Mittwoch, 29. April 2020

Ist es bald so weit?


Vielleicht ist wirklich Angst im Spiel bei mir. Dass ich das bald auch bekomme. Diesen Hang zum Verhärten, diese Vorliebe für einfache Erklärungen, Alleswissen und Scheißelabern. Der peinliche Onkel werde, ohne es zu merken. So fragt man sich als alternder Mann zuweilen, was in Geschlechtsgenossen vorgeht, die ein paar Jahre Vorsprung haben. Nehmen wir als jüngstes Beispiel Frank Castorf. Der ist seit seiner Demission bei der Volksbühne nicht mehr recht ausgelastet. Jetzt hat er sich in Sachen Corona zu Wort gemeldet. Er ließe sich nicht vorschreiben, erst recht nicht von Merkel, dass er sich die Hände zu waschen habe. Das beleidige seine bürgerliche Erziehung und er riefe nunmehr zum "republikanischen Widerstand" auf. Ok, Boomer!

"Irgendwann gerinnt im reifen Mann die feste Erkenntnis, dass er nichts Neues mehr lernen, geschweige denn erleben muss. Schließlich hat er genug erlebt, und, Hand aufs Herz, das meiste war ohnehin überflüssig und auch nicht besonders schön. Vor allem aber ist das Neue anstrengend. Irgendwann reicht es mit dem Stress. Wozu ist man quälende acht oder zehn oder gar dreizehn Jahre plus Nachspielzeit zur Schule gegangen? Da muss es doch auch mal gut sein." (Ulli Hannemann)

(Verzeihung, dass hier in letzter Zeit des öfteren der Herr Hannemann zitiert wird. Vielleicht nicht originell, aber irgendwie fühle ich mich verstanden von ihm. Das Alter...)

Abgesehen davon, dass derart infantiles Verweigern von Händewaschen ungefähr so mutig ist wie sich damit zu brüsten, ohne Zähneputzen ins Bett zu gehen oder seine Suppe nicht zu essen und ungefähr so unangepasst wie im Restaurant ("Opa, was ist ein Restaurant?") auch mal eine Cola zum Fisch zu bestellen: Was geht da vor in so jemandem? Vielleicht ist es bloß jene Scheißegalhaltung, die zunehmendes Lebensalter mit sich zu bringen pflegt. Vielleicht steckt aber auch anderes dahinter.

Ist es am Ende gar das letzte verzweifelte Aufbäumen der Libido? Die heimliche Hoffnung, dass die eine oder andere deutlich jüngere Frau 'frank castorf freundin' googelt, sich denkt: Okay, er bekommt einen leichten Schmerbauch, kriegt seinen kleinen Freund ohne Tablette vermutlich nicht mehr richtig hoch, nimmts mit dem Duschen auch nicht mehr so genau, ist immer schon um neun eingepennt, hat seine Zipperlein und wegen Hämorrhoiden vielleicht Bremsspuren in der Unterhose. Aber er ist sooo klug und sooo weise. Und so unangepasst. Er lässt sich nichts sagen, erst recht nicht von der doofen Merkel! Was für ein Kerl! Sooo hot! Rrrrr, mit dem würde ich ja gerne mal... Man weiß es nicht.

Nun gut, alles mögliche immer mit akuter Untervögelung erklären zu wollen, ist schon arg pubertär, zugegeben. Oder einfach nur quid pro quo, so vom Niveau her.

Vielleicht aber ist Castorf bloß einer jener privilegierten, bourgeoisen Lappen, wie Robert Misik sie jetzt so schön charakterisiert hat: Sitzen vollversorgt, hoch und trocken und bequem, jammern in einer Tour über die Bequemlichkeit und Vollversorgung der Gesellschaft sowie deren Verweichlichung, stehen auf Ernst Jünger und sehnen in ihrem grenzenlosen Ennui den Einbruch des Elementaren herbei. Und wenn's denn mal kommt, das Elementare, und sei es in Form der Aufforderung, sich öfter mal die Flossen zu waschen und ein wenig Abstand zu halten beim Einkaufen, wenn‘s also mal ein wenig unbequem wird, dann ist auch das wieder nicht recht. Nein, dann ist das Diktatur und überhaupt eine bodenlose Frechheit, und es wird zum "republikanischen Widerstand" aufgerufen.

