn wäre. Das einfach nicht weggehen will. Der Gedanke, dass das alles so lieb und nett ist, dass es schon wieder verdächtig ist. Dieser Reflex, nach dem Haar in der Suppe zu suchen, der Leiche im Keller. Der Gedanke, dass Unterhaltung niemals wirklich unpolitisch ist. Gar nicht sein kann. No exceptions.
Weil man sich vorher bewerben muss, werden alle Kandidaten bzw. Verkäufer gecastet und vorsortiert. Natürlich wird es daher auch Aspiranten geben, die aus Geldsorgen heraus verkaufen. Weil sie Schulden haben, das Finanzamt im Nacken, unterhaltspflichtig sind etc. Womit wir am Anfang wären. Es ist sicher naiv, von einem Unterhaltungsformat wie 'Bares für Rares' zu erwarten, soziale Verwerfungen offenzulegen (und wenn Unterhaltungsformate dennoch behaupten, das zu tun, gern versehen mit dem Attribut "schonungslos", dann darf man sich in aller Regel auf fiesen politischen Subtext gefasst machen) oder gar das herrschende System infrage zu stellen.
Doch kann man durchaus fragen, welchen Eindruck Außerirdische oder künftige Generationen bekämen bzw. bekommen müssten von diesem Deutschland der 2010er Jahre, sollten sie irgendwie an Aufzeichnungen von 'Bares für Rares'-Sendungen gelangen.
Die sähen eine heile Welt voller glücklicher und zufriedener Kleinbürger, die keine echten Sorgen, dafür versteckte Reichtümer übrig haben und sich vom Verkaufserlös allesamt ganz bescheidene, teils selbstlose Wünsche erfüllen wollen. Mit der Familie mal essen gehen, einen schönen Tag machen, Urlaubskasse aufbessern, was fürs Studium dazubekommen. Alles schöne und erstrebenswerte Dinge, gar keine Frage. Und ich will auch gerne glauben, dass das der Normalfall ist und nicht raffzahniges, verlogenes Behumsen. Wie ich auch gerne glauben möchte, dass derlei stillvergnügte Bescheidenheit weit eher den Alltag im Lande wiedergibt als nackte Gier. Dass freundliches Miteinander, wie dort täglich vorgelebt, repräsentativer ist als das inhumane, uninformierte Gepöbel in Kommentarspalten und 'Sozialen' Netzwerken. Es wäre schön und ich wäre entzückt, wenn das alles der Fall wäre. Wenn nicht, müsste man hier von Kitsch sprechen.
Sich in heile Gegenwelten zu flüchten vor den Zumutungen des Alltags ist ein legitimes Ansinnen, und wer das arrogant bekrittelt, möge vorab bitte in den Spiegel sehen. Auch ist Kitsch als Ausdruck der Sehnsucht nach einfacheren, glücklicheren, übersichtlicheren Verhältnissen stetiger Begleiter menschlicher Kultur. Wenn auch von sich für gebildet Dünkenden meist verschämt verschwiegen. Und sicher gibt es eine Menge deutlich Schlimmeres, Zynischeres, Menschenverachtenderes im TV als Lichters gefilmten Flohmarkt. Von der Kulturkritik ausnehmen hingegen sollte man 'Bares für Rares' deswegen keineswegs. Denn ganz so harmlos wie es tut ist nämlich auch das nicht. Kann gar nicht anders unter den herrschenden Umständen.
6 Kommentare:
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Ich gebe zu, ich mag die Sendung. Die Gründe, weswegen manche ihre Stücke versilbern wollen, gehen mich nichts an. Und wenn am Ende Verkäufer und Händler zufrieden sind, sei es Ihnen gegönnt. Am schönsten ist eigentlich, wenn die Anbieter schüchtern 50 Euro wollen und mit vierstelligen Summen wieder aus dem Verkaufsraum torkeln - ich kann mich da völlig neidfrei mitfreuen. Es gab schon so manches Porzellan, in das ich mich spontan verliebt hätte oder viele Schmuckstücke, die mich begeistert haben. Schön, wenn die Sachen eine neue Heimat finden. Und wo manche ihre Sachen finden: Sperrmüll, Entrümpelung, auf dem Flohmarkt günstig entdeckt - schöne Geschichten. So ganz ohne Anleitung wollte ich allerdings auch nicht vor eine Kamera treten, daher ist es wahrscheinlich gut, wenn die Leute etwas vorbereitet werden.
