Donnerstag, 20. August 2020

Sommerloch: Mein Leben als Eindringling


Interessant, was man auf seine alten Tage noch so alles lernen kann als kinderloser Mittvierziger, der normalerweise tagsüber arbeiten muss. Mir war klar, dass Frauen sich in den vergangenen Jahrzehnten ihre Freiräume erkämpft haben, teils gegen erheblichen Widerstand: Es gibt Frauenhäuser, Frauenparkplätze, Frauenbeauftragte, Frauensaunen, Frauenschwimmen im Hallenbad und so weiter. Einzig Frauenbuchläden scheinen mir in letzter Zeit ein wenig auf dem absteigenden Ast zu sein. Nicht klar jedoch war mir, dass es, abhängig von der Tageszeit, noch eine ganze Reihe weiterer Frauenrefugien gibt, in die man als Mann besser nicht seinen Fuß setzt, will man nicht von akuten Kastrationsängsten befallen werden.

Vor einiger Zeit führte ein dienstlicher Termin einen Arbeitskollegen und mich in die Innenstadt. Da es früher Vormittag war, unsere Rückkehr ins Büro noch etwas warten konnte und wir beide ein leichtes Hungergefühl verspürten, kamen wir auf die Idee, uns in einem Bistro das recht günstige Frühstücksbuffet zu genehmigen. Das war ein Fehler. Ich habe mich selten so deplatziert gefühlt. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Laden, den ich abends zwecks essen und trinken eigentlich schätze, vormittags eine Mischung aus Hühnerstall, Proseccobar und Kindertagesstätte ist. Außer uns beiden war nur noch der Barkeeper männlichen Geschlechts. Sein Benehmen und seine Art zu reden aber legten den Verdacht nahe, dass er in intimeren Dingen eher das eigene Geschlecht bevorzugte. Kurz: Indem wir das Lokal betraten, stieg der Testosteronspiegel im Raum um nahezu hundert Prozent. Gleichzeitig schien die Temperatur um mehrere Grad zu sinken.

Etliche der Anwesenden machten aus ihren Gefühlen in Bezug auf uns keinen Hehl: Wir waren Eindringlinge und wurden auch so behandelt. Es gibt diese abschätzigen und misstrauischen Blicke, die zu sagen scheinen: "Sieh dich vor, Fremder, du bist hier allenfalls geduldet, keinesfalls aber bist du gelitten. Das Beste wäre, du wagtest gar nicht erst, dich hier häuslich niederzulassen und göngest gleich wieder." Solche Blicke hagelte es, und zwar knüppeldick. Einige andere tuschelten merklich über uns. Vermutlich diskutierten sie die Frage, was zwei Tunichtgute wie wir um diese Zeit hier verloren hätten. Beim Verlassen des Etablissements überzeugte ich mich an der Tür, ob ich etwa ein Schild mit der Aufschrift "Männer verboten!" oder einem entsprechenden Piktogramm übersehen hatte.

Etwa eine Woche später - ich hatte ein paar Tage Resturlaub abzubummeln – bat mein Vater mich, ihm bei einem Computerproblem zu helfen. Keine Sache, meinte ich, ich hätte Zeit und käme eben vorbei. Das Wetter war schon sehr angenehm und ich hatte große Lust mich mal wieder aufs Fahrrad zu schwingen. Meine Verursacher wohnen in einem Neubaugebiet mit hoher Familien- und Kinderdichte. Daher gibt es auch mehrere großzügig angelegte Spielplätze. An einem kam ich vorbei und stutze: Alle Sitzplätze, bestimmt zwanzig an der Zahl, waren voll mit Müttern, die, wenn sie nicht fröhlich miteinander ratschten, ihr komplettes Tupperware-Sortiment im Anschlag hatten und ebenso eifrig wie lautstark dafür sorgten, dass die Kleinen weder dehydrierten ("Lukas-Leon, du musst jetzt was trinken!") noch Gevatter Skorbut anheim fielen ("Maximiliane, jetzt komm her und iss dein Äpfelchen!").

Normalerweise hasse ich es wie die Pest, wenn Leute penetrant herumkaspern, wie viel besser früher doch alles gewesen sei. Ich meine mich aber zu erinnern, dass meine Freunde und ich es ab dem Kindergartenalter reichlich lästig fanden, wenn unsere Mütter uns beim Spielen auf Schritt und Tritt überwacht hätten. Spielen war Kindersache und wir wollten unsere Ruhe dabei. Kulturpessimismus hin oder her, ich ertappte mich dabei, Mitleid mit den Kleinen zu haben.

Das Problem mit Vaterns Rechner ward schnell behoben und als ich mich auf den Heimweg machte, ließ vermutlich frühlingsbedingter Übermut mich einen folgenschweren Fehler machen: Ich beschloss, die Abkürzung über den Spielplatz zu nehmen.

Kennen Sie das Gefühl, wenn schlagartig alle Gespräche verstummen, wenn jemand einen Raum betritt? Oder diese Szene aus Todd Fields Film Little Children? Ich bin weder stehen geblieben noch habe ich irgendwie blöd geglotzt. Ich habe nur von meinem Recht Gebrauch gemacht, meinen braven Drahtesel über ein öffentliches Gelände zu schieben, weiter nichts. Trotzdem kam ich mir vor, als wäre ich mitten im Hochamt splitternackt in den Kölner Dom marschiert. Ich lernte: Männer auf Spielplätzen sind im Zweifelsfall potenzielle Kinderschänder, mindestens jedoch Fremdkörper. Ich machte, dass ich wegkam. Aus dem Augenwinkel meinte ich nämlich gesehen zu haben, dass ein paar der Ladys schon die Handys gezückt hatten.

Zurück im Dienst erzählte ich dem erwähnten Kollegen davon. Dem hatte ein langer und zäher Scheidungskrieg jede Illusion und jede Romantik ausgetrieben. Der meinte, klar seien wir, beziehungsweise ich Eindringlinge gewesen. Zwar gäbe es viele Mütter, vor allem allein erziehende und gering verdienende, die wirklich schwer zu kämpfen hätten. Viele besser gestellte Mittelschichtlerinnen aber genössen so ein idyllisches Leben ohne Erwerbsarbeit durchaus. Nur passe das eben so gar nicht zur gern ventilierten Selbstdarstellung von der ach so belastenden und schlecht beleumundeten Familienarbeit. In der Tat, die Frauen im Bistro und auf dem Spielplatz schienen durchaus ihren Spaß zu haben und wirkten keineswegs deprimiert und gefrustet. Und genau dabei hatte ich sie erwischt. Gott der Dicke möge meiner Seele gnädig sein.


(01.04.2012)



2 Kommentare:

  1. Vielleicht nicht in der falschen Richtung suchen? Vielleicht ist das mit den "Männern" nur Verdeckung. Als ich 2008 mit dem Mieter unseres Hauses über den Schulweg seiner Tochter, der gleiche wie einer unserer Söhne vor 15 Jahren, ins Gespräch kam und ob sie den auch (vorwiegend durch Feld und Wiesen) bei gutem Wetter mit dem Rad macht? - Um Gottes willen nein! Wenn die hinfällt, kann sie sich nicht helfen... Klar, was da camoufliert wird?

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