Und wenn schon, so ließe sich ergänzen, dann möge das Elementare bitte nur die anderen betreffen. Dann kann man danebenstehen und das ganz feinsinnig und visionär beobachten als wiwawichtiger Kulturschaffender a.D. und vielleicht eine aufrüttelnde Aktion daraus machen. Die aber, weils keinen sonst groß interessiert, bloß der eigenen bildungsbürgerlichen Blase beim Selbstvergewissern hilft.

Oder Boris Palmer. Der schwäbische Sprüscheklobbwä und Tübinger Bürgermeister. Bei dem ist man ja nie sicher, ob der das wirklich ernst meint oder ob er nicht eigentlich eine Art Geheimwaffe der Grünen ist, um der AfD ein paar Wähler abzujagen. Palmer meinte jetzt sinngemäß, man solle nicht so einen Aufwand machen um ein paar Alte, die in einem halben Jahr doch eh über den Jordan seien. Klar, man weiß es nicht. Ich habe schon durchaus senil wirkende Menschen ein unerwartet zähes und keineswegs unglückliches Finish hinlegen sehen. Ich möchte da nicht entscheiden wollen, wer noch Behandlung bekommt und wer nicht.

Überhaupt, wo will man die Grenze ziehen, ab wann man der Mühe nicht mehr wert ist, und wer zieht sie eigentlich? Sterben nicht auch Jüngere am Virus? Wäre es, Palmers Logik mal zu Ende gedacht, da nicht sinnvoll, sich mal die Sozialprognose anzusehen im Hinblick auf zu erwartende Zahlungseingänge in Steuerkasse und Rentenversicherung? Fragen über Fragen.

Erinnert ein bisschen an die Achtziger. Da redete, glaube ich, einst Dieter Hildebrandt in einer 'Scheibenwischer'-Sendung anlässlich einer Rentenreform vom "sozialverträglichen Frühableben" Der Unterschied: Damals war's Satire und der Bayerische Rundfunk brachte das nicht, wegen linksradikal.

Ach so, wie alt ist Palmer eigentlich? Was? Drei Jahre jünger als ich? Oh shit! Und wie alt ist Misik? Drei Jahre älter als ich? Vielleicht ist also noch Hoffnung.





15 Kommentare:

  1. Noch schöner als Castorfs Kommentar zu seiner bürgerlichen Erziehung zum Händewaschen finde ich eigentlich den Satz aus dem Interview:
    "So wie zu Zeiten der DDR von der Politik die sozialistische Menschengemeinschaft propagiert wurde, wird heute die gesellschaftliche Pflicht zur Rettung vor dem Tod propagiert."
    Da ist doch schon fast alles drin, in nur einem Satz!

    Als Sibylle Lewitscharoff vor einigen Jahren mal öffentlich festhalten musste, daß Kinder aus einer künstlichen Befruchtung für sie gar keine richtigen, vollwertigen Menschen seien, da kommentierte irgendwer mal treffend, wenn ein*e alternde*r Intelletuelle*r nichts mehr zu sagen hat und ins Irrelevante abzugleiten befürchtet, dann kann er/sie einen geistigen Durchfall einfach mit einer dreisten Portion Menschenverachtung anreichern, und schon wirkt er/sie irgendwie auch mutig und unangepasst und es wird noch mal über sie/ihn gesprochen. Scheint bei Castorf auch ganz gut zu funktionieren, die Strategie!

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    1. Gut, damit Frau Lewitscharoff als Intellektuelle zu führen, habe ich immer noch ein bisschen meine Probleme, aber das kann natürlich an mir liegen. Der Neid, der vermaledeite! Und Rettung vor dem Tod voll DDR zu finden (immerhin nicht voll Hitler, das sollte man mal hervorheben), ist natürlich auch allerliebst. Eine weitere gekonnte Absage an Humanismus und Aufklärung. Wird immer interessanter, was sich so alles als links abfeiern lässt in diesen Tagen.