AntwortenLöschenVielleicht brauchen wir so eine Sendung einfach - was den Erfolg erklärt. Man sollte dann aber anderen auch was gönnen können...
Musste die Lektüre dieses wahrscheinlich hochformidablen Textes leider an der Stelle abbrechen, an der dieses Wort steht, das die bescheuerten Deutschen für jenes überaus nützliche Schneidegerät zusammengeschwurbelt haben, das im Englischen „box cutter“ heißt, also etwa „Kartonmesser“. Von dem, was die bescheuerten Deutschen da zusammengeschwurbelt haben, bekomme ich nämlich Beklemmungen und fühle Schreikrämpfe aufsteigen.
AntwortenLöschenIch geh jetzt mal Doctor Who gucken, dann versuche ich in Zeile 5 wieder anzugreifen. Wünscht mir Glück.
Wieso soll denn die heile-Welt-Atmosphäre ein Alleinstellungsmerkmal von Bares für Rares sein? Sind denn in allen anderen Fernseh- und Radiosendungen die Umgangsformen so wie in den asozialen Netzwerken?
AntwortenLöschenUnd das Sendungskonzept gibt's doch zigfach auch auf anderen ÖR-Kanälen, wo die Sendungen schon Jahre vorher liefen. Bei Bares für Rares sieht es doch einfach nur danach aus, dass die Sendung massiv gepusht wird.
Für mich steht die Sendung nur für die fetischhafte Beschäftigung mit dem Tauschwert bei kaum vorhandenem Gebrauchswert und der Vergeudung von Lebenszeit damit, sowohl bei der Herstellung (primär für den Tauschwert), als auch bei der Tätigkeit des Tauschens inklusive Schätzen, etc..
Statt sich mit Gebrauchswerten und deren Mehrung zu befassen, um eben sich gemeinsam das Leben leichter, angenehmer und schöner zu machen, ist hier der primäre Zweck, sich gegenseitig zu übervorteilen.
In meinen Augen sind das bedauerliche und zugleich abstoßende Gestalten. Und auch ein Fabian Kahl ist mir aus diesem Gruselkabinett nicht sympatischer, sondern ähnlich zuwider, wie z.B. ein Gerald Hörhan.
Psychologisch bzw. marketing-technisch ist BFR schnell erklärt: Altes ist immer noch supertoll und das Durchschnittsalter des ZDF-Publikums bewegt sich zwischen Rentner und Mumie. Keine Kritik meinerseits, alles richtig gemacht. Dafür eine Gebührenerhöhung. Chapeau!
AntwortenLöschenP.S.: Mein Vater (86) hat mir empfohlen, die Sendung zu sehen. Mehr als ein Mal. Ich bin dieser Empfehlung niemals gefolgt. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle eine Flasche Armagnac aus dem Jahr 1938 anbieten. Mindestgebot: 300 Euro.
Der Moderator mit dem Pornobalken unter der Nase ist eigentlich überflüssig, denn er hat von nix Ahnung. Das Fernsehen gibt ihm aber eine tolle Gelegenheit, sein Ego aufzupoppen, denn mit seiner Quasselei bekommt er die ersehnte Aufmerksamkeit.
AntwortenLöschenEinen derartigen Text könntest Du genausogut über den Bergdoktor verfassen: Weiss alles, kann alles, heilt alle, ist empathisch, das der Meniskus reißt und immer im Einsatz für die Familienprobleme seiner Patienten. Eben so wie jeder Hausarzt in Recklinghausen
Die Sendung gefällt mir nicht. Wie herzlos sich Menschen von Geschenken trennen...
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