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    2. Jaaa, da sind sie wieder, die Linken mit ihren Ansprüchen an Intellektuelle! Bei denen muß es immer gleich ein Kaliber wie Brecht oder Chromsky sein... Bei den Nazis reicht es, sich eine Krawatte umbinden und mal einen Nebensatz bilden zu können, um als "Neurechter Intellektueller" präsentiert zu werden! 😃

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  2. Allüberall wird das Statement von Castorf bewusst böswillig interpretiert - ein bEispiel für die Debattenverschärfung unter vielen!

    Er hat nicht gesagt, dass er sich nicht die Hände waschen wolle, sondern dass er sich das von der Kanzlerin nicht sagen lassen will!
    Das ist ein deutlicher Unterschied, der noch dadurch gestützt wird, dass er die Weisung als "Beleidigung seiner bürgerlichen Erziehung" betrachtet. Diese umfasst nämlich das Hände waschen als Basiskompetenz von Anfang an.

    Das sage ich, ohne ihm zuzustimmen, wegen mir kann die Kanzlerin gerne alle Beschränkungen offensich vertreten.

    Allerdings drängt sich angesichts der Händewasch-Infos, die seit Wochen aus allen Kanälen schallen, schon der Eindruck auf, dass die jeweiligen Sender die Bevölkerung für ziemlich "alltagsdreckig" halten.

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    1. Nee, nee, Claudia, bedaure. Das hätte man anders und ohne dämliches Wutbürgersprech ausdrücken können. Etwa: "Ich empfinde es als Zumutung, derart penetrant zum Händewaschen angehalten zu werden, als sei ich sechs Jahre alt." So in der Art. Hat er aber nicht. Wer schon mal im Krankenhaus oder auch nur mit Lebensmitteln gearbeitet hat, weiß zudem, dass normale Alltagshygiene, die sonst völlig ausreicht, das unter verschärften Infektionsbedingungen eben nicht mehr tut.

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    2. na dann mal eine wahre Geschichte aus meinem Alltag.Ich arbeite in einem gehobenen Hotel,also auch hochpreisig...was so mancher sich eben nicht leisten kann^^Wir haben die Erlaubnis bestimmte Toiletten,die auch den Gästen zugänglich sind,zu nutzen.Da bekommt man dann schon mal mit,wie so manche Gäste ein Häufchen reinsetzen,abziehen und dann an das Waschbecken treten.Man hört sie im Täschchen kruschteln,eine Pafümwolke verteilen und noch das Haar richten.Was man aber nicht hört ist der Wasserstrahl :( Aber auch Fachleute empfinden es oftmals als völlig überbewertet sich die Hände zu desinfizieren.So geschehen im Krankenhaus vor ein paar Jahren.Ich lag mit einer Magen Darminfektion im Krankenhaus.Isolation schon mal nicht!!Visite,die Ärztin kommt kein,keine Handdesinfektion,Untersuchung meiner Zimmergenossin,dann kommt sie zu mir^^Bevor sie sich über mich hermachte,bat ich sie sich doch die Hände zu desinfizieren.Eisiges Schweigen und sie ging einfach raus....übrigens,das Krankenhaus war mal ein Jahr später als Todesklinik verschrieen

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    3. Vor allem muss ich ja nicht alles auf mich beziehen. "Mich kann die Kanzlerin nicht gemeint haben, da ich mir bei jeder Gelegenheit die Hände wasche - 3 Minuten lang."
      Es hat aber sicher nicht geschadet, die Leute daran zu erinnern.

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    4. "So geschehen im Krankenhaus vor ein paar Jahren.Ich lag mit einer Magen Darminfektion im Krankenhaus.Isolation schon mal nicht!!Visite,die Ärztin kommt kein,keine Handdesinfektion,Untersuchung meiner Zimmergenossin,dann kommt sie zu mir^^Bevor sie sich über mich hermachte,bat ich sie sich doch die Hände zu desinfizieren.Eisiges Schweigen und sie ging einfach raus."

      Hier eine kleine Erwiderung aus der Praxis.Nach 5 Jahren Arbeit im Krankenhaus und mehrmaliges Desinfizieren am Tag ist die oberste Hautschicht meiner Hände komplett hinüber. Sie ist trocken und pellt ab.Dagegen kann man auch leider nicht ancremen. Besonders unangenehm sind die kleine Haarrisse im Bereich der Fingerkuppen, an denen viele Nerven enden; die machen das Desinfizieren zu einer wahren Folter. Vielen meiner Kollegen gehts genauso und das sind nicht mal Ärzte, die sich noch öfter desinfizieren müssen. Es kann also sein, dass sich die Ärzte allein aus diesem Grund nicht alle zwei Minuten Alkohol auf die Flossen schütten.

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    5. nun zu mindestens sollte es man dann mit Handschuhen versuchen.Desinfizieren sollte auch drin sein,wenn man auf der Gastroenterologie arbeitet^^Im Übrigen war ich infektiös,da nach 4 Tagen meine Zimmergenossin auch meine Leidensgenossin wurde.K...z und Sch......ei konnte sie sicher gut zu ihrer schweren Blasenentzündung gebrauchen.

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  3. Siewurdengelesen30. April 2020 um 13:29

    Zum Herren aus Tübingen mit dem chronischen Aufmerksamkeitsdefizit hätte ich noch das Fundstück hier...

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  4. Herr Castorf ist ja wahrhaft ein epochaler Nonkonformist! Dass Menschen sterben müssen, »ist der Lauf der Dinge, den wir akzeptieren müssen.« – welch eine profunde Lebensweisheit! Diese tiefschürfende Erkenntnis erhebt ihn auf die gleiche Geisteshöhe wie seine Schwester im Geiste M. C. Giuliani (zu Popularität gelangt als ehemalige Fernseh-Glücksradfee), welche die Welt ebenfalls an ihrer abgeklärten Weltsicht teilhaben lässt indem sie verkündet, die ganzen Corona-Einschränkungen wären sowieso zu nix nütze »weil wir ja eh alle mal sterben müssen.«
    Was un-, flach-, schwach- oder blödsinnige Statements zum Thema Corona angeht, trifft Karl Valentins Aussage wohl zu: »Es ist schon alles gesagt worden, aber noch nicht von allen.«

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  5. Als die MerkelIn das mit dem händewaschen sagte, dachte ich mir schon fast, daß sich da einige leute drüber aufregen würden.

    Und da stellte ich mir vor, was wohl gewesen wäre, wenn der Kohl ca. 1987 oder so eine rede zum thema AIDS gehalten hätte und gesagt hätte »passen Sie auf sich auf. Und benutzen Sie bitte kondome!«

    Wäre das falsch gewesen, weil das einer sagt, den man so gar nicht leiden kann?

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  6. "Wäre es, Palmers Logik mal zu Ende gedacht, da nicht sinnvoll, sich mal die Sozialprognose anzusehen im Hinblick auf zu erwartende Zahlungseingänge in Steuerkasse und Rentenversicherung?"

    Schopenhauer, (Die Kunst, Recht zu behalten)
    "Eine Behauptung des Gegners, die nur spezifisch und relativ aufgestellt ist, in einer anderen Hinsicht deuten oder so, als sei sie in jeder Hinsicht gemeint, um sie dann in diesem Sinn zu widerlegen."

    Sie bringen hier eine ganz billige rabulistische Nummer.

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    1. Heul doch, Schlaubi Schlumpf!
      Und da wir gerade philosophisch unterwegs sind: Palmers Logik ist schlicht utilitaristisch (Aufwand im Verhältnis zum Nutzen). Was soll rabulistisch daran sein, einen Gedanken in diesem Sinne weiterzuführen, um dessen mögliche Konsequenzen zu verdeutlichen? Im übrigen beantwortet Ihre hübsche Invektive keine der Fragen, die ich in diesem Zusammenhang gestellt habe. Aber Zitate aus dem Zusammenhang reißen ist natürlich voll okay, wenn's der eigenen Sache dient. Schönen Tag noch.

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  7. Ein wenig Nachhilfeunterricht in Ethik:
    https://www.spiegel.de/kultur/corona-lockerungen-des-lockdowns-ist-ja-nur-das-leben-kolumne-a-df64641c-527b-431f-a2a1-9e2c15b74ed0